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Juni 2, 2023

Botschafterin Gutmann bei der Verleihung des Medienpreises 2023 der RIAS Berlin Kommission

Die RIAS Berlin Kommission ist eine zwischenstaatliche Organisation zur Förderung der deutsch-amerikanischen Verständigung im Rundfunkwesen und verleiht jährlich einen Medienpreis für besondere Verdienste in diesem Bereich. Anlässlich der diesjährigen Preisverleihung am 1. Juni 2023 hielt US-Botschafterin Dr. Amy Gutmann die folgende Rede.Es gilt das gesprochene Wort!  

 

RIAS Berlin war während des Kalten Krieges die freie Stimme der freien Welt.  

 

Als die Mauer fiel, erkannten einige weitsichtige Führungspersönlichkeiten, dass RIAS für die Verteidigung der Demokratie und der Werte einer freien Welt auch weiterhin eine sehr wichtige, wenn auch etwas andere Rolle, spielen würde. In unserer heutigen Zeit gibt es keine größere Herausforderung als die Verteidigung der Demokratie und der Werte einer freien Welt. Grundlegende Wahrheiten werden zunehmend rücksichtslos angegriffen und systematisch ignoriert. Faktenbasierte Berichterstattung, offene und ehrliche Gespräche und eine öffentliche Rechenschaftspflicht sind absolut unerlässlich. Die freie Presse ist ein unverzichtbarer Verbündeter der Demokratie.  

 

Und deshalb stehe ich heute hier vor Ihnen: um noch einmal zu würdigen, wofür die RIAS Berlin Kommission steht.  

  

Auf der ganzen Welt steht die freie und robuste Presse unter Beschuss. Journalistinnen und Journalisten drohen Haftstrafen oder Schlimmeres. Online-Foren werden zensiert. Nachrichtenagenturen werden als „Volksfeinde“ tituliert und faktenbasierte Berichterstattung als Fake News verunglimpft. An zu vielen Orten wird die freie Presse von Regierungen angegriffen, die alles daransetzen, sich der Rechenschaftspflicht zu entziehen und die Wahrheit zu ignorieren.  

 

Wenn einzelne Journalistinnen und Journalisten bedroht, angegriffen und inhaftiert werden, hat das eine Wirkung, die weit über Zielpersonen hinausgeht.   Manche Medienschaffende beginnen, sich selbst zu zensieren.  Andere fliehen.  Wieder andere stellen die Berichterstattung ganz ein.  Wenn repressive Regierungen gegen Journalisten vorgehen, dauert es nicht lange, bis auch Verteidiger der Menschenrechte, Gewerkschaftsführer und andere ins Visier geraten. Werden einige dieser Stimmen zum Schweigen gebracht, leiden Demokratien. Werden viele zum Schweigen gebracht, sterben Demokratien. Das dürfen und werden wir nicht zulassen.  

 

Ich bin jeden Tag dankbar für die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten, die sich für ergebnisoffene Untersuchungen, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einsetzen. Stellvertretend für unsere gesamte Botschaft stehe ich bedingungslos an Ihrer Seite, wenn es darum geht, die Grundlagen der individuellen Freiheit und der Demokratie zu verteidigen.  

 

Als Ehrenvorsitzende der RIAS Berlin Kommission freue ich mich (derweil), den diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträgern und all jenen zu gratulieren, die uns weiterhin mit ihrer Berichterstattung belohnen. Und das sage ich sowohl als Botschafterin als auch als jemand, der sein Leben lang die Demokratie studiert.  

 

Im Laufe der Jahre haben die RIAS-Preisträgerinnen und -Preisträger und -Austauschteilnehmenden aus verschiedenen, oft gegensätzlichen Perspektiven über ein bemerkenswertes Spektrum transatlantischer Themen berichtet. Vielfältige Perspektiven in Verbindung mit einem soliden Dialog fördern die Rechenschaftspflicht und regen zu Diskussionen an.  

  

In der heutigen Zeit, in der Antisemitismus, Rassismus und Hassverbrechen weltweit zunehmen, müssen wir uns frühzeitig und häufig jeglicher Form von Antisemitismus, Hass und Fanatismus entgegenstellen.  

 

Der diesjährige Gewinner des Grand Prize, Wolf Blitzer, einer der bekanntesten Journalisten Amerikas, hat genau das getan – mit seiner CNN-Reportage „Nie wieder: Das United States Holocaust Memorial Museum.” Wolf, ich danke Ihnen. Und ich danke CNN für die Unterstützung dieses Projekts.  

 

Als Nachrichtenjournalist hat Wolf in Kriegsgebieten gearbeitet, Präsidenten interviewt und über Wahlergebnisse berichtet – für das wartende Amerika und eine neugierige Welt. Aber diese Reportage war etwas anders. Sie war hautnah und persönlich. Denn Wolfs Familienmitglieder waren, wie meine auch, Überlebende des Holocaust.  

 

Mein Vater, Kurt Gutmann, floh im Alter von 23 Jahren aus Nazi-Deutschland nach Indien und rettete seinen Eltern und seinen vier älteren Geschwistern das Leben. Nach dem Krieg wurde er amerikanischer Staatsbürger. Als ich klein war, erzählte mein Vater mir nur wenig von dem Trauma seiner Familie. Er starb unerwartet, als ich sechzehn war. Er wollte offensichtlich nicht, dass ich als Kind sein emotionales Trauma weitertrage, aber mindestens so wichtig war es ihm, dass ich die Lehre des „Nie wieder“ weitertrage.  Durch seine Worte und Taten lernte ich unglaublich viel über den Holocaust. Er hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, sich früh und immer Antisemitismus und sämtlichen Formen von Hass und Fanatismus entgegenzustellen.  

 

Anfang dieser Woche haben meine Tochter, mein Mann und ich in Feuchtwangen, einer Kleinstadt in Bayern, Stolpersteine vor dem Haus verlegt, in dem mein Vater, meine Tante und meine Onkel als Kinder mit meinen Großeltern gelebt haben. Diese würdevollen Messingblöcke befördern die einst verschüttete Vergangenheit ins Hier und Jetzt. Die hunderttausend Stolpersteine, die in ganz Europa verlegt wurden, bilden zusammen das größte Holocaust-Mahnmal der Welt. Jedes Jahr polieren wir sie zu neuem Glanz. Sie gehören zu den wichtigsten Mahnungen an uns, dass „Nie wieder“ bedeutet, dass wir uns Hass, Fanatismus und Antisemitismus immer, oftmals öffentlich, entgegenstellen müssen.  

 

Dank investigativen Journalistinnen und Journalisten, der Leiterin und Kuratorin des örtlichen Museums und unterschiedlichen Medien habe ich im letzten Jahr mehr darüber herausgefunden, was meine Familie während dieser Zeit erlebt hat, als ich je von meinen Angehörigen selbst in Erfahrung bringen konnte. Wie Millionen andere Opfer des Nationalsozialismus waren auch meine engsten Angehörigen betroffen von Verhaftungen, der Pogromnacht, vom KZ Buchenwald und einer Grausamkeit, die lebenslange Einschränkungen, den vollständigen Verlust von Eigentum sowie Demütigung und Angst nach sich zogen. Sie gehörten zu denen, die den Nationalsozialismus überlebt haben, während sechs Millionen andere Juden vernichtet wurden.  

  

Wolf, bei Ihrer Arbeit an der Reportage haben Sie eine Videoaufzeichnung gefunden, die Ihr Vater, David Blitzer, in den 1990er-Jahren in einem Holocaust-Dokumentations- und Bildungszentrum in Florida aufgenommen hatte. Darin erzählt er von seiner Kindheit in einer polnischen Stadt, die später, eingedeutscht, zu Auschwitz wurde, wo seine Eltern ermordet wurden. Sie wussten zwar schon, was geschehen war, aber dieser mündliche Bericht Ihres Vaters war der Beginn einer Reise der Reflexion und Entdeckung. 

 

Auf unseren jeweiligen persönlichen Reisen, um mehr zu erfahren, haben wir beide sehr viele Hinweise, ausführliche Zeitzeugenberichte von Überlebenden und Augenzeugenberichte von Menschen gefunden, die Konzentrations- und Todeslager befreit haben. 

  

Und dennoch leben wir in einer Welt, in der Menschen die Fakten des Genozids immer noch leugnen und verzerren, obwohl es sich um eine der am besten dokumentierten Massen-Gräueltaten der Menschheitsgeschichte handelt.  Erschreckenderweise breiten sich einige dieser verzerrten Darstellungen wie Lauffeuer aus.  

 

Zu den jüngsten und groteskesten Beispielen gehört Putins Behauptung, in der Ukraine Neonazis zu bekämpfen, mit der er seinen brutalen, illegalen Angriffskrieg gegen die Ukraine rechtfertigt. 

 

Wir alle müssen uns Putin aktiv mit der Wahrheit entgegenstellen.  Deshalb haben wir im Vorfeld der erneuten Invasion zügig wichtige Informationen in ihrer Vertraulichkeit herabgestuft, um sie mit unseren Verbündeten teilen zu können.  Nach dem Massaker der Russen an der unschuldigen Zivilbevölkerung in Butscha haben wir die Wahrheit öffentlich gemacht, damit die Welt sie erfährt.  

 

In den Vereinigten Staaten stärken wir unsere Demokratie, indem wir unsere Geschichte reflektieren und offen über unsere Fehler diskutieren. Im vergangenen Jahr lud die US-Botschaft in Berlin zur Europapremiere der Reihe „The U.S. and the Holocaust“ von Ken Burns – der Kinosaal war bis auf den letzten der 400 Plätze besetzt, unter anderem durch 200 Oberschülerinnen und -schüler und Studierende. Wolfs Dokumentarfilm ist ein weiteres herausragendes Beispiel.  

 

Die gute Arbeit von Journalistinnen und Journalisten trägt so oft dazu bei, Fanatismus und Diskriminierung etwas entgegenzusetzen. 

 

Wir müssen alle mehr tun. In den Vereinigten Staaten begegnet man negativen Äußerungen nicht mit Zensur, sondern mit mehr und positiveren Äußerungen; Äußerungen, die Toleranz fördern, Lügen widersprechen und gefährliche Märchen ausräumen. 

  

Ich danke RIAS als Institution und Ihnen allen als Menschen dafür, dass Sie sich in dieser dringlichen, wichtigen Sache einsetzen. Sie öffnen dadurch gesellschaftsübergreifend konstruktive Kanäle der Kommunikation – Kommunikation, die für unsere kontinuierliche Verteidigung der Demokratie lebenswichtig ist.  

 

Nochmals herzlichen Glückwunsch an die Preisträger und Preisträgerinnen. Gut gemacht!