Jahrzehnte nach der Katastrophe von Tschornobyl schützen Ukrainerinnen und Ukrainer Atomkraftwerke vor Angriff
Anlässlich des 36. Jahrestages der Atomkatastrophe von Tschornobyl haben wir einen Beitrag auf ShareAmerica, einer Website des US-Außenministeriums, übersetzt. Zur Schreibweise von Tschornobyl: Wir verwenden statt der sonst üblichen russischen die ukrainische Transkription des Namens, für die sich auch das ukrainische Außenministerium seit vielen Jahren einsetzt.
Nach einer Explosion im Atomkraftwerk Tschornobyl am 26. April 1986 kamen innerhalb weniger Wochen 30 Menschen ums Leben; Millionen weitere wurden radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Doch mit ihrem mutigen Vorgehen in den Tagen nach dem größten Atomunfall aller Zeiten konnten die Ukrainerinnen und Ukrainer Schlimmeres verhindern.
36 Jahre danach begehen die Vereinten Nationen am 26. April den Internationalen Tag des Gedenkens an die Katastrophe von Tschornobyl – und die Ukrainerinnen und Ukrainer werden dafür gewürdigt, dass sie diesen Ort und die in der Umgebung lebenden Menschen in Putins Krieg schützen. Zur Zeit des Unfalls 1986 schrieb man den Namen der Stadt übrigens noch Tschernobyl, eine Romanisierung der russischen Schreibweise.

Am 24. Februar 2022 nahmen russische Streitkräfte Tschornobyl ein und Mitglieder der ukrainischen Nationalgarde sowie Mitarbeitende des Kraftwerks, in dem immer noch immer mit abgebrannten Brennstoffen und anderen radioaktiven Stoffen gearbeitet wird, als Geiseln.
Ukrainische Ingenieure halfen während der mehr als einwöchigen Belagerung des Kraftwerks dabei, es zu sichern. Der Strahlenschutzbeauftragte Oleksandr Lobada sagte der BBC, er habe Diesel von den russischen Streitkräften gestohlen, um dafür zu sorgen, dass der Betrieb im Kraftwerk während eines dreitägigen Stromausfalls weiter aufrechterhalten werden konnte.
Lobada fügte hinzu: „Es hätte radioaktives Material freigesetzt werden können. Was dann passiert wäre, können Sie sich sicherlich vorstellen. Ich hatte keine Angst um mein Leben. Ich hatte Angst davor, was passiert, wenn ich das Kraftwerk nicht überwache.“
Putins Armee verließ Tschornobyl am 1. April, allerdings erst, nachdem die russischen Soldaten im radioaktiven Boden rund um das Kraftwerk Schützengräben ausgehoben hatten. Dabei haben sie sich höchstwahrscheinlich radioaktiver Strahlung ausgesetzt.
Weitere Katastrophe verhindert
Nach dem Unfall 1986 breitete sich eine radioaktive Wolke über großen Teilen der Sowjetunion – heute das Staatsgebiet Weißrusslands, der Ukraine und Russlands – sowie über Mittel- und Osteuropa aus. Den Vereinten Nationen zufolge waren fast 8,4 Millionen Menschen in den drei Ländern erheblicher Strahlung ausgesetzt.
Erst 1990 räumte die sowjetische Führung ein, internationale Hilfe zu benötigen, und enthielt der Öffentlichkeit viele Informationen vor.
2018 verlieh der frühere ukrainische Präsident Petro Poroschenko drei Liquidatoren eine Auszeichnung für ihren Heldenmut. Die beiden Ingenieure Alexei Ananenko, Waleri Bespalow und ihr der Leiter des Kernkraftwerkes Boris Baranow wateten in das dunkle, kontaminierte Wasser, öffneten ein Ventil, um das Wasser abzulassen, und verhinderten so eine weitere Explosion.
Die Daily Mail berichtet, dass der heute 62-jährige Ananenko und seine Frau Anfang März vor dem russischen Angriff aus ihrer Heimat in Kiew fliehen mussten. „Ich war noch nie so enttäuscht von Russland, aber jetzt wird mir klar, dass ich ihnen diesen Genozid an den Ukainerinnen und Ukrainern, diese Zerstörung eines ganzen Volkes nie verzeihen kann“, sagte Ananenkos Frau Valentina.
Der Reaktor in Tschornobyl ist nicht das einzige Kernkraftwerk der Ukraine, das angegriffen wurde. Am 3. März beschossen Putins Truppen das Kernraftwerk Saporischschja und hinderten die örtliche Feuerwehr daran, den Brand zu löschen, wie aus einem Überwachungvideo des Kraftwerks hervorgeht.

Bei dem Angriff gab es Einschläge in der Nähe einer Anlage, in der abgebrannte nukleare Brennstoffe lagern, und laut Angaben der staatlichen ukrainischen Atomaufsichtsbehörde wurde eine weitere Anlage direkt getroffen. Das ukrainische Betriebspersonal, das während des russischen Angriffs anwesend war, blieb länger als 24 Stunden auf ihren Posten. Einige benötigten stressbedingt medizinische Hilfe.
Edwin Lyman von der Union of Concerned Scientists sagte dem Sender NPR, dass der russische Angriff auf das Atomkraftwerk Saporischschja eine Kernschmelze von ähnlichem Ausmaß wie die Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 hätte auslösen können.
„Es ist Irrsinn, eine Atomanlage einem solchen Beschuss auszusetzen“, so Lyman.
Originaltext: Long after Chornobyl disaster, Ukrainians guard sites