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April 14, 2022

Die Demokratie verteidigen  

Ambassador Amy Gutmann (c) Juliane Schallau
Ambassador Amy Gutmann (c) Juliane Schallau

 

Am 13. April 2022 hielt US-Botschafterin Amy Gutmann in der American Academy in Berlin eine Rede zur Verteidigung unserer gemeinsamen Werte.

Es gilt das gesprochene Wort. 

Daniel Benjamin, vielen Dank für die Einladung in die American Academy. Ich freue mich auf die großartige Zusammenarbeit mit Ihnen und der Akademie als Partnerin der Botschaft.

Michael Abramowitz, uns verbindet eine lebenslange Leidenschaft für die Verteidigung demokratischer Werte und Gepflogenheiten, und ich kann Ihnen nicht genug für alles danken, das Sie und Freedom House in dieser Hinsicht leisten.

In Zeiten wie diesen müssen wir uns bewusst machen, wie glücklich wir uns schätzen können, in einer Demokratie zu leben. In Zeiten wie diesen sollte niemand dieses Glück für selbstverständlich halten, weder im eigenen Land noch in anderen Ländern. In Zeiten wie diesen müssen wir zeigen, wieviel wir für Freiheit, Chancen und die Achtung der Würde aller Menschen zu tun bereit sind.

Die Demokratie wird in der Ukraine brutal angegriffen. Eine blühende Zivilgesellschaft, die wichtigen Reformen seit der Maidan-Revolution und die lebendige Medienlandschaft zeugen vom großen Potenzial der Ukraine als offene, pluralistische Demokratie. Die Welt sieht, dass die Ukraine für die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Landes einsteht. Dieses starke Bekenntnis steht in absolutem Gegensatz zu dem autoritären politischen System, das Präsident Putin den Russinnen und Russen jeden Tag erneut aufzwingt, indem er Demonstrierende einsperrt, Journalistinnen und Journalisten unterdrückt und seine völlige Missachtung der Menschenrechte demonstriert, sowohl im eigenen Land als auch im Ausland.

Das brutale Massaker an den Ukrainerinnen und Ukrainern führt uns tagtäglich vor Augen, wie wichtig es ist, sich für die Ukraine einzusetzen. Wie wichtig es ist, dass unsere Länder die Ukraine in ihrem Widerstand gegen eine weitere russische Invasion entschlossen unterstützen.

Die Demokratie steht überall auf der Welt unter Beschuss. In autoritären Ländern werden die Freiheitsrechte der Bevölkerung eingeschränkt, politische Gegnerinnen und Gegner mit zunehmender Brutalität unterdrückt und Wahlen werden verschoben oder finden gar nicht erst statt. Autoritäre Regierungen arbeiten außerdem aktiv darauf hin, Demokratien zu spalten und Misstrauen zu säen. Wir müssen erkennen, dass unsere eigene Freiheit, unsere Sicherheit und unser Wohlstand bedroht sind – durch Putins Aggression, durch ein feindlich gesinntes China, das schwere Menschenrechtsverletzungen begeht, Cyberangriffe verübt und die Meinungs- und Pressefreiheit unterdrückt, sowie durch andere unredliche Akteure und Vorgehensweisen. Wir müssen uns über diese weltweite Krise im Klaren sein und sie gemeinsam entschlossen meistern.

Selbst in demokratischen Ländern werden die historischen Fortschritte, die in Bezug auf Toleranz, Respekt und Verständnis füreinander über Trennlinien hinweg erzielt wurden, seit Jahrzehnten massiv untergraben. Diese Entwicklung wurde in den letzten zehn Jahren durch Desinformation, politische Polarisierung und abgeschottete Social-Media-Blasen noch verschärft. Allein in den letzten Jahren haben wir in den Vereinigten Staaten und in weiten Teilen Europas einen beunruhigenden Zuwachs an Antisemitismus, Rassismus und Hassverbrechen erlebt. Verstärkt wird dieser Hass noch dadurch, wie politische Gegnerinnen und Gegner in demokratischen Ländern miteinander umgehen: Statt sich als Konkurrentinnen und Konkurrenten zu sehen, die sich energisch darüber auseinandersetzen, wie man gemeinsame demokratische Ziele am besten erreicht, behandeln sie sich wie Todfeinde.

Die seit Langem bestehende wirtschaftliche, religiöse, ethnische, geschlechtsspezifische und die sexuelle Identität betreffende Ungleichbehandlung hat bei vielen das Gefühl hinterlassen, dass das demokratische System für sie niemals funktionieren wird. Unsere Zusammenarbeit zur Überwindung dieser Hindernisse für Leben, Freiheit und grundlegende Chancen könnte wichtiger nicht sein.

Präsident Biden hat erkannt, dass die Verteidigung der Demokratie die entscheidende Herausforderung unserer Zeit ist. Die Verteidigung der Demokratie ist eines der drei Hauptziele, an denen sich die diplomatische Arbeit unserer Botschaft und unserer Konsulate in Zukunft orientieren wird. Die Verteidigung der Demokratie geht Hand in Hand mit unseren beiden anderen Zielen: unsere Bündnisse voranzubringen und Innovation inklusiv zu gestalten. Unsere transatlantische Partnerschaft war noch nie so geeint, stark und wichtig wie heute. Gemeinsam werden wir bei der Verteidigung von Demokratien im In- und Ausland Historisches bewirken.

Inwiefern? Indem wir unsere Werte sowohl zu Hause als auch weltweit besser verteidigen. Indem wir unsere Bündnisse und Partnerschaften, die die Welt für alle Menschen sicherer gemacht haben, mit neuem Leben erfüllen. Indem wir unsere militärischen Fähigkeiten modernisieren und gleichzeitig im Rahmen unserer diplomatischen Bestrebungen Führungsstärke beweisen.

Im vergangenen Dezember war Präsident Biden Gastgeber eines virtuellen Demokratiegipfels, der Demokratie und Menschenrechte in den Mittelpunkt der US-Außenpolitik stellte. Er forderte die Vertreterinnen und Vertreter von etwa 100 Staaten heraus: „Werden wir zulassen, dass der Verfall von Rechten und Demokratie ungebremst weitergeht?“

Auf dem Forum wurde die potenzielle Stärke von Partnerschaften hervorgehoben. Wenn kommunale und nationale Regierungen, zivilgesellschaftliche und wohltätige Organisationen sowie der Privatsektor zusammenarbeiten, können wir die Herausforderungen, vor denen Demokratien stehen, am effektivsten angehen. Wenn Staaten die Stärken der Zivilgesellschaft und des Privatsektors nutzen, können sie gemeinsam innovative und wirksame Initiativen zur Bewältigung zentraler Themen entwickeln.

Demokratien können starke und integrative Volkswirtschaften fördern, politische Meinungsverschiedenheiten ohne Blutvergießen austragen, die öffentliche Sicherheit gewährleisten und gleichzeitig bürgerliche Freiheiten schützen, Korruption bekämpfen und mit freien Wahlen und friedlichen Machtübergaben für Stabilität sorgen. Wenn in diesen Bereichen Fortschritte erzielt werden, wirkt das weltweit als positiver Multiplikator.

Dieses Jahr ist ein Jahr des Handelns, in dem Zusagen in echten Wandel umgesetzt werden. Die Maßnahmen, zu deren Umsetzung sich Deutschland und die Vereinigten Staaten auf dem Demokratiegipfel verpflichtet haben, ergänzen sich gegenseitig. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wie können wir als G7 – deren Vorsitz Deutschland in diesem Jahr hat –, unsere Demokratien angesichts zunehmender autoritärer Entwicklungen wappnen? Bei der Beantwortung dieser entscheidenden Frage unserer Zeit wäre es zweifellos wünschenswert, sich mit starken Institutionen wie der American Academy und Freedom House abzustimmen.

Ich habe eingangs gesagt, wie glücklich wir uns schätzen können, in demokratischen Gesellschaften zu leben. Warum also beschäftige ich mich tagtäglich mit den großen Bedrohungen, denen wir uns gegenübersehen? Wie meine Eltern bin auch ich stolz darauf, Jüdin zu sein. Mein Vater wuchs in einer Demokratie auf, in der Weimarer Republik. Nachdem Hitler und die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, sah sich mein Vater 1934 schließlich gezwungen, aus Deutschland zu fliehen.

Die Nazis waren an der Macht. Lange bevor Russland weiter in die Ukraine einmarschierte, hat mich die Erfahrung meines Vaters gelehrt, wie wichtig es ist, sich mit so vielen Verbündeten wie möglich jeder Form von Hass, Fanatismus und Diskriminierung entgegenzustellen.

Vor dreißig Jahren habe ich ein Buch über demokratische Bildung (Democratic Education) geschrieben. Ich vertrat darin die Ansicht, dass wir jungen Menschen nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen müssen, sondern auch die Fähigkeit, für ihre Werte einzutreten, zivilisiert mit anderen zu streiten und tolerant zu sein was Unterschiede in Religion, ethnischer Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und Fähigkeiten angeht.

Vor Kurzem wurde ich gefragt, was ich dem Buch heute hinzufügen würde: Ich würde mich mehr auf den Schutz vor Gruppendenken und Mobbing konzentrieren. Ich würde hervorheben, wie entscheidend die Richtigkeit von Aussagen und die Überprüfung von Sachverhalten ist, damit sich rasant im Internet verbreitende Falschdarstellungen nicht einprägen können. Ich würde nach Möglichkeiten suchen, um den Zugang zu verantwortungsvoll handelnden Nachrichtenportalen zu verbessern. Fake News, Desinformation und Propaganda stellen schon lange eine tödliche Bedrohung für Demokratien dar. Weil sich Fake News so schnell im Internet verbreiten, ist es noch wichtiger geworden, schnell dagegen vorzugehen. Ein Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie Russland die Berichte über die Gräueltaten in Butscha verfälscht hat. Und Russlands Unterdrückung der Medien sowie von Journalistinnen und Journalisten, die es wagen, den Machthabenden die Wahrheit zu sagen. Wir müssen verantwortungsvoll handelnde Nachrichtenportale unterstützen. Wir müssen dazu beitragen, dass sie öffentlich zugänglich sind. Sie ermöglichen eine breitere demokratische Teilhabe.

Zusammengefasst sage ich, dass wir uns glücklich schätzen können, in demokratischen Gesellschaften zu leben. Warum? Weil sich Demokratien in ihrem Kern der Wahrheitssuche und Wahrheitsfindung, Toleranz und Achtung der Menschenwürde, fundierten, aber vernünftigen Debatten und Kompromissen verschrieben haben, die für alle Seiten vorteilhaft sind. Weil private Einrichtungen wie die American Academy in Berlin und Freedom House diese demokratischen Werte in selbstbestimmter Partnerschaft mit staatlichen Einrichtungen wie der US-Botschaft engagiert und aus freien Stücken verteidigen. Weil die Verteidigung der Demokratie nicht nur Schwerstarbeit ist, sondern auch eine wichtige und inspirierende Arbeit. Warum? Präsident Biden begründet es so: „Demokratie entsteht nicht zufällig.“

Originaltext: Defending Democracy