Länderberichte über Menschenrechtspraktiken 2022 – Bundesrepublik Deutschland
Das Büro für Demokratie, Menschenrechte und Arbeitsfragen des US-Außenministeriums gibt jedes Jahr den Bericht über Menschenrechtspraktiken heraus. Der Bericht für das Jahr 2022 wurde am 20. März 2023 veröffentlicht. Wir haben den Deutschlandteil übersetzt.
ZUSAMMENFASSUNG
Deutschland ist eine Verfassungsdemokratie. Die Staatsbürger wählen ihre politischen Vertreter regelmäßig in freien und fairen Mehrparteienwahlen. Der Bundestag, die erste gesetzgebende Kammer, wählt das Regierungsoberhaupt, den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin. Die zweite gesetzgebende Körperschaft, der Bundesrat, vertritt die 16 Bundesländer auf Bundesebene und setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Landesregierungen zusammen. Die 16 Bundesländer verfügen über beträchtliche Unabhängigkeit, auch in den Bereichen Strafverfolgung und Bildung. Die Bundestagswahlen im Jahr 2021 wurden als frei und fair beurteilt.
Die Zuständigkeit für die innere Sicherheit und den Grenzschutz liegt bei den 16 Landespolizeien, dem Bundeskriminalamt sowie der Bundespolizei. Die Landespolizei ist dem Innenministerium des jeweiligen Bundeslandes, die Bundespolizei dem Bundesministerium des Innern unterstellt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz sind neben anderen Sicherheitsaufgaben für die nachrichtendienstliche Aufklärung über Gefahren für die öffentliche Ordnung im Inland zuständig. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist eine nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums des Innern und die Landesämter für Verfassungsschutz sind den jeweiligen Innenministerien der Länder unterstellt. Die Sicherheitskräfte wurden weiterhin effektiv von zivilen Organen des Staates kontrolliert. Es gab glaubhafte Berichte über einige wenige Rechtsverstöße durch Angehörige der Sicherheitskräfte.
Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen waren unter anderem: Zu den schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gehörten glaubwürdigen Berichten zufolge antisemitisch motivierte Gewalttaten, Gewalttaten gegen Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten, die durch Muslimfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit oder andere Formen des Rechtsextremismus motiviert waren, und Gewalttaten oder Gewaltandrohungen gegen lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere oder intersexuelle Personen.
Die Behörden haben Maßnahmen für Ermittlungen gegen und zur strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung von Beamtinnen und Beamten sowie Angestellten der Sicherheitsdienste und anderer Bereiche des öffentlichen Dienstes ergriffen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben oder an Korruption beteiligt waren.
Abschnitt 1. Achtung der Unversehrtheit der Person
a. Willkürliche und andere unrechtmäßige oder politisch motivierte Tötungen
Es gab keine Berichte über willkürliche oder rechtswidrige Tötungen durch den Staat oder seine Vertreterinnen und Vertreter.
Am 25. August bestätigte der Bundesgerichtshof die Verurteilung und lebenslange Haftstrafe des Neonazis Stephan Ernst, der im Januar 2021 wegen des Mordes an dem hessischen Kommunalpolitiker Walter Lübcke im Jahr 2019 zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Die Straftat wurde weithin als politisch motivierte Tötung eines bekannten flüchtlingsfreundlichen Vertreters einer Landesregierung angesehen, und die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass Ernst die Tat aus ethnonationalistischen und rassistischen Motiven heraus beging. Eine Untersuchung des hessischen Landtags zu der Frage, warum der hessische Verfassungsschutz Stephan Ernst nicht als Gefahr für die Gesellschaft erkannt hatte, dauerte noch an.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelte weiter gegen mehrere Personen, die Lübcke nach seinen flüchtlingsfreundlichen Bemerkungen 2015 über das Internet bedroht hatten. Einige der noch offenen Ermittlungen wurden je nach Wohnort der Beschuldigten an die Staatsanwaltschaften anderer Bundesländer übergeben.
b. Verschwinden
Es lagen keine Berichte über das Verschwindenlassen von Personen im Auftrag des Staates oder durch staatliche Behörden vor.
c. Folter und andere grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung oder Bestrafung
Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken. Im Gegensatz zu 2021 gab es keine Berichte darüber, dass Regierungsvertreter sie angewandt hätten. Einigen Menschenrechtsorganisationen zufolge gingen die Behörden Vorwürfen von Misshandlungen durch Polizeikräfte nicht effektiv nach und wendeten kein unabhängiges Verfahren an, um solche Anschuldigungen zu prüfen.
Ungeahndete Straftaten bei den Sicherheitskräften waren kein wesentliches Problem.
Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten
Es gab keine maßgeblichen Berichte über Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten, die menschenrechtlich bedenklich wären.
Haftbedingungen: Es gab es keine wesentlichen Bedenken hinsichtlich der physischen Haftbedingungen oder Hinweise auf die Misshandlung von Insassen.
Dennoch äußerte sich der Ausschuss des Europarates zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe im September ernsthaft besorgt über die psychiatrische Behandlung der Insassen zweier Gefängnisse. Er empfahl den Bundesländern Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eine Überprüfung ihrer Regelungen für die Behandlung von Insassen mit schweren psychischen Erkrankungen.
Verwaltung: Die Behörden gingen glaubwürdigen Misshandlungsvorwürfen auf angemessene Weise nach.
Unabhängige Überwachung: Die Regierung ließ Kontrollbesuche unabhängiger, nichtstaatlicher Beobachter zu.
d. Willkürliche Verhaftungen oder Festnahmen
Das Grundgesetz verbietet willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sieht das Recht vor, die Rechtmäßigkeit einer Festnahme vor Gericht anzufechten. Der Staat hielt sich in der Regel an diese Bestimmungen.
Einige Bundesländer erweiterten die Befugnisse der Polizei in den vergangenen zehn Jahren, um bei „drohender Gefahr“ Präventivmaßnahmen zu ermöglichen. Kritikerinnen und Kritiker argumentierten, diese Bestimmungen räumten der Polizei Überwachungsbefugnisse ein, die eigentlich nur den Nachrichtendiensten des Landes zustünden. Im Oktober war eine Klage gegen das Gesetz in Bayern noch beim Bundesverfassungsgericht und eine separate Klage gegen das entsprechende Gesetz in Sachsen-Anhalt noch beim dortigen Landesverfassungsgericht anhängig.
In einigen Bundesländern gibt es zwar eine Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten, die Nichtregierungsorganisation Amnesty International Deutschland kritisierte jedoch das Fehlen einer bundesweiten Verpflichtung hierzu und wies darauf hin, dass diese in sechs der 16 Bundesländer nicht existiert.
Festnahmeverfahren und Behandlung in Gewahrsam
Für Festnahmen ist ein von einer Justizbehörde ausgestellter Haftbefehl erforderlich. Die Polizei kann Personen auch festnehmen, wenn sie diese beim Verüben einer Straftat stellt oder der dringende Verdacht vorliegt, dass sie eine Straftat planen. Das Grundgesetz verlangt die Vorführung von Verdächtigen vor Gericht am Folgetag der Festnahme. Der Richter oder die Richterin muss Verdächtige über die Gründe ihrer Festnahme informieren und ihnen die Möglichkeit geben, Einspruch zu erheben. Anschließend muss das Gericht entweder einen Haftbefehl ausstellen, aus dem die Gründe für die Fortsetzung der Inhaftierung hervorgehen, oder die Freilassung der Person anordnen. Die Behörden achteten diese Rechte im Allgemeinen.
In der Regel werden Personen in Untersuchungshaft ohne Leistung einer Kaution frei gelassen. Eine Kaution wird nur fällig, wenn das Gericht eine Fluchtgefahr feststellt. In solchen Fällen können die Behörden die Freilassung auf Kaution verweigern und Inhaftierte für die Dauer der Ermittlungen und des anschließenden Prozesses inhaftieren, allerdings unterliegt dies der gerichtlichen Prüfung.
Festgenommene haben das Recht, sich von einem Anwalt vertreten zu lassen. Bei finanzieller Bedürftigkeit stellt der Staat einen Rechtsbeistand. Laut Gesetz steht es festgenommen Personen jederzeit zu, einen Rechtsbeistand zu beauftragen, auch vor Befragung durch die Polizei. Die Behörden müssen Tatverdächtige vor der Befragung über ihr Recht in Kenntnis setzen, einen Rechtsbeistand zu konsultieren.
Am 2. Mai starb ein Mann nach einem Vorfall, in den die Mannheimer Polizei involviert war. Berichten zufolge rief der Arzt des Mannes von seiner Praxis aus die Polizei und sagte, der Mann wirke verstört und stelle eine Gefahr dar. Bei Eintreffen der Polizei wehrte sich der Mann gegen den Versuch, ihn zu überwältigen. Die Polizisten fixierten ihn mit Gewalt und brachten ihn in ein Krankenhaus, wo er kollabierte und später starb. Die Polizei Mannheim suspendierte nach dem Vorfall zwei Polizisten vom Dienst. Medienberichten zufolge stellte ein von der Staatsanwaltschaft Mannheim beauftragter medizinischer Sachverständiger fest, der Mann sei eines „nicht natürlichen Todes infolge des Polizeieinsatzes“ gestorben, bei dem die Polizisten möglicherweise unverhältnismäßige Gewalt anwendeten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft waren im August noch im Gange.
Am 8. August erschossen Polizisten in Dortmund einen 16-jährigen Senegalesen, der mit einem Messer bewaffnet war, in einer Jugendhilfeeinrichtung. Medienberichten zufolge hatte ein Mitarbeiter der Einrichtung die Polizei gerufen, weil bei dem unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, der wegen emotionaler Probleme um eine Verlegung in die Einrichtung gebeten hatte, Selbstmordgefahr bestand. Nachdem sie erfolglos versucht hatten, mit dem Jungen zu kommunizieren, setzten die 11 Polizisten Reizgas und Elektroschockpistolen ein, bevor sie die tödlichen Schüsse auf den Jungen abgaben. Ein Polizist wurde vom Dienst suspendiert, gegen vier weitere wurden Disziplinarmaßnahmen verhängt. Die Körperkameras der Beamten waren während des gesamten Geschehens ausgeschaltet. Seit September wird auf Wunsch der Dortmunder Staatsanwaltschaft von der Polizei Recklinghausen strafrechtlich in dem Fall ermittelt.
Untersuchungshaft: Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation World Prison Brief lag der Anteil der Personen in Untersuchungshaft an der Zahl aller Gefängnisinsassen im Land im Dezember 2021 bei 20,4 Prozent. 2019, im letzten Jahr, für das Zahlen vorliegen, lag die durchschnittliche Verweildauer in Untersuchungshaft laut Bundesministerium der Justiz bei vier bis sechs Monaten. Die Untersuchungshaft wird von den Gerichten auf die Haftstrafe von Verurteilten angerechnet. Im Falle eines Freispruchs muss der Staat für die während der Untersuchungshaft entstandenen finanziellen Einbußen und den immateriellen Schaden Entschädigung leisten.
e. Verweigerung eines fairen öffentlichen Verfahrens
Das Grundgesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, und der Staat achtete die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz im Allgemeinen.
