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Februar 3, 2022

Die fünf häufigsten und hartnäckigsten Desinformationsnarrative Russlands

In dieser Übersicht des US-Außenministeriums vom 20. Januar 2022 werden die fünf häufigsten und hartnäckigsten Desinformationsnarrative Russlands erörtert.

Über viele Jahre hinweg hat Russland eine Reihe falscher Narrative geschaffen, die durch das russische Desinformations- und Propagandasystem fortwährend in die globale Informationslandschaft einspeist werden. Diese Narrative fungieren wie eine Vorlage, die vom Kreml angepasst werden kann, wobei die einzige Konstante die völlige Missachtung der Wahrheit ist, wenn es darum geht, die Informationslandschaft so zu beeinflussen, dass sie die eigenen politischen Ziele fördert.

Zu diesen Aktivitäten im gesamten russischen Desinformations- und Propagandasystem, an denen russische militärische und nachrichtendienstliche Stellen beteiligt sind, zählen auch verleumderische Aktionen in den sozialen Medien, der Einsatz offener und verdeckter Stellvertretermedien im Internet, die Verbreitung von Desinformation über Fernseh- und Radioprogramme, die Veranstaltung von Konferenzen, die Teilnehmer dahingehend beeinflussen sollen, fälschlicherweise zu glauben, die Ukraine und nicht Russland sei für die erhöhten Spannungen in der Region verantwortlich, sowie der Einsatz von Cyberoperationen zur Diffamierung von Medien und zur Durchführung von Hack-and-Release-Operationen.

Im Folgenden werden fünf zentrale, immer wiederkehrende russische Desinformationsmotive vorgestellt, die der Kreml derzeit in abgewandelter Form einsetzt, um die Informationslandschaft mit Falschdarstellungen über sein Vorgehen in der Ukraine zu füllen.

Motiv Nr. 1: „Russland ist ein unschuldiges Opfer“

Vertreter der russischen Regierung stellen Russland fälschlicherweise als ewiges Opfer und sein aggressives Vorgehen als erzwungene Reaktion auf angebliche Aktionen der Vereinigten Staaten und ihrer demokratischen Verbündeten und Partner dar. Um diese Behauptungen zu untermauern, schlägt Russland mithilfe eines seiner bevorzugten Begriffe zurück: „Russophobie“. Nach dem Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2014 begannen die russische Regierung und staatlich kontrollierte Desinformationskanäle, jeden, der Russlands Vorgehen in Frage stellte, als fremdenfeindlichen Russophoben zu beschuldigen.

So behauptet Russland beispielsweise, dass die negative Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf seinen Einmarsch in ein unabhängiges Land lediglich darauf zurückzuführen sei, dass die Menschen Russland fürchteten und hassten. Wie aus der nachstehenden Tabelle hervorgeht, war Russophobie bis zum Einmarsch des russischen Militärs in die Ukraine weder für das russische Außenministerium noch für die staatlich finanzierten Desinformationskanäle ein Thema von großer Bedeutung. Der Vorwurf der „Russophobie“ zieht sich durch eine ganze Reihe von Themen und wird immer dann erhoben, wenn die russische Regierung das Opfer spielen will, obwohl sie in Wirklichkeit der Aggressor ist.

Die Grafik illustriert die Erwähnung der Worte „Russophobie“ und „russophob“ durch das russische Außenministerium, RT und Sputnik zwischen 2001 – 2017. (Quelle: DFRLab)
Die Grafik illustriert die Erwähnung der Worte „Russophobie“ und „russophob“ durch das russische Außenministerium, RT und Sputnik zwischen 2001 – 2017. (Quelle: DFRLab)

Motiv Nr. 2: Historischer Revisionismus

Wenn die Geschichte nicht den politischen Zielen des Kremls entspricht, leugnen russische Regierungsvertreter und ihre Sprachrohre historische Ereignisse oder verfälschen historische Darstellungen, um Russland in ein besseres Licht zu rücken und seiner innen- und geopolitischen Agenda zu dienen. So ist beispielsweise der Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und Nazideutschland aus dem Jahr 1939, der auch als Molotow-Ribbentrop-Pakt bekannt ist und mit zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte, für das Putin-Regime politisch unbequem. In dem Bemühen, die Rolle der Sowjetunion herunterzuspielen und Stalins Entscheidung, sich mit Hitler zu verbünden, zu rechtfertigen und anderen Ländern die Schuld für den Krieg zuzuschieben, veröffentlichte Putin 2020 eine verdrehte Darstellung des Beginns des Zweiten Weltkriegs. Häufig geht Russland dabei noch einen Schritt weiter, indem es diejenigen,

die mit seiner verzerrten Geschichtsauffassung nicht einverstanden sind, als Nazis oder Nazi-Sympathisanten bezeichnet.

Diese Strategie setzt der Kreml auch ein, wenn es um die Geschichte der ukrainischen Souveränität, das Verhalten der NATO während des Zusammenbruchs der Sowjetunion, dessen GULAG-Gefängnissystem, die als Holodomor bekannte Hungersnot in der Ukraine und viele andere Ereignisse geht, bei denen das historische Vorgehen des Kremls nicht seinen gegenwärtigen politischen Zielen dient.

Motiv Nr. 3: „Der Zusammenbruch der westliche Zivilisation steht kurz bevor“

Russland verbreitet die falsche Behauptung, die westliche Zivilisation zerfalle und entferne sich von „traditionellen Werten“, weil sie sich für die Sicherheit und Gleichberechtigung von LGBTQI+-Menschen einsetze und Konzepte wie die Gleichberechtigung der Frau und Multikulturalismus fördere. Der Niedergang der westlichen Zivilisation ist eines der ältesten Desinformationsmotive Russlands, wobei Behauptungen über den „verfallenden Westen“ seit dem 19. Jahrhundert dokumentiert sind.

Dieses auf „Werten“ basierende Desinformationsnarrativ bedient sich unbestimmter Begriffe wie „Tradition“, „Familienwerte“ und „Spiritualität“. Russland argumentiert, es sei die Bastion sogenannter „traditioneller Werte“ und Geschlechterrollen und ein moralisches Gegengewicht zur „Dekadenz“ der Vereinigten Staaten und der westlichen Länder. So behauptete Präsident Putin, der Westen habe die Begriffe „Mutter“ und „Vater“ praktisch abgeschafft und stattdessen durch „Elternteil 1 und 2“ ersetzt, und Außenminister Lawrow schrieb, dass westliche Schülerinnen und Schüler „in der Schule lernen, dass Jesus Christus bisexuell war“.

Motiv Nr. 4: „Bürgerbewegungen sind von den Vereinigten Staaten geförderte ‚Farbrevolutionen‘“

Es fällt dem Kreml schwer, zu akzeptieren, dass alle Menschen das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung haben sollten und die Regierung gegenüber ihrer Bevölkerung rechenschaftspflichtig sein sollte. Russland hat die Vereinigten Staaten beschuldigt, in Georgien, Kasachstan, der Kirgisischen Republik, Moldawien, der Ukraine und überall im Nahen Osten und in Afrika Aufstände anzuzetteln oder „Farbrevolutionen“ zu inszenieren. Wenn eine Bürgerbewegung für Demokratie und Reformen eintritt und dies nicht im geopolitischen Interesse Russlands ist, greift der Kreml häufig ihre Legitimität an und behauptet, sie werde heimlich von den Vereinigten Staaten unterstützt. Diese haltlosen Anschuldigungen richten sich oft gegen lokale und internationale Organisationen der Zivilgesellschaft sowie gegen unabhängige Medien, die Menschenrechtsverletzungen und Korruption aufdecken. Der Kreml versucht, den Menschen in den Nachbarländern ihre Eigenständigkeit, ihre Würde und ihr unabhängiges Bestreben abzusprechen, für sich selbst einzutreten – so wie er diese Eigenschaften auch den Menschen in Russland abspricht.

Motiv Nr. 5: Die Wahrheit ist das, was der Kreml will

Wenn die Wahrheit nicht im Interesse des Kreml liegt, versucht dieser häufig, mehrere falsche Realitäten zu schaffen und Verwirrung in der Informationslandschaft zu stiften. Russische Regierungsvertreter versuchen mit ihrer oftmals gezielt verwirrenden Argumentation von der Verantwortung der russischen Regierung abzulenken, selbst wenn sich einige der Narrative widersprechen. Mit der Zeit kann die Verbreitung mehrerer sich wiederpsrechender Darstellungen jedoch zu einer Methode werden, um Verwirrung zu stiften und Reaktionen zu verhindern. Andere Elemente des russischen Desinformations- und Propagandasystems, wie der missbräuchliche Einsatz staatlich finanzierter Desinformationskanäle und die Instrumentalisierung sozialer Medien, tragen ebenfalls zur Verbreitung zahlreicher falscher Darstellungen bei.

So war beispielsweise für die Welt klar, dass Russland am 4. März 2018 im englischen Salisbury versucht hat, den ehemaligen russischen Geheimdienstoffizier Sergej Skripal und seine Tochter Julia mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok zu ermorden. In den vier

Wochen nach diesem Vorfall verbreiteten die vom russischen Staat finanzierten und gelenkten Sender RT und Sputnik laut dem Policy Institute des King’s College London in 735 Artikeln 138 verschiedene, einander widersprechende Darstellungen.

Auch nach anderen Vorfällen ist Russland so vorgegangen und hat den Informationsraum mit zahlreichen falschen Behauptungen überschwemmt, z. B. nach dem Abschuss des Malaysian-Airlines-Fluges 17 und Russlands Invasion in Georgien im Jahr 2008 sowie der anhaltenden Besetzung des Landes, um so von seiner eigenen Rolle bei diesen Ereignissen abzulenken. Auch hier ist das Ziel, andere zu verwirren und abzulenken und die Wahrheit so zu manipulieren, dass sie den Interessen des Kremls dienlich ist.

Originaltext: Russia’s Top Five Persistent Disinformation Narratives