Eingangserklärung von US-Außenminister Antony J. Blinken bei einem gemeinsamen Pressetermin mit Außenminister Heiko Maas
Am 8. August 2021 trafen sich US-Außenminister Blinken und der deutsche Außenminister Heiko Maas auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein zu einem bilateralen Gespräch über die Evakuierungsflüge und die Situation in Afghanistan. Wir haben die Eingangserklärung des US-Außenministers bei dem gemeinsamen Pressetermin übersetzt.
Guten Tag. Zunächst möchte ich Außenminister Maas, meinem Freund Heiko, herzlich für diesen produktiven, wenn auch kurzen Tag in Deutschland danken. Wir stehen praktisch seit meinem ersten Tag als US-Außenminister in engem Kontakt. Unsere Partnerschaft umspannt eine Vielzahl von Themen, die für Deutschland, die Vereinigten Staaten und weltweit von Belang sind. Ich bin besonders dankbar für die Führungsrolle, die Sie in dieser entscheidenden Zeit übernommen haben, um eine gemeinsame diplomatische Reaktion auf die Lage in Afghanistan zu ermöglichen und Tausenden von Menschen, auch Amerikanerinnen und Amerikanern und gefährdeten Afghaninnen und Afghanen, zu helfen.
Dank Ihnen, dank Bundeskanzlerin Merkel, der Bundesregierung und der deutschen Bevölkerung konnten wir gemeinsam 124.000 Menschen aus Afghanistan evakuieren. Die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten haben sehr eng zusammengearbeitet, um dieses enorme militärische, diplomatische und humanitäre Unterfangen unter denkbar schwierigen Bedingungen umzusetzen. Die Tatsache, dass Deutschland das großzügige Angebot gemacht hat, als vorübergehendes Transitland für gefährdete Afghaninnen und Afghanen zu dienen, ist eine bemerkenswerte Geste des Mitgefühls und des verantwortungsvollen staatlichen Handelns. Über 34.000 Menschen sind hier auf dem Weg zu ihrem Bestimmungsort eingetroffen, viele von ihnen erschöpft, schutzbedürftig und unsicher, welche Zukunft sie erwartet. Sie haben hier einen sicheren Ort gefunden, an den sie durchatmen können und an dem viele Menschen bereitstehen, um ihnen zu helfen. Dank Deutschland beginnt für sie jetzt ein neuer, friedlicherer Lebensabschnitt.
Auch für Hunderte von Amerikanerinnen und Amerikanern war dies ein Zwischenstopp auf ihrem Weg nach Hause, und wir werden nie vergessen, dass Sie dazu beigetragen haben, dies zu ermöglichen.
Das deutsche Engagement als unser Partner in Afghanistan reicht jedoch bereits bis ins Jahr 2001 zurück. Deutschland war einer der größten Truppensteller für die Einsätze der Koalition in Afghanistan und stellte das zweitgrößte Truppenkontingent für die Operation Resolute Support, deren Ziel es war, eine langfristige Grundlage für die Sicherheit in Afghanistan zu schaffen. Mutige deutsche Soldaten und Polizisten haben in Afghanistan ihr Leben verloren, und wir werden das Opfer, das sie brachten, nicht vergessen. Nun arbeiten Deutschland, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten und Partner bei der Planung und Koordinierung des weiteren Vorgehens zusammen.
Gestern haben die Taliban eine neue Übergangsregierung ernannt. Wir analysieren diese Ankündigung, aber trotz der Behauptung, dass eine neue Regierung alle Menschen einbeziehen würde, stehen auf der veröffentlichten Namensliste ausschließlich Personen, die Mitglieder der Taliban sind oder ihnen nahestehen, und keine Frauen. Sorgen bereiten uns auch die Verbindungen und die Vergangenheit einiger dieser Personen. Wir wissen, dass die Taliban dieses Gremium als Übergangskabinett vorgestellt haben. Wir werden es und sie an Taten messen. Die internationale Gemeinschaft hat ihre Erwartung deutlich gemacht, dass das afghanische Volk eine inklusive Regierung bekommt/von einer inklusiven Regierung vertreten wird.
Heute waren Außenminister Maas und ich gemeinsam Gastgeber eines virtuellen Ministertreffens, an dem 22 Länder, die NATO, die Europäische Union und die Vereinten Nationen teilgenommen haben, um das nächste Kapitel in Afghanistan zu erörtern. Die Taliban streben nach internationaler Anerkennung und Unterstützung; sie müssen sich jegliche Anerkennung und Unterstützung verdienen. Das war die einhellige Meinung aller, die bei dem Gespräch heute dabei waren.
Wir haben außerdem besprochen, wie wir die Taliban zur Einhaltung ihrer Zusagen und Verpflichtungen veranlassen werden, Reisefreiheit zu garantieren, Grundrechte, einschließlich der Rechte von Frauen und Minderheiten, zu achten, zu gewährleisten, dass Afghanistan nicht als Ausgangspunkt für terroristische Anschläge genutzt wird und keine Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen zu ergreifen, die in Afghanistan bleiben wollen.