Verfahrensbestimmungen
Das Grundgesetz schreibt das Recht auf ein faires, öffentliches Verfahren vor, und die unabhängige Justiz setzte dieses Recht im Allgemeinen durch.
Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung. Sie haben das Recht, umgehend und detailliert über die gegen sie vorliegenden Anschuldigungen informiert zu werden. Das Verfahren soll fair, öffentlich und ohne unangemessene Verzögerung stattfinden. Angeklagte sind gesetzlich verpflichtet, bei ihrer Verhandlung anwesend zu sein. Angeklagte haben das Recht, sich von einem Anwalt vertreten zu lassen, und der Staat stellt einen Rechtsbeistand auf Staatskosten, wenn die finanzielle Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann. Angeklagte und ihre Anwälte haben das Recht auf einen angemessenen Zeitraum und angemessene Räumlichkeiten für die Vorbereitung ihrer Verteidigung. Jedem Angeklagten, der kein Deutsch spricht oder versteht, wird ein Dolmetscher oder eine Dolmetscherin gestellt. Sofern die Angeklagten ihre finanzielle Bedürftigkeit nachweisen oder freigesprochen werden, geschieht dies auf Staatskosten. Angeklagte haben Zugang zu allen Beweisen, die dem Gericht vorliegen und für ihren Fall relevant sind. Angeklagte dürfen die Zeugen der Anklage befragen und zu ihrer Verteidigung eigene Zeugen und Beweise anführen. Angeklagte dürfen nicht zur Aussage oder zu einem Geständnis gezwungen werden. Angeklagte haben das Recht, Berufung einzulegen.
Laut Gesetz darf niemand zweimal für die gleiche Straftat verurteilt werden. Gerichte können jedoch bei wegen Vergewaltigung, Mord oder Totschlags Verurteilten nach Verbüßen der Strafe zusätzlich eine „anschließende Sicherungsverwahrung“ anordnen. Das Gericht kann Sicherungsverwahrung nur dann anordnen, wenn es zu dem Schluss kommt, dass der Täter oder die Täterin an einer psychischen Störung leidet, die Wiederholungstaten wahrscheinlicher macht, oder er oder sie aus anderen Gründen eine dauerhafte Bedrohung für die Öffentlichkeit darstellt. Die Sicherungsverwahrung kann laut Gesetz unbefristet angeordnet werden, unterliegt aber der regelmäßigen Überprüfung.
Da die Sicherungsverwahrung rechtlich nicht als Strafe gilt, müssen die Behörden Sicherungsverwahrte in separaten Gebäuden oder in speziellen Bereichen der Justizvollzugsanstalten mit besseren Bedingungen unterbringen. Die Behörden müssen den Inhaftierten außerdem sozial- und psychotherapeutische Angebote machen. Nach Informationen des Statistischen Bundesamtes und den jüngsten verfügbaren Daten befanden sich Ende März 2021 596 Personen in Sicherungsverwahrung.
Politische Gefangene und Inhaftierte
Es gab keine Berichte über politische Gefangene oder Inhaftierte.
Zivilverfahren und Rechtsbehelfe
Bei Verletzung ihrer Grundrechte können Bürgerinnen und Bürger bei Ausschüssen und Bürgerbeauftragten Beschwerde einreichen. Diese Kontaktstellen werden meist als „Ombudsstellen“ bezeichnet. In zivilrechtlichen Angelegenheiten bietet eine unabhängige und unparteiische Justiz zudem Zugang zu Gerichten, um in Fällen von Menschenrechtsverletzungen auf Schadenersatz oder Unterlassung zu klagen. Wenn die nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft sind, besteht die Möglichkeit, bei mutmaßlichen Verstößen des Staates gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu klagen.
Beschlagnahmung und Rückgabe von Eigentum
Der Staat verfügt über Gesetze und Mechanismen zur Wiedergutmachung, die auch für ausländische Staatsangehörige gelten, und Nichtregierungsorganisationen sowie Interessengruppen berichteten, dass bei der Bearbeitung von Ansprüchen aus der Zeit des Holocaust maßgebliche Fortschritte gemacht wurden. Dem Bundesfinanzministerium zufolge hat der Staat vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 2021 ca. 80,5 Milliarden Euro an Wiedergutmachungs- und Entschädigungszahlungen geleistet, darunter bis 2021 zusätzliche 1,23 Milliarden Euro aus dem „Härtefonds“, die größtenteils an bedürftigere Holocaust-Überlebende gingen, die schwer von der Coronapandemie betroffen waren. Außerdem unterstützte das Land zahlreiche öffentliche und private internationale Initiativen für Reparationen und Sozialleistungen zugunsten Holocaust-Überlebender und ihrer Familien.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedete der Bundestag Gesetze zur Regelung von Ansprüchen aufgrund von NS-Gräueltaten und Enteignungen aus der Zeit des Holocaust. 1952 bestimmte die Bundesregierung die Conference on Jewish Material Claims against Germany (auch: Claims Conference) zu ihrem Hauptpartner für die Regelung von Rückerstattungs- und Entschädigungsansprüchen jüdischer Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.
Bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 wurden die Rückgabe von Eigentum und die Entschädigungszahlungen für Immobilien und Unternehmen, die während des Holocausts beschlagnahmt oder übertragen worden waren, von den westdeutschen Behörden im Einklang mit dem Bundesentschädigungsgesetz geregelt. Die Claims Conference übernahm die Rechte an Eigentum, für das es keine Erben gab, und versteigerte dieses. Die Erlöse kamen der Finanzierung von Maßnahmen der Organisation zur Unterstützung von Holocaust-Überlebenden und zur Aufklärung über den Holocaust zugute. Weitere Entschädigungsansprüche für konfisziertes jüdisches Eigentum im ehemaligen Ostdeutschland machte die Claims Conference nach einem Gesetz geltend, das nach der Wiedervereinigung verabschiedet wurde. Seit 1990 haben die Behörden in 4.500 Fällen Restitutionsansprüche anerkannt und bewilligt und in etwa 12.000 Fällen Entschädigungen gezahlt. Beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen waren etwa 5.000 Fälle noch offen, bei denen es um Sachanlagen ging, darunter Grundstücke, Immobilien und Unternehmensanteile.
Durch regelmäßige Verhandlungen zwischen der Claims Conference und der Bundesregierung wurden bestehende Programme erweitert und zusätzliche eingeführt. Gemäß einer 2020 getroffenen Vereinbarung leistete der Staat im Laufe des Jahres Zahlungen in Höhe von 1.200 Euro aus dem Härtefonds an anspruchsberechtigte jüdische Opfer. Im September entschied der Bundestag, die Zahlungen aus dem Härtefonds um ein weiteres Jahr zu verlängern und bereits im laufenden Jahr zu beginnen, humanitäre Notfallzahlungen in Höhe von insgesamt 12 Millionen Euro an 8.500 ukrainische Holocaust-Überlebende zu leisten. Ebenso wurde entschieden, über das Jahr verteilt weitere zehn Millionen Euro für die Aufklärung über den Holocaust bereitzustellen und 2023 weitere Mittel verfügbar zu machen.
Die vom Bund finanzierte Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK) unterhält die Online-Datenbank „Lost Art“ zur Förderung der Provenienzforschung und um Opfer und ihre Erben bei der Suche nach den richtigen Institutionen und Kontakten zu unterstützen. In der Datenbank werden Kulturgüter erfasst, die vermutlich oder nachweislich von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. Im Mai gab die DZK bekannt, 24 Forschungsprojekte zu NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut mit 3,1 Millionen Euro fördern zu wollen. Im Januar gab die Stadt Düsseldorf das Gemälde „Die Füchse“ (1913) von Franz Marc an die Erbengemeinschaft von Kurt Grawi zurück, einem jüdischen Geschäftsmann und Kunstsammler, der das Gemälde 1939 zur Finanzierung der Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland verkauft hatte.
Die dem Freistaat Bayern gehörenden Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben den Fall des Pablo-Picasso-Gemäldes „Porträt der Madame Soler“ entgegen der üblichen Praxis bei Streitigkeiten über die Herkunft von Kunstwerken nicht an die Beratende Kommission weitergeleitet. Das Werk war 1934 oder 1935 von Paul von Mendelssohn-Bartholdy verkauft worden. Seine Erben hatten den Freistaat Bayern erstmals 2010 aufgefordert, die Kommission mit dem Fall zu betrauen, da er das Werk unter Zwang verkauft haben soll. Im Juni 2021 wies der Kommissionsvorsitzende Hans-Jürgen Papier die Auffassung des Bundeslandes, der Anspruch sei unbegründet, zurück. Es sei Sache der Kommission, solche Fälle zu beurteilen.
Den Bericht des US-Außenministeriums an den US-Kongress über die Entschädigung von Opfern des NS-Regimes (Justice for Uncompensated Survivors (JUST) Act), der 2020 veröffentlicht wurde, finden Sie auf der Website des Ministeriums: https://www.state.gov/reports/just-act-report-to-congress/. [Deutsche Fassung: https://de.usembassy.gov/de/just-act-bericht-bundesrepublik-deutschland/].
f. Willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in Privatsphäre, Familie, Wohnung oder Schriftverkehr
Das Grundgesetz verbietet derartige Maßnahmen, aber der Staat soll diese Verbote in einigen Fällen missachtet haben.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzämter der Länder überwachten weiterhin politische Gruppen, die als potenziell verfassungsfeindlich gelten. Dazu gehören die Partei Alternative für Deutschland (AfD) und linksextreme Gruppen innerhalb der Linkspartei, die beide im Bundestag vertreten sind, sowie die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Die Überwachung bedarf der Genehmigung der Innenministerien der Länder oder des Bundesministeriums des Innern und unterliegt der regelmäßigen Überprüfung durch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages oder vergleichbare Organe der Bundesländer.
Alle Aktivitäten der Landesämter für Verfassungsschutz können vor Gericht angefochten werden, auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2014 teilte die Bundesregierung mit, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dürfe Mitglieder des Bundestags nicht mehr überwachen.
Am 8. März bestätigte das Kölner Verwaltungsgericht die Befugnis des BfV, die AfD als mutmaßlich rechtsextreme Organisation zu beobachten, und bestätigte damit die Abweisung einer Klage der AfD gegen diese Einstufung durch das Bundesverfassungsgericht im Januar 2021.
