Das historische Zusammentreffen amerikanischer und sowjetischer Truppen in Torgau am 25. April 1945 wird üblicherweise feierlich begangen. In diesem Jahr übermittelte der geschäftsführende Leiter der Abteilung für europäische und eurasische Angelegenheiten, Philip T. Reeker, eine Videobotschaft.
Guten Tag.
Als geschäftsführender Leiter der Europa-Abteilung im US-Außenministerium ist es mir eine Ehre, gemeinsam mit Ihnen dieses historischen Ereignisses zu gedenken.
Mein Dank gilt Oberbürgermeisterin Barth für die Einladung, mit Ihnen heute zu reden.
Vor 75 Jahren, am 25. April 1945, kam es am Ufer der Elbe in Torgau zu einem historischen Augenblick in der Chronologie des Zweiten Weltkriegs. In Torgau trafen die amerikanische und die sowjetische Armee aufeinander – die eine aus westlicher Richtung, die andere aus östlicher.
Die Soldaten begegneten sich in Torgau auf der zerstörten Elbbrücke und reichten einander die Hand. Sie stammten aus zwei verschiedenen Welten. Sie wussten praktisch nichts über einander. Es wurden informelle Trinksprüche auf den Sieg, die Freundschaft, auf Frieden und Glück ausgebracht, die alle verstanden, obwohl keiner der Sprache des anderen mächtig war. Von 1941 bis 1945 überwanden die westlichen Alliierten und die Sowjetunion, die in vielerlei Hinsicht wie zwei entgegengesetzte Pole waren, ihre politischen Differenzen und arbeiteten zusammen, um einen gemeinsamen Feind zu besiegen und ein übergeordnetes Ziel zu erreichen.
Dieses schicksalhafte Zusammentreffen in Torgau wenige Tage vor dem Ende des Krieges läutete eine Phase des Wiederaufbaus ein. Länder schlossen sich zusammen, gründeten Institutionen und gingen Bündnisse ein, um den Frieden zu wahren, Wohlstand zu schaffen, und Verantwortlichkeit und Freiheit zu fördern. Unter anderem entstanden zahlreiche internationale und multilaterale Foren wie die NATO, die 1949 in der Hoffnung gegründet wurde, solche entsetzlichen Kriege in Zukunft zu verhindern. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die NATO mit neuen Herausforderungen an die Sicherheit konfrontiert. Dazu gehören auch unerwartete Bedrohungen wie beispielsweise das Coronavirus.
In diesem Jahr wird die Gedenkfeier in Torgau, ebenso wie Gedenkveranstaltungen an vielen anderen Orten in Deutschland und Europa, aufgrund der Corona-Pandemie nicht wie geplant stattfinden. Nichtsdestoweniger würdigen wir all jene, die während des Zweiten Weltkriegs für die Freiheit gelitten und Opfer gebracht haben. Dazu gehören die Millionen alliierten und sowjetischen Soldaten – Russen, Ukrainer, Weißrussen, Zentralasiaten, Georgier und andere –, die mutig kämpften, um die Achsenmächte zu besiegen.
Wir dürfen weder das unvergleichliche Leid der Jüdinnen und Juden während des Holocaust je vergessen, noch, wie viele unschuldige Zivilisten erbarmungslos getötet wurden. Wenn wir ihrer gedenken, erneuern wir damit unser Versprechen, solche grausamen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nie wieder zuzulassen.
Auch dürfen wir nicht vergessen, dass das Jahr 1945 für viele Länder Europas keine Rückkehr zur Freiheit, sondern den Beginn von beinahe 50 Jahren Unterdrückung bedeutete. Die
Erinnerung an den Krieg hilft uns, die Geschichte zu verstehen, uns mit ihr auseinanderzusetzen, aus Fehlern zu lernen – und entsprechend zu handeln.
Bei einigen Regierungen sind diese Lehren in Vergessenheit geraten, die Menschen in diesen Ländern haben allerdings nie vergessen. In dieser Zeit, in der einige Länder die Grundrechte und -freiheiten ihrer Bevölkerung missachten und Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zunehmen, ist es wichtiger denn je, die Lehren des Zweiten Weltkriegs und dessen Folgen nicht zu vergessen. In Anerkennung unserer gemeinsamen Geschichte müssen wir wachsam bleiben, wenn es darum geht, Menschenrechte, grundlegende Freiheiten und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Im Angesicht der anhaltenden globalen Gesundheitskrise und der damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Folgen sollten wir uns an die Lehren der Vergangenheit erinnern und unsere Zusammenarbeit noch weiter verstärken. Gemeinsam können wir eine friedlichere und wohlhabendere Zukunft schaffen.
Orginal: Acting A/S Reeker’s message on the Anniversary of the Meeting of U.S. and Soviet Troops at Torgau