Länderberichte über Menschenrechtspraktiken 2021
Bundesrepublik Deutschland
Das Büro für Demokratie, Menschenrechte und Arbeitsfragen des US-Außenministeriums gibt jedes Jahr den Bericht über Menschenrechtspraktiken heraus. Der Bericht für das Jahr 2021 wurde am 12. April 2022 veröffentlicht. Wir haben den Deutschlandteil übersetzt.
ZUSAMMENFASSUNG
Deutschland ist eine Verfassungsdemokratie. Die Staatsbürger wählen ihre politischen Vertreter regelmäßig in freien und fairen Mehrparteienwahlen. Der Bundestag, die erste gesetzgebende Kammer, wählt den Regierungschef, den Bundeskanzler. Die zweite gesetzgebende Körperschaft ist der Bundesrat, der die 16 Bundesländer auf Bundesebene vertritt und aus Vertreterinnen und Vertretern der Landesregierungen zusammengesetzt ist. Die 16 Bundesländer verfügen über beträchtliche Unabhängigkeit, auch in den Bereichen Strafverfolgung und Bildung. Die Bundestagswahlen am 26. September wurden ebenso wie die Wahlen im Jahr 2017 als frei und fair beurteilt.
Die Zuständigkeit für die innere Sicherheit und den Grenzschutz liegt bei der Polizei der 16 Bundesländer, dem Bundeskriminalamt sowie der Bundespolizei. Die Landespolizei ist dem Innenministerium des jeweiligen Bundeslandes, die Bundespolizei dem Bundesministerium des Innern unterstellt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz sind neben anderen Sicherheitsaufgaben für die nachrichtendienstliche Aufklärung über Gefahren für die öffentliche Ordnung im Inland zuständig. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist eine nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums des Innern und die Landesämter für Verfassungsschutz sind den jeweiligen Innenministerien der Länder unterstellt. Zivile Behörden hatten weiterhin die effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Es gab glaubhafte Berichte über einige wenige Rechtsverstöße durch Angehörige der Sicherheitskräfte.
Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen waren unter anderem: antisemitisch motivierte Straftaten sowie islam- und fremdenfeindlich oder durch andere Formen von Rechtsextremismus motivierte Gewalt gegen Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten.
Die Behörden haben Maßnahmen zur Ermittlung gegen und zur strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung von Beamtinnen und Beamten sowie Angestellten der Sicherheitsdienste und anderer Bereiche des öffentlichen Dienstes ergriffen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben oder der Korruption beschuldigt wurden.
Abschnitt 1. Achtung der Unversehrtheit der Person
A. WILLKÜRLICHE UND ANDERE UNRECHTMÄSSIGE ODER POLITISCH MOTIVIERTE TÖTUNGEN
Es gab keine Berichte über willkürliche oder rechtswidrige Tötungen durch den Staat oder seine Vertreterinnen und Vertreter.
Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte den Neonazi Stephan Ernst am 28. Januar wegen Mordes an dem hessischen Kommunalpolitiker Walter Lübcke im Jahr 2019 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, sprach den Mitangeklagten Markus Hartmann jedoch vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord frei. Die Straftat wurde weithin als politisch motivierte Tötung eines bekannten flüchtlingsfreundlichen Vertreters einer Landesregierung angesehen, und die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass Ernst die Tat aus ethnonationalistischen und rassistischen Motiven heraus beging. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelte weiter gegen mehrere Personen, die Lübcke nach seinen flüchtlingsfreundlichen Bemerkungen 2015 über das Internet bedroht hatten. Einige der noch offenen Ermittlungen wurden je nach Wohnort der Beschuldigten an die Staatsanwaltschaften anderer Bundesländer übergeben. Eine Untersuchung des hessischen Landtags zu der Frage, warum der hessische Verfassungsschutz Stephan Ernst nicht als Gefahr für die Gesellschaft eingestuft hat, dauerte im September noch an.
B. VERSCHWINDEN
Es lagen keine Berichte über das Verschwindenlassen von Personen im Auftrag des Staates oder durch staatliche Behörden vor.
C. FOLTER UND ANDERE GRAUSAME, UNMENSCHLICHE ODER ENTWÜRIDGENDE BEHANDLUNG ODER BESTRAFUNG
Das Grundgesetz und andere Gesetzesvorschriften verbieten derartige Praktiken, es gab allerdings einige wenige Berichte, wonach Staatsbedienstete sie einsetzten. Einigen Menschenrechtsorganisationen zufolge gingen die Behörden Vorwürfen der Misshandlung durch Polizeikräfte nicht effektiv nach und wendeten kein unabhängiges Verfahren zur Prüfung derartiger Anschuldigungen an.
Im Juni verurteilte ein Gericht einen Mülheimer Polizeibeamten wegen Körperverletzung im Dienst zu einer Haftstrafe von neun Monaten auf Bewährung. Der Beamte hatte 2019 bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt einem aus dem Kosovo stammenden, in Deutschland eingebürgerten Mann Handschellen angelegt und ihm ins Gesicht geschlagen. Die Kollegin des Beamten half, den Übergriff zu vertuschen und wurde zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt.
Am 17. September befand ein Kölner Gericht einen Polizeibeamten der Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt gegen einen flüchtenden Verdächtigen für schuldig und verurteilte ihn zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten. Der Polizist schoss 2019 auf den 19-jährigen, unbewaffneten Alexander Dellis, als dieser sich der Festnahme zu entziehen versuchte. Dellis erstattete später Anzeige wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung. Das Gericht urteilte, der Polizeibeamte habe den Verdächtigen nicht ausreichend gewarnt.
Ungeahndete Straftaten bei den Sicherheitskräften stellen kein wesentliches Problem dar.
Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten
Es gab keine maßgeblichen Berichte über Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten, die menschenrechtlich bedenklich wären.
Materielle Haftbedingungen: Es gab es keine wesentlichen Bedenken hinsichtlich der physischen Haftbedingungen oder Hinweise auf die Misshandlung von Insassen.
Im Dezember 2020 verhungerte ein 67-jähriger Gefängnisinsasse in einer Einrichtung in Aachen. Ein Gericht hatte bei dem Häftling zuvor eine depressive Störung festgestellt. Das Gefängnispersonal hatte ihn nicht zwangsernährt und gab an, er habe die Entscheidung, nicht zu essen, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte getroffen. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen erklärte im August, dass es künftig einer schriftlichen Erklärung bedürfe, falls eine künstliche Ernährung abgelehnt wird.
Verwaltung: Die Behörden gingen glaubwürdigen Misshandlungsvorwürfen angemessen nach.
Unabhängige Überwachung: Die Regierung ließ Kontrollbesuche unabhängiger Beobachter zu, die Nichtregierungsorganisationen angehörten.
D. WILLKÜRLICHE VERHAFTUNGEN ODER FESTNAHMEN
Das Grundgesetz verbietet willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sieht das Recht vor, die Rechtmäßigkeit einer Festnahme vor Gericht anzufechten. Der Staat hielt diese Bestimmungen im Allgemeinen ein.
Gesetze auf Länderebene ermächtigen die Polizei, bei „drohender Gefahr“ Präventivmaßnahmen zu ergreifen. Kritikerinnen und Kritiker argumentierten, diese Bestimmungen räumten der Polizei Überwachungsbefugnisse ein, die eigentlich nur den Nachrichtendiensten zustünden. Im September war eine Klage gegen das Gesetz in Bayern noch beim Bundesverfassungsgericht und eine separate Klage gegen das entsprechende Gesetz in Sachsen-Anhalt noch beim dortigen Landesverfassungsgericht anhängig.
In einigen Bundesländern gibt es zwar eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten, die Nichtregierungsorganisation Amnesty International Deutschland kritisierte jedoch das Fehlen einer bundesweiten Verpflichtung hierzu.
Im Februar wurde ein Mann in Köln zum dritten Mal vom Vorwurf der Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte bei einer Demonstration in Köln freigesprochen. Das Gericht bestätigte die Anklage wegen Beleidigung eines Polizeibeamten, verhängte aber keine Strafe, sondern machte die Beamten selbst dafür verantwortlich. Im zweiten Verfahren im April 2019 hatte der Richter am Landgericht Köln die Klage als unbegründet abgewiesen und sich bei dem Angeklagten entschuldigt. Gegen zwei Polizeibeamte wurde 2019 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, im Februar wurde das Verfahren gegen sie gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt. Der Mann verklagte daraufhin das Land Nordrhein-Westfalen auf 15.000 Euro Schadensersatz, dessen Zahlung das Bundesland im Juli zustimmte.
Festnahmeverfahren und Behandlung in Gewahrsam
Für Festnahmen ist ein von einer Justizbehörde ausgestellter Haftbefehl erforderlich. Die Polizei kann auch Personen festnehmen, wenn sie diese beim Verüben einer Straftat aufgreift oder wenn der dringende Verdacht vorliegt, dass die Person eine Straftat plant. Das Grundgesetz verlangt die Vorstellung von Verdächtigen bei einem Justizbeamten am Folgetag der Festnahme. Der Richter oder die Richterin muss Verdächtige über die Gründe für deren Festnahme informieren und ihnen die Möglichkeit geben, zu widersprechen. Anschließend muss das Gericht entweder einen Haftbefehl ausstellen, aus dem die Gründe für die Fortsetzung der Inhaftierung hervorgehen, oder die Freilassung der Person anordnen. Die Behörden achteten diese Rechte im Allgemeinen.
Zwar gibt es die Möglichkeit der Kaution, in der Regel werden Personen, die auf ihr Verfahren warten, jedoch ohne Kaution frei gelassen. Eine Kaution wird nur fällig, wenn das Gericht eine Fluchtgefahr feststellt. In solchen Fällen können die Behörden die Freilassung auf Kaution verweigern und Inhaftierte für die Dauer der Ermittlungen und des anschließenden Prozesses inhaftieren, allerdings unterliegt dies der gerichtlichen Prüfung.
Festgenommene haben das Recht, sich von einem Anwalt vertreten zu lassen. Bei finanzieller Bedürftigkeit stellt der Staat einen Rechtsbeistand. Laut Gesetz steht es festgenommen Personen jederzeit zu, einen Rechtsbeistand zu beauftragen, auch vor Befragung durch die Polizei. Die Behörden müssen Tatverdächtige vor der Befragung über ihr Recht in Kenntnis setzen, einen Rechtsbeistand zu konsultieren.
Untersuchungshaft Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und der Nichtregierungsorganisation World Prison Brief lag der Anteil der Personen in Untersuchungshaft an der Zahl aller Gefängnisinsassen im Land im Dezember 2020 bei 20,8 Prozent. Das Justizministerium erklärte 2019, dass die Untersuchungshaft im Durchschnitt zwischen vier und sechs Monaten dauere. Die Untersuchungshaft wird von den Gerichten auf eine mögliche Haftstrafe angerechnet. Werden Angeklagte vom Gericht freigesprochen, muss der Staat für die während der Untersuchungshaft entstandenen finanziellen Einbußen und den immateriellen Schaden Entschädigung leisten.
E. VERWEIGERUNG EINES FAIREN ÖFFENTLICHEN VERFAHRENS
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, und der Staat achtete die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz im Allgemeinen.
Verfahrensbestimmungen
Die Verfassung schreibt das Recht auf ein faires, öffentliches Verfahren vor, und die unabhängige Justiz setzte dieses Recht im Allgemeinen durch.
Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung. Sie haben das Recht, umgehend und detailliert über die gegen sie vorliegenden Anschuldigungen informiert zu werden. Das Verfahren soll fair, öffentlich und ohne unangemessene Verzögerung stattfinden. Laut Gesetz sind Angeklagte verpflichtet, bei ihrer Verhandlung anwesend zu sein. Angeklagte haben das Recht, sich von einem Anwalt ihrer Wahl vertreten zu lassen, und der Staat stellt, wie oben erwähnt, einen Rechtsbeistand auf Staatskosten, wenn die Angeklagten ihre finanzielle Bedürftigkeit nachweisen können. Angeklagte und ihre Anwälte haben das Recht auf einen angemessenen Zeitraum und angemessene Räumlichkeiten zur Vorbereitung ihrer Verteidigung. Jedem Angeklagten, der kein Deutsch spricht oder versteht, wird ein Dolmetscher oder eine Dolmetscherin gestellt. Sofern die Angeklagten ihre finanzielle Bedürftigkeit nachweisen oder freigesprochen werden, geschieht dies auf Staatskosten. Angeklagte haben Zugang zu allen Beweisen, die dem Gericht vorliegen und für ihren Fall relevant sind. Angeklagte dürfen die Zeugen der Anklage befragen und zu ihrer Verteidigung eigene Zeugen und Beweise anführen. Angeklagte dürfen nicht zur Aussage oder zu einem Geständnis gezwungen werden. Angeklagte haben das Recht, Berufung einzulegen.
Laut Gesetz dürfen Gerichte niemanden zweimal für dieselbe Straftat verurteilen. Gerichte können jedoch bei wegen Vergewaltigung, Mord oder Totschlags Verurteilten nach Verbüßen der Strafe zusätzlich eine „anschließende Sicherungsverwahrung“ anordnen. Das Gericht kann Sicherungsverwahrung nur dann anordnen, wenn es zu dem Schluss kommt, dass der Täter oder die Täterin an einer psychischen Störung leidet oder eine dauerhafte, ernsthafte Bedrohung für die Öffentlichkeit darstellt. Die Sicherungsverwahrung kann laut Gesetz unbefristet angeordnet werden, unterliegt aber der regelmäßigen Überprüfung.
Da die Sicherungsverwahrung rechtlich nicht als Strafe gilt, müssen die Behörden Sicherungsverwahrte in separaten Gebäuden oder in speziellen Bereichen der Justizvollzugsanstalten mit besseren Bedingungen unterbringen. Die Behörden müssen den Inhaftierten außerdem sozial- und psychotherapeutische Angebote machen. Nach Informationen des Statistischen Bundesamtes befanden sich Ende März 2020, im letzten Jahr, für das Zahlen vorliegen, 589 Personen in Sicherungsverwahrung.
Politische Gefangene und Inhaftierte
Es gab keine Berichte über politische Gefangene oder Inhaftierte.
Zivilverfahren und Rechtsbehelfe
Bei Verletzung ihrer Grundrechte können die Bürgerinnen und Bürger bei Petitionsausschüssen und Bürgerbeauftragten Beschwerde einreichen. Diese Kontaktstellen werden meist als „Ombudsstellen“ bezeichnet. In zivilrechtlichen Angelegenheiten bietet eine unabhängige und unparteiische Justiz zudem Zugang zu Gerichten, um in Fällen von Menschenrechtsverletzungen auf Schadenersatz oder Unterlassung zu klagen. Wenn die nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft sind, besteht die Möglichkeit, bei mutmaßlichen Verstößen des Staates gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu klagen.
Beschlagnahmung und Rückgabe von Eigentum
Der Staat verfügt über Gesetze und Mechanismen zur Wiedergutmachung, die auch für ausländische Staatsangehörige gelten, und Nichtregierungsorganisationen sowie Interessengruppen berichteten, dass bei der Bearbeitung von Ansprüchen aus der Zeit des Holocaust maßgebliche Fortschritte gemacht wurden. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende 2020 zahlte die Bundesrepublik Deutschland dem Bundesfinanzministerium zufolge rund 79 Milliarden Euro an Rückerstattungen und Entschädigungen an NS-Opfer, einschließlich Härtefallzahlungen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro für ärmere Holocaust-Überlebende, die 2020 besonders schwer von der Corona-Pandemie betroffen waren.
Außerdem unterstützte das Land zahlreiche öffentliche und private internationale Initiativen für Reparationen und Sozialleistungen zugunsten Holocaust-Überlebender und ihrer Familien.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedete der Bundestag Gesetze zur Regelung von Ansprüchen aufgrund von NS-Gräueltaten und Enteignungen aus der Zeit des Holocaust. 1952 bestimmte die Bundesregierung die Conference on Jewish Material Claims against Germany (auch: Claims Conference) zu ihrem Hauptpartner für die Regelung von Rückerstattungs- und Entschädigungsansprüchen von jüdischen Opfern nationalsozialistischer Verfolgung.
Bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 wurden die Rückgabe von Eigentum und die Entschädigungszahlungen für Immobilien und Unternehmen, die während des Holocausts beschlagnahmt oder übertragen worden waren, von den westdeutschen Behörden im Einklang mit dem Bundesentschädigungsgesetz geregelt. Die Claims Conference übernahm die Rechte an Eigentum, für das es keine Erben gab, und versteigerte dieses. Die Erlöse kamen der Finanzierung von Maßnahmen der Organisation zur Unterstützung von Holocaust-Überlebenden und zur Aufklärung über den Holocaust zugute. Weitere Entschädigungsansprüche für konfisziertes jüdisches Eigentum im ehemaligen Ostdeutschland machte die Claims Conference nach einem Gesetz geltend, das nach der Wiedervereinigung verabschiedet wurde. Seit 1990 haben die Behörden in 4.500 Fällen Restitutionsansprüche anerkannt und bewilligt und in etwa 12.000 Fällen Entschädigungen gezahlt. Beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen waren etwa 5.000 Fälle noch offen, bei denen es um Sachanlagen ging, darunter Grundstücke, Immobilien und Unternehmensanteile.
Durch regelmäßige Verhandlungen zwischen der Claims Conference und der Bundesregierung wurden bestehende Programme erweitert und zusätzliche eingeführt. Bei den Verhandlungen im September 2020 sagte die Bundesregierung zu, die Gesamtfinanzierung für das Jahr für häusliche Pflegedienste für gebrechliche und alternde Holocaust-Überlebende um 30,5 Millionen Euro zu erhöhen. Im Oktober stimmte die Bundesregierung der Gewährung einer monatlichen Rente in Höhe von 375 Euro für etwa 6.500 Holocaust-Überlebende, die bisher keine Rente erhielten, sowie symbolischen Einmalzahlungen in Höhe von 2.500 Euro an 1928 oder später geborene Opfer zu, die den Holocaust als Kinder überlebt haben. Darüber hinaus war für NS-Opfer, die bereits eine Einmalzahlung aus dem Härtefallfonds erhalten haben, im Laufe des Jahres je eine weitere Zahlung von 1.200 Euro vorgesehen.
2015 gründete die Bundesregierung zur Erforschung der Provenienz von Kunst- und Kulturgütern die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK). Die DZK unterhält die Online-Datenbank „Lost Art“ und unterstützt Opfer und ihre Erben bei der Suche nach den richtigen Institutionen und Kontakten. In der Datenbank werden Kulturgüter erfasst, die vermutlich oder nachweislich von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. Im Mai kündigte die DZK an, 31 Projekte zur Erforschung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut mit 2,8 Millionen Dollar zu fördern.
Am 29. April beschloss der Düsseldorfer Stadtrat auf Empfehlung der Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, einstimmig, das Franz-Marc-Gemälde „Füchse“ aus dem Jahr 1913 an die Erben von Kurt Grawi zurückzugeben. Grawi hatte mit dem Verkauf des Gemäldes 1939 seine Flucht aus NS-Deutschland und seine Emigration nach Chile finanziert. Bis September war das Gemälde noch nicht an Grawis Erben zurückgegeben worden.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die dem Freistaat Bayern gehören, haben den Fall des Pablo-Picasso-Gemäldes „Porträt der Madame Soler“ entgegen der üblichen Praxis bei Streitigkeiten über die Herkunft von Kunstwerken nicht an die Kommission weitergeleitet. Das Werk war 1934 oder 1935 von Paul von Mendelssohn-Bartholdy verkauft worden. Seine Erben hatten den Freistaat Bayern erstmals 2010 aufgefordert, den Fall an die Kommission zu verweisen, da er das Werk unter Zwang verkauft haben soll. Im Juni wies der Kommissionsvorsitzende Hans-Jürgen Papier die Auffassung des Bundeslandes, der Anspruch sei irrelevant, zurück. Es sei Sache der Kommission, solche Fälle zu bewerten.
Den Bericht des US-Außenministeriums an den US-Kongress über die Entschädigung von Opfern des NS-Regimes (Just Act Report –Justice for Uncompensated Survivors Today), der am 2020. Juli veröffentlicht wurde, finden Sie auf der Website des Ministeriums. [Deutsche Fassung: https://de.usembassy.gov/de/just-act-bericht-bundesrepublik-deutschland].
F. WILLKÜRLICHE ODER UNRECHTMÄSSIGE EINGRIFFE IN PRIVATSPHÄRE, FAMILIE, WOHNUNG ODER SCHRIFTVERKEHR
Das Grundgesetz verbietet derartige Maßnahmen, aber es gab Aussagen, denen zufolge der Staat diese Verbote in einigen Fällen missachtet habe.
Die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder überwachten weiterhin politische Gruppen, die als potenziell verfassungsfeindlich gelten. Dazu gehören linksextreme Gruppen innerhalb der Linkspartei und rechtsextreme Gruppen innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD), die beide im Bundestag vertreten sind, sowie die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Die Überwachung bedarf der Genehmigung der Innenministerien der Länder oder des Bundesministeriums des Innern und unterliegt der regelmäßigen Überprüfung durch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages oder der vergleichbaren Organe der Bundesländer.
Alle Aktivitäten der Landesämter für Verfassungsschutz können vor Gericht angefochten werden, auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2014 teilte die Bundesregierung mit, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dürfe Mitglieder des Bundestags nicht mehr überwachen.
Der bayerische Verfassungsschutz überwachte im Laufe des Jahres die NPD, den Flügel (ein loses Netzwerk rechtsextremer AfD-Parteimitglieder innerhalb der AfD), die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative sowie den Dritten Weg, eine extremistische Partei, die vor allem gegen staatliche Corona-Maßnahmen kämpft.
Der baden-württembergische Verfassungsschutz überwachte Querdenken 711, eine Bewegung, die sich gegen Corona-Beschränkungen auf Landes- und Bundesebene richtete, wegen ihrer extremistischen Ansichten. Der Antisemitismusbeauftragte des Landes warnte wiederholt vor der antisemitischen Rhetorik und den judenfeindlichen Ansichten von Querdenken 711.
Am 26. Januar kündigte der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt an, den Landesverband Sachsen-Anhalt der AfD wegen der Angriffe der Partei auf die Menschenwürde, der Ablehnung rechtsstaatlicher Prinzipien und seiner Demokratiefeindlichkeit zu beobachten. Die AfD beantragte daraufhin eine einstweilige Verfügung. Am 24. April beschloss das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt, dass der Landesverfassungsschutz die Partei solange nicht überwachen werde, bis ein Urteil ergangen sei. Im August war das Verfahren noch nicht abgeschlossen.
Anfang März berichteten die Medien, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) habe beschlossen, die AfD-Bundesorganisation zu überwachen, nicht aber die gewählten Vertreterinnen und Vertreter oder Kandidatinnen und Kandidaten der AfD. Berichten zufolge unternahm das BfV diesen Schritt angesichts der Verstöße der AfD gegen die Menschenwürde und die demokratischen Grundsätze sowie des Einflusses des Flügels, der angeblich 2019 offiziell aufgelöst wurde, dessen Mitglieder sich aber weiterhin trafen. In Erwartung dessen reichte die AfD schon im Januar beim Verwaltungsgericht Köln Klage ein, um die Überwachung durch das BfV zu unterbinden. Kurz nach den Medienberichten vom März erließ das Gericht eine einstweilige Verfügung, die es dem BfV untersagte, sich zu der Frage zu äußern, ob es beschlossen habe, die AfD zu überwachen, bis das Gericht über die Klage vom Januar entschieden hatte. Im August deutete das Gericht an, es werde erst Anfang 2022 urteilen, um die Wahlentscheidungen bei den Bundestagswahlen am 26. September nicht zu beeinflussen.
Am 12. Mai stufte der Thüringer Verfassungsschutz den Thüringer Landesverband der AfD von einem Verdachtsfall zu einem nachgewiesenen Extremismusfall hoch. Nach Ansicht des Verfassungsschutzes gibt es im Thüringer AfD-Landesverband deutliche „Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“.
Im Juni 2020 kündigte das Brandenburger Landesverfassungsschutzamt an, den Landesverband der AfD als Verdachtsfall einzustufen und wegen Rechtsextremismus zu beobachten. Der brandenburgische Landesverband der AfD klagte gegen die Entscheidung vor dem Landesverfassungsgericht, das am 19. März gegen die AfD entschied.
Im Juni änderte die bayerische Regierung ihr Polizeiaufgabengesetz, damit die Polizei Besucher von Großveranstaltungen einer „Zuverlässigkeitsprüfung“ unterziehen kann, wofür persönliche Daten der Menschen „bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen“ abgefragt werden können. Das Gesetz trat am 31. Juli in Kraft und wurde von der Opposition, der Sozialdemokratischen Partei (SPD), den Grünen und der Freien Demokratischen Partei (FDP) sofort vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof angefochten. Im Oktober war das Verfahren noch anhängig (zum Fall „NSU 2.0“ siehe Abschnitt 3, Politische Parteien und Partizipation).
Im August urteilte das Hamburger Verwaltungsgericht, der Hamburger Verfassungsschutz dürfe zwei Mitarbeitende der AfD im Landtag nicht mehr als Mitglieder der rechtsextremistischen Identitären Bewegung bezeichnen Die AfD-Landtagsfraktion hatte gegen den Verfassungsschutz geklagt, weil er die angebliche Verbindung der Mitarbeitenden in seinem öffentlichen Bericht für 2020 erwähnt hatte. Das Gericht stellte fest, dass die Mitarbeitenden zwar an zwei Veranstaltungen der Identitären Bewegung teilgenommen hatten, eine solche Teilnahme allein aber kein Beweis für ihre Mitgliedschaft sei. Dem Urteil zufolge muss der Hamburger Verfassungsschutz die Behauptung aus seinem öffentlichen Bericht für 2020 streichen und die Sache öffentlich richtigstellen. Der Verfassungsschutz versicherte, die Aktivitäten des Flügels in Hamburg weiterhin zu überwachen.
Human Rights Watch berichtete, dass das Parlament am 10. Juni Änderungen zu einem Gesetz verabschiedet hatte, das es den Verfassungsschutzämtern erlaubt, Spionagesoftware einzusetzen und Verschlüsselungen zu umgehen. Human Rights Watch meldete starke Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes an und wies darauf hin, dass das Gesetz das Abhören von „Personen erlaubt, die noch keiner Straftat verdächtigt werden und gegen die daher noch kein Strafverfahren eingeleitet werden kann“. Die Regierung argumentierte, die Bestimmungen seien notwendig, um mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten.
Abschnitt 2. Achtung bürgerlicher Freiheiten
A. MEINUNGSFREIHEIT, AUCH FÜR MITGLIEDER DER PRESSE UND ANDERER MEDIEN
Die Verfassung sieht Meinungsfreiheit vor, die auch für die Presse gilt. Im Allgemeinen achtete der Staat diese Rechte, schränkte sie aber für Gruppen ein, die des Extremismus verdächtigt wurden. Mehrere Personen wurden wegen Volksverhetzung, Befürwortung des Nationalsozialismus oder Leugnung des Holocaust verhaftet, vor Gericht gestellt und zu Freiheitsstrafen verurteilt (siehe auch Abschnitt 6, Antisemitismus). Das Zusammenspiel aus unabhängiger Presse, effektiver Justiz und einem funktionierenden demokratischen politischen System förderte die Meinungsfreiheit.
Meinungsfreiheit: Am 1. April unterzeichnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität. Das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität, verpflichtet soziale Netzwerke nicht nur, illegale Inhalte zu prüfen und gegebenenfalls zu beschränken, sondern Hasskriminalität im Internet, einschließlich antisemitischer Volksverhetzung, auch dem Bundeskriminalamt zu melden. Drohungen über das Internet werden nun wie persönliche Drohungen behandelt, und Gewaltandrohungen, die keine Morddrohungen sind, wie die Androhung von Vergewaltigung oder Vandalismus, sowohl im Internet als auch persönlich, werden rechtlich wie Morddrohungen behandelt.
Am 6. Juli trat ein Bundesgesetz in Kraft, das Behörden die Regelung des Ausmaßes von Tätowierungen, Kleidung, Schmuck, Frisuren oder Bartstilen von Beamtinnen und Beamten ermöglicht, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordern. Haben diese religiösen Bezug, können sie nur dann eingeschränkt oder ganz untersagt werden, wenn sie „objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen“. Religiöse Organisationen äußerten jedoch Bedenken, das Gesetz könne als Rechtfertigung dafür dienen, das Tragen religiöser Kopf- und Gesichtsbedeckungen oder anderer religiöser Symbole und Kleidung durch Beamtinnen und Beamte einzuschränken.
Einige Bundesländer untersagten die Vollverschleierung in öffentlichen Schulen.
Im August 2020 wies das Bundesarbeitsgericht eine Revision des Landes Berlin gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2018 ab, wonach ein generelles Verbot für Lehrkräfte, in Schulen religiöse Symbole zu tragen, diskriminierend sei. Berlin ging im Juni beim Bundesverfassungsgericht in Berufung.
Meinungsfreiheit für Mitglieder der Presse und anderer Medien, auch von Online-Medien: Die unabhängigen Medien waren aktiv und brachten ohne Einschränkungen vielfältige Ansichten zum Ausdruck. Nationalsozialistische Propaganda, das Leugnen des Holocaust und Volksverhetzung sind gesetzlich verboten.
Gewalt und Schikane: Im Juni demonstrierten in Düsseldorf 3.000 Menschen gegen das von der Landesregierung NRW vorgeschlagene neue Versammlungsgesetz. Die Polizei soll während der zehnstündigen Veranstaltung einen Medienvertreter angegriffen und 38 Minderjährige eingekesselt und festgehalten haben. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul bedauerte in seiner Aussage vor dem Landtag das Vorgehen der Polizei gegen den Journalisten und sagte, es sei ein Fehler gewesen. Ministerpräsident Armin Laschet traf sich später mit dem Journalisten und erklärte, die Pressefreiheit werde immer gewährleistet sein. Die Behörden erstatteten 39 Anzeigen gegen Demonstrierende, darunter neun Anzeigen wegen Körperverletzung und sechs wegen Ruhestörung.
Am 10. September nahm die Münchner Polizei den Fotojournalisten Michael Trammer von der taz wegen Hausfriedensbruchs fest, als er über eine Umweltschutzdemonstration gegen eine Automesse berichtete. Trammer wurde festgenommen, als die Polizei das Gebäude stürmte und ihn zusammen mit anderen Protestierenden in Gewahrsam nahm, obwohl er sich deutlich als Pressemitglied zu erkennen gegeben habe. Die Polizei ließ Trammer später frei, erteilte ihm aber ein Betretungsverbot für das Gelände der IAA und teilte ihm mit, er könne wieder festgenommen werden, sollten die Behörden den Eindruck bekommen, er werde gegen das Verbot verstoßen. Trammers Zeitung kontaktierte die Polizei, die die beiden Anordnungen fallen ließ, der Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch wurde jedoch aufrechterhalten.
Am 3. April musste der SWR eine Live-Berichterstattung von einer Demonstration der Querdenker 711 in Stuttgart abbrechen, als Demonstrierende das Kamerateam mit „harten Gegenständen“ bewarfen. Die Polizei konnte die Täter nicht feststellen.. Der Deutsche Journalistenverband kritisierte die Polizei, weil sie die Journalisten nicht geschützt habe. Auch bei einer Demonstration der Querdenker 711 am 23. März in Kassel wurden Journalisten angegriffen.
Am 26. April wurde ein Kamerateam im Berliner Regierungsviertel von fünf Personen belästigt, die eine Live-Übertragung zur Corona-Impfpolitik störten. Die Polizei nahm vier Verdächtige wegen versuchter Nötigung fest. Ein Sprecher der Bundesregierung verurteilte den Angriff und sagte, Journalisten müssten in der Lage sein, ihren Beruf ohne Angst oder Einmischung auszuüben.
Nichtstaatliche Akteure: Am 7. Juli griffen vier Personen den türkischen Journalisten Erk Acacer, einen Kolumnisten der türkischen Tageszeitung BirGun, vor seinem Haus in Berlin an. Acacer sagte dem Fernsehsender Deutsche Welle, er glaube, der Angriff hänge mit einem türkischen Geschäftsmann zusammen, der Acacer zufolge in Prostitution, Drogen und Korruption verwickelt sei. Acacer sagte, er habe Ende Juli erneut Drohungen erhalten; die Polizei untersuchte die Vorfälle.
Freiheit im Internet
Weder beschränkte oder störte die Regierung den Zugang zum Internet, noch zensierte sie Online-Inhalte – mit einer Ausnahme –, und es gab keine glaubwürdigen Berichte darüber, dass Regierungsbehörden private Online-Kommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnis überwachten. Die Ausnahme bezieht sich auf die Befugnis der Regierung, Internetseiten zu sperren, die von verbotenen Organisationen betrieben werden, zu Volksverhetzung aufrufen, den Nationalsozialismus verherrlichen oder den Holocaust leugnen. Die Behörden arbeiteten bei der Überwachung und Löschung derartiger Inhalte unmittelbar mit den Internetanbietern zusammen. Die Behörden beobachteten Internetseiten, Social-Media-Konten, Messenger-Dienste und Streaming-Plattformen, die mit Rechtsextremisten in Verbindung gebracht wurden. Der Initiative „Verfolgen statt nur Löschen“ aus NRW zufolge wurden den dortigen Behörden im Jahr 2020 241 Fälle von Hassrede im Netz gemeldet.