Am 11. März wies das Verwaltungsgericht Magdeburg eine Berufungsklage der AfD Sachsen-Anhalt gegen ihre Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch das Landesamt für Verfassungsschutz ab. Während des gesamten Jahres beobachteten die Landesverfassungsämter Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg die Landesverbände der AfD als rechtsextreme Verdachtsfälle, während das Landesverfassungsamt Thüringen den AfD-Landesverband Thüringen als „erwiesen“ rechtsextreme Organisation beobachtete. Am 14. Juli und 6. September begannen die Landesverfassungsämter Baden-Württemberg und Bayern die jeweiligen AfD-Landesverbände als rechtsextreme Verdachtsfälle zu beobachten.
Der baden-württembergische Verfassungsschutz überwachte Querdenken 711, eine gegen Corona-Beschränkungen auf Landes- und Bundesebene gerichtete Bewegung, wegen ihrer extremistischen Ansichten. Dem im Juli erschienenen Bericht 2021 des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz zufolge ist Querdenken 711 der Kern einer Gruppe von etwa 350 Personen in Baden-Württemberg, deren Ziel es ist, die Landesregierung zu diskreditieren. Der Antisemitismusbeauftragte warnte wiederholt vor den antisemitischen Äußerungen und Ansichten von Querdenken 711. Das Landesverfassungsgericht Baden-Württemberg beobachtete auch die NPD und die extremistische Partei Der Dritte Weg, die sich aktiv gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen stellte.
Das bayerische Polizeiaufgabengesetz, das im Juli 2021 in Kraft trat, erlaubt der Landespolizei, Gäste von Großveranstaltungen einer „Zuverlässigkeitsprüfung“ zu unterziehen, wofür persönliche Daten der Gäste „bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen“ abgefragt werden können. Im Mai wies das bayerische Landesverfassungsgericht eine Klage gegen das Gesetz ab, die von den Oppositionsparteien SPD, Grüne und FDP eingereicht worden war.
Abschnitt 2. Achtung bürgerlicher Freiheiten
a. Meinungsfreiheit, auch für Mitglieder der Presse und andere Medien
Das Grundgesetz sieht Meinungsfreiheit vor, die auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien gilt. Das Zusammenspiel aus unabhängigen Medien, einer effektiven Justiz und einem funktionierenden demokratischen politischen System förderte die Meinungs- und Pressefreiheit in der Regel. Der Staat schränkte diese Rechte aber für Gruppen ein, die des Extremismus verdächtigt wurden. Mehrere Personen wurden wegen Volksverhetzung, Befürwortung des Nationalsozialismus oder Leugnung des Holocaust verhaftet, vor Gericht gestellt und zu Freiheitsstrafen verurteilt (siehe auch Abschnitt 6, Antisemitismus).
Meinungsfreiheit: Das 2021 verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität verpflichtet soziale Netzwerke nicht nur, illegale Inhalte zu überprüfen und gegebenenfalls zu sperren, sondern Hasskriminalität im Internet, einschließlich aus antisemitischen Beweggründen begangener Volksverhetzung, auch dem Bundeskriminalamt zu melden. Bedrohungen über das Internet werden von Behörden aufgrund gesetzlicher Regelungen wie persönliche Drohungen behandelt und die Androhung von Vergewaltigung und Zerstörung, ob persönlich oder über das Internet, wie Morddrohungen.
Einem Bundesgesetz zufolge können Behörden Vorgaben zu Erscheinungsmerkmalen wie Tätowierungen, Kleidung, Schmuck, Frisuren oder Bartstilen von Beamtinnen und Beamten machen, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordern. Religiöse Erscheinungsmerkmale können dem Gesetz nach nur dann eingeschränkt werden, wenn sie „objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen“.
Am 23. März urteilte das Verwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz, dass eine Direktorin einer staatlichen Schule, die 2006 in Ruhestand gegangen war, ihre Pension verlieren solle, weil sie Bücher geschrieben hatte, in denen sie den Staat als illegitimen Scheinstaat bezeichnete. Dem Urteil zufolge verstieß die Direktorin im Ruhestand damit gegen ihre Treuepflicht gegenüber Staat und Grundgesetz, deren Verletzung auch nach der Pensionierung Auswirkungen auf die Pensionszahlungen habe.
Einige Bundesländer untersagten die Vollverschleierung in öffentlichen Schulen.
Im Dezember hatte das Bundesverfassungsgericht noch nicht über eine Revision des Landes Berlin gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2018 entschieden, das 2020 vom Bundesarbeitsgericht bestätigt worden war und wonach ein generelles Verbot zum Tragen religiöser Symbole durch Lehrkräfte diskriminierend sei.
Gewalt und Schikane: Am 20. August wurde der Bürgermeister von Bad Lobenstein (Thüringen), Thomas Weigelt, dabei gefilmt, wie er den Lokalredakteur Peter Hagen auf einem Straßenfest angriff, ihn verletzte und seine Kameraausrüstung beschädigte. Hagen untersuchte Berichten zufolge, ob Weigelt ein Mitglied einer staatsfeindlichen Gruppe zu einem offiziellen Empfang eingeladen hatte. Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow verurteilte Weigelt am nächsten Tag für den Angriff. Am 31. August suspendierte das Landratsamt des Saale-Orla-Kreises Weigelt wegen sechs Dienstpflichtverletzungen, darunter der Angriff auf den Journalisten.
Im Mai verurteilte das Amtsgericht München den Fotojournalisten Michael Trammer von der tageszeitung wegen eines bei seiner Berichterstattung über eine Umweltschutzdemonstration gegen eine Automesse im September 2021 begangen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe. Trammer wurde zusammen mit Demonstrierenden verhaftet, als die Polizei ein Gebäude stürmte. Trammer gab an, er habe sich eindeutig als Pressevertreter zu erkennen gegeben. Später wurde er freigelassen, durfte aber das Gelände der Automesse nicht mehr betreten. Trammer legte Berufung ein, aber bis September gab es für seinen Fall noch keinen Termin.
Nichtstaatliche Akteure: Im September untersuchte die Polizei noch immer den Angriff von vier Unbekannten auf den türkischen Journalisten Erk Acacer. Der Kolumnist der türkischen Tageszeitung BirGun war im Juli 2021 vor seinem Haus in Berlin angegriffen worden. Dem Fernsehsender Deutsche Welle sagte Acacer, er glaube, dass der Angriff mit einem türkischen Geschäftsmann in Verbindung stehe, dem Acacer vorgeworfen hatte, in kommerzielle sexuelle Ausbeutung, Drogenhandel und korrupte Praktiken verwickelt zu sein.
Im September untersuchte die Polizei noch immer die Übergriffe von fünf Personen auf ein Kamerateam im April 2021, die eine Live-Sendung über Corona-Impfmaßnahmen im Berliner Regierungsviertel störten.
Freiheit im Internet
Weder beschränkte oder störte die Regierung den Zugang zum Internet, noch zensierte sie Inhalte im Netz – mit einer Ausnahme –, und es gab keine glaubwürdigen Berichte darüber, dass Regierungsbehörden private Kommunikation im Netz ohne entsprechende rechtliche Befugnis überwachten. Die Ausnahme bezieht sich auf die Befugnis der Regierung, Internetseiten zu sperren, die von verbotenen Organisationen betrieben werden, zu Volksverhetzung aufrufen, den Nationalsozialismus verherrlichen oder den Holocaust leugnen. Die Behörden arbeiteten bei der Überwachung und Löschung derartiger Inhalte unmittelbar mit den Internetanbietern zusammen. Die Behörden beobachteten Internetseiten, Social-Media-Konten, Messenger-Dienste und Streaming-Plattformen, die mit Rechtsextremisten in Verbindung gebracht wurden.
b. Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigung
Die Verfassung sieht zwar Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit vor, schränkte diese Freiheiten allerdings in einigen Fällen ein.
Versammlungsfreiheit
Die Verfassung des Landes sieht Versammlungsfreiheit vor, sofern die Teilnehmenden nicht bewaffnet sind, erlaubt den Behörden jedoch, Versammlungen im Freien einzuschränken. Die Regierung achtete dieses Recht im Allgemeinen. Nach dem Gesetz müssen Gruppen, die öffentliche Kundgebungen und Demonstrationen im Freien abhalten wollen, dies den Behörden 48 Stunden vor der öffentlichen Ankündigung mitteilen. Kundgebungen oder Demonstrationen unter freiem Himmel können von den Landesbehörden oder Kommunen verboten oder aufgelöst werden, wenn Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit bestehen oder wenn die Anmeldenden einer verbotenen Organisation angehören, in erster Linie rechtsextremen Gruppen. Die Behörden genehmigten öffentliche Kundgebungen oder Demonstrationen einiger nicht verbotener rechtsextremer Gruppen oder Neonazi-Organisationen, sofern sie nicht gegen Gesetze verstießen.
Um die Ausbreitung von COVID-19 einzudämmen, verpflichteten die Landesregierungen die Demonstrierenden zur Einhaltung von Abstandsregeln. Die Polizei in Berlin und anderen Städten löste mehrere Demonstrationen auf, wenn sie der Auffassung war, dass die Demonstrierenden gegen diese Regeln verstoßen hatten.
Es ist rechtswidrig, offiziell angemeldete Demonstrationen zu behindern. Viele Nazigegnerinnen und -gegner weigerten sich, solche Auflagen zu akzeptieren und versuchten, Neonazi-Demonstrationen zu blockieren oder Gegendemonstrationen abzuhalten, was manchmal zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden führte.
Die Polizei nahm bekannte oder mutmaßliche Aktivistinnen und Aktivisten fest, wenn sie der Auffassung war, dass diese Personen beabsichtigten, an illegalen oder nicht genehmigten Demonstrationen teilzunehmen. Die Dauer der Inhaftierung war von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
Im September liefen die Ermittlungen zu den Vorwürfen der Demonstranten wegen übermäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei bei den Demonstrationen in Berlin im August 2021 noch.
Vereinigungsfreiheit
Die Verfassung sieht zwar Vereinigungsfreiheit vor, der Staat schränkte diese Freiheit allerdings in einigen Fällen ein. Laut Gesetz können Organisationen, deren Aktivitäten das Bundesverfassungsgericht oder die Bundes- oder Landesregierungen als illegal oder gegen die verfassungsmäßige demokratische Ordnung verstoßend einstufen, verboten werden. Zwar kann nur das Bundesverfassungsgericht politische Parteien aus diesen Gründen verbieten, aber sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierungen können andere Organisationen verbieten oder deren Aktivitäten einschränken, auch Gruppierungen, die von den Behörden als extremistisch oder kriminell eingestuft werden. Die Organisationen haben das Recht, gegen ein solches Verbot oder die Einschränkung ihrer Aktivitäten Einspruch zu erheben.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz überwachten mehrere hundert Organisationen. Die Überwachung umfasste die Erhebung von Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen, Schriftdokumenten sowie Berichten aus erster Hand, aber auch invasive Methoden, wie den Einsatz verdeckter Ermittler, die der rechtlichen Kontrolle unterliegen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz veröffentlichten Listen der überwachten Organisationen, zu denen auch links- und rechtsgerichtete politische Parteien gehörten. Der Verfassungsschutz auf Bundes- und auf Länderebene beobachtete auch das Islamische Zentrum Hamburg, das nach Angaben des Hamburger Verfassungsschutzes ein wichtiger Drahtzieher des iranischen Regimes in Europa ist. Obwohl die Überwachung rechtmäßige Aktivitäten der Organisationen laut Gesetz nicht beeinträchtigen dürfen, beschwerten sich Vertreterinnen und Vertreter einiger betroffener Organisationen, beispielsweise von Scientology, dass die Veröffentlichung der Namen ihrer Organisationen Vorurteilen gegen sie Vorschub leiste.
