Antony Blinken beim OSZE-Ministerrat
Die folgende Rede hielt US-Außenminister Antony Blinken am 2. Dezember 2021 im Rahmen des 28. Treffens des OSZE-Ministerrates in Stockholm.

Vielen Dank, Ann [Linde]. Danke für den heutigen Tag. Ich danke Ihen auch für das vergangene Jahr und Ihre hervorragende Arbeit als Vorsitzende der OSZE. Danke auch an Sie, Frau Generalsekretärin Helga Schmid, es ist mir eine große Freude, Sie wieder zu treffen. Die Vereinigten Staaten schätzen die von Ihnen geleistete Arbeit sehr, und wir unterstützen auch den nächsten Vorsitzenden – Zbigniew, man kann dir gratulieren, denke ich –, wenn Polen 2022 den Vorsitz übernimmt.
Das umfassende Sicherheitskonzept der OSZE und die grundlegende Weisheit und Integrität der Prinzipien von Helsinki sind heute so relevant wie vor über 40 Jahren, als sie verankert wurden. Dauerhafter Frieden und Wohlstand erfordern die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität der Länder sowie der Menschenrechte aller Menschen. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Charta der Vereinten Nationen und der universellen Menschenrechtserklärung, den Gründungsdokumenten der regelbasierten Ordnung, die kein westliches Konstrukt ist, sondern der beste Garant für Frieden, Sicherheit und Fortschritt für uns alle.
Ebenso wie zwischen Freiheit und Stabilität ein Zusammenhang besteht, so besteht auch einen Zusammenhang zwischen Unterdrückung im Inland und grenzüberschreitender Aggression. Wir haben erlebt, wie Länder, in denen die Menschenrechte systematisch verletzt werden, in anderen Ländern Instabilität säen, und wie Herrschende, die ihre Macht missbrauchen und die Rechte ihrer Bevölkerung ignorieren, führenden Politikerinnen und Politikern an anderen Orten einen Vorwand liefern, es ihnen gleichzutun.
Momentan stehen demokratische Werte, Menschenrechte, die Zivilgesellschaft, unabhängige Medien und Rechtsstaatlichkeit trotz der unentwegten Bemühungen der OSZE in vielen unserer Länder vor einer großen Herausforderung. Belarus verstößt weiterhin gegen Völkerrecht und OSZE-Verpflichtungen. Wir fordern die belarusischen Behörden noch einmal dazu auf, ihr brutales Durchgreifen zu stoppen, alle politischen Gefangenen freizulassen, den Forderungen der Bevölkerung nach freien und fairen Wahlen unter unabhängiger Beobachtung nachzukommen und die skandalöse Instrumentalisierung von Migration, ihren Einsatz als Waffe, zu beenden.
Russland verstößt leider weiterhin gegen die Prinzipien von Helsinki und behindert immer wieder die Arbeit dieser Organisation. Es ist verantwortlich für die Gefahren, denen die OSZE-Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine täglich ausgesetzt ist. Die gewaltsame Annexion der Krim hat unerbittliche Übergriffe gegen Krimtataren, ethnische Ukrainerinnen und Ukrainer und andere nach sich gezogen, die friedlichen Widerstand gegen diese Besatzung leisten. Wie ich gestern beim NATO-Außenministertreffen gesagt habe, sind wir in tiefer Sorge angesichts von Belegen, dass Russland bereits Pläne für weitere aggressive Handlungen gegenüber der Ukraine gemacht hat, daher rufen wir Russland dazu auf, die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu achten, um zur Deeskalation beizutragen, die jüngste Truppenaufstockung rückgängig zu machen, die Streitkräfte an normale Standorte wie in Friedenszeiten zurückzuverlegen und die Zusagen von Minsk umzusetzen, insbesondere in Bezug auf Waffenstillstandsvereinbarungen und einen ungehinderten Zugang für OSZE-Beobachter.
Diplomatie ist der einzig verantwortungsvolle Weg, um diese Krise zu bewältigen, und wir sind absolut bereit, diesen Weg zu unterstützen. Sergei [Lawrow] hat von der Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk gesprochen. Wir stimmen uneingeschränkt zu. Aber wir sollten uns zunächst die Fakten ansehen. Es gibt eine Reihe von Verpflichtungen, die beide Seiten im Rahmen des Abkommens von Minsk unter Einbindung der OSZE eingegangen sind. Waffenstillstand: von Russland nicht umgesetzt, Abzug aller schweren Waffen: von Russland nicht umgesetzt, Zulassen der Beobachtung durch die OSZE: von Russland nicht umgesetzt; Verabschiedung Sonderstatusgesetz: von der Ukraine umgesetzt, Verabschiedung Amnestiegesetz: in Arbeit, vollständiger Gefangenenaustausch: von Russland nicht umgesetzt, Sicherstellung humanitärer Hilfe auf Grundlage eines internationalen Mechanismus: von Russland nicht umgesetzt, Wiederherstellung sozioökonomischer Verbindungen: von Russland nicht umgesetzt. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen. Ich denke, Sie haben mich schon verstanden. Es gibt immer zwei Seiten, und wenn unsere russischen Freunde bereit sind, ihre Verpflichtungen im Rahmen von Minsk umzusetzen, und wenn unsere ukrainischen Freunde dazu ebenfalls bereit sind, werden wir das vollständig unterstützen, und das ist das Beste, um eine neuerliche Krise in der Ukraine abzuwenden.
Darüber hinaus erleben wir in Europa eine Missachtung der Verpflichtungen zur Rüstungskontrolle bei konventionellen Waffen. Russland hat nach wie vor Streitkräfte in Georgien und De-facto-Kontrolle über Abchasien und Südossetien. Russische Truppen haben sich immer noch ohne deren Einverständnis in der Republik Moldau verschanzt. Zu Hause ist Russland hart gegen Bürgerrechtsorganisationen vorgegangen, zuletzt gegen wichtige Teile der geachteten Menschenrechtsvereinigung Memorial, ebenso wie gegen unabhängige Medien.
In der Kaukasusregion begrüßen wir die Wiederaufnahme direkter Gespräche zwischen den Regierungen von Armenien und Aserbaidschan und rufe die Parteien auf, Fortschritte in humanitären Fragen zu erzielen, u.a. im Umgang mit Kriegsgefangenen, vermissten Personen und bei der Minenräumung, sowie mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu untersuchen und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Ich habe dabei die Hoffnung, dass wir alle zusammenarbeiten können, auch mit Russland, um weitere Fortschritte zu erzielen.
Wir fordern alle Parteien nachdrücklich auf, andere noch nicht beigelegte Auseinandersetzungen über Grenzverläufe zu lösen, die Wiederherstellung der Wirtschafts- und Verkehrsverbindungen zu klären und sich weiterhin mit den Kovorsitzenden der Minsk-Gruppe für eine dauerhafte friedliche Beendigung des Berg-Karabach-Konflikts einzusetzen.
Es liegt in unser aller Interesse sicherzustellen, dass Afghanistan nie wieder als Ausgangspunkt für die Planung terroristischer Anschläge gegen unsere Länder und unsere Bevölkerung genutzt werden kann. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit unseren zentralasiatischen Partnern im Bereich der Grenzsicherung wird hierfür von entscheidender Bedeutung sein. Wir werden das Engagement der OSZE durch ihre Präsenz vor Ort in Zentralasien und ihre Initiativen zur Terrorismusbekämpfung, zur Demokratisierung und zum Thema Menschenrechte sowie zur Grenzsicherung weiter unterstützen.
Wir müssen im kommenden Jahr gemeinsam an der Stärkung der OSZE arbeiten, denn die Arbeit der OSZE ist unverzichtbar und muss fortgesetzt werden. Das bedeutet unter anderem, dass wir das Wiener Dokument erneuern müssen, um mehr Vertrauen zu schaffen, Spannungen abzubauen und die militärische Transparenz zwischen unseren Ländern wiederherzustellen. Und wir müssen sicherstellen, dass der umfassendste Bericht der OSZE zu Menschenrechten, das Human Dimension Implementation Meeting, im Jahr 2022 unter breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft stattfindet.
Kommende Woche – und damit komme ich zum Schluss –, wird Präsident Biden einen Demokratiegipfel ausrichten, bei dem Regierungen und Vertreter der Zivilgesellschaft aus der ganzen Welt zusammenkommen sollen, um Antworten auf die Rückschritte in der demokratischen Entwicklung zu finden und eine stärkere Grundlage für Erneuerung und Reformen zu schaffen. Wir glauben an die Kraft von Demokratien, sich gegenseitig zu stärken, und an das Potenzial von Ländern, die noch keine Demokratien sind, sich zum Wohle ihrer Bevölkerung in diese Richtung zu entwickeln.
Die OSZE mit ihren zahlreichen Programmen, ihren Expertinnen und Experten, ihren Auslandseinsätzen und ihrer langen Geschichte der Verteidigung der Menschenrechte als Kernelement der Sicherheit ist eines der zentralen Foren, in denen diese Vision vorangebracht werden kann. Ich bin dankbar für diese Gelegenheit, hier heute die Vereinigten Staaten zu vertreten und mit dieser Institution zusammenzuarbeiten, um Frieden, Wohlstand und Demokratie in unserer Region und in der ganzen Welt zu stärken. Danke.
Originaltext: Secretary Antony J. Blinken At OSCE Session 1