Gemeinsame Pressekonferenz von US-Außenminister Blinken und Bundesaußenministerin Baerbock
Im Rahmen seiner Auslandsreise in die Ukraine, Deutschland und die Schweiz traf Außenminister Antony J. Blinken am 20. Januar 2022 zu Gesprächen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Die Eingangserklärung des US-Außenministers zur gemeinsamen Pressekonferenz lesen Sie hier in deutscher Übersetzung.
Bundesaußenministerin Baerbock, Annalena, vielen Dank. Vielen Dank für die überaus herzliche Gastfreundschaft am heutigen Tag und noch viel mehr dafür, dass wir in der relativ kurzen Zeit seit deinem und auch der kurzen Zeit seit meinem Amtsantritt eine solche Partnerschaft aufgebaut haben.
Es ist unser drittes Treffen, seitdem du vor einigen Wochen das Amt der Außenministerin übernommen hast. Und ich glaube, unsere Fähigkeit, uns unmittelbar in die gemeinsame Arbeit zu einigen der komplexesten Herausforderungen zu stürzen, denen sich unsere Länder gegenübersehen, spricht für meine Kollegin und Freundin und ist darüber hinaus auch ein Zeichen für die Stärke der bilateralen deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Diese Beziehungen gehen weit über einzelne Themen oder Interessen und Überzeugungen hinaus. Uns eint vor allem, was uns wichtig ist und wie wir uns in der Welt engagieren. Das zeigt sich in unserem anhaltenden Einsatz zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten, auch in unseren eigenen Ländern, in unserer Bereitschaft, festgelegte Regeln und Institutionen zu verteidigen, die ein Garant für Frieden und Sicherheit weit über unsere Grenzen hinaus sind, und darin, wie wir uns globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel und der Corona-Pandemie stellen. Und wir haben in unserer Zusammenarbeit mit der neuen deutschen Regierung einen exzellenten Start hingelegt, eine Tatsache, die uns ausgesprochen freut.
Wie Sie wissen und wie Annalena erwähnt hat, habe ich gestern in Kiew den ukrainischen Präsidenten Selenskyj und Außenminister Kuleba getroffen. Von hier, von Berlin aus, reise ich weiter nach Genf, um dort meinen russischen Kollegen, Außenminister Sergej Lawrow, zu treffen.
Wie Annalena bereits gesagt hat, schließt sich diese Auslandsreise an eine Woche sehr intensiver Diplomatie in Hinblick auf Russland an.
Bei all unseren Gesprächen mit Moskau in der vergangenen Woche war unser gemeinsames Ziel, eine diplomatische Lösung zur Entschärfung der angespannten Lage zu finden, die durch die massenhafte Verlegung russischer Truppen an die Grenze zur Ukraine herbeigeführt wurde, eine erneute russische Invasion oder Destabilisierung der Ukraine zu verhindern und berechtigten Sicherheitsbedenken, die von Russland, den Vereinigten Staaten und Europa hervorgebracht wurden, durch Dialog, nicht durch Aggression zu begegnen.
Dies ist selbstverständlich als Teil eines übergeordneten und anhaltenden Ziels der Vereinigten Staaten, Deutschlands und unserer Verbündeten zu sehen: die Aufrechterhaltung jener internationalen Ordnung, die der Grundstein für Jahrzehnte des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstandes in Europa und darüber hinaus war.
In den Gesprächen der vergangenen Woche sind wir unseren Prinzipien treu geblieben und haben die Themen deutlich gemacht, in denen wir mit Russland Fortschritte machen können, sofern es sich zur Zusammenarbeit entscheidet.
Unsere Gespräche mit Russland waren offen und direkt und haben für uns, unsere Verbündeten und Partner zu weiteren Überlegungen geführt. Auch für Russland haben sie zu weiteren Überlegungen geführt.
Deshalb sind wir hier zusammengekommen, um uns mit unseren Verbündeten und Partnern über das weitere Vorgehen zu beraten und abzustimmen. Das haben wir gestern in Kiew mit unseren ukrainischen Partnern getan, und das haben Annalena und ich heute mit unseren britischen und französischen Amtskollegen getan. Dies wird auch bei meinem Treffen mit Bundeskanzler Scholz heute Abend, das mir eine Ehre sein wird, ein zentrales Thema sein.
All diese Bemühungen sind Teil breit angelegter, andauernder Konsultationen mit unseren europäischen Verbündeten und Partnern.
Über einhundert davon gab es allein in den vergangen Wochen, unter anderem mit der Ukraine, der NATO, der Europäischen Union, der OSZE und den B9, sowie viele weitere bilaterale Gespräche mit einzelnen Ländern, um zu gewährleisten, dass wir Russland gegenüber geeint sprechen und handeln.
Diese Einheit macht uns stark. Es ist eine Stärke, die Russland nicht erreicht und nicht erreichen kann. Aus diesem Grund bilden wir überhaupt erst Bündnisse und Partnerschaften aus freien Stücken. Das ist auch der Grund, warum Russland mit aller Kraft versucht, uns zu entzweien.
Und es versetzt mich in die Lage, bei meinem Treffen mit Außenminister Lawrow morgen die gemeinsame Auffassung, die gemeinsame Präferenz der Vereinigten Staaten und unserer europäischen Partner zu vertreten, einen diplomatischen Weg zur Entschärfung dieses Konflikts einzuschlagen.
Auch wenn wir diesen diplomatischen Weg unnachgiebig verfolgen, werden wir weiterhin sehr deutlich machen, dass wir rasch schwerwiegende Konsequenzen folgen lassen werden, wenn Moskau den Weg der weiteren Aggression verfolgt.
Auch darin sind wir uns einig. Das hat Bundeskanzler Scholz vor einigen Tagen deutlich gemacht, als er sagte, dass Russland für eine solche Eskalation hohe Kosten zu tragen hätte. Das haben auch unsere britischen und französischen Amtskollegen heute getan, und diese Aussage haben wir unter anderem auch von der G7, der NATO, der Europäischen Union gehört. Die Vereinigten Staaten werden im weiteren Verlauf die Interessen aller Partner – Deutschlands, anderer europäischer Verbündeter – berücksichtigen, und sie nicht nur berücksichtigen, sondern aktiv zusammenarbeiten, um dafür zu sorgen, dass unsere gemeinsamen Interessen vertreten werden und ihnen Rechnung getragen wird.
Annalena und ich haben auch erneut die von Deutschland und den Vereinigten Staaten im Juli gemachte Zusage bekräftigt, zusammenzuarbeiten, um die Energiesicherheit der Ukraine zu fördern und Russland daran zu hindern, Energie als Waffe einzusetzen.
Und wir haben über den aktuellen Stand bei der Pipeline Nord Stream 2 gesprochen, die die Vereinigten Staaten seit Jahren ablehnen.
Es gilt auch zu bedenken, dass bisher noch kein Gas durch Nord Stream 2 fließt, was bedeutet, dass die Pipeline ein Druckmittel für Deutschland, für die Vereinigten Staaten und für unsere Verbündeten ist, nicht für Russland. Das ist zweifellos etwas, das Moskau abwägt, während es über sein weiteres Vorgehen nachdenkt, insbesondere angesichts der deutlichen Erklärungen der Länder dazu, welche ernsthaften Konsequenzen Russland zu erwarten hat, wenn es sich weiter aggressiv gegenüber der Ukraine zeigt.
Wir befinden uns also an einem Scheideweg. Wir können Moskau den Weg nicht vorgeben. Aber wir können sehr deutlich machen, welche drastischen Folgen diese Entscheidung haben wird – positive, wenn wir Dialog und Diplomatie verfolgen, oder sehr negative, wenn Russland den Weg der Aggression wählt.
Unabhängig davon, für welchen Weg sich Russland entscheidet, wird es feststellen, dass die Vereinigten Staaten, Deutschland und unsere Verbündeten sich einig sind. Wir wissen, dass Deutschland wichtige Verbindungen zu Russland hat und dass Deutschland, wie die Vereinigten Staaten, stabile, berechenbare Beziehungen zu Russland anstrebt. Diese sind in unser aller Interesse.
Zu guter Letzt haben wir uns bei unserem Treffen heute im sogenannten „Quad-Format“ mit Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den Vereinigten Staaten sowie dem Hohen Vertreter der EU, Josep Borrell, wie Annalena gesagt hat, auf die fortlaufenden Gespräche mit Iran über eine gemeinsame Rückkehr zur vollständigen Umsetzung des Atomabkommens, des gemeinsamen umfassenden Aktionsplans, konzentriert. Und wir stehen wirklich vor einem entscheidenden Augenblick. Wir können diese Gespräche erfolgreich abschließen und die wichtigsten Anliegen aller Seiten thematisieren, aber wir haben nicht mehr viel Zeit.
Wenn in den kommenden Wochen keine Einigung erzielt wird, werden die anhaltenden Fortschritte Irans bei seinem Atomprogramm, das nach unserem Rückzug aus dem Abkommen wieder aufgenommen wurde, es uns unmöglich machen, zum gemeinsamen umfassenden Aktionsplan zurückzukehren. Wir haben daher im Detail besprochen, wie wir in Wien eine Übereinkunft erzielen können und was wir tun werden, wenn Iran eine gemeinsame Rückkehr zur Einhaltung und vollständigen Umsetzung ablehnt. Es war ein sehr produktives Gespräch.
Wir stehen also vor einer Reihe ernsthafter und dringlicher Herausforderungen.
Wie Annalena gesagt hat, haben wir auch andere Dinge besprochen. Ich sollte auch noch erwähnen, dass wir uns gemeinsam mit der Frage befasst haben, wie unsere Länder dazu beitragen können, der Corona-Pandemie in diesem Jahr, im Jahr 2022, ein Ende zu bereiten. Es sind eben diese Zeiten, die uns daran erinnern, wofür wir standhafte Verbündete und Partner brauchen und wie viel stärker wir sind, wenn wir uns den vor uns liegenden Herausforderungen gemeinsam stellen. Danke.
Originaltext: Secretary Antony J. Blinken and German Foreign Minister Annalena Baerbock at a Joint Press Availability