Das BfV beobachtete etwa 21.000 sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter. Diese Personen erkennen die Bundesrepublik Deutschland und die Staatsgewalt nicht an. Das BfV stufte die Gruppen aufgrund ihrer Affinität zu Waffen und ihrer Geringschätzung von Bundesbehörden als potenzielle Bedrohung ein. Im Zeitraum von 2016 bis Ende 2021 wurde 1.050 Mitgliedern dieser Gruppen der Waffenschein entzogen, 500 sind weiterhin Inhaber eines Waffenscheins. Im Jahr 2021, dem letzten Jahr, für das Statistiken vorliegen, verdächtigten die Behörden Angehörige der Reichsbürgerszene und Selbstverwaltergruppen 1.011 politisch motivierte Straftaten begangen zu haben, ein Anstieg um 69 Prozent gegenüber 2020, so das Bundesinnenministerium.
c. Religionsfreiheit
Die Länderberichte über Religionsfreiheit des US-Außenministeriums finden Sie hier: https://www.state.gov/religiousfreedomreport/. (Deutschlandteil: https://de.usembassy.gov/de/laenderberichte-ueber-religionsfreiheit-2020-bundesrepublik-deutschland/)
d. Freizügigkeit und das Recht, das Land zu verlassen
Die Verfassung sieht Freizügigkeit im Land in Bezug auf Auslandsreisen, Auswanderung und Rückführung vor, und der Staat respektierte diese Rechte im Allgemeinen.
Freizügigkeit im Inland: Die Behörden stellten Staatenlosen drei Arten von Reisedokumenten aus, damit sich diese frei im Land und in der EU bewegen konnten: Anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende erhielten einen „Reiseausweis für Flüchtlinge“. Ausländer aus Nicht-EU-Ländern erhielten einen „Reiseausweis für Ausländer“, wenn sie keinen Pass oder Passersatz besaßen und von ihrem Herkunftsland auch keinen Reisepass erhalten konnten. Andere Staatenlose erhielten einen „Reiseausweis für Staatenlose“.
Einem Bundesgesetz zufolge müssen Flüchtlinge mit anerkanntem Asylstatus, die Sozialleistungen erhalten, drei Jahre lang in dem Bundesland wohnhaft bleiben, das ihren Asylantrag bearbeitet hat. Mehrere Bundesländer setzten diese Residenzpflicht durch. Darüber hinaus können einzelne Bundesländer zusätzliche Aufenthaltsbeschränkungen verfügen und einzelnen Personen beispielsweise die Residenzpflicht in einer bestimmten Stadt auferlegen. Örtliche Behörden, die die Regelung unterstützten, äußerten, sie erleichtere die Integration und die Planung der erforderlichen Infrastruktur, wie beispielsweise Schulen.
e. Schutz von Flüchtlingen
Die Regierung arbeitete mit dem Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen oder Asylsuchenden sowie anderen Betroffenen Schutz und Unterstützung zukommen zu lassen.
Zugang zu Asylverfahren: Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl oder die Anerkennung als Flüchtling vor, und der Staat hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet.
Die Nichtregierungsorganisation Pro Asyl kritisierte auch weiterhin das staatliche „Flughafenverfahren“ für Asylsuchende, die an einem Flughafen des Landes ankommen. Den Behörden zufolge werde das Flughafenverfahren lediglich in weniger komplexen Asylfällen genutzt. Kompliziertere Fälle würden zur regulären Bearbeitung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verwiesen. Die Behörden machten geltend, dieses „Direktverfahren“ werde lediglich bei Personen angewendet, die aus von der Regierung als „sicher“ (s.u.) eingestuften Herkunftsländern stammen oder nicht im Besitz gültiger Ausweispapiere sind. Das Direktverfahren ermöglichte es dem BAMF, innerhalb von zwei Tagen über Asylanträge zu entscheiden, während die Antragstellenden am Flughafen festgehalten wurden. Bei Ablehnung des Antrags kann Widerspruch eingelegt werden. Über Widersprüche wurde innerhalb von zwei Wochen entschieden, während die Antragstellenden am Flughafen festgehalten wurden. Bei Ablehnung des Widerspruchs wurden die Antragstellenden abgeschoben. Die NGO Flüchtlingsrat Berlin kritisierte ein ähnliches beschleunigtes Verfahren oder Direktverfahren, das bei einigen Asylsuchenden in Berlin angewandt wurde. Die Organisation behauptete, Asylsuchende erhielten nicht ausreichend Zeit für und keinen ausreichenden Zugang zu Rechtsberatung.
Refoulement: Humanitären Nichtregierungsorganisationen und anderen glaubwürdigen Quellen zufolge haben die Behörden mindestens vier pakistanische Asylbewerber der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinschaft nach Pakistan abgeschoben, nachdem sie ihre Behauptungen, ihnen drohe in Pakistan Strafverfolgung und Haft, zurückgewiesen hatten. Aufgrund der dortigen Sicherheitslage sind Rückführungen nach Afghanistan seit August 2021 vorübergehend ausgesetzt. Im November einigten sich die Länder darauf, auch Abschiebungen nach Iran vorübergehend auszusetzen.
Misshandlung von Migranten und Flüchtlingen: Es kam weiterhin zu Angriffen auf Flüchtlinge, Asylsuchende, Migrantinnen und Migranten sowie auf staatlich bereitgestellte Unterkünfte.
Medienberichten zufolge warfen am 26. August Unbekannte Brandsätze auf eine Flüchtlingsunterkunft im Leipziger Stadtteil Lausen-Grünau. Die Polizei vermutet Extremisten hinter den Anschlägen.
Es gab mehrere Berichte über Angriffe auf Personen, die aus der Ukraine geflohen waren, darunter mehrere versuchte Vergewaltigungen. Die Polizei in Berlin und in anderen Großstädten warnte Flüchtlinge davor, dubiose Wohnungsangebote anzunehmen. Am 18. März verhaftete die Polizei in Herne (NRW) einen 43-jährigen Mann wegen der Vergewaltigung einer 25-jährigen Ukrainerin, der er eine Unterkunft angeboten hatte.
Im August erhob die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe Anklage gegen einen Mann wegen Mordes, 20-fachen versuchten Mordes und Brandstiftung, weil er 1991 eine Asylunterkunft in Saarlouis in Brand gesetzt hatte. Dabei starb der ghanaische Asylbewerber Samuel Kofi Yeboah und zwei weitere Personen wurden bei dem Brand schwer verletzt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft handelt es sich bei dem Brandstifter um einen bekannten Neonazi, der aus rassistischen Motiven handelte. Ein Verhandlungstermin stand Ende des Jahres noch nicht fest.
Bis September hatte die Polizei noch keine Festnahmen im Zusammenhang mit den Übergriffen auf zwei Asylsuchende aus Kenia im Juli 2021 in Prenzlau (Brandenburg) veranlasst.
Im November 2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen einen Rettungssanitäter ein, dem vorgeworfen wurde, im Jahr 2020 in Kassel einen gefesselten syrischen Flüchtling geschlagen zu haben, da es starke Zweifel an den Videobeweisen gab. Darüber hinaus wurde gerichtsmedizinisch festgestellt, dass die Verletzungen des Flüchtlings nicht zwangsläufig durch den im Video gezeigten Vorfall verursacht wurden, und der Flüchtling gab an, sich nicht an den angeblichen Angriff zu erinnern.
Nachhaltige Lösungen: Die Regierung nahm insbesondere aus ihrem Heimatland Geflüchtete, die gefährdeten Gruppen angehörten, zur Umsiedlung an und unterstützte ihre Integration (bis zur Einbürgerung). Zu diesen Flüchtlingen gehörten Frauen mit Kindern, Flüchtlinge mit Behinderungen, Überlebende von Menschenhandel sowie Überlebende von Folter oder Vergewaltigung. Die Behörden erteilten Langzeitmigranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen sowie Migrantinnen und Migranten, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten, Aufenthaltsgenehmigungen.
Die Regierung half Asylsuchenden, Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten bei der sicheren, freiwilligen Rückkehr in ihre Heimatländer. Im Jahr 2021 unterstützten die Behörden 6.800 Personen mit jeweils 321 bis 500 Euro, um deren freiwillige Rückkehr in ihre Heimatländer zu ermöglichen. Unter den Empfängern waren Personen, deren Asylantrag abgelehnt worden war, und Ausländer ohne gültige Ausweispapiere. Am stärksten wurde das Angebot von Personen aus Russland genutzt.
Vorübergehender Schutz: Die Regierung gewährte auch Personen vorübergehenden Schutz, bei denen es unklar war, ob sie als Flüchtlinge anerkannt würden; bis September waren dies rund 56.000 Personen. Der Staat bietet Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde, vorübergehenden subsidiären und humanitären Schutz. Subsidiärer Schutz wird in der Regel gewährt, wenn die Voraussetzungen für den Flüchtlings- oder Asylstatus nicht erfüllt sind, aber in den Herkunftsländern aufgrund von Krieg oder Konflikten eine ernsthafte Gefährdung besteht. Humanitärer Schutz wird gewährt, wenn die Voraussetzungen für eine andere Form des Schutzes nicht erfüllt sind, aber andere humanitäre Gründe eine Rückkehr in das Herkunftsland unmöglich machen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine bestehende Erkrankung im Herkunftsland nicht behandelt werden kann. Beide Formen des vorübergehenden Schutzes werden für ein Jahr gewährt und können verlängert werden. Nach fünf Jahren kann eine Person, die subsidiären oder humanitären Schutz genießt, einen unbefristeten Aufenthaltstitel beantragen, wenn sie so viel verdient, dass sie keine staatliche Unterstützung benötigt und über gute Deutschkenntnisse verfügt.
f. Flüchtlinge und Binnenvertriebene
Entfällt.
g. Staatenlose
Nach Angaben des UNHCR lebten Ende 2020, dem letzten Jahr, für das Statistiken vorliegen, 26.675 staatenlose Personen im Land. Einige von ihnen haben ihre frühere Staatsangehörigkeit mit dem Zerfall der Sowjetunion oder Jugoslawiens verloren. Teilweise handelte es sich auch um aus dem Libanon oder Syrien stammende Palästinenserinnen und Palästinenser.