Wir werden die Taliban auch dazu anhalten, ihre Zusage einzuhalten und humanitäre Hilfe zuzulassen. Die Folgen des Konflikts, der Dürre und von COVID-19 haben die Menschen in Afghanistan schwer getroffen und Millionen von Menschen wurden vertrieben. Den Vereinten Nationen zufolge sind etwa 50 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Gestern hatte ich in Doha Gelegenheit, mit Martin Griffiths, dem Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für humanitäre Angelegenheiten, über die dringende Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit zu sprechen, um Hilfe zu leisten und eine mögliche humanitäre Krise abzuwenden. Die Vereinigten Staaten werden auch weiterhin humanitäre Hilfe für die Menschen in Afghanistan leisten. Wir sind froh, dass wir in Bezug auf diese Verpflichtung im US-Kongress einen Partner haben.
Lassen Sie mich noch etwas zur Freizügigkeit sagen, insbesondere zur Frage der Charterflüge. Auch darüber habe ich gestern in Doha gesprochen. Wie Sie sicher alle wissen, organisieren einige Gruppen und Einzelpersonen, die entschlossen sind zu helfen, für alle, die ausreisen möchten, Charterflüge aus Afghanistan, auch aus Mazar-i-Sharif. Wir sind dankbar für diese Bemühungen.
Es gab ziemlich viel Verwirrung um die Flüge, und ich möchte nur ein paar Dinge klarstellen. Im Moment erteilen die Taliban keine Starterlaubnis für die Charterflüge. Sie behaupten, einige der Passagiere verfügten nicht über die erforderlichen Ausweispapiere. Ohne Personal vor Ort und ohne einen Flughafen mit normalen Sicherheitsvorkehrungen ist unser Handlungsspielraum zwar begrenzt, aber wir tun alles in unserer Macht Stehende zur Unterstützung dieser Flüge, damit sie abheben können. Das haben wir getan, und das werden wir auch weiterhin tun. Konkret arbeiten wir rund um die Uhr mit Nichtregierungsorganisationen, Juristen und Gesetzgebern zusammen, um die Bemühungen zu koordinieren und dort, wo wir können, Leitlinien aufzuzeigen. Wir helfen bei der Erteilung von Landerechten und stellen die Verbindung zu anderen Ländern in der Region her, um Überflugrechte zu klären. Wir haben allen Parteien – auch den Taliban – deutlich gemacht, dass sie diese Charterflugzeuge abfliegen lassen müssen, und wir setzen uns jeden Tag, praktisch rund um die Uhr, weiter dafür ein.
Wie Sie wissen, ist auch dies eine komplizierte Situation. Viele dieser Flüge wurden von Nichtregierungsorganisationen oder Einzelpersonen organisiert, denen es ein Herzensanliegen ist, Menschen zu helfen, und auch hier sind wir dankbar, dass wir mit so vielen engagierten Helfern zusammenarbeiten dürfen. Aber es besteht auch die Gefahr, dass versucht wird, Geld von verzweifelten und schutzbedürftigen Menschen zu erpressen, was wir natürlich verhindern wollen. Hinzu kommt, dass einige der Gruppen, die angeben, alle Unterlagen vorliegen und Vereinbarungen getroffen zu haben, dies leider nicht haben, wofür es oft gute Gründe gibt. Aber das schafft weitere Komplikationen.
Entscheidend ist, dass diese Flüge starten dürfen. Daran arbeiten wir jeden einzelnen Tag. Wir werden weiterhin Druck auf die Taliban ausüben, die Charterflugzeuge abheben zu lassen und, was entscheidend ist, den Hamid Karzai International Airport (HKIA) für den regulären Flugverkehr zu öffnen, um eine sichere und geordnete Ausreise aus Afghanistan zu ermöglichen.
Wir setzen unsere Bemühungen fort, den Menschen, die Afghanistan verlassen wollen, zu helfen. Das Gleiche gilt für unsere intensiven diplomatischen Bemühungen zur Förderung unserer maßgeblichen nationalen Interessen und der Interessen unserer afghanischen Verbündeten und Partner. Ich weiß, dass wir bei jedem Schritt auf diesem Weg weiterhin eng mit Deutschland zusammenarbeiten werden.
Unsere Zusammenarbeit ist ein Beweis für die Stärke unserer Freundschaft, für unser Engagement als NATO-Bündnispartner und für die gemeinsamen Werte, die Deutsche und Amerikaner seit Langem verbinden. Was Deutschland in den letzten Wochen für die Amerikaner, für die Afghanen, für die Bürgerinnen und Bürger vieler Länder getan hat, wird noch lange in Erinnerung bleiben. Im Namen der Amerikanerinnen und Amerikaner, Heiko, danke ich Ihnen, danke ich Deutschland.
Originaltext: Secretary Antony J. Blinken and German Foreign Minister Heiko Maas at a Joint Press Availability