Freiheit der Wissenschaft und kulturelle Veranstaltungen
Es gab staatliche Beschränkungen der Freiheit der Wissenschaft und kultureller Ereignisse, die rechtsextremes, nationalsozialistisches Gedankengut unterstützten.
B. RECHT AUF FRIEDLICHE VERSAMMLUNG UND VEREINIGUNG
Die Verfassung sieht zwar Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit vor, schränkte diese Freiheiten allerdings in einigen Fällen ein.
Versammlungsfreiheit
Öffentliche Kundgebungen und Demonstrationen unter freiem Himmel müssen den Behörden 48 Stunden vor ihrer öffentlichen Ankündigung mitgeteilt werden. Kundgebungen oder Demonstrationen unter freiem Himmel können von den Landesbehörden oder Kommunen verboten oder aufgelöst werden, wenn Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit bestehen oder wenn die Anmeldenden einer verbotenen Organisation angehören, in erster Linie rechtsextremen Gruppen. Die Behörden genehmigten öffentliche Kundgebungen oder Demonstrationen einiger nicht verbotener rechtsextremer Gruppen oder Neonazi-Organisationen, sofern sie nicht gegen Gesetze verstießen.
Um die Ausbreitung von COVID-19 einzudämmen, verpflichteten die Landesregierungen die Demonstrierenden zur Einhaltung von Abstandsregeln. Die Polizei in Berlin und anderen Städten löste im Laufe des Jahres mehrere Demonstrationen auf, bei denen die Demonstrierenden ihres Erachtens gegen diese Regeln verstoßen hatten.
Es ist rechtswidrig, offiziell angemeldete Demonstrationen zu behindern. Viele Anti-Nazi-Aktivistinnen und -Aktivisten weigerten sich, diese Auflagen zu akzeptieren und versuchten, Demonstrationen von Neonazis zu behindern oder Gegendemonstrationen abzuhalten, sodass es zuweilen zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Gegendemonstrierenden kam. So kam es zum Beispiel am 7. August in Weimar bei einer rechtsextremen Demonstration zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Gegendemonstrierenden. Die Polizei nahm mehrere Gegendemonstrierende fest.
Die Polizei nahm bekannte oder mutmaßliche Aktivistinnen und Aktivisten fest, wenn sie der Auffassung war, dass diese Personen beabsichtigten, an illegalen oder nicht genehmigten Demonstrationen teilzunehmen. Die Dauer der Inhaftierung war von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
Medienberichte und Videos zeigten, was Demonstrierende als unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die Polizei bei den Demonstrationen am 1. und 29. August in Berlin bezeichneten. Seit September ermittelt das Berliner Landeskriminalamt gegen einen Polizeibeamten wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gegen einen Demonstranten bei der Demonstration am 29. August (siehe auch Abschnitt 2.a., Gewalt und Belästigung, zur Demonstration am 3. Juli in Düsseldorf).
Vereinigungsfreiheit
Die Regierung schränkte die Vereinigungsfreiheit in einigen Fällen ein. Laut Gesetz können Organisationen verboten werden, deren Aktivitäten nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts oder der Bundes- oder Landesregierungen gegen die verfassungsmäßige demokratische Ordnung verstoßen oder anderweitig illegal sind. Zwar kann nur das Bundesverfassungsgericht politische Parteien aus diesen Gründen verbieten, aber sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierungen können andere Organisationen verbieten oder deren Aktivitäten einschränken, auch Gruppierungen, die von den Behörden als extremistisch oder kriminell eingestuft werden. Die Organisationen haben das Recht, gegen ein solches Verbot oder die Einschränkung ihrer Aktivitäten Einspruch zu erheben.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz überwachten mehrere hundert Organisationen. Die Überwachung umfasste die Erhebung von Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen, Schriftdokumenten sowie Berichten aus erster Hand, aber auch invasive Methoden, wie den Einsatz verdeckter Ermittler, die der rechtlichen Kontrolle unterliegen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz veröffentlichten Listen der überwachten Organisationen, zu denen auch links- und rechtsgerichtete politische Parteien gehörten. Der Verfassungsschutz auf Bundes- und auf Länderebene beobachtete auch das Islamische Zentrum Hamburg, das nach Angaben des Hamburger Verfassungsschutzes ein wichtiger Drahtzieher des iranischen Regimes in Europa ist. Obwohl die Überwachung rechtmäßige Aktivitäten der Organisationen laut Gesetz nicht beeinträchtigen dürfen, beschwerten sich Vertreterinnen und Vertreter einiger betroffener Organisationen, beispielsweise von Scientology, dass die Veröffentlichung der Namen ihrer Organisationen Vorurteilen gegen sie Vorschub leiste.
Das BfV beobachtete etwa 20.000 sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter. Diese Personen erkennen die Bundesrepublik Deutschland und die Staatsgewalt nicht an. Das BfV stufte die Gruppen aufgrund ihrer Affinität zu Waffen und ihrer Geringschätzung staatlicher Behörden als potenzielle Bedrohung ein. Im Zeitraum von 2016 bis Ende 2020 wurde 880 Mitgliedern dieser Gruppen der Waffenschein entzogen, 530 sind weiterhin Inhaber eines Waffenscheins. 2020 verübten Mitglieder der Reichsbürger und Selbstverwalter 599 politisch motivierte extremistische Straftaten; 125 davon wurden von den Behörden als Gewaltverbrechen eingestuft. Das Bundesministerium des Innern verbot die Reichsbürger im Jahr 2020, und führte Durchsuchungen bei anderen durch.
C. RELIGIONSFREIHEIT
Die Länderberichte über Religionsfreiheit des US-Außenministeriums finden Sie hier: https://www.state.gov/religiousfreedomreport/. (Deutschlandteil: https://de.usembassy.gov/de/laenderberichte-ueber-religionsfreiheit-2020-bundesrepublik-deutschland/)
d. Freizügigkeit und das Recht, das Land zu verlassen
Die Verfassung sieht Freizügigkeit im Inland, bei Auslandsreisen, Auswanderung und Rückführung vor, und der Staat respektierte diese Rechte im Allgemeinen.
Freizügigkeit im Inland: Die Behörden stellten Staatenlosen drei Arten von Reisedokumenten aus, damit diese sich frei im Land und der EU bewegen konnten: Ausweise für anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende und für Ausländer ohne Reisedokumente. Staatenlose erhielten einen „Reiseausweis für Staatenlose“. Anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende erhielten einen „Reiseausweis für Flüchtlinge“. Ausländer aus Nicht-EU-Ländern erhielten einen „Reiseausweis für Ausländer“, wenn sie keinen Pass oder Passersatz besaßen und von ihrem Herkunftsland auch keinen Reisepass erhalten konnten.
Einem Bundesgesetz zufolge müssen Flüchtlinge mit anerkanntem Asylstatus, die Sozialleistungen erhalten, drei Jahre lang in dem Bundesland wohnhaft bleiben, das ihren Asylantrag bearbeitet hat. Mehrere Bundesländer setzten diese Residenzpflicht um. Darüber hinaus können einzelne Bundesländer zusätzliche Aufenthaltsbeschränkungen verfügen und einzelnen Personen beispielsweise die Residenzpflicht in einer bestimmten Stadt auferlegen. Die Kommunalbehörden, die die Regelung unterstützten, gaben an, sie erleichtere die Integration und die Planung der erforderlichen Infrastruktur, wie beispielsweise Schulen.
Als Reaktion auf die Corona-Pandemie verfügten zahlreiche Kommunen und Landesregierungen verschiedene strikte, zeitlich befristete Einschränkungen der Freizügigkeit, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, darunter die bundesweite Auflage, zu Hause zu bleiben, sowie das im Juni ausgelaufene Einreiseverbot nach Mecklenburg-Vorpommern. Viele dieser Maßnahmen wurden mit unterschiedlichem Erfolg vor Gericht angefochten. Im November 2020 verfügte die Regierung ein bundesweites Übernachtungsverbot für Regionen mit einer hohen COVID-19-Inzidenz (ab 100 Infektionen pro 100.000 Einwohner), um Reisen innerhalb Deutschlands einzuschränken. Dem Gesetz zufolge durften sich Einwohner in Gebieten mit einer sehr hohen Inzidenz (über 200 pro 100.000) nicht weiter als 15 km von ihrem Wohnort entfernen. Alle Einschränkungen der Freizügigkeit endeten am 1. Juli.
E. FLÜCHTLINGE UND BINNENVERTRIEBENE
Entfällt.
F. SCHUTZ VON FLÜCHTLINGEN
Die Regierung arbeitete mit dem Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen oder Asylsuchenden sowie anderen Betroffenen Schutz und Unterstützung zukommen zu lassen.
Zugang zu Asylverfahren: Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl oder die Anerkennung als Flüchtling vor, und der Staat hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet. Deutschland sah sich weiter mit der Aufgabe konfrontiert, rund 1,3 Millionen Asylsuchende, Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten zu integrieren, die zwischen 2015 und 2017 ins Land gekommen waren. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) meldete 2020 122.170 Asylanträge und in den ersten acht Monaten des Berichtsjahres 111.788 Anträge (siehe auch Abschnitt 6: Vertriebene Kinder).
Am 23. August entschied der hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH), dass syrische Wehrdienstverweigerer nicht mehr automatisch asylberechtigt sind. Ein 26-jähriger Syrer hatte 2015 gegen die Ablehnung seines Asylantrags geklagt. Der VGH begründete sein Urteil damit, dass der Kläger höchstwahrscheinlich keine Misshandlungen als Strafe zu erwarten habe, sondern lediglich zum Wehrdienst eingezogen würde. Das Urteil stand entgegen der vorherigen Rechtsprechung in Hessen und folgte Urteilen in Sachsen-Anhalt und NRW. Im Jahr 2020 wurden 33 Prozent aller Asylanträge (insgesamt 40.570) von syrischen Staatsangehörigen gestellt.
Die Nichtregierungsorganisation Pro Asyl kritisierte auch weiterhin das „Flughafenverfahren“ für Asylsuchende, die an einem Flughafen des Landes ankommen. Die Behörden gaben an, das Flughafenverfahren werde lediglich in weniger problematischen Fällen genutzt und schwierigere Asylfälle würden zur regulären Bearbeitung an das BAMF verwiesen. Die Behörden erklärten, dieses „Direktverfahren“ werde lediglich bei Personen angewendet, die aus von der Regierung als „sicher“ (s.u.) eingestuften Herkunftsländern stammen oder nicht im Besitz gültiger Ausweispapiere sind. Das Direktverfahren ermöglichte es dem BAMF, innerhalb von zwei Tagen über Asylanträge zu entscheiden, während die Antragstellenden am Flughafen festgehalten wurden. Bei Ablehnung des Antrags kann Widerspruch eingelegt werden. Über Widersprüche wurden innerhalb von zwei Wochen entschieden, während die Antragstellenden am Flughafen festgehalten wurden. Bei Ablehnung des Widerspruchs wurden die Antragsteller von den Behörden abgeschoben. Die NGO Flüchtlingsrat Berlin kritisierte ein ähnliches beschleunigtes Verfahren oder Direktverfahren, das bei einigen Asylsuchenden in Berlin angewandt wurde. Die Organisation behauptete, Asylsuchende erhielten nicht ausreichend Zeit für und Zugang zu Rechtsberatung.
2018 beurlaubte das BAMF die Leiterin der Bremer Außenstelle, Ulrike Bremermann, aufgrund von Anschuldigungen, sie habe bis zu 1.200 positive Asylbescheide zu Unrecht erlassen. Eine Überprüfung des BAMF kam 2019 allerdings zu dem Ergebnis, dass lediglich 145 der 18.000 seit 2006 positiv beschiedenen Bremer Asylanträge (0,81 Prozent), die von einer Sonderkommission untersucht wurden, rechtlich geprüft werden müssten, ein Anteil, der unter dem Bundesdurchschnitt von 1,2 Prozent liegt. Im November 2020 wies das Landgericht Bremen 100 der 121 Anklagepunkte gegen Bremermann und zwei Anwälte ab, darunter auch alle asyl- und aufenthaltsrechtlichen Anklagepunkte.. Am 20. April entschied das Gericht, das Verfahren wegen Geringfügigkeit gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen.
Sicheres Herkunfts- oder Transitland: In Deutschland gilt die Dublin-III-Verordnung der EU, nach der Personen, die über „sichere Transitländer“, also ein EU-Mitgliedsland, die Schweiz, Norwegen, Island oder Liechtenstein, nach Deutschland eingereist sind, abgewiesen oder dorthin abgeschoben werden können. Zu den „sicheren Herkunftsländern“ gehören darüber hinaus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Die Behörden schickten keine Asylsuchenden nach Syrien zurück.
Refoulement: Die Regierung gab an, dass im Jahr 2020 – das letzte Jahr, für das offizielle Zahlen vorlagen – 137 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben wurden. Die NGO Pro Asyl schätzte, dass in den ersten sieben Monaten des Jahres 304 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben wurden. Nichtregierungsorganisationen wie Pro Asyl und Amnesty International kritisierten dies als Verstoß gegen das Refoulement-Verbot und bemängelten, dass die Begründungen und Verfahren für Abschiebung von Bundesland zu Bundesland stark variierten. Am 11. August kündigte das Innenministerium wegen der dortigen Sicherheitslage einen vorübergehenden Abschiebestopp nach Afghanistan an.
Misshandlung von Migranten und Flüchtlingen Es kam weiterhin zu Angriffen auf Flüchtlinge, Asylsuchende und Migrantinnen und Migranten ebenso wie auf staatlich bereitgestellte Unterkünfte. Am 22. Juli griffen in Prenzlau (Brandenburg) vier Unbekannte zwei Asylsuchende aus Kenia an und verletzten sie. Im November dauerten die Ermittlungen der Polizei noch an.
Im November 2020 schlug ein Rettungssanitäter einem wehrlosen, gefesselten syrischen Flüchtling an einer Flüchtlingsunterkunft in Kassel ins Gesicht. Der Vorfall wurde erst bekannt, als die Polizei im März die Aufzeichnung einer Überwachungskamera veröffentlichte. Die Aufnahme zeigt, dass zwei ebenfalls anwesende Polizisten nicht eingreifen und den Übergriff nicht zu verhindern versuchen. Der ursprüngliche Polizeibericht vom November beschrieb lediglich das randalierende Verhalten des Flüchtlings, nicht jedoch den Übergriff durch den Rettungssanitäter. Daraufhin wurde gegen den Rettungssanitäter und die Polizisten Anklage erhoben. Zudem wurde der Rettungssanitäter entlassen.
Am 4. Februar sprach ein Gericht in Sachsen-Anhalt eine Verwarnung in Verbindung mit einer Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung gegenüber einem Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma aus, der 2019 dabei gefilmt worden war, wie er einen Asylsuchenden an einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung in Halberstadt angegriffen hatte. Zwei weitere Sicherheitsleute der Aufnahmestelle für Asylbewerber wurden von ähnlichen Vorwürfen freigesprochen.
Freizügigkeit: Einem Gesetz zu Abschiebungen aus dem Jahr 2019 zufolge sind Asylsuchende verpflichtet, bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens – bis zu 18 Monate lang – in ihrer jeweiligen Erstaufnahmeeinrichtung wohnen zu bleiben. Asylsuchende, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die bei der Beschaffung ihrer Reisedokumente nicht ausreichend mitwirken, kann die Residenzpflicht in der Erstaufnahmeeinrichtung auch über 18 Monate hinaus verlängert werden. Personen, die das Land verlassen müssen, können ohne Gerichtsbeschluss festgenommen werden. Gegen ausreisepflichtige Personen, die einen Termin bei der Botschaft zur Feststellung ihrer Identität nicht wahrnehmen, kann 14 Tage Mitwirkungshaft verhängt werden. Das Gesetz sieht die Inhaftierung von Personen in Abschiebehaft – auch von Familien und Kindern – in regulären Haftanstalten vor. Bei Fluchtgefahr können Flüchtlinge in Sicherungsverwahrung genommen werden. Beamte, die Informationen über eine geplante Abschiebung weitergeben, machen sich strafbar. Rechtsgelehrte betonten, die Regelungen seien rechtlich problematisch, da sowohl das Grundgesetz als auch die EU-Rückführungsrichtlinie hohe Hürden für Abschiebehaft aufstellten. Personen, die in einem anderen EU-Staat als Asylsuchende anerkannt wurden, können laut Gesetz zwei Wochen nach dieser Anerkennung sämtliche Sozialleistungen entzogen werden.
Im Jahr 2020 erließen die Behörden mit 10.800 nur unwesentlich weniger Ausweisungsverfügungen als im Jahr 2019 (11.081). Die meisten Ausweisungen erfolgten bei albanischen (1.006), georgischen (995), serbischen (754) und moldawischen (654) Staatsangehörigen. Im September forderte die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) die Abschaffung dieser Praxis mit der Begründung, dass einige der Ausgewiesenen seit Jahrzehnten in Deutschland lebten.
Beschäftigung: Asylberechtigte hatten uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Asylsuchende, über deren Antrag noch nicht entschieden worden war, durften in den ersten drei Monaten nach Antragstellung in der Regel keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge waren im August 234.756 Flüchtlinge arbeitslos. Bei der Arbeitssuche waren Flüchtlinge und Asylsuchende mit zahlreichen Hürden wie langen Überprüfungszeiten bestehender Qualifikationen, dem Fehlen offizieller Nachweise und begrenzten Deutschkenntnissen konfrontiert.
Bestimmte Gruppen von Asylsuchenden sind qua Gesetz von einzelnen Integrationsmaßnahmen wie Sprachkursen und Beschäftigungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Dazu gehören Asylsuchende aus „sicheren Herkunftsländern“ sowie Asylsuchende, deren Antrag abgelehnt wurde, die nicht in das Land im Gebiet der Dublin-III-Verordnung zurückgeschickt werden können, in das sie zuerst eingereist sind. Asylsuchende oder Personen mit vorübergehendem Schutzstatus, die selbst für Abschiebehindernisse verantwortlich sind, wurde die Arbeitsaufnahme verwehrt. Das Gleiche galt für Asylsuchende aus „sicheren Herkunftsländern“, die ihren Asylantrag nach August 2015 gestellt haben.
Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen: Die Entscheidungsbefugnis darüber, wie Asylsuchende, Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten untergebracht werden und ob sie finanzielle oder andere Unterstützung erhalten, liegt bei den Ländern.
Mehrere Bundesländer gaben Gesundheitskarten an Asylsuchende aus. Mit diesen Versichertenkarten können Asylsuchende ohne vorherige behördliche Genehmigung einen Arzt oder eine Ärztin ihrer Wahl aufsuchen. In anderen Bundesländern erhielten Asylsuchende erst nach 15 Monaten eine Gesundheitskarte und brauchten für Arztbesuche die Genehmigung der lokalen Behörden. Es gab Gemeinden und private Gruppen, die eine zusätzliche medizinische Versorgung anboten.
Nachhaltige Lösungen: Die Regierung nahm insbesondere aus ihrem Heimatland Geflüchtete, die gefährdeten Gruppen angehörten, zur Umsiedlung an und unterstützte ihre Integration (bis zur Einbürgerung). Zu diesen Flüchtlingen gehörten Frauen mit Kindern, Flüchtlinge mit Behinderungen, Opfer von Menschenhandel und Opfer von Folter oder Vergewaltigung. Die Behörden erteilten Langzeitmigranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten, Aufenthaltsgenehmigungen.
Die Regierung half Asylsuchenden, Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten bei der sicheren, freiwilligen Rückkehr in ihre Heimatländer. Im Jahr 2020 unterstützten die Behörden 5.706 Personen mit jeweils 300 bis 500 Euro, um deren freiwillige Rückkehr in ihre Heimatländer zu ermöglichen. Unter den Empfängern waren Personen, deren Asylantrag abgelehnt worden war, und Ausländer ohne gültige Ausweispapiere. Am stärksten wurde das Angebot von Irakerinnen und Irakern genutzt.
Vorübergehender Schutz: Der Staat bietet Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde, zwei Formen des vorübergehenden Schutzes: subsidiären und humanitären Schutz. In der ersten Jahreshälfte gewährten die Behörden 14.565 Personen subsidiären Schutz. Diesen Status erhalten in der Regel Personen, denen weder der Flüchtlingsstatus noch Asyl gewährt werden kann, denen aber in ihrem Heimatland aufgrund von Krieg oder Konflikten ernsthafte Gefahr droht. Im gleichen Zeitraum wurde 3.393 Personen humanitärer Schutz gewährt. Humanitären Schutz erhält, wer die für einen anderen Schutzstatus notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt, aber aus anderen humanitären Gründen nicht in sein Heimatland zurückkehren kann (z. B. wegen einer Krankheit, für die es im Herkunftsland keine Behandlungsmöglichkeit gibt. Beide Arten des vorübergehenden Schutzes werden für ein Jahr gewährt und können verlängert werden. Wer unter subsidiärem oder humanitärem Schutz steht, kann nach fünf Jahren einen unbegrenzten Aufenthaltstitel erhalten, wenn er oder sie nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen ist und über gute Deutschkenntnisse verfügt.
G. STAATENLOSE
Statistiken des UNHCR zufolge lebten Ende 2020 in Deutschland 26.675 Staatenlose. Einige dieser Staatenlosen haben ihre frühere Staatsangehörigkeit mit dem Zerfall der Sowjetunion oder Jugoslawiens verloren, bei anderen handelt es sich um aus dem Libanon oder Syrien stammende Palästinenser.
Die bestehenden Gesetze und Maßnahmen ermöglichen Staatenlosen die Einbürgerung ohne Diskriminierung. Staatenlose können nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Jahren einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Die Vorlage ausreichender Nachweise für die Staatenlosigkeit kann sich jedoch schwierig gestalten, da die Beweislast beim Antragsteller liegt. Im Allgemeinen schützten die Behörden staatenlose Personen vor der Abschiebung in das Land ihrer Herkunft oder ihres gewöhnlichen Aufenthaltes, wenn ihnen dort politische Verfolgung drohte.
Abschnitt 3. Recht auf Teilhabe am politischen Prozess
Das Grundgesetz ermöglicht es deutschen Staatsangehörigen, ihre Regierung in freien, fairen und regelmäßig stattfindenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen zu wählen.
WAHLEN UND POLITISCHE TEILHABE
Letzte Wahlen: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und 45 Abgeordnete aus 25 Ländern beobachteten die Bundestagswahl am 26. September und beurteilten sie als gut organisiert, frei und fair.
Politische Parteien und politische Teilhabe: Die politischen Parteien waren im Berichtszeitraum ohne Einschränkungen oder äußere Einmischung tätig, es sei denn, die Behörden stuften sie als verfassungsfeindlich ein. Wenn die Bundesbehörden eine solche Bedrohung feststellen, können sie beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Parteiverbot beantragen.
Das Gesetz sieht vor, dass jede politische Partei öffentliche Mittel des Bundes entsprechend ihrer Ergebnisse bei Wahlen auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene erhält. Dem Grundgesetz nach haben extremistische und verfassungsfeindliche Parteien aber kein Anrecht auf staatliche Förderung. Im Jahr 2019 reichten Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Ausschluss der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) von der staatlichen Parteienfinanzierung ein, den sie mit den verfassungsfeindlichen Aktivitäten der NPD begründeten. Im Dezember war der Fall noch anhängig.
In Nordrhein-Westfalen nahmen Drohungen gegen Lokalpolitiker drastisch zu. Im Jahr 2020 wurden 160 Straftaten gegen Kommunalpolitiker in NRW erfasst, im Vergleich zu 25 im Jahr 2019 und 43 und 44 in den Jahren 2018 und 2017. Dem nordrhein-westfälischen Innenministerium zufolge handelte es sich dabei größtenteils um Beleidigungen oder Verleumdungen, weniger um körperliche Gewalt.
Am 3. Mai verhaftete das hessische Landeskriminalamt im viel beachteten Fall „NSU 2.0“ den 53-jährigen Berliner Alexander M. wegen des Verdachts, Dutzende Drohbriefe an prominente Abgeordnete, Frauen und Angehörige von Minderheiten verschickt zu haben, die sich gegen Extremismus wenden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war der Verdächtige unter anderem wegen „rechtsextremistisch motivierter Straftaten“ vorbestraft. Unklar blieb, wie Alexander M. an die in den Briefen enthaltenen vertraulichen persönlichen Informationen aus Polizei- und Behördenunterlagen gelangte. Die Ermittlungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft dauern seit Oktober an.
Im Juli 2020 haben die bayerischen Ministerien für Justiz und Inneres gemeinsam ein umfassendes Konzept zum Schutz von Kommunalpolitikerinnen und -politikern vor Hass und Hetze aufgestellt und den ersten Hate-Speech-Beauftragten des Landes sowie Ansprechpartner in allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften ernannt. Im Februar gab der bayerische Justizminister bekannt, dass infolgedessen im Jahr 2020 1.648 Ermittlungen eingeleitet worden waren und es zu 102 Verurteilungen kam. Zahlreiche Ermittlungen wurden im Berichtsjahr fortgesetzt.
Am 30. Juli verurteilte das Oberlandesgericht München die rechtsextreme Heilpraktikerin Susanne G. wegen Bedrohung, Vorbereitung von Gewalttaten und anderer Delikte zu sechs Jahren Haft. Die Extremistin hatte bei ihrer Festnahme im September 2020 Bauteile für einen Sprengsatz in ihrem Besitz und plante Anschläge auf einen Bürgermeister, einen Landrat, einen türkisch-islamischen Gemeindeverband und eine Flüchtlingshilfeorganisation.
Teilhabe von Frauen und Angehörigen von Minderheiten: Die Teilhabe von Frauen und Angehörigen von Minderheiten am politischen Prozess wurde nicht durch Gesetze eingeschränkt, und sie beteiligten sich daran. Transgender beklagten, dass die zeit- und kostenaufwändigen deutschen Gesetze zur Geschlechtsumwandlung ihre Möglichkeiten zur politischen Teilhabe einschränkten (siehe Abschnitt 6, Gewalttaten, Kriminalisierung und andere Übergriffe aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität). Sie wiesen auch darauf hin, dass dieses Erfordernis die Möglichkeiten von transgender Personen einschränkt, in öffentliche Ämter gewählt zu werden, da in offiziellen Wahlunterlagen und auf Stimmzetteln nur die eingetragenen Namen verwendet werden dürfen. Auch Menschen mit Behinderungen waren mit einigen Einschränkungen konfrontiert, obwohl diese reduziert wurden (siehe Abschnitt 6, Menschen mit Behinderungen). Im Bundeskabinett sind acht von 15 Bundesministerinnen und -ministern Frauen, darunter die Bundesaußenministerin, die Bundesverteidigungsministerin und die Bundesinnenministerin. Etwa 35 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind Frauen.
Am 16. Februar beschmierten Unbekannte in Karlsbad (Baden-Württemberg) ein Wahlplakat der SPD-Kandidatin Aisha Fahir mit einem Hakenkreuz. Der Staatsschutz übernahm die Ermittlungen, doch der Fall konnte bisher nicht aufgeklärt werden.
Im März zog der Bundestagskandidat der nordrhein-westfälischen Grünen im Wahlkreis Dinslaken, Tareq Alaows, seine Kandidatur aufgrund massiver Drohungen und rassistischer Anfeindungen im Internet zurück. Alaows kam als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland.
Abschnitt 4. KORRUPTION UND MANGELNDE STAATLICHE TRANSPARENZ
Das Gesetz sieht für Korruption durch Amtsträger Strafen vor, und der Staat setzte dieses Gesetz im Allgemeinen konsequent um. Im Berichtszeitraum gab es vereinzelte Berichte über staatliche Korruption.
Korruption: Im März enthüllte das Magazin Der Spiegel, dass mehrere Mitglieder des Bundestags und das Bayerischen Landtags in einer Hochphase der Corona-Pandemie im Auftrag eines Herstellers von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium des Innern sowie verschiedene bayerische Landesministerien kontaktiert hatten. Einigen wurde vorgeworfen, Provisionen für die Empfehlung bestimmter Hersteller von PSA an Regierungskunden erhalten zu haben oder Ministerien dahingehend beeinflusst zu haben, bei diesen Herstellern zu kaufen. Medienberichten zufolge erhielten die Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU) 660.000 bzw. 250.000 Euro für solche Aktivitäten; Alfred Sauter, CSU-Abgeordneter im Bayerischen Landtag, erhielt 1,2 Millionen Euro. Im Juni veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium eine Liste von 40 Bundestagsabgeordneten, die im Auftrag von PSA-Herstellern Kontakt zum Ministerium aufgenommen hatten. Einige gaben an, keine Provisionen erhalten und im Namen der Wählerinnen und Wähler gehandelt zu haben. Im September dauerten die Ermittlungen wegen Korruption noch an.
Abschnitt 5. Haltung der Regierung zu Untersuchungen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen durch internationale Gremien oder Nichtregierungsorganisationen
Verschiedene nationale und internationale Menschenrechtsgruppen unterlagen im Allgemeinen weder bei ihren Nachforschungen noch bei der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu Menschenrechtsverletzungen staatlichen Einschränkungen. Regierungsvertreter waren kooperativ und ihren Standpunkten gegenüber aufgeschlossen.
Für Menschenrechte zuständige Regierungsinstitutionen: Mehrere staatliche Gremien setzten sich unabhängig und wirksam für den Schutz der Menschenrechte ein. Der Bundestag verfügt über einen Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie über einen Petitionsausschuss. Der Petitionsausschuss befasst sich mit Beschwerden aus der Bevölkerung, auch zu Menschenrechtsfragen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist verantwortlich für die Überwachung der Einhaltung der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen des Landes, zu denen auch Verträge und Konventionen gehören. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist eine halbstaatliche Organisation, die sich mit Diskriminierung befasst und Opfer von Diskriminierung unterstützt. Die Verantwortung für den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen liegt insbesondere beim Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Die Beauftragte für Menschenrechtsfragen im Bundesministerium der Justiz überwacht die Umsetzung von Gerichtsentscheidungen zum Schutz der Menschenrechte.
Abschnitt 6. Diskriminierung und gesellschaftliche Missstände
FRAUEN
Vergewaltigung und häusliche Gewalt: Vergewaltigung ist eine Straftat und umfasst auch die Vergewaltigung von Männern und Frauen in der Ehe. Das Gesetz sieht dafür ein Strafmaß von bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe vor. Des Missbrauchs Beschuldigten kann ohne Gerichtsbeschluss vorübergehend der Zugang zu ihrer Wohnung verwehrt werden, oder es kann eine einstweilige Verfügung gegen sie erwirkt werden. In schweren Fällen von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt können diese Personen wegen Körperverletzung oder Vergewaltigung strafrechtlich verfolgt und zu Schadenersatzzahlungen verurteilt werden. Das Strafmaß hängt von der Schwere der Straftat ab. Der Staat setzte das Gesetz wirksam durch.
Die Bundesregierung, die Bundesländer und Nichtregierungsorganisationen unterstützten zahlreiche Projekte, um geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern und auf sie zu reagieren, dazu gehörte auch, Überlebenden besseren Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtshilfe zu ermöglichen. In Deutschland werden rund 350 Frauenhäuser betrieben.
Die Nichtregierungsorganisation Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) berichtete insbesondere in größeren Städten über eingeschränkte Aufnahmemöglichkeiten, da sich Frauen, die Zuflucht in Frauenhäusern fanden, aufgrund des Mangels an bezahlbarem Wohnraum oft länger dort aufhielten. Der ZIF zufolge waren geflüchtete Frauen besonders stark gefährdet, da Flüchtlinge drei Jahre im gleichen Landkreis leben müssen und viele in Landkreisen oder Städten lebten, in denen es keine Frauenhäuser gab.
Der Verein Frauenhauskoordinierung e.V. beklagte, dass Bewohnerinnen und Personal von Frauenhäusern im Gegensatz zu Obdachlosen- und Flüchtlingsheimen und anderen Gruppenunterkünften laut Bundesimpfverordnung nicht zu den für die Corona-Impfung priorisierten Gruppen gehören, was die Einrichtungen im Falle eines Ausbruchs daran hindern könnte, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Mehrere Nichtregierungsorganisationen brachten ihre Sorge zum Ausdruck, dass der Lockdown wegen COVID-19 Frauen in ihren Möglichkeiten einschränke, häuslicher Gewalt zu entkommen. Die ZIF forderte zusätzliche staatliche Mittel für die Unterbringung von Frauen und Kindern in Hotels, falls sie aufgrund von Quarantänebestimmungen nicht in Frauenhäusern untergebracht werden können.
Weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung (FGM/C): Die Genitalverstümmelung und -beschneidung von Frauen und Mädchen ist ein Straftatbestand, der mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet wird, auch wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Personen die verdächtigt werden, ins Ausland zu reisen, um Mädchen oder Frauen einer Genitalverstümmelung oder -beschneidung zu unterziehen, kann der Pass entzogen werden. Seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2017 wurde von dieser Maßnahme jedoch kein Gebrauch gemacht. Im Berichtsjahr wurde den Angaben zufolge keine Genitalverstümmelung oder -beschneidung bei Frauen vorgenommen. Eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kooperierte im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung mit anderen Bundesbehörden und allen 16 Bundesländern.
Im Juli veröffentlichte das Bundesministerium für Familie und Frauen einen „Schutzbrief“ für Mädchen, die gefährdet sind, Opfer von Genitalverstümmelung zu werden, in dem vor den hohen Strafen gewarnt wird, mit denen weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland geahndet wird. Der Brief sollte bei Auslandsreisen mitgeführt und Verwandten und anderen Menschen gezeigt werden, die Mädchen einer Genitalverstümmelung unterziehen wollen.
Andere schädigende traditionelle Praktiken: „Ehrenmord“ entspricht laut Gesetz dem Tatbestand des Mordes und der Staat setzte das Gesetz effektiv durch. Im Berichtsjahr gab es vereinzelt Meldungen über solche Morde, beispielsweise im Dezember, als die Staatsanwaltschaft in Berlin zwei Männer afghanischer Abstammung wegen Mordes an ihrer 34-jährigen Schwester im Juli anklagte, die sich von ihrem gewalttätigen Ehemann scheiden lassen hatte und eine neue Beziehung eingegangen war. Ein Verhandlungstermin stand zum Jahresende noch nicht fest. Schätzungen der Behörden zufolge werden jedes Jahr zwischen drei und 12 solche Morde verübt; Beobachtende warfen jedoch die Frage auf, wie viele davon tatsächlich „Ehrenmorde“ waren, die von den Medien in der Regel Zuwandernden zugeschrieben werden, und wie viele auf andere Formen häuslicher Gewalt zurückzuführen seien.
Sexuelle Belästigung: Sexuelle Belästigung von Frauen wird als Problem erkannt und ist gesetzlich verboten. Das Strafmaß sieht Geldbußen und Haftstrafen von bis zu fünf Jahren vor. Es gibt unterschiedliche Disziplinarmaßnahmen bei Belästigung am Arbeitsplatz, unter anderem auch die Entlassung. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind per Gesetz verpflichtet, Arbeitnehmende vor sexueller Belästigung zu schützen. Das Versäumnis von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, Maßnahmen zum Schutz der Angestellten vor sexueller Belästigung zu ergreifen, wird rechtlich als Vertragsverletzung eingestuft. Betroffene Arbeitnehmende haben bis zur Beseitigung des Missstands durch den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin das Recht auf bezahlten Urlaub. Gewerkschaften, Kirchen, staatliche Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen boten eine Reihe unterschiedlicher Unterstützungsprogramme für betroffene Frauen an und finanzierten Seminare und Kurse, um sexueller Belästigung vorzubeugen.
Recht auf Fortpflanzung: Es gab keine Berichte über Zwangsabtreibungen oder Sterilisierungen ohne Einwilligung der Betroffenen durch staatliche Stellen.
Es gibt keine rechtlichen, sozialen oder kulturellen Schranken oder staatlichen Maßnahmen, die den Zugang zu Verhütungsmitteln oder ausgebildetem Gesundheitspersonal während Schwangerschaft und Geburt beeinträchtigen. Der Staat ermöglicht den Zugang zu Gesundheitsversorgung in den Bereichen der Sexual- und Fortpflanzungsmedizin für Überlebende sexueller Gewalt, einschließlich Notfallverhütung.
Diskriminierung: Frauen und Männer genießen laut Grundgesetz die gleichen Rechte, unter anderem im Rahmen des Familien-, Arbeits-, Religions-, Personenstands-, Eigentums-, Staatsangehörigkeits- und Erbrechts. Der Staat setzte das Gesetz im Allgemeinen wirksam durch.
STRUKTURELLE RASSISTISCHE ODER ETHNISCHE GEWALT UND DISKRIMINIERUNG
Laut Grundgesetz darf niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“. Das Gesetz verbietet die Diskriminierung durch staatliche Stellen und Privatpersonen oder Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Vermietende und Unternehmen aufgrund von Hautfarbe oder ethnischer Herkunft, aber Berichten zufolge gab es trotz dieser Gesetze Diskriminierung.
In Deutschland ist Volksverhetzung, die Aufstachelung zu Hass gegen ethnische, religiöse oder andere Minderheiten, eine Straftat, und die Behörden verfolgten solche Rechtsverletzungen mit Nachdruck. Zudem werden durch solchen Hass ausgelöste Straftaten auch härter bestraft als ähnliche Straftaten aus anderen Motiven, und Richter verhängten diese Strafen regelmäßig.
Die Bundes- und Landesregierungen haben eine Vielzahl von unterschiedlichen Maßnahmen gegen ethnisch und rassistisch begründete Diskriminierung ergriffen. So unterhielt die Bundesregierung die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), die Beschwerden und Berichte über Diskriminierung entgegennimmt und Opfer berät und unterstützt. In einigen Bundesländern existieren ähnliche Stellen. Beobachtern zufolge war die ADS unterfinanziert und sowohl die Landesdiskrimierungsstellen als auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes waren nicht ausreichend unabhängig. Angehörige von Minderheitengruppen wussten nicht immer von der Existenz dieser Ressourcen.
Die Bundesregierung und die Landesregierungen stellten auch Mittel für zivilgesellschaftliche Organisationen zur Verfügung, die gegen Rassismus und Vorurteile kämpfen. So wurden im Rahmen des Programms der Bundesregierung Demokratie Leben über das Jahr verteilt 150 Millionen Euro an Fördergeldern an Organisationen ausgeschüttet, die Vielfalt fördern und Extremismus bekämpfen.
Das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz beobachteten Gruppen mit rassistischem oder fremdenfeindlichem Gedankengut. Der im Juni veröffentlichte Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz 2020 verzeichnete 22.357 politisch motivierte Straftaten, die von Einzelpersonen mit rechtsextremem Hintergrund begangen wurden, davon 1.023 Gewalttaten. 746 wurden als fremdenfeindlich eingestuft. Dem ADS-Bericht aus dem Jahr 2020 zufolge wurden 2.101 Beschwerden über Rassismus registriert, eine Steigerung von 79 Prozent verglichen mit dem Jahr 2019, und die Stelle erhielt 6.383 Beratungsanfragen von möglichen Opfern von Diskriminierung, während es 2019 3.200 waren. Offiziellen Quellen und zahlreichen Medienberichten zufolge waren häufig asiatisch aussehende Menschen betroffen (s. auch Abschnitt 3, Teilhabe von Frauen und Angehörigen von Minderheiten, Übergriffe bei Wahlkämpfen von Politikern, die Minderheiten angehören).
In einer im November 2020 veröffentlichen Umfrage der Universität Bochum zu Begegnungen mit der Polizei gaben Befragte, die ethnischen Minderheiten angehörten, häufiger an, stichprobenartigen Polizeikontrollen ausgesetzt gewesen zu sein, als weiße Befragte ohne Migrationshintergrund. Befragten, die einer ethnischen Minderheit angehörten und solchen mit Migrationshintergrund wurde häufiger davon abgeraten, Fälle von Polizeigewalt zu melden, und wenn sie versuchten, sie zu melden, wurden sie häufiger abgewiesen als weiße Befragte ohne Migrationshintergrund.
Im Mai startete die Landesregierung NRW eine Kampagne, um mehr Menschen mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst zu gewinnen.
Am 18. August erhob die Staatsanwaltschaft Erfurt wegen schwerer Körperverletzung Anklage gegen neun Männer und eine Frau aus der rechtsextremen Szene, die im thüringischen Erfurt drei Guineer angegriffen hatten. Zwei der Opfer wurden bei dem Angriff im August 2020 verletzt, eines von ihnen schwer. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren gegen sieben weitere Verdächtige aus Mangel an Beweisen eingestellt. Im August war noch kein Verhandlungstermin anberaumt.
Am 9. Juni leitete die Staatsanwaltschaft Frankfurt Ermittlungen gegen 20 Mitglieder des Frankfurter SEK ein, weil sie in einer Chatgruppe rassistische und extremistische Inhalte ausgetauscht hatten. Der hessische Ministerpräsident Peter Beuth löste daraufhin das Frankfurter SEK auf und kündigte am 26. August die landesweite Neuorganisation dieser Einheiten an. Die Ermittlungen gegen die meisten der Beamten liefen am 1. Oktober noch, während die Ermittlungen gegen zwei hochrangige Beamte wegen Strafvereitelung abgeschlossen waren.
Im September 2020 suspendierte das nordrhein-westfälische Innenministerium 29 Polizeibeamte wegen Beteiligung an einer rechtsextremen Chatgruppe, in der sie extremistische Propaganda verbreitet hatten. Im Juli wurde in sechs Fällen Anklage erhoben, in fünf Fällen wegen der Verbreitung von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen und wegen Volksverhetzung; die Vorwürfe könnten zu Geldstrafen führen. In sieben Fällen wurde keine Anklage erhoben, in 14 Fällen dauerten die Ermittlungen an. Im September stellte der Sonderbeauftragte für rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei dem Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen seinen Bericht vor. Obwohl er viele Beispiele für Rechtsextremismus, Rassismus, Sexismus und homophobe Aussagen fand, fand er keine Belege für rechtsextreme Netzwerke bei der Polizei oder für eine Unterwanderung der Polizei durch Rechtsextreme. Der Bericht enthielt eine Liste mit 18 Maßnahmen zur Bekämpfung von Extremismus bei der Polizei.
Menschen ausländischer Herkunft hatten mitunter Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtete von Fällen, in denen Vermietende sich weigerten, nicht deutschstämmigen Personen insbesondere türkischer und afrikanischer Herkunft Wohnungen zu vermieten.
Örtlichen Medien, internen Dokumenten und den Aussagen von Informantinnen und Informanten zufolge diskriminierte das der Stadt Bremen gehörende Wohnungsbauunternehmen Brebau systematisch People of Color, Sinti und Roma sowie Menschen mit bulgarischem und rumänischem Hintergrund. Beschäftigte der Firma Brebau waren angewiesen, im internen IT-System der Firma zu notieren, welcher ethnischen Herkunft Bewerberinnen und Bewerber waren, ob sie beispielsweise ein Kopftuch trugen und in die westliche Gesellschaft „integriert“ seien. Berichten zufolge konnten diese Informationen kurzfristig entfernt und später wieder eingebeben werden, wenn Bewerberinnen und Bewerber ihre Unterlagen einsehen wollten.
Die Diskriminierung von Mitgliedern ethnischer Minderheiten wie Sinti und Roma war nach wie vor im ganzen Land ein Problem.
Im Mai stellte die Unabhängige Kommission Antiziganismus der Regierung ihren Abschlussbericht vor. Der Bericht, der von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden war, kam zu dem Schluss, „Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:ze durchdringt alle gesellschaftlich relevanten Bereiche und ist somit allgegenwärtig“, was ein „massives gesellschaftliches Problem“ darstelle. Er kritisierte deutlich das „anhaltende Scheitern der deutschen Politik, Gesetzgebung sowie der Anwendung derselben“ und beschrieb Diskriminierung in der Kommunalverwaltung, der Strafverfolgung, im Bildungswesen und anderen Bereichen. Der von den Nationalsozialisten an den Roma und Sinti verübte Völkermord hatte eine „tiefe und dauerhafte Wirkung“ und sei nur teilweise aufgearbeitet worden, so der Bericht.
Am 5. August wurde eine Sinti-Familie eines Campingplatzes im hessischen Bad Zwesten verwiesen. Das Familienoberhaupt gab an, man habe ihm gesagt, dass Sinti auf dem Campingplatz nicht willkommen seien. Der Betreiber des Campingplatzes, der Camping Club Kassel (CCK), bestätigte gegenüber lokalen Medien, einer internen Regelung zufolge seien Minderheiten dort nicht zugelassen. Nach Beschwerden entschuldigte sich der CCK schließlich bei der Familie und erklärte, die diskriminierende Regelung sei außer Kraft gesetzt worden.
Am 23. September wurden vier Angeklagte aus Erbach (Baden-Württemberg) wegen Nötigung verurteilt, weil sie 2019 eine brennende Fackel auf einen Wohnwagen geworfen hatten, in dem eine Roma-Familie mit ihrem neun Monate alten Baby schlief. Sie erhielten Jugendstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, und mussten eine KZ-Gedenkstätte besuchen. Das Gericht stellte fest, dass die vier Angeklagten aus rassistischen Gründen gehandelt und gehofft hatten, die Roma aus Erbach vertreiben zu können, ihnen aber keinen Schaden zufügen wollten. Der Zentralrat der deutschen Sinti und Roma begrüßte das Urteil.
KINDER
Geburtsanzeigen: Die deutsche Staatsangehörigkeit wird in der Regel durch die Eltern übertragen. Die Staatsangehörigkeit kann laut Gesetzt durch Geburt in Deutschland erworben werden, wenn ein Elternteil bereits seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt oder seit mindestens drei Jahren eine Daueraufenthaltserlaubnis besitzt. Die Eltern oder der Vormund müssen die Geburt eines neugeborenen Kindes anzeigen. Die Behörden bearbeiten Geburtsanzeigen in der Regel zügig nach ihrem Eingang. Wenn Eltern die Geburt ihres Kindes nicht anzeigen, kann eine Geldbuße verhängt werden. Eine Geburtsurkunde ist für einige staatliche Dienstleistungen, z. B. den Zugang zu Bildung oder Kindertagesbetreuung, erforderlich.
Kindesmisshandlung: Es gibt Gesetze gegen Kindesmisshandlung. Gewalt oder Grausamkeit gegen Minderjährige sowie die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht sind strafbar. Es wurden Fälle von Kindesmissbrauch gemeldet. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend förderte im Berichtszeitraum Maßnahmen zur Prävention von Kindesmisshandlung. Ziel des Ministeriums war es, Eltern, Jugendeinrichtungen, Schulen, Kinderärzte und Gerichte zu vernetzen und bestehende Maßnahmen auf Ebene der Bundesländer und Kommunen zu fördern. Andere Angebote beinhalteten therapeutische Maßnahmen und Unterstützung für erwachsene und jugendliche Opfer sexuellen Missbrauchs.
Kinder-, Früh- und Zwangsehen: Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt 18 Jahre.
Dem Gesetz zufolge sind bestehende, im Ausland geschlossene Ehen, bei denen einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung unter 16 Jahre alt war, auch dann unwirksam, wenn sie nach ausländischem Recht wirksam geschlossen wurden. 16- und 17-Jährige können die Anerkennung ihrer im Ausland geschlossenen Ehe im Einzelfall bei Gericht beantragen, wenn die Nichtanerkennung ihrer Ehe für sie eine schwere Härte bedeuten würde. Zu diesen Fällen gab es keine zentrale Gesamtstatistik. Kinder- und Zwangsehen betreffen hauptsächlich Mädchen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit.
Im Juni startete die Landesregierung NRW eine Aufklärungskampagne gegen Zwangsehen mit dem Titel EXIT.NRW – Schutz vereint – Nordrhein-Westfalen gegen Zwangsheirat.
Sexuelle Ausbeutung von Kindern: Das Gesetz verbietet die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern, den Verkauf, das Angebot oder die Beschaffung von Kindern zur Prostitution sowie Praktiken im Zusammenhang mit Kinderpornografie. Die Behörden setzten das Gesetz durch. Das Mindestalter für Geschlechtsverkehr in beiderseitigem Einvernehmen beträgt 14 Jahre, es sei denn, der ältere Partner ist über 18 Jahre alt und die sexuellen Handlungen finden unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt statt und der jüngere Partner ist unter 16 Jahre alt. Außerdem macht sich eine Person, die älter als 21 Jahre ist und Geschlechtsverkehr mit einem Kind unter 16 Jahren hat dann strafbar, wenn die ältere Person die „fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt“.
Nach der Kriminalstatistik für das Jahr 2020, das letzte, für das Zahlen vorliegen, gab es 2020 14.594 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch, eine Steigerung um 6,8 Prozent im Vergleich zu 2019. Die Zahl der von der Polizei bearbeiteten Fälle von Kinderpornografie stieg 2020 auf 18.761, ein Anstieg um 53 Prozent gegenüber 2019.
Laut Gesetz dürfen verdeckte Ermittler am Computer hergestellte Videos von Kindesmissbrauch verwenden, um sich Zugang zu entsprechenden Internetforen zu verschaffen. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung betreibt das Hilfeportal Sexueller Missbrauch sowie das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch, deren Angebote anonym und kostenlos sind.
Im Januar führte die Polizei mit über 1.000 Beamtinnen und Beamten zwei große, bundesweite Razzien gegen Personen durch, die im Verdacht standen, kinderpornographisches Material zu besitzen oder zu verbreiten, wie zuvor bei einer ähnlichen Reihe von Razzien im September 2020. Die Razzien waren Teil der Ermittlungen, die 2019 mit der Festnahme eines Mannes aus Bergisch-Gladbach wegen schweren Kindesmissbrauch und der Herstellung von Kinderpornographie begonnen hatten. Aus dem Fall entwickelte sich eine großangelegte Untersuchung mit 400 Polizistinnen und Polizisten um ein mindestens 30.000 Verdächtige umfassendes Netzwerk, von denen einige 2020 wegen sexuellen Kindesmissbrauchs und dem Besitz von Kinderpornographie zu mehrjährigen Haftstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wurden. Die Ermittlungen und Gerichtsverfahren dauerten noch an.
Im Juni 2020 deckte die Polizei in Münster (Nordrhein-Westfalen) einen Missbrauchs-Ring auf. Der 27-jährige Hauptverdächtige soll den zehnjährigen Sohn seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht und kinderpornografisches Material vom Missbrauch hergestellt haben, das er im Internet verkaufte. Außerdem soll er seinen Pflegesohn anderen zum Missbrauch angeboten haben. Bis August wurden mehr als 40 Verdächtige ermittelt, von denen etwa 30 bereits in Untersuchungshaft oder Gewahrsam sind. Man geht davon aus, dass 30 Kinder ihre Opfer waren. Im Juli verurteilte ein Gericht in Münster den Hauptverdächtigen zu 14 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung; im Oktober wurde der Komplize des Hauptverdächtigen wegen Beihilfe zur Tat zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Drei weitere Angeklagte erhielten Freiheitsstrafen zwischen 10 und 12 Jahren, ebenfalls mit anschließender Sicherungsverwahrung. Im Oktober wurde die Mutter des Hauptverdächtigen, die als Mittäterin angeklagt war, ebenfalls wegen Beihilfe zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
2019 setzte der Landtag Nordrhein-Westfalen einen Untersuchungsausschuss ein, um mögliche Versäumnisse und Verfehlungen der Landesregierung NRW in einem Fall mehrfacher sexueller Übergriffe auf Kinder auf einem Campingplatz in Lügde aufzuklären. Die Ermittlungen dauerten im Oktober noch an, Verfahrenstermine waren bis zum 17. Dezember festgesetzt.
Vertriebene Kinder: Laut EU-Statistikbehörde Eurostat beantragten 2020 2.230 unbegleitete Minderjährige in Deutschland Asyl, von denen etwa die Hälfte aus drei Ländern kam: Afghanistan, Guinea und Syrien. Das BAMF gewährte unbegleiteten Minderjährigen 2020 in 58,7 Prozent der Fälle eine Form von Asyl – ein massiver Rückgang von 94,5 Prozent im Jahr 2016. Beobachtungen der Nichtregierungsorganisation Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) zufolge könnten einige unbegleitete Minderjährige Opfer von Menschenhandel geworden sein, da die Jugendämter nicht rechtlich dazu verpflichtet sind, sie ausfindig zu machen, wenn sie aus Pflegefamilien verschwinden. Weitere Informationen hierzu finden Sie in den Länderberichten zu Menschenhandel des US-Außenministeriums unter https://www.state.gov/trafficking-in-persons-report/. [Deutschlandteil: https://de.usembassy.gov/de/laenderberichte-zu-menschenhandel-2021/]
Internationale Kindesentführungen: Deutschland ist Mitglied des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung. Den Jahresbericht über internationale Kindesentführung des US-Außenministeriums finden Sie hier: Annual Report on International Parental Child Abduction at https://travel.state.gov/content/travel/en/International-Parental-Child-Abduction/for-providers/legal-reports-and-data/reported-cases.html
ANTISEMITISMUS
Beobachtungen zufolge belief sich die Zahl der Jüdinnen und Juden in Deutschland auf fast 200.000 Menschen; schätzungsweise 90 Prozent von ihnen stammten aus der ehemaligen Sowjetunion. In jüdischen Gemeinden waren rund 107.000 Mitglieder registriert.
Bei öffentlichen Kundgebungen, Sportwettkämpfen und anderen gesellschaftlichen Veranstaltungen, in Schulen, auf der Straße, in einigen Medien und im Internet kam es zu antisemitischen Äußerungen und judenfeindlichem Verhalten, einschließlich körperlicher und verbaler Angriffe. Neben antisemitischen Äußerungen gehörte die Schändung von jüdischen Friedhöfen und Holocaust-Gedenkstätten zu den häufigsten antisemitischen Vorfällen. Die Bundesregierung schrieb die meisten antisemitischen Vorfälle Neonazi- oder anderen rechtsextremistischen Gruppen oder Personen zu; die Vorfälle häuften sich im Laufe des Jahres. Jüdische Organisationen berichteten auch von antisemitischen Haltungen und entsprechenden Verhaltensweisen bei manchen muslimischen Jugendlichen und Linksextremen. Nichtregierungsorganisationen waren sich einig, dass Rechtsextreme für die meisten antisemitischen Vorfälle verantwortlich waren, gaben aber zu bedenken, dass nationale Statistiken viele von Muslimen begangene Taten fälschlicherweise als rechtsextrem einstuften.
2020 meldete das Bundesinnenministerium 2.351 aus antisemitischen Gründen verübte Straftaten, verglichen mit 2.032 antisemitischen Straftaten im Jahr 2019 ein Anstieg um 15,7 Prozent. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte bei der Vorstellung des Jahresberichts des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der Rechtsextremismus sei weiterhin die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Nichtregierungsorganisationen, die sich dem Kampf gegen den Antisemitismus widmen, wiesen darauf hin, dass die Zahl der offiziell registrierten antisemitischen Angriffe irreführend sein könnte, da eine beträchtliche Zahl von Fällen womöglich nicht gemeldet worden sei.
Dem jährlichen Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz zufolge fiel die Zahl antisemitischer Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund von 56 im Jahr 2019 auf 48 im Jahr 2020. Das Bundesamt für Verfassungsschutz registrierte darüber hinaus 31 antisemitische Vorfälle, die religiös-ideologisch motiviert waren, darunter ein gewalttätiger Vorfall, und 36 weitere wurden Personen mit ausländisch-ideologischem Gedankengut zugeschrieben. Bundesanwälte erhoben Anklage gegen Verdächtige und hielten die dauerhaften Sicherheitsvorkehrungen im Umfeld zahlreicher Synagogen aufrecht.
In den 12 Monaten bis zum 17. März registrierte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus bei 324 verschiedenen Demonstrationen gegen Einschränkungen zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 gewaltfreie antisemitische Vorfälle. Unter den Vorfällen waren positive Vergleiche mit dem Nationalsozialismus, beispielsweise antisemitische Verschwörungsmythen, darunter auch die Behauptung, dass Juden für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich seien.
Im Mai meldete die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern für das Jahr 2020 239 antisemitische Vorfälle, 55 mehr als im Vorjahr. Darunter waren ein gewalttätiger Angriff, 10 Bedrohungen, 13 Fälle von Sachbeschädigung, 27 antisemitische Massenzuschriften sowie 188 Fälle verletzenden Verhaltens. Zwei Wochen später verabschiedete der bayerische Landtag eine Resolution gegen Antisemitismus. Die Resolution fordert eine bessere Überwachung und Überprüfung möglicher Bedrohungen sowie den physischen Schutz jüdischer Einrichtungen und Synagogen.
Im Dezember 2020 verurteilte ein Gericht Stephan Balliet, den bewaffneten Mann, der an Jom Kippur einen Anschlag auf eine Synagoge in Halle verübt und zwei Menschen getötet hatte, zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung wegen Mordes, versuchten Mordes und Volksverhetzung. Das Gericht in Sachsen-Anhalt begründete die Höchststrafe mit der fehlenden Reue des Angeklagten und seinem ausdrücklichen Wunsch, erneut eine Straftat zu begehen. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland begrüßte das Urteil als klare Verurteilung des Antisemitismus. Balliet hatte vor Gericht angegeben, aus einer fremdenfeindlichen und antisemitischen Gesinnung heraus gehandelt zu haben, antisemitische Verschwörungsmythen geäußert und muslimische Flüchtlinge im Land als „Eroberer“ bezeichnet.
Im Mai verbrannten Demonstrierende vor Synagogen in Münster und Bonn israelische Flaggen. Die Synagoge in Münster wurde nicht beschädigt; wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht wurde Anklage gegen 13 Männer erhoben. In Bonn warfen Personen Steine auf die Haupteingangstür der Synagoge; es wurde Anklage gegen drei Verdächtige erhoben.
Ebenfalls im Mai stoppte eine Polizeikette eine nicht angemeldete israelfeindliche Demonstration an der Synagoge Gelsenkirchen mit rund 180 Teilnehmenden, die palästinensische, türkische und tunesische Flaggen schwenkten. Auf einer Videoaufzeichnung der Demonstration sind antisemitische Parolen wie „Juden raus“ zu hören. Die Polizei nahm einen 26-jährigen Deutsch-Libanesen fest; die Ermittlungen dauerten im Dezember noch an.
Am 15. Mai beteiligten sich 3.500 Menschen an einer antisemitischen Demonstration in Berlin-Neukölln. Die Demonstrierenden skandierten antisemitische Parolen und trugen Plakate, auf denen Israel mit den Nationalsozialisten gleichgesetzt wurde. Medienberichten zufolge hatten sich an der Demonstration auch Mitglieder extremistischer türkischer Organisationen wie der Grauen Wölfe, Mitglieder linksextremistischer Gruppen sowie Familien beteiligt. Nachdem die Polizei versucht hatte, die Demonstration wegen Verstößen gegen die Corona-Bestimmungen aufzulösen, waren einige Demonstrantinnen und Demonstranten gewalttätig geworden und hatten Flaschen, Steine und brennende Objekte auf die Polizei und Journalistinnen und Journalisten geworfen, die von der Demonstration berichteten. Der Polizei gelang es erst nach mehreren Stunden, die Ordnung wiederherzustellen. Bei den Zwischenfällen wurden 93 Polizeibeamtinnen und -beamte verletzt und 59 Personen wegen Körperverletzung, Angriffen auf die Polizei und anderer Verstöße festgenommen. Im Dezember waren die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Am gleichen Tag beschädigten, ebenfalls in Berlin, Unbekannte den Gedenkstein für die zerstörte Synagoge in Hohenschönhausen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller verurteilte diesen Akt als „inakzeptabel“.
Am 5. Juni versuchte ein 45-jähriger Mann, eine Ulmer Synagoge in Brand zu setzen, und verursachte einen geringfügigen Schaden an dem Gebäude. Der Tatverdächtige, ein türkischer Staatsbürger, floh nach der Tat in die Türkei. Behörden in Baden-Württemberg zufolge lehnte die türkische Regierung seine Auslieferung ab. Nach dem Anschlag verabschiedete der Landtag Baden-Württemberg eine Resolution zur Verurteilung von Antisemitismus.
Im August wurde ein 18-jähriger Jude, der eine Kippa trug, in einem öffentlichen Park in Köln von einer Gruppe junger Leute beleidigt und zusammengeschlagen. Das Opfer wurde mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei konnte zwei der Angreifer mittels Videoaufzeichnungen identifizieren und festnehmen. Die Polizei ging von antisemitischen Beweggründen aus, aber im Dezember waren die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.
Im September wurde eine Polizistin in Halle vom Dienst suspendiert, weil sie wiederholt mit Stephan Balliet korrespondiert hatte, der an Jom Kippur 2019 den Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt hatte. Die Beamte hatte Balliet unter Verwendung eines Pseudonyms und einer falschen Adresse mindestens zehn Briefe geschrieben. Zeugenaussagen zufolge soll sie Verständnis für den Angreifer geäußert und dessen Taten in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen verharmlost haben.
Am 18. September wurde ein 60-jähriger jüdischer Mann nach einem Angriff in Hamburg mit schweren Verletzungen, die ihn möglicherweise lebenslang beeinträchtigen werden, in ein Krankenhaus eingeliefert. Nach Angaben des Hamburger Antisemitismusbeauftragten Stefan Hensel sollen der Täter und seine Begleiter bei einer Mahnwache für Israel in der Hamburger Innenstadt free Palestine und fuck Israel gerufen haben. Als Teilnehmende der Mahnwache sie aufforderten, dies zu unterlassen, schlug der Angreifer dem jüdischen Mann ins Gesicht und brach ihm Nase und Jochbein. Die Hamburger Polizei fahndete nach dem unbekannten Angreifer. Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank verurteilte den Anschlag scharf.
Am 8. Oktober wurde ein Neonazi und Holocaustleugner aus Oberhausen in Nordrhein-Westfalen im ehemaligen Grab des jüdischen Musikwissenschaftlers Max Friedländer (1852 – 1934) auf dem größten evangelischen Friedhof Deutschlands in Stahnsdorf bei Berlin beigesetzt. An der Beerdigung, bei der Friedländers Grabstein mit einem schwarzen Tuch mit dem Bibelvers „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ verdeckt wurde, nahmen Medienberichten zufolge prominente Neonazis und Reichsbürger teil. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg prüft die Genehmigung des Antrags für diese Grabstelle sowie mögliche Konsequenzen des Vorfalls. Auch die Polizei ermittelte.
Am 23. August ernannte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl die ersten beiden deutschen Polizeirabbiner, Moshe Flomenmann aus Lörrach und Shneur Trebnik aus Ulm, offiziell zu Beratern und Ansprechpartnern für Polizeibeamtinnen und -beamte, Auszubildende sowie Gemeindemitglieder.
Im Laufe des Jahres wurde Antisemitismus von zahlreichen prominenten Regierungsvertreterinnen und -vertretern wiederholt verurteilt, unter anderem auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundesaußenminister Heiko Maas. 2018 schuf die Bundesregierung das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Seitdem wurden in 15 von 16 Bundesländern Länderbeauftragte für den Kampf gegen Antisemitismus eingesetzt. In Bremen, dem einzigen Bundesland, das keinen Beauftragten eingesetzt hat, teilte die Jüdische Gemeinde der Landesregierung mit, dass die Einführung eines solchen Amtes nicht erforderlich sei und sie alternative Instrumente zur Bekämpfung des Antisemitismus für effizienter halte. Die Aufgabenbereiche sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich, beinhalten aber Treffen mit der jüdischen Gemeinde, die Erstellung von Statistiken zu antisemitischen Vorfällen sowie die Erarbeitung von Aufklärungs- und Präventionsprogrammen. Die Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und dem Schutz jüdischen Lebens, der alle Beauftragten angehören, trifft sich zweimal im Jahr, um sich über Strategien abzustimmen.
Im April richtete Hamburg eine öffentlich finanzierte unabhängige Meldestelle für Antisemitismus und andere rassistische Vorfälle ein.
Im August richtete die Landesregierung NRW eine Meldestelle für antisemitische Übergriffe ein, die nicht zu einer Strafanzeige führen. Die Stelle wurde vorübergehend vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden Nordrhein-Westfalen verwaltet, bis eine neue Organisation gegründet werden konnte.
MENSCHENHANDEL
Mehr hierzu finden Sie im Menschenhandelsbericht des US-Außenministeriums: https://www.state.gov/trafficking-in-persons-report/ [Deutschlandteil hier.]
MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN
Bundes- und Landesgesetze verpflichten die Behörden, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, öffentliche Dienstleistungen und Verkehr gleichberechtigt behandelt werden und gleichberechtigten Zugang dazu haben. Diese Maßnahmen umfassen die Beseitigung physischer Barrieren in Gebäuden und Verkehrsmitteln, Kommunikationshilfen, die Beseitigung von Hindernissen bei der Beantragung von und beim Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, die Bereitstellung öffentlicher Informationen in zugänglichen Formaten und die Gewährleistung der politischen Teilhabe. Diese Vorgaben wurden nicht immer umgesetzt. So waren beispielsweise die meisten Arztpraxen, die sich häufig in älteren Gebäuden befinden, für Menschen mit Behinderungen nicht zugänglich, und es gab zu wenig medizinische Einrichtungen, die die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen berücksichtigten. Informationen und Mitteilungen des Staates wurden nicht immer in zugänglichen Formaten bereitgestellt, insbesondere auf kommunaler Ebene.
Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist gesetzlich verboten. Personen mit sensorischen oder intellektuellen Beeinträchtigungen werden im Gesetz nicht ausdrücklich genannt, da ihre Rechte als den anderen Rubriken zugehörig angesehen werden. Nichtregierungsorganisationen waren sich nicht einig darüber, ob die Behörden diese Gesetze wirksam durchsetzten.
Auch bei der Arbeits- und Wohnungssuche stießen Menschen mit Behinderungen auf Hindernisse. Obwohl Diskriminierung aufgrund einer Behinderung gesetzeswidrig ist, war die Arbeitslosenquote unter Personen mit Behinderungen im arbeitsfähigen Alter viel höher als in der Allgemeinbevölkerung. Es gab nicht genügend geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen, und obwohl private Unternehmen verpflichtet sind, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, zogen es viele vor, stattdessen eine Geldstrafe zu zahlen. Außerdem fehlte es an erschwinglichen, zugänglichen und barrierefreien Wohnungen für Menschen mit Behinderungen, und ältere Wohn- und Geschäftsgebäude in Privatbesitz waren häufig von den Vorschriften für die Barrierefreiheit ausgenommen.
Schätzungsweise 1,3 Millionen Erwachsene im Land standen unter Vormundschaft, viele von ihnen mit einer Behinderung, und ihre Rechte waren durch die Vormundschaftsgesetze in unterschiedlichem Ausmaß eingeschränkt. Im Jahr 2021 durften 85.000 Menschen mit Behinderungen, die unter Vormundschaft standen, erstmals an den Bundestagswahlen teilnehmen, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2019 das Wahlverbot für Menschen mit Behinderungen für verfassungswidrig erklärt hatte. Um unter Vormundschaft stehenden Menschen mehr Entscheidungsgewalt über ihr Leben zu geben, hat die Regierung das Betreuungsrecht im März mit Wirkung ab 2023 umfassend reformiert. Aus Sicht von Nichtregierungsorganisationen wie dem Institut für Menschenrechte gingen die Reformen nicht weit genug, da sie in einigen Fällen beispielsweise weiterhin unfreiwillige medizinische Behandlungen oder Sterilisationen zuließen.
Die Entscheidung, ob Kinder mit Behinderungen am Regelunterricht teilnehmen dürfen oder eine Förderschule besuchen müssen, oblag den Bundesländern. Die Schulpflicht ist gesetzlich geregelt, sie gilt für Kinder mit Behinderungen ebenso wie für Kinder ohne Behinderungen. Etwa 43 Prozent der Kinder mit Behinderungen besuchten öffentliche Regelschulen, der Rest besuchte Förderschulen, wobei das Maß der Inklusion von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich war. Etwas mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen, die Regelschulen besuchten, machten ihren Sekundarschulabschluss, während nur etwas mehr als ein Viertel der Kinder auf Förderschulen das schaffte.
Der ADS zufolge fühlten sich viele Menschen mit Behinderungen von den Corona-Maßnahmen überdurchschnittlich beeinträchtigt, insbesondere von der Maskenpflicht, und wurden als Coronaleugner stigmatisiert, wenn sie ihre Probleme erläuterten. Die Zahl der von der ADS registrierten Beschwerden von Menschen mit Behinderungen verdreifachte sich 2020 auf 2.631 Fälle, das sind 41 Prozent der insgesamt eingegangenen Beschwerden; der ADS zufolge müsse während der Corona-Pandemie mehr für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen getan werden, beispielsweise durch mehr Einkaufsmöglichkeiten im Freien oder Liefermöglichkeiten.
Im März verurteilte ein Leipziger Gericht einen Fahrer des Deutschen Roten Kreuzes wegen Vergewaltigung, sexuellen Missbrauchs und sexueller Belästigung mehrere Kinder und junger Erwachsener mit Behinderungen, die er in die Schule und zu Betreuungseinrichtungen fuhr. Das Gericht verurteilte ihn zu einer vierjährigen Haftstrafe.
Die Polizei in Würzburg nahm im März einen Logopäden fest, weil er Kinder mit Behinderungen, die bei ihm in Behandlung waren, sexuell missbraucht haben sollte; ein Gericht verurteilte ihn im Mai wegen schweren sexuellen Missbrauchs zu einer Haftstrafe von 11 Jahren.
Im April nahm die Polizei in Potsdam eine Pflegerin einer Betreuungseinrichtung für Menschen mit Behinderungen fest, die drei der Bewohnerinnen und Bewohner getötet und im gleichen Monat eine vierte Bewohnerin verletzt haben sollte. Das Verfahren dauerte im November noch an.
HIV UND AIDS ALS SOZIALES STIGMA
Die Nichtregierungsorganisationen Deutsche AIDS-Stiftung und Deutsche Aidshilfe gaben an, dass die gesellschaftliche Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids von der Isolierung und negativen Äußerungen durch Bekannte, Familienmitglieder und Freunde bis hin zu Mobbing am Arbeitsplatz reichte.
Im September veröffentlichte die Nichtregierungsorganisation Deutsche Aidshilfe eine Umfrage, die zeigte, dass 56 Prozent der HIV-Positiven im Jahr 2020 wegen ihrer HIV-Infektion diskriminiert worden waren, wobei 16 Prozent von ihnen eine Zahnbehandlung verweigert worden war und 8 Prozent ähnliche Diskriminierung in anderen Teilen der Gesundheitsversorgung erlebt hatten. Die Befragten gaben an, die Auswirkungen der Diskriminierung seien schlimmer als die HIV-Infektion an sich.
GEWALTTATEN, KRIMINALISIERUNG UND ANDERE ÜBERGRIFFE AUFGRUND DER SEXUELLEN ORIENTIERUNG ODER GESCHLECHTSIDENTITÄT
Lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere und intersexuelle Aktivistinnen und Aktivisten und die LGBTQI+-Gemeinschaft beklagten gewalttätige Angriffe und eine immer feindseligere Atmosphäre gegenüber Angehörigen der LGBTQI+-Gemeinschaft im ganzen Land, die sich häufig gegen transgender Personen richtete. Der offiziellen Kriminalstatistik zufolge wurden bundesweit 782 Hassverbrechen gegen LGBTQI+-Personen verübt, davon 154 Gewalttaten (144 Körperverletzungen). Aktivisten aus der Gemeinschaft gehen von einer hohen Dunkelziffer aus und zählten 2020 in Deutschland drei LGBTQI+-feindlich motivierte Tötungen. Der Berliner Nichtregierungsorganisation Maneo zufolge wurden 2020 allein in Berlin 510 feindliche Übergriffe verübt, von denen 119 Körperverletzung oder versuchte Körperverletzung beinhalteten.
Am 16. März erhob die Frankfurter Staatsanwaltschaft den Vorwurf der schweren Körperverletzung gegen drei Personen im Alter von 16, 17 und 18 Jahren, die im November 2020 in Frankfurt einen 20-jährigen aus der LGBTQI+-Gemeinschaft angegriffen hatten, nachdem dieser in einem YouTube-Video über queere Themen und die Feindseligkeit gegenüber der LGBTQI+-Gemeinschaft gesprochen hatte. Es wurde erwartet, dass sie dem Jugendrichter vorgeführt werden.
Am 20. März griff ein unbekannter Mann eine transgender Frau in Frankfurt an, indem er sie verbal beleidigte und ihr mehrfach ins Gesicht schlug. Sie wurde leicht verletzt in ein Krankenhaus gebracht. Nach dem Angriff lobte Julia Monro, Aktivistin für die Rechte von transgender Personen, die Frankfurter Polizei für ihre Kommunikationsweise und insbesondere dafür, dass sie Transphobie als Motiv für den Angriff genannt hatte.
Am 21. Mai verurteilte das Oberlandesgericht Dresden einen 20-jährigen Geflüchteten aus Syrien und bekannten Islamisten zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt, weil dieser in Dresden ein homosexuelles Paar mit einem Messer attackiert und einen der beiden Partner tödlich verletzt hatte. Das sächsische Staatsministerium des Innern und die sächsische Staatsanwaltschaft schlossen Homophobie als Tatmotiv aus und gingen stattdessen von einem radikal-islamischen Hintergrund für das Verbrechen aus. LGBTQI-Verbände verurteilten dies als „inakzeptabel“ und „verstörend“.
Am 24. Juni, dem Tag, an dem in Berlin der Christopher Street Day stattfand, griff eine Gruppe Unbekannter einen Teilnehmer der Demonstration von hinten an und schlug ihm anschließend ins Gesicht. Der Mann musste sich in medizinische Behandlung begeben. Zuvor hatten am gleichen Abend mehrere Menschen drei weitere Demonstrierende in einem Berliner Park getreten und sie lautstark LGBTQI+-feindlich beleidigt. Die drei Opfer wurden leicht verletzt. Die Polizei nahm drei Verdächtige fest. Am Nachmittag davor wurde in der U-Bahn ein homosexuelles Paar von einem 18-jährigen Mann angegriffen, außerdem wurde die Gedenktafel der Stadt für die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung mutwillig beschädigt.
Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Das Anbieten, Bewerben oder Arrangieren von Behandlungen zur Umwandlung minderjähriger Homosexueller oder transgender Personen durch eine sogenannte Konversionstherapie kann laut Gesetz mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Strafen können auch dann ausgesprochen werden, wenn Volljährige einer solchen „Therapie“ unter Zwang zugestimmt haben.
LGBTQI+-Aktivistinnen und -Aktivisten kritisierten die gesetzliche Anforderung an Transgender, zwei unabhängige Gutachten beizubringen, damit ihr Geschlecht rechtskräftig anerkannt und ihr Name legal geändert werden kann, als teuer, zeitaufwändig und subjektiv sowie als Eingriff in die Privatsphäre.
Im Juli verhängte das Amtsgericht Köln wegen Volksverhetzung Strafbefehl gegen einen polnischen Theologieprofessor und Priester, der in einem Beitrag in einer Kirchenzeitschrift vom Januar Homosexuelle in der römisch-katholischen Kirche als „Krebsgeschwür“ und „Parasiten“ bezeichnet hatte. Auch gegen die Zeitschrift wurde ein Bußgeld verhängt; beide Angeklagten gingen gegen die Entscheidung in Berufung.
Ein Professor, der zuvor wegen Diffamierung von LGBTQI+-Personen verurteilt worden war, gewann am 2. März sein Berufungsverfahren. Im August 2020 hatte das Kasseler Amtsgericht Ulrich Kutschera, Biologieprofessor an der Universität Kassel, wegen Diffamierung zu einer Geldstrafe verurteilt. In einem Interview im Jahr 2017 hatte Kutschera behauptet, dass gleichgeschlechtliche Eltern ihre Kinder wahrscheinlicher sexuell missbrauchen würden als andere und gleichgeschlechtliche Paare als „asexuelle Erotik-Duos ohne Reproduktionspotenzial“ bezeichnet. Kutschera ging gegen das Urteil in Berufung und das Kasseler Landgericht hob das Urteil des Amtsgerichts mit der Begründung auf, seine Äußerungen unterlägen der vom Grundgesetz geschützten freien Meinungsäußerung.
ANDERE FÄLLE VON GEWALT ODER DISKRIMINIERUNG IN DER GESELLSCHAFT
Zwischen Januar und März verübten Unbekannte drei Anschläge auf eine Frankfurter Moschee. Die Tür der Moschee wurde zweimal mit Hakenkreuzen beschmiert, einmal verschaffte sich ein Täter Zugang zur Moschee und verwüstete sie.
Im April zerschlug ein Unbekannter die Fensterscheiben des Gebetsraumes einer Moschee in Hildesheim und verschaffte sich Zugang zum Hof der Moschee, bevor er flüchtete. Die Polizei nahm einen 20-jährigen Verdächtigen fest.
Im September warfen Unbekannte Steine durch sechs Fenster eines von der Polizei als „muslimische Einrichtung“ bezeichneten Gebäudes in Zwickau ein. In Medienberichten wurde das Gebäude, das bereits in der Vergangenheit Ziel von Anschlägen geworden war, als Moschee bezeichnet. Am Jahresende hatte die Polizei noch keinen Verdächtigen gefasst.
Medienberichten zufolge waren Frauen mit Hidschab auf der Suche nach Arbeit Diskriminierung ausgesetzt. Diese Diskriminierung wurde durch die gängige Praxis, einer Bewerbung ein Foto beizufügen, weiter befördert. Einem Bericht des ZDF aus dem Monat März zufolge musste eine Bewerberin mit Kopftuch 450 Bewerbungen schreiben, bis sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.
Abschnitt 7. Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
A. VEREINIGUNGSFREIHEIT UND TARIFVERHANDLUNGEN
Grundgesetz, Bundesgesetze und Verordnungen gewährleisten das Recht von Arbeitnehmern, unabhängige Gewerkschaften zu gründen und diesen beizutreten sowie Tarifverhandlungen und rechtmäßige Streiks durchzuführen. Wilde Streiks sind nicht erlaubt. Die Diskriminierung von Gewerkschaftsmitgliedern ist laut Gesetz verboten, und es gibt Rechtsbehelfe, um Schadensersatz geltend zu machen, unter anderem zur Wiedereinstellung unrechtmäßig entlassener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Einige Gesetze und Verordnungen schränken diese Arbeitnehmerrechte ein. Beamten steht es frei, Gewerkschaften zu gründen oder sich ihnen anzuschließen. Ihre Gehälter und Arbeitsbedingungen werden jedoch per Gesetz und nicht durch Tarifverhandlungen geregelt. Alle Beamten (unter anderem auch einige Lehrer und Mitarbeiter von Post, Bahn und Polizei) sowie Angehörige der Streitkräfte sind vom Streikrecht ausgenommen.
Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern steht es im Allgemeinen frei zu entscheiden, ob sie einen Tarifvertrag abschließen wollen. Auch wenn sie sich dagegen entscheiden, sind Unternehmen zur Anwendung von Tarifvertragsbestimmungen verpflichtet, wenn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Tarifvertrag für den gesamten Sektor für allgemein verbindlich erklärt. Auch rechtlich nicht an einen Tarifvertrag gebundene Arbeitgeber orientierten sich bei der Festlegung aller oder eines Teils der Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten häufig an Tarifverträgen. Die Verhältnismäßigkeit eines Streiks sowie das Recht einer Gewerkschaft, Streikmaßnahmen zu ergreifen, kann vom Arbeitgeber vor Gericht angefochten werden. Es gibt für Streiks keine klaren gesetzlichen Regelungen; die Gerichte berufen sich hier häufig auf die Rechtsprechung und Präzedenzfälle.
Der Staat setzte die vorhandenen Gesetze wirksam durch. Maßnahmen von Arbeitgebern, die die Vereinigungsfreiheit oder das Recht auf Tarifverhandlungen einschränken oder dagegen verstoßen, werden als unrechtmäßig betrachtet und mit Geldstrafen geahndet. Die Strafen und Maßnahmen zur Abhilfe entsprachen denen aus vergleichbaren Gesetzen, in denen es um die Verweigerung von Grundrechten geht.
Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsräten (der gewählten Arbeitnehmervertretung der Betriebe) ist gesetzlich geregelt. Darunter fällt auch das Recht der Arbeitnehmer, in betriebliche Maßnahmen des Unternehmens, die sie betreffen könnten, eingebunden zu werden. Die Betriebsräte sind von den Gewerkschaften unabhängig, haben aber häufig enge Verbindungen zur Arbeiterbewegung der jeweiligen Branche. Eine Einmischung des Arbeitgebers in die Betriebsratswahlen oder die Tätigkeit des Betriebsrats wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet. Arbeitnehmerorganisationen beklagten, dass eine beträchtliche Zahl von Arbeitgebern Einfluss auf die Wahl von Mitgliedern des Betriebsrates genommen oder versucht habe, Beschäftigte von der Bildung eines Betriebsrates abzuhalten. Gewerkschaften kritisieren dieses Vorgehen schon lange. Sie fordern strengere Gesetze zum Schutz der Beschäftigten, die ihre gesetzlich verankerten Rechte ausüben wollen.
Zwischen dem 10. August und dem 9. September rief die Gewerkschaft der Lokführer GDL während der Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn (DB) dreimal zum Streik auf. Die Deutsche Bahn reichte gegen den dritten und letzten Streik einen Eilantrag bei einem Arbeitsgericht ein. Das Arbeitsgericht Frankfurt lehnte den Antrag der Bahn ab und hielt damit das Streikrecht der GDL aufrecht.
VERBOT VON ZWANGS- ODER PFLICHTARBEIT
Das Grundgesetz und das Bundesrecht verbieten alle Formen der Zwangs- und Pflichtarbeit. Das Strafmaß für Zwangsarbeit reicht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe und entspricht in der Regel den Strafen, die für andere schwere Delikte verhängt werden. Die Behörden setzten die Gesetze effektiv durch, wenn Verstöße festgestellt wurden, allerdings bezweifelten Nichtregierungsorganisationen, dass ausreichend Ressourcen für Ermittlungen und die strafrechtliche Verfolgung der Straftaten zur Verfügung standen. Einige Menschenhändler wurden zu geringfügigen oder zur Bewährung ausgesetzten Strafen verurteilt, was die abschreckende Wirkung und die Bemühungen untergrub, Menschenhändler zur Rechenschaft zu ziehen, aber das Strafmaß entsprach im Allgemeinen der in Deutschland üblichen Praxis.
Es gab Berichte über Zwangsarbeit von Erwachsenen, hauptsächlich im Baugewerbe und in der Gastronomie. Darüber hinaus wurden auch Fälle aus Privathaushalten und Industriebetrieben gemeldet. 2020 schloss die Polizei 22 Ermittlungsverfahren (57 Prozent mehr als im Jahr 2019) in Fällen von Menschenhandel zum Zwecke der Zwangsarbeit ab. In diesem Zusammenhang wurden 73 Opfer erfasst, die zu beinahe einem Drittel (21) aus Rumänien stammten.
Im Januar kündigte das Bundeskriminalamt europaweite Anstrengungen gegen vietnamesische Schleppernetzwerke an. Seitdem haben Behörden des Bundes und der Länder mindestens sechs Einsätze durchgeführt, darunter auch ein internationaler Einsatz in Zusammenarbeit mit slowakischen Behörden. Vom 31. Mai bis 6. Juni führte die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung (FKS) in Erfurt gemeinsame Ermittlungen mit Polizeikräften der Länder, des Bundes sowie von Europol durch. Die FKS ermittelte gegen 125 Verdächtige und 41 Unternehmen wegen Menschenschmuggel und Arbeitsausbeutung vietnamesischer Staatsangehöriger. Es wurden mindestens drei Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus identifiziert, von denen eine keine Gehaltszahlungen erhielt. Am 28. Juni führten mehr als 100 Polizistinnen und Polizisten wegen des Verdachts des Menschenhandels eine Razzia bei einem Berliner Bauunternehmen durch und fanden 10 vietnamesische Staatsangehörige vor, die ohne legalen Aufenthaltsstatus arbeiteten. Die Polizei stellte mindestens 13 potenziellen Opfern sogenannte Anlaufbescheinigungen aus, die es ihnen ermöglichen, legalen Wohnraum zu erhalten, Asyl zu beantragen und Zuschüsse zu bekommen.
Den Bericht über Menschenhandel des US-Außenministeriums finden Sie unter https://www.state.gov/trafficking-in-persons-report/ [Deutschlandteil hier.]
C. VERBOT VON KINDERARBEIT UND MINDESTALTER FÜR BESCHÄFTIGUNG
Laut Gesetz sind die schwerwiegendsten Formen der Kinderarbeit verboten. Das Gesetz sieht ein Mindestalter für Beschäftigung, Beschränkungen der Arbeitszeiten, Sicherheit am Arbeitsplatz und Gesundheitsauflagen für Kinder vor. Es verbietet die Erwerbstätigkeit von Kindern unter 15 Jahren, mit einigen Ausnahmen: 13- und 14-Jährige dürfen bis zu drei Stunden täglich in landwirtschaftlichen Familienbetrieben arbeiten und bis zu zwei Stunden täglich Zeitschriften oder Prospekte austragen oder andere Dienstleistungen übernehmen, beispielsweise mit Erlaubnis des oder der Erziehungsberechtigten Kinder hüten oder Hunde ausführen. Kinder unter 15 Jahren dürfen während der Schulzeit, vor acht Uhr oder nach 18 Uhr sowie an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen nicht arbeiten. Die Arbeit darf kein Risiko für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Entwicklung des Kindes darstellen und darf das Kind nicht von der Schule oder der Ausbildung abhalten. Kinder dürfen nicht mit gefährlichen Materialien arbeiten, nichts tragen oder handhaben, das mehr als zehn Kilogramm wiegt, und keine Arbeiten verrichten, die eine ungeeignete Körperhaltung erfordern oder sie erhöhter Unfallgefahr aussetzen. Kinder zwischen drei und 14 Jahren dürfen bei Kulturveranstaltungen auftreten, allerdings unter strengen Auflagen bezüglich der Art der Aktivität, der Stundenzahl und der Tageszeit.
Die Behörden setzten die betreffenden Gesetze effektiv durch und die Strafen entsprachen denen für andere schwere Delikte. Es gab vereinzelt Fälle von Kinderarbeit in kleinen Familienunternehmen wie Cafés, Restaurants, landwirtschaftlichen Familienbetrieben und Lebensmittelgeschäften. Kontrollen der regionalen Aufsichtsbehörden sowie die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Rechtsbehelfe waren angemessen, um die weitgehende Einhaltung des Gesetzes sicherzustellen.
D. DISKRIMINIERUNG IN BEZUG AUF BESCHÄFTIGUNG UND BERUF
Das Gesetz schützt vor Benachteiligung in allen Bereichen des Arbeitslebens, von der Einstellung über Selbstständigkeit und Beförderung bis hin zum beruflichen Aufstieg. Herkunft und Staatsangehörigkeit werden im Gesetz zwar nicht explizit als Diskriminierungsgründe aufgeführt, aber Opfer dieser Art von Benachteiligung haben andere Möglichkeiten, rechtliche Ansprüche geltend zu machen. Das Gesetz verpflichtet Arbeitgeber dazu, Beschäftigte vor Diskriminierung am Arbeitsplatz zu schützen.
Die Behörden setzten diese Gesetze und Vorschriften das ganze Jahr wirksam durch. Beschäftigte, die meinen, Opfer von Diskriminierung geworden zu sein, haben das Recht, offiziell Beschwerde einzulegen und angehört zu werden. Sollte ein Arbeitgeber es versäumen, seine Beschäftigten wirksam zu schützen, sind diese berechtigt, sich diskriminierenden Situationen und Orten zu entziehen, ohne ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder ihr Arbeitsentgelt einzubüßen/ohne ihren Arbeitsplatz oder ihr Arbeitsentgelt zu verlieren. Bei Verstößen gegen das Gleichbehandlungsgesetz können Opfer von Diskriminierung auf Unterlassung klagen und haben Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung sowie auf materiellen und immateriellen Schadensersatz, der per Gerichtsbeschluss festgelegt wird. Die Strafen entsprachen denen für andere Grundrechtsverletzungen. Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolge betrafen mindestens 23 Prozent (ca. 1.468) der insgesamt 6.383 Fälle von Diskriminierung und anderer Hilfegesuche, die im Jahr 2020 registriert wurden, die Beschäftigung oder den Arbeitsplatz.
Die ADS betonte, dass Bewerber ausländischer Abstammung und mit ausländischen Namen selbst dann benachteiligt wurden, wenn sie über ähnliche oder sogar höhere Qualifikationen als andere Bewerber verfügten. 2020 registrierte die ADS 2.101 Beschwerden über Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft am Arbeitsplatz oder bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Die ADS gab an, dass insbesondere als asiatisch wahrgenommene Menschen sowie Sinti und Roma im Zusammenhang mit der Pandemie rassistisch diskriminiert wurden.
Das Gesetz sieht gleichen Lohn für gleiche Arbeit vor. Im März gab das Statistische Bundesamt bekannt, dass der Brutto-Stundenlohn von Frauen im Jahr 2020 durchschnittlich 18 Prozent unter dem der Männer lag. Das Amt nannte die ungleiche Bezahlung in den Branchen und Berufen, in denen Frauen und Männer tätig sind, sowie ungleiche Anforderungen im Hinblick auf Führungserfahrung und andere Qualifikationen als wichtigste Gründe für die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern. Frauen waren in gut bezahlten Führungspositionen unter- und in einigen Niedriglohnbereichen überrepräsentiert. Die ADS berichtete, dass Frauen bei Beförderungen ebenfalls benachteiligt würden, häufig aufgrund von Erwerbsunterbrechungen wegen Kindererziehung. 2020 meldeten sich 79 Beschäftigte bei der ADS, um eine berufliche Benachteiligung aufgrund einer Schwangerschaft zu melden. Darüber hinaus berichtete die ADS auch, dass durch die Corona-Pandemie die psychische und gesundheitliche Belastung insbesondere für Frauen gewachsen sei, die einen Großteil der Beschäftigten im Gesundheitssektor und dem Einzelhandel ausmachen und dort einem höheren Arbeitspensum und einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt sind.
Das Gesetz verlangt einen Frauenanteil von 30 Prozent in den Aufsichtsräten bestimmter börsennotierter Unternehmen. Zudem verpflichtet es etwa 3.500 Unternehmen, sich eigene Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen (Aufsichtsräte und obere Leitungsebene) zu setzen und über die Zielgrößen und deren Erreichen öffentlich zu berichten. Infolgedessen stieg der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der an dieses Gesetz gebundenen Unternehmen von etwa 20 Prozent im Jahr 2015 auf 35 Prozent im Jahr 2020.
Es gab Berichte über die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen stieg 2020 auf 11,8 Prozent, womit sie immer noch erheblich über den Zahlen für die Gesamtbevölkerung lag (2020 durchschnittlich 5,9 Prozent). Arbeitgeber mit 20 oder mehr Angestellten müssen mindestens fünf Prozent ihrer Stellen an Schwerbehinderte vergeben, Unternehmen mit 20 bis 40 Angestellten müssen einen Menschen mit Behinderung einstellen und Unternehmen mit 40 bis 60 Angestellten müssen zwei Menschen mit Behinderung einstellen. Unternehmen müssen jedes Jahr ein Formular beim Arbeitsamt einreichen, anhand dessen überprüft wird, ob sie die Einstellungsquoten für Menschen mit Behinderungen erfüllen. Bei Nichterfüllung wird für jede Stelle, die nicht mit einer Person mit Behinderung besetzt wurde, eine monatliche Geldbuße fällig. 2019 mussten fast 105.000 Arbeitgeber, die nicht genügend Menschen mit Behinderungen beschäftigten, Strafen zahlen.
Obwohl das Gesetz die Gleichbehandlung von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorsieht, gab es ein gewisses Maß an Lohndiskriminierung. So zahlten Arbeitgeber, insbesondere im Baugewerbe, Saisonarbeitern aus Osteuropa zum Teil niedrigere Löhne.
E. ZUMUTBARE ARBEITSBEDINGUNGEN
Gesetzliche Regelung von Gehalt und Arbeitsstunden: Der bundesweite Mindestlohn liegt unter der international festgelegten Niedriglohngrenze, die bei zwei Dritteln des nationalen Medianlohns angesetzt wird. Der Mindestlohn gilt nicht für Personen unter 18 Jahren, Langzeitarbeitslose, die seit weniger als sechs Monaten einer neuen Beschäftigung nachgehen, oder Auszubildende in der Berufsausbildung, unabhängig davon, wie alt sie sind. Einige Branchen legten durch Tarifverhandlungen ihre eigenen, höheren Mindestlöhne fest.
Die Behörden setzten die Gesetze effektiv durch und überwachten die Einhaltung der gesetzlichen und branchenweiten Mindestlöhne und Arbeitszeiten mithilfe der der Zollbehörde untergeordneten Arbeitseinheit Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die im Jahr 2020 beinahe 45.000 Firmenkontrollen durchführte. Zu den Schwerpunktbereichen gehörten die Fleischindustrie und die Paketdienste, bei denen mutmaßliche Verstöße gegen Lohn- und Arbeitszeitvorschriften aufgrund der Praxis, vorwiegend ausländische Beschäftigte über Subunternehmerketten einzustellen, auch in der Vergangenheit häufiger vorkamen. Deutschland stoppte diese Praxis in der Fleischindustrie teilweise durch ein Gesetz über Werkverträge, das im Januar 2021 in Kraft trat. Beschäftigte können Unternehmen verklagen, die sich nicht an das Mindestlohngesetz halten. Arbeitgeber, die gegen die Vorschriften verstoßen, können zu beträchtlichen Geldbußen verurteilt werden. Die Strafen für Lohn- und Arbeitszeitverstöße entsprachen denen ähnlicher Straftaten.
Verordnungen auf Bundesebene legen eine reguläre Arbeitszeit von acht bis maximal zehn Stunden pro Tag fest und begrenzen die durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf maximal 48 Stunden. Für die 54 Prozent der Beschäftigten, für die die Tarifverträge unmittelbar gelten, betrug die durchschnittliche maximale Wochenarbeitszeit im Rahmen der gegenwärtigen Tarifverträge 37,7 Stunden. Nach maximal sechs Arbeitsstunden ist laut Gesetz eine Pause vorgeschrieben; es müssen regelmäßig Pausen mit einer Gesamtlänge von mindestens 30 Minuten gemacht werden. Des Weiteren sieht das Gesetz zusätzlich zu den gesetzlichen Feiertagen mindestens 24 Tage bezahlten Jahresurlaub vor. Regelungen für Überstunden, Urlaub und die Bezahlung von Wochenendarbeit variierten je nach geltendem Tarifvertrag. Tarif- oder Einzelverträge untersagten die Verpflichtung der Beschäftigten zu einer übermäßig hohen Zahl an Überstunden und schützten sie vor willkürlichen Forderungen des Arbeitgebers.
Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sind durch umfangreiche Gesetze und Verordnungen geregelt. Ein umfassendes Netz von Versicherungsträgern achtete auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz. Die Strafen für Verstöße gegen Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz entsprachen denen für andere ähnliche Straftaten.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die entsprechenden Bundesministerien überwachten die Einhaltung der Standards für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und setzten diese mithilfe eines Netzwerkes staatlicher Stellen, einschließlich der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, effektiv durch, anders als bei den Überprüfungen der Löhne und Arbeitsstunden, die in erster Linie von der Einheit Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung beaufsichtigt wurden. Auf kommunaler Ebene überwachten Berufs- und Wirtschaftsverbände – selbstverwaltete Körperschaften des öffentlichen Rechts, in denen Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften sitzen – sowie Betriebsräte die Sicherheit am Arbeitsplatz. Die Zahl der Inspekteure war ausreichend, um die Einhaltung zu gewährleisten. Die Inspekteure hatten die Befugnis, unangekündigte Inspektionen durchzuführen und Sanktionen einzuleiten.
Die Zahl der Arbeitsunfälle bei Vollzeitangestellten sank weiter, und auch die Zahl der tödlichen Unfälle am Arbeitsplatz sank von 497 im Jahr 2019 auf 399 im Jahr 2020. Zu den meisten Unfällen kam es auf Baustellen, im Transportsektor und in der Postlogistik.
In mehreren fleischverarbeitenden Betrieben war die Zahl der Corona-Infektionen zu einem Zeitpunkt sehr hoch, als im Rest des Landes die Infektionszahlen insgesamt niedrig waren. Die örtlichen Behörden erklärten dies häufig mit den Arbeits- und Wohnbedingungen der größtenteils osteuropäischen und teilweise saisonalen Arbeitskräfte. Im Dezember 2020 verabschiedete der Bundestag als Reaktion auf solche Ausbrüche ein Gesetz, das den Einsatz unabhängiger Unternehmen und Subunternehmen in der fleischverarbeitenden Industrie begrenzt und die elektronische Arbeitszeiterfassung und die Verbesserung der Wohnbedingungen von Beschäftigten vorschreibt. Das Gesetz trat am 1. Januar in Kraft.
Informelle Wirtschaft Deutschland bezieht einige Daten aus der informellen Wirtschaft in die Berechnung des BIP ein, veröffentlicht aber dazu keine gesonderte offizielle Statistik. Etwa 10 Prozent des BIP des Landes entfallen auf die informelle Wirtschaft. Dem 2019 in Kraft getretenen Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch zufolge ist es Teil des Mandats der FKS, nicht angemeldete und illegale Arbeit zu kontrollieren. Rund 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FKS sind mit der Aufgabe betraut, Arbeitgeber und Beschäftigte zu überprüfen, die bestimmten Sozialversicherungs-, Steuer-, Sozialleistungs- oder Beschäftigungsmeldepflichten nicht nachkommen. 2020 nahm die FKS unter anderem Kontrollen in fleischverarbeitenden Betrieben, Paketdienstleistungsunternehmen, Nagelstudios, Restaurants und auf Baustellen vor. Aufgrund von Scheinselbstständigkeit gab es eine nicht näher bezeichnete Anzahl nicht gemeldeter Arbeitsverhältnisse. Dem Gesetz nach gibt es eine abhängige Selbstständigkeit, und ca. 9,6 Prozent der arbeitenden Bevölkerung des Landes waren selbstständig.
Originaltext: 2021 Country Reports on Human Rights Practices: Germany