Die bestehenden Gesetze und Maßnahmen ermöglichen Staatenlosen die Einbürgerung ohne Diskriminierung. Staatenlose können nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Jahren einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Die Vorlage ausreichender Nachweise für die Staatenlosigkeit ist häufig jedoch schwierig, da die Beweislast beim Antragsteller liegt. Im Allgemeinen schützten die Behörden staatenlose Personen vor der Abschiebung in das Land ihrer Herkunft oder ihres gewöhnlichen Aufenthaltes, wenn ihnen dort politische Verfolgung drohte.
Abschnitt 3. Recht auf Teilhabe am politischen Prozess
Das Grundgesetz ermöglicht es deutschen Staatsangehörigen, ihre Regierung in freien, fairen und regelmäßig stattfindenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen zu wählen.
Wahlen und politische Teilhabe
Letzte Wahlen: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und 45 Abgeordnete aus 25 Ländern beobachteten die Bundestagswahl im September 2021 und beurteilten sie als frei, fair und im Wesentlichen gut organisiert.
Politische Parteien und politische Teilhabe: Die politischen Parteien waren im Berichtszeitraum ohne Einschränkungen oder äußere Einmischung tätig, es sei denn, die Behörden stuften sie als verfassungsfeindlich ein. Wenn die Bundesbehörden eine solche Bedrohung feststellen, können sie beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Parteiverbot beantragen.
Das Gesetz sieht vor, dass jede politische Partei öffentliche Mittel des Bundes entsprechend ihrer Ergebnisse bei Wahlen auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene erhält. Nach dem Grundgesetz haben extremistische, verfassungsfeindliche Parteien jedoch kein Anrecht auf öffentliche Mittel. Im August hatte das Bundesverfassungsgericht noch nicht über eine Sammelklage von Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung aus dem Jahr 2019 entschieden, mit der die rechtsextreme NPD aufgrund ihrer verfassungsfeindlichen Aktivitäten von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden sollte.
Im Berichtsjahr kam es immer wieder zu politisch motivierter Gewalt. So gab es im Juli eine Explosion in der NRW-Geschäftsstelle der Linkspartei in Oberhausen. Die Polizei fand einen nicht explodierten [sic] Sprengsatz und vermutete, dass die Partei Ziel eines Anschlags war. Im September hatte die Polizei ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.
Am 16. Februar begann in Frankfurt der Prozess gegen Alexander M., dem 85 Taten vorgeworfen werden, darunter Verleumdung, Volksverhetzung und Nötigung, weil er zwischen 2018 und 2021 116 Drohbriefe an prominente Abgeordnete, Frauen und Angehörige von Minderheitengruppen verschickt haben soll, die sich gegen Extremismus engagieren. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war Alexander M. unter anderem wegen „rechtsextremistisch motivierter Straftaten“ vorbestraft. Es blieb unklar, wie er aus Polizei- und Regierungsakten vertrauliche persönliche Informationen erhalten hatte, die er in den Briefen verwendete.
Teilhabe von Frauen und Angehörigen von Minderheiten: Die Teilhabe von Frauen und Angehörigen von Minderheiten am politischen Prozess wurde nicht durch Gesetze eingeschränkt, und sie beteiligten sich daran. Transgender beklagten, dass die zeit- und kostenaufwändigen deutschen Gesetze zur Geschlechtsumwandlung ihre Möglichkeiten der politischen Teilhabe einschränkten (siehe Abschnitt 6, Gewalttaten, Kriminalisierung und andere Übergriffe aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität). Sie wiesen auch darauf hin, dass diese Anforderung die Möglichkeiten von Transgender einschränkt, in öffentliche Ämter gewählt zu werden, da in offiziellen Wahlunterlagen und auf Stimmzetteln nur die eingetragenen Namen verwendet werden dürfen. Auch Menschen mit Behinderungen waren mit einigen Einschränkungen konfrontiert, obwohl diese reduziert wurden (siehe Abschnitt 6, Menschen mit Behinderungen). Im Bundeskabinett waren acht von 15 Bundesministerinnen und -ministern Frauen, darunter die Bundesaußenministerin, die Bundesverteidigungsministerin und die Bundesinnenministerin. Etwa 35 Prozent der Bundestagsabgeordneten waren Frauen.
Abschnitt 4. Korruption und mangelnde Transparenz
Das Gesetz sieht für Korruption durch Amtsträger Strafen vor, und der Staat setzte dieses Gesetz im Allgemeinen konsequent um. Im Berichtszeitraum gab es vereinzelte Berichte über staatliche Korruption.
Korruption: Am 5. Juli entschied der Bundesgerichtshof, dass die Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein von der Christlich-Sozialen Union und Nikolas Löbel von der Christlich-Demokratischen Union Geld, das sie im Jahr 2020 von Anbietern von Schutzmasken erhalten haben, behalten dürfen. Nach Ansicht des Gerichts ist es Bundestagsabgeordneten laut deutschem Recht nur verboten, im Plenum, in Ausschüssen oder bei Fraktionsabstimmungen gegen Bezahlung seine Stimme abzugeben, aber das Gesetz verbietet nicht, in einem solchen Fall Einfluss zu nehmen. Das Magazin Spiegel berichtete, Nüßlein und Löbel hätten 660.000 Euro und 250.000 Euro für solche Handlungen erhalten.
Abschnitt 5. Haltung der Regierung zu Untersuchungen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen durch internationale Gremien oder Nichtregierungsorganisationen
Verschiedene nationale und internationale Menschenrechtsgruppen unterlagen im Allgemeinen weder bei ihren Nachforschungen noch bei der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu Menschenrechtsverletzungen staatlichen Einschränkungen. Regierungsvertreter waren kooperativ und ihren Standpunkten gegenüber aufgeschlossen.
Für Menschenrechte zuständige Regierungsinstitutionen: Mehrere staatliche Gremien setzten sich unabhängig und wirksam für den Schutz der Menschenrechte ein. Der Bundestag verfügt über einen Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie über einen Petitionsausschuss. Der Petitionsausschuss befasst sich mit Beschwerden aus der Bevölkerung, auch zu Menschenrechtsfragen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist verantwortlich für die Überwachung der Einhaltung der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen des Landes, zu denen auch Verträge und Konventionen gehören. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist eine halbstaatliche Organisation, die sich mit Diskriminierung befasst und Opfer von Diskriminierung unterstützt. Die Verantwortung für den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen liegt insbesondere beim Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtsfragen im Bundesministerium der Justiz überwacht die Umsetzung von Gerichtsurteilen im Zusammenhang mit dem Schutz von Menschenrechten.
Abschnitt 6. Diskriminierung und gesellschaftliche Missstände
Frauen
Vergewaltigung und häusliche Gewalt: Vergewaltigung ist laut Gesetz eine Straftat, darunter fällt auch die Vergewaltigung in der Ehe, unabhängig von Geschlecht. Das Gesetz sieht bei Verurteilungen ein Strafmaß von bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe vor. Der Misshandlung Beschuldigten kann ohne Gerichtsbeschluss vorübergehend der Zugang zu ihrer Wohnung verwehrt werden, oder es kann eine einstweilige Verfügung gegen sie erwirkt werden. In schweren Fällen von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt können diese Personen wegen Körperverletzung oder Vergewaltigung strafrechtlich verfolgt und zu Schadenersatzzahlungen verurteilt werden. Das Strafmaß hängt von der Schwere der Straftat ab. Der Staat setzte die Gesetze wirksam durch.
Die Bundesregierung, die Bundesländer und Nichtregierungsorganisationen unterstützten zahlreiche Projekte, um geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern und auf sie zu reagieren, dazu gehörte auch, Überlebenden besseren Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtshilfe zu ermöglichen. In Deutschland werden rund 350 Frauenhäuser betrieben.
Nichtregierungsorganisationen im sozialen Bereich und Betreiber von Notunterkünften beklagten, dass der Zugang zu Notunterkünften in vielen Regionen uneinheitlich oder gar nicht vorhanden sei und landesweit etwa 15.000 Unterbringungsplätze für Frauen fehlten. Die Medien berichteten über die mangelnde Verfügbarkeit von Unterkünften in vielen Regionen des Landes. Die Nichtregierungsorganisation Zentrale Informationsstelle autonomer Frauenhäuser erklärte, weibliche Geflüchtete seien besonders von häuslicher Gewalt bedroht, da sie drei Jahre lang in einem einzigen Bezirk wohnen müssten, nur über geringe finanzielle Mittel verfügten und oft in Bezirken ohne Frauenhäuser wohnen würden.
Weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung (FGM/C): Es gab keine Berichte über die Vornahme von Genitalverstümmelungen oder -beschneidungen bei Frauen. Die Genitalverstümmelung und -beschneidung von Frauen und Mädchen ist ein Straftatbestand, der bei Verurteilung mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet wird, auch wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Personen, die verdächtigt werden, ins Ausland zu reisen, um Mädchen oder Frauen einer Genitalverstümmelung oder -beschneidung zu unterziehen, kann der Pass entzogen werden. Seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2017 wurde von dieser Maßnahme jedoch kein Gebrauch gemacht. Im Berichtsjahr wurde den Angaben zufolge keine Genitalverstümmelung oder -beschneidung bei Frauen vorgenommen. Eine Arbeitsgruppe unter der Führung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kooperierte im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung mit anderen Bundesbehörden und allen 16 Bundesländern.
Das Ministerium stellte weiterhin „Schutzbriefe“ für Mädchen aus, die in Gefahr sind, Opfer von Genitalverstümmelung zu werden, in denen vor den hohen Strafen gewarnt wird, mit denen weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland geahndet wird. Diese Briefe sollten bei Auslandsreisen mitgeführt und Verwandten und anderen Menschen gezeigt werden, die Mädchen einer Genitalverstümmelung unterziehen wollen.
Andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt: Der so genannte Ehrenmord entspricht laut Strafrecht dem Tatbestand des Mordes und der Staat setzte das Gesetz effektiv durch. Schätzungen der Behörden zufolge werden jedes Jahr zwischen drei und 12 derartiger Morde verübt; Beobachtende warfen jedoch die Frage auf, wie viele davon tatsächlich so genannte Ehrenmorde waren, die von den Medien in der Regel Zugewanderten zugeschrieben werden, und wie viele auf andere Formen häuslicher Gewalt zurückzuführen seien.
Im März begann in Berlin der Prozess gegen zwei Männer afghanischer Abstammung wegen des Mordes an ihrer Schwester im Juli 2021. Den beiden wird vorgeworfen, ihre Schwester ermordet zu haben, weil sie sich von ihrem Mann scheiden ließ und eine Beziehung mit einem anderen Mann eingegangen war. Das Verfahren dauerte im Dezember noch an.
Im April wurde ein Afghane in Berlin wegen Mordes an seiner Ex-Frau angeklagt. Der Prozess begann im November. Medienberichten zufolge akzeptierte er die Scheidung nicht, die er als einen Akt der Untreue ansah. Die Familie des Opfers erklärte, dass die Frau eine einstweilige Verfügung beantragt und wiederholt um polizeiliche Hilfe gebeten habe, jedoch aufgrund ihres Migrationshintergrundes nicht ernst genommen worden sei. Ein Polizeisprecher gab an, die Handhabung dieses Falls würde untersucht, bis November lag jedoch kein Bericht hierzu vor.
Sexuelle Belästigung: Sexuelle Belästigung ist gesetzlich verboten. Das Strafmaß sieht bei Verurteilung Geldbußen und Haftstrafen von bis zu fünf Jahren vor. Es gibt unterschiedliche Disziplinarmaßnahmen bei Belästigung am Arbeitsplatz, unter anderem auch die Entlassung. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind per Gesetz verpflichtet, alle Beschäftigten vor sexueller Belästigung zu schützen. Das Versäumnis von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, Maßnahmen zum Schutz der Angestellten vor sexueller Belästigung zu ergreifen, wird rechtlich als Vertragsverletzung eingestuft. Betroffene Beschäftigte haben bis zur Beseitigung des Missstands durch den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin das Recht auf bezahlten Urlaub. Gewerkschaften, Kirchen, staatliche Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen boten eine Reihe unterschiedlicher Unterstützungsprogramme für betroffene Frauen an und finanzierten Seminare und Kurse, um sexueller Belästigung vorzubeugen.
Reproduktive Rechte: Es gab keine Berichte über Zwangsabtreibungen oder unfreiwillige Sterilisation durch staatliche Stellen.
Obwohl Abtreibungen in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig sind, schützen bestehende Gesetze Patientinnen, Ärztinnen und Ärzte und Dienstleistende bei Schwangerschaftsabbrüchen bis zum Ende der 12. Schwangerschaftswoche unter bestimmten Umständen vor strafrechtlicher Verfolgung. Bei minderjährigen Patientinnen ist für den Schwangerschaftsabbruch laut Gesetz die Erlaubnis der Sorgeberechtigten erforderlich, wovon Patientinnen ab 14 Jahren allerdings durch ihre Ärztin oder ihren Arzt ausgenommen werden können.
Am 8. Juli hob die Regierung ein Gesetz aus der Zeit des Nationalsozialismus auf, das es Ärztinnen und Ärzten und Dienstleistenden im Allgemeinen untersagte, Informationen über Abtreibungen und damit verbundene Dienstleistungen anzubieten.
Sichere, wirksame und erschwingliche Familienplanungs- und Verhütungsmethoden, einschließlich Notfallverhütung, sind überall im Land erhältlich. Die pränatale Versorgung und Geburtshilfe ist umfassend, steht flächendeckend zur Verfügung und wird von allen Versicherungsanbietern übernommen. Öffentliche Informationen zu Verhütung, reproduktiver Gesundheit und pränataler Versorgung sind bei Krankenversicherungen, Nichtregierungsorganisationen und Gesundheitsbehörden kostenlos erhältlich.
Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt die Kosten für Notfallverhütung und Schwangerschaftsabbrüche in Folge von Vergewaltigungen oder bei medizinischer Indikation. Im Falle von Komplikationen bei einem Schwangerschaftsabbruch besteht uneingeschränkter Zugang zu Notfallversorgung. Notfallverhütung steht flächendeckend rezeptfrei zur Verfügung.
Laut Gesetz müssen die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten für die sofortige medizinische Versorgung von Opfern sexueller Gewalt, einschließlich Notfallverhütung, übernehmen, allerdings haben nicht alle Bundesländer das Gesetz vollständig umgesetzt.
Diskriminierung: Laut Grundgesetz, Familien-, Arbeits-, Religions-, Personenstands-, Eigentums-, Staatsangehörigkeits- und Erbrecht genießen Frauen und Männer die gleichen Rechte. Der Staat setzte das geltende Recht im Allgemeinen wirksam durch. Allerdings erhielten Frauen für gleichwertige Arbeit nicht immer die gleiche Vergütung wie Männer (siehe Abschnitt 7.d).
Strukturelle rassistische oder ethnische Gewalt und Diskriminierung
Laut Grundgesetz darf niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“. Das Gesetz verbietet die Diskriminierung durch staatliche Stellen und Privatpersonen oder Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Vermietende und Unternehmen aufgrund von Hautfarbe oder ethnischer Herkunft, allerdings setzte der Staat das Gesetz nicht immer effektiv durch.
In Deutschland ist Volksverhetzung, die Aufstachelung zum Hass gegen ethnische, religiöse oder andere Minderheiten, eine Straftat, und die Behörden verfolgten Rechtsverletzungen mit Nachdruck. Zudem fallen die Strafen aufgrund solcher von Hass motivierter Straftaten auch härter aus und wurden von Richterinnen und Richtern regelmäßig verhängt.
Bund und Länder haben eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen gegen ethnisch und rassistisch begründete Diskriminierung getroffen. So unterhielt die Bundesregierung die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), die Beschwerden und Berichte über Diskriminierung entgegennimmt und Opfer berät und unterstützt. In einigen Bundesländern existieren ähnliche Stellen. Beobachtenden zufolge war die ADS unterfinanziert und sowohl die Landesdiskriminierungsstellen als auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes waren nicht ausreichend unabhängig. Angehörige von Minderheiten wussten nicht immer von der Existenz dieser Ressourcen.
Bund und Länder stellten auch zivilgesellschaftlichen Organisationen Mittel zur Verfügung, die gegen Rassismus und Vorurteile kämpfen. So wurden im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie Leben!“ über das Jahr verteilt 165 Millionen Euro an Fördergeldern an Organisationen ausgeschüttet, die Vielfalt fördern und Extremismus bekämpfen.
Das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz beobachteten Gruppen, die rassistisches oder fremdenfeindliches Gedankengut verbreiteten. Der im Juni veröffentlichte Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz 2021 verzeichnete Ermittlungen in 20.201 Fällen politisch motivierter Straftaten, die von Einzelpersonen mit rechtsextremem Hintergrund begangen wurden, darunter 945 Gewalttaten, von denen 686 als fremdenfeindlich eingestuft wurden. Der Bericht der ADS verzeichnete 2.080 Beschwerden wegen Diskriminierung aufgrund von Rassismus, 21 weniger als 2020, und 1.775 Beschwerden wegen Diskriminierung aufgrund von Behinderungen oder chronischen Krankheiten. Die ADS erhielt 5.617 Beratungsanfragen von möglichen Opfern von Diskriminierung. Im Jahr 2020 waren es 6.383 gewesen.
Menschen ausländischer Herkunft hatten mitunter Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche. Die ADS berichtete, dass nicht deutschstämmige Personen, insbesondere Roma, Personen türkischer und afrikanischer Herkunft sowie Menschen mit ausländisch klingenden Namen auf dem Wohnungsmarkt häufig Diskriminierung erfuhren. Nichtdeutsche Beschäftigte erfuhren manchmal Lohndiskriminierung.
Übergriffe auf Angehörige ethnischer Minderheiten wie Sinti und Roma waren nach wie vor im ganzen Land ein Problem. Im März ernannte die Bundesregierung den ersten Beauftragten gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland. Der Beauftragte koordiniert die Maßnahmen der Regierung und bietet Schutz bei der Bekämpfung von Vorurteilen gegenüber Roma und der Diskriminierung von Roma.
Im Juli ernannte die Regierung die erste Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Die Beauftragte ist Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und kann der Bundesregierung politische Maßnahmen vorschlagen sowie Empfehlungen und Ansichten zu Gesetzesvorschlägen äußern. Ebenso kann die Beauftragte bei Behörden Stellungnahmen zu individuellen Diskriminierungsklagen einfordern.
Am 23. Mai erneuerte der hessische Landtag seinen Vertrag mit dem hessischen Landesverband deutscher Sinti und Roma, der regelt, dass das Bundesland bis 2032 jährlich 200.000 Euro für die Verbesserung der Teilhabe von Sinti und Roma in der Gesellschaft und für die Bekämpfung von Vorurteilen gegen Sinti und Roma bereitstellt.
Kinder
Geburtsanzeigen: Die deutsche Staatsangehörigkeit wird in der Regel durch die Eltern übertragen. Die Staatsangehörigkeit kann auch durch Geburt in Deutschland erworben werden, wenn ein Elternteil bereits seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt oder seit mindestens drei Jahren eine Daueraufenthaltsgenehmigung besitzt. Die Eltern oder der Vormund müssen die Geburt eines neugeborenen Kindes anzeigen. Die Behörden bearbeiten Geburtsanzeigen in der Regel zügig nach ihrem Eingang. Wenn Eltern die Geburt ihres Kindes nicht anzeigen, kann eine Geldbuße verhängt werden. Eine Geburtsurkunde ist für einige staatliche Dienstleistungen erforderlich, z. B. den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Kindertagesbetreuung.
Kindesmisshandlung: Es gibt Gesetze gegen Kindesmisshandlung. Gewalt und Grausamkeit gegen Minderjährige sowie die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht sind strafbar. Es wurden Fälle von Kindesmissbrauch gemeldet. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend förderte im Berichtszeitraum Maßnahmen zur Prävention von Kindesmisshandlung. Das Ministerium vernetzte weiterhin Eltern, Jugendeinrichtungen, Schulen, Kinderärzte und Gerichte und förderte bestehende Maßnahmen auf Ebene der Bundesländer und Kommunen. Andere Angebote beinhalteten therapeutische Maßnahmen und Unterstützung für jugendliche Opfer sexuellen Missbrauchs.
Kinder-, Früh- und Zwangsehen: Das gesetzliche Mindestalter für Eheschließung beträgt 18 Jahre.
Dem Gesetz zufolge sind bestehende, im Ausland geschlossene Ehen, bei denen einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung unter 16 Jahre alt war, auch dann unwirksam, wenn sie nach ausländischem Recht wirksam geschlossen wurden. 16- und 17-Jährige können die Anerkennung ihrer im Ausland geschlossenen Ehe im Einzelfall bei Gericht beantragen, wenn die Nichtanerkennung ihrer Ehe für sie eine schwere Härte bedeuten würde. Zu diesen Fällen gab es keine zentrale Gesamtstatistik. Kinder- und Zwangsehen betreffen hauptsächlich Mädchen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit.
Sexuelle Ausbeutung von Kindern: Das Gesetz verbietet die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern, den Verkauf, das Angebot oder die Beschaffung von Kindern zur Prostitution sowie Praktiken im Zusammenhang mit Kinderpornografie. Die Behörden setzten das Gesetz durch. Das Mindestalter für Geschlechtsverkehr in beiderseitigem Einvernehmen beträgt 14 Jahre. Ist der jüngere Partner unter 16 und der ältere Partner über 18 Jahre alt oder finden die sexuellen Handlungen unter Ausnutzung einer Zwangslage statt, gilt der Geschlechtsverkehr nicht als einvernehmlich. Erwachsene dürfen Personen unter 18 Jahren keine Bezahlung als Gegenleistung für sexuelle Handlungen anbieten. Außerdem macht sich strafbar, wer 21 Jahre oder älter ist und Geschlechtsverkehr mit einer Person zwischen 14 und 16 Jahren hat, wenn die ältere Person die „fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt“.
Laut Gesetz dürfen verdeckte Ermittler computergenerierte Videos von Kindesmissbrauch verwenden, um sich Zugang zu entsprechenden Internetforen zu verschaffen. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung betreibt das Hilfeportal Sexueller Missbrauch sowie das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch, deren Angebote anonym und kostenlos sind.
Im Januar schloss eine Sondereinheit der Polizei NRW ihre Ermittlungen gegen ein Kindesmissbrauchsnetzwerk in Bergisch-Gladbach ab, gegen das sie seit 2019 ermittelt hatte. Im Rahmen der Ermittlungen wurden 439 Verdächtige identifiziert und 65 Kinder befreit, von denen eines erst drei Monate alt war. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelte in 13 Fällen und verhängte Haftstrafen von insgesamt mehr als 80 Jahren, und die Ermittlungsbeamten gaben Hunderte Fälle zur Strafverfolgung an andere Staatsanwaltschaften ab.
Nach den Landtagswahlen im Mai wurde ein neuer parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt, um Fehler und Versäumnisse der Landesregierung NRW in zahlreichen Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde zu untersuchen. Im Februar veröffentlichte der Ausschuss einen 4.000 Seiten langen Zwischenbericht, in dem Datenschutzmaßnahmen kritisiert wurden, die es erschwerten, Informationen über gefährdete Kinder und über Täter in staatliche Computersysteme einzupflegen und zu speichern. Darüber hinaus wurde bemängelt, dass Beschäftigte des Jugendamts nicht ausreichend geschult gewesen seien, um Anzeichen für sexuellen Missbrauch bei Kindern zu erkennen.
Im Juni deckte die Polizei bei einem Einsatz in Wermelskirchen (NRW) einen bundesweiten Missbrauchskomplex auf. Der Tatverdächtige, der sich als Babysitter anbot, führte Listen mit Kontaktpersonen, mit denen er bundesweit Missbrauchsfotos und -videos austauschte. Im Verlauf des Jahres ermittelten die Staatsanwaltschaften mehrerer Bundesländer gegen mindestens 85 Tatverdächtige und identifizierten mindestens 33 mit dem Fall im Zusammenhang stehende Opfer.
Antisemitismus
Beobachtungen zufolge belief sich die Zahl der Jüdinnen und Juden in Deutschland auf etwa 200.000 Menschen; schätzungsweise 90 Prozent von ihnen stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. 2021 waren 91.839 Menschen als beitragszahlende Mitglieder jüdischer Gemeinden registriert.
Bei öffentlichen Kundgebungen, Sportveranstaltungen und anderen gesellschaftlichen Ereignissen, in Schulen, auf der Straße, in einigen Medien und im Internet kam es zu Bekundungen von Antisemitismus einschließlich körperlicher und verbaler Angriffe. Neben antisemitischen Äußerungen gehörte die Schändung von jüdischen Friedhöfen und Holocaust-Gedenkstätten zu den häufigsten antisemitischen Vorfällen. Die Bundesregierung schrieb die meisten antisemitischen Vorfälle Neonazi- oder anderen rechtsextremistischen Gruppen oder Personen zu; die Vorfälle häuften sich im Laufe des Jahres. Im November veröffentlichte die Bundesregierung die erste nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben. Jüdische Organisationen berichteten auch von einer antisemitischen Einstellung und entsprechendem Verhalten bei manchen muslimischen Jugendlichen und Linksextremen. Nichtregierungsorganisationen waren sich einig, dass Rechtsextreme für die meisten antisemitischen Vorfälle verantwortlich waren, gaben aber zu bedenken, dass nationale Statistiken viele von Muslimen begangene Taten fälschlicherweise als rechtsextrem einstuften.
Der bayerischen Landesregierung zufolge wurden die meisten antisemitischen Straftaten in dem Bundesland von Rechtsextremen verübt und nur einige von radikalen Muslimen. Experten aus Politik und Justiz zufolge war die Zahl der Fälle von Volksverhetzung weit höher als die Zahl der Gewaltverbrechen.
Medienberichten zufolge skandierten am 22. und 23. April Teilnehmende zweier unterschiedlicher, rund 700 Personen umfassender Demonstrationen in den Berliner Bezirken Neukölln und Kreuzberg antisemitische Parolen und griffen Polizeibeamte und Journalisten an, die sie als jüdisch bezeichneten. Die Polizei ermittelte gegen mehrere Demonstrierende wegen körperlicher Angriffe und Volksverhetzung. Bundesinnenministerin Nancy Faeser, der Berliner Beauftragte für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Samuel Salzborn, und mehrere Bundespolitikerinnen und -politiker verurteilten den antisemitischen Charakter der Proteste.
Mehrere jüdische Reisende warfen der Fluggesellschaft Lufthansa vor, 127 Reisende daran gehindert zu haben, am 4. Mai in ein Flugzeug von Frankfurt nach Budapest zu steigen. Presseberichten und einem Video zufolge hatten Mitarbeitende der Lufthansa Passagieren mit jüdischen Namen oder traditioneller jüdischer Kleidung nicht erlaubt, an Bord des Flugzeugs zu gehen. Zunächst rechtfertigte die Lufthansa ihr Vorgehen damit, dass einige Menschen sich während eines vorherigen, von New York kommenden Fluges nicht an die Maskenvorgaben gehalten hatten. In einem Video, das in den sozialen Medien kursierte, war eine Mitarbeiterin der Lufthansa zu sehen, die sagte: „Jüdische Menschen waren das Problem, jüdische Menschen haben die Probleme verursacht.“ Am 10. Mai entschuldigte sich die Lufthansa für die Umstände und die Verletzung der persönlichen Gefühle der Passagiere mit einer kurzen Erklärung, die jedoch von vielen Beobachtern wie dem hessischen Antisemitismusbeauftragten Uwe Becker kritisiert wurde, da die Fluggesellschaft darin nicht die volle Verantwortung für die Diskriminierung jüdischer Reisender übernahm. Im September nahm die Lufthansa in direkter Konsequenz aus dem Vorfall die Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) an.
Vertreterinnen und Vertreter jüdischer Gemeinden und der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker kritisierten die internationale Kunstausstellung Documenta 15 wegen antisemitischer Werke. Die Kritik konzentrierte sich zunächst auf die Bildsprache eines großformatigen Werkes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi. Am 22. Juni entfernte die Ausstellungsleitung das Werk, am 16. Juli trat Generaldirektorin Sabine Schormann zurück. Besucherinnen und Besucher kritisierten weitere Werke der Ausstellung wegen ihrer antisemitischen Bildsprache. Die Kuratoren der Ausstellung, das indonesische Kollektiv Ruangrupa, wies die Kritik zurück. Deutsche und internationale jüdische Organisationen kritisieren die Organisatoren, Kuratoren und die Politik dafür, nicht vor der Eröffnung präventive Maßnahmen gegen Antisemitismus in der Ausstellung getroffen zu haben.
Im August forderte die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, eine Überprüfung antisemitischer Stereotype bei der Polizei und sagte, antisemitische Äußerungen und Handlungen würden „häufiger nicht erkannt oder entsprechend gewichtet, wenn Anzeigen aufgenommen oder Ermittlungen durchgeführt werden“.
Die Polizei Berlin ermittelte weiter gegen mehrere Personen, denen nach Demonstrationen im Mai 2021 verschiedene Vergehen in Zusammenhang mit Gewalt und antisemitischer Volksverhetzung vorgeworfen wurden.
Im Juli erhob die Kölner Staatsanwaltschaft Anklage gegen vier Personen, die in einen Übergriff auf einen 18-Jährigen Träger einer Kippa in einem Kölner Park im August 2021 verwickelt gewesen sein sollten. Der Mann war beleidigt und brutal verprügelt worden und hatte einen Jochbeinbruch und eine gebrochene Nase erlitten. Die Polizei konnte zwei der Angreifer mithilfe von Videoaufnahmen des Vorfalls identifizieren und stellen.
Am 9. August verurteilte ein Hamburger Jugendgericht einen 17-Jährigen zu einer 16-monatigen Haftstrafe auf Bewährung und gemeinnütziger Arbeit, weil dieser im September 2021 einen 60-jährigen jüdischen Mann bei einer Mahnwache für Israel in Hamburg geschlagen und schwer verletzt hatte. Der Täter hatte unmittelbar vor dem Angriff „Free Palästina“ und „Scheiß Israel“ gerufen. Vertreter der Stadt Hamburg verurteilten das Verhalten scharf. Auch der Bruder des Täters, der ebenfalls in den Angriff involviert war, wurde zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Im Oktober 2021 wurde ein Neonazi und Holocaustleugner aus Oberhausen (NRW) in der ehemaligen Grabstätte des jüdischen Musikwissenschaftlers Max Friedländer (1852 – 1934) auf einem Friedhof in Stahnsdorf bei Berlin beigesetzt. Nach einer internen Überprüfung des Vorfalls versprach die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg, ihr Vergabeverfahren für Grabstellen zu reformieren. Die Staatsanwaltschaft erhob in dem Fall keine Anklage.
Viele prominente Regierungsvertreterinnen und -vertreter verurteilten im Laufe des Jahres wiederholt antisemitische Vorfälle, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. 2018 führte die Bundesregierung das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus ein. Seitdem wurden in 15 von 16 Bundesländern Länderbeauftragte für den Kampf gegen Antisemitismus eingesetzt. In Bremen, dem einzigen Bundesland, das keinen Beauftragten eingesetzt hat, teilte die jüdische Gemeinde der Landesregierung mit, dass die Einführung eines solchen Amtes nicht erforderlich sei und sie andere Instrumente zur Bekämpfung von Antisemitismus für effizienter halte. Die Aufgabenbereiche des oder der Beauftragten sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich und beinhalten Gespräche mit der jüdischen Gemeinde, die Erstellung von Statistiken zu antisemitischen Vorfällen sowie die Erarbeitung von Aufklärungs- und Präventionsprogrammen. Die Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und dem Schutz jüdischen Lebens, der alle Beauftragten angehören, trifft sich zweimal im Jahr, um sich über Strategien abzustimmen.
Menschenhandel
Mehr hierzu finden Sie im Menschenhandelsbericht des US-Außenministeriums: https://www.state.gov/trafficking-in-persons-report/. [Deutschlandteil: https://de.usembassy.gov/de/laenderberichte-zu-menschenhandel-2021/?_ga=2.244650566.275630041.1648717802-58285912.1637666559].
Gewalttaten, Kriminalisierung und andere Übergriffe aufgrund von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder Ausdruck dieser Identität oder aufgrund der Erscheinungsformen von Geschlechtsmerkmalen
Kriminalisierung: Es gibt keine Gesetze, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unter Erwachsenen verbieten.
Gewalt gegen LGBTQI+-Personen: Lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere und intersexuelle Aktivistinnen und Aktivisten und die LGBTQI+-Gemeinschaft beklagten gewalttätige Angriffe und zunehmende Feindseligkeit gegenüber Angehörigen der LGBTQI+-Gemeinschaft im ganzen Land, die sich häufig gegen Transgender richtete. Im Mai veröffentlichte offizielle Kriminalstatistiken zeigten für 2021 einen 55-prozentigen Anstieg bei der Zahl in Deutschland gemeldeter Hassverbrechen gegen LGBTQI+-Personen, wobei 1.051 davon von Behörden registriert wurden. 190 davon waren gewaltsam (ein Anstieg von 44 Prozent im Vergleich zu 2020) und in 177 Fällen kam es zu Körperverletzungen (42 Prozent mehr als im Jahr 2020). Die Zahl der Hassverbrechen gegen Einzelne wegen ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung lag 2021 im Vergleich zu 2020 67 Prozent höher. Aktivisten aus der Gemeinschaft gehen von einer hohen Dunkelziffer aus und zählten 2021 in Deutschland drei LGBTQI+-feindlich motivierte Tötungen. Die Berliner NGO Maneo gab an, datenschutzrechtliche Bestimmungen hinderten die Polizei in 60 Prozent der Fälle daran, Informationen zu bestimmten Vorfällen freizugeben, was es für die NGO erschwere, das Ausmaß des Problems einzuschätzen.
Am 4. Juni griff eine laut Augenzeugenberichten rund 30 Personen umfassende Gruppe in einem Park einige Teilnehmende des Karlsruher CSD an. Dabei wurden sechs Personen verletzt, eine so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste, und es wurde eine Pride-Flagge verbrannt. Augenzeugen kritisierten die Polizei für ihre schwerfällige Reaktion auf den Vorfall; die Kritik wurde von einem Polizeisprecher zurückgewiesen. Die Polizei nahm am Tatort sechs Tatverdächtige fest.
Am 27. August tötete ein Angreifer Malte C., einen 25-jährigen transgender Mann, bei einer LGBTQI+-Demonstration in Bielefeld. Polizeiangaben zufolge hatten der Angreifer und ein Komplize zunächst an der Demonstration teilnehmenden Frauen LGBTQI+-feindliche Parolen zugerufen. Als Malte C. sie aufforderte, damit aufzuhören, wandte sich einer von ihnen ihm zu und schlug ihm ins Gesicht, bis er zusammenbrach und mit dem Kopf auf der Straße aufschlug. Wenige Tage danach starb Malte C. Am 2. September wurde ein 20-Jähriger Tatverdächtiger von der Polizei festgenommen, der am 16. November von der Staatsanwaltschaft wegen Totschlags und Beleidigung angeklagt wurde. Am Jahresende war noch kein Termin für den Prozess angesetzt und die Festnahme des Komplizen stand noch aus. Die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth und der Bürgermeister von Bielefeld Pit Clausen verurteilten den Angriff.
Am 10. September wurde eine transgender Friseurin in Berlin in ihrem Friseursalon von einem Mann angegriffen, der zunächst behauptete, sich für eine frühere Belästigung entschuldigen zu wollen, um sie dann wieder zu beleidigen. Als die Frau ihn bat den Friseursalon zu verlassen, versuchte er sie zu schlagen und bewarf sie anschließend mit Steinen, wobei das Geschäft beschädigt wurde. Die Polizei nahm einen 16-jährigen Tatverdächtigen fest, ließ ihn aber später wieder frei. Die Ermittlungen dauerten im November noch an.
Im Oktober war noch kein Prozesstermin in dem Fall anberaumt, in dem drei im Juni 2021 festgenommene Verdächtige drei Teilnehmende einer LGBTQI+-Demonstration attackiert und verletzt hatten. Die Polizei hatte die Verdächtigen wieder entlassen und sie sind noch immer auf freiem Fuß.
Diskriminierung: Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder Geschlechtsmerkmalen ist gesetzlich verboten und LGBTQ+-Personen, -Paare und ihre Familien werden vor dem Gesetz anerkannt. Die Behörden setzten das Gesetz durch. Menschen, die Fälle von Diskriminierung melden wollten, konnten dies telefonisch oder online bei staatlichen Beratungsstellen tun.
Rechtskräftige Anerkennung des Geschlechts: Die rechtskräftige Anerkennung des Geschlechts ist gegeben, entspricht aber nicht dem empfohlenen weltweiten Standard, nach dem es Menschen möglich sein sollte, ihr Geschlecht selbst zu bestimmen. LGBTQI+-Aktivistinnen und Aktivisten kritisierten die gesetzliche Anforderung an Transgender, zwei unabhängige Gutachten beizubringen, damit ihr Geschlecht rechtskräftig anerkannt (und ihr Name rechtlich geändert) werden kann, als teuer, zeitaufwändig, subjektiv und als Eingriff in die Privatsphäre.
Unfreiwillige oder erzwungene medizinische oder psychologische Behandlungen insbesondere von LGBTQI+-Personen: Das Anbieten, Bewerben oder Arrangieren von Behandlungen zur Umwandlung minderjähriger Homosexueller oder transgender Kinder durch eine sogenannte Konversionstherapie ist laut Gesetz illegal und kann mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft werden. Auch Personen, die der erzwungenen Durchführung einer solchen „Therapie“ an Volljährigen überführt wurden, können zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Im Berichtsjahr wurden keine Konversionstherapien an Kindern gemeldet.
Seit 17. Mai existiert ein Portal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu Konversionsbehandlungen, bei dem sich Jugendliche und Personen aus deren Umfeld bei Verdachtsfällen kostenfrei und anonym beraten lassen können.
Beschränkungen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit: Es gab keine Einschränkungen für Personen, die sich zu LGBTQI+-Angelegenheiten äußerten und LGBTQI+-Organisationen konnten Veranstaltungen wie Pride-Feiern uneingeschränkt offiziell anmelden und organisieren.
Menschen mit Behinderungen
Bundes- und Landesgesetze verpflichten die Behörden, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten und barrierefreien Zugang zu Bildung und Gesundheit und zu öffentlichen Gebäuden und Dienstleistungen haben sowie gleichberechtigt am Straßen- und Nahverkehr teilnehmen können. Das Gesetz verlangt den barrierefreien Zugang zu Informationen und Mitteilungen, einschließlich öffentlicher Informationen. Diese Vorgaben wurden nicht immer erfüllt. So waren beispielsweise die meisten Arztpraxen in älteren Gebäuden für Menschen mit Behinderungen nicht zugänglich, und es gab zu wenige Gesundheitseinrichtungen, die den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen entsprachen. Informationen und Mitteilungen der Verwaltung wurden nicht immer in barrierefreien Formaten bereitgestellt, insbesondere auf kommunaler Ebene.
Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist gesetzlich verboten. Personen mit sensorischen oder kognitiven Beeinträchtigungen werden im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, aber ihre Rechte gelten als durch die anderen gesetzlichen Bestimmungen abgedeckt. Nichtregierungsorganisationen waren sich nicht einig darüber, ob die Behörden diese Gesetze wirksam durchsetzten.
Menschen mit Behinderungen stießen auch auf Hindernisse beim Zugang zu Beschäftigung (siehe Abschnitt 7.d.) und Wohnraum. Obwohl Diskriminierung aufgrund einer Behinderung gesetzeswidrig ist, war die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter viel höher als in der Allgemeinbevölkerung. Es gab nicht genügend geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen, und obwohl private Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten verpflichtet sind, Menschen mit Behinderungen einzustellen, zogen es viele vor, stattdessen eine Geldstrafe zu zahlen. Außerdem fehlte es an erschwinglichem, zugänglichem und barrierefreiem Wohnraum für Menschen mit Behinderungen. Zudem waren ältere Wohn- und in Privatbesitz befindliche Geschäftsgebäude häufig von den Vorschriften für Barrierefreiheit ausgenommen.
Schätzungsweise 1,3 Millionen Erwachsene im Land standen unter Vormundschaft, viele von ihnen mit einer Behinderung, und ihre Rechte waren durch die Vormundschaftsgesetze in unterschiedlichem Ausmaß eingeschränkt. Im März reformierte die Regierung die Vormundschaftsgesetze mit Wirkung ab 2023, um unter Vormundschaft stehenden Personen mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen. Nichtregierungsorganisationen wie das Institute for Human Rights erklärten, die Reformen gingen nicht weit genug. So lässt das Gesetz beispielsweise in einigen Fällen weiterhin unfreiwillige medizinische Behandlungen oder Sterilisationen zu.
Die Entscheidung, ob Kinder mit Behinderungen am Regelunterricht teilnehmen dürfen oder eine Förderschule besuchen müssen, oblag den Landesbehörden. Die Schulpflicht ist gesetzlich geregelt, sie gilt für Kinder mit Behinderungen ebenso wie für Kinder ohne Behinderungen. Etwa 45 Prozent der Kinder mit Behinderungen besuchten öffentliche Regelschulen, die übrigen besuchten Förderschulen, wobei das Maß der Inklusion in den 16 Bundesländern sehr unterschiedlich war. Etwas mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen, die eine Regelschule besuchten, machten einen Sekundarschulabschluss, verglichen mit einem Viertel derjenigen, die Förderschulen besuchten.
Laut den im Juni veröffentlichten Daten reichten Menschen mit Behinderungen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Jahr 2021 1.775 Beschwerden wegen Diskriminierung ein, das sind 32 Prozent der insgesamt dort eingegangenen Beschwerden.
Andere Fälle von Gewalt oder Diskriminierung in der Gesellschaft
Medienberichten zufolge waren Frauen mit Hidschab auf der Suche nach Arbeit Diskriminierung ausgesetzt. Diese Diskriminierung wurde durch die gängige Praxis, Bewerbungen ein Foto beizufügen, weiter befördert. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2017 erlaubt es Arbeitgebern, Beschäftigten das Tragen religiöser Kleidung und Symbole am Arbeitsplatz zu untersagen, wenn dies notwendig ist, um Arbeitgeber in die Lage zu versetzen, gegenüber Kunden neutral aufzutreten. Es gab Berichte über Arbeitgeber, die von dieser Regelung Gebrauch machten. So räumte beispielsweise im März ein Krankenhaus im Ruhrgebiet ein, dass es seinen Beschäftigten nicht erlaube, bei der Arbeit ein Kopftuch zu tragen, weil das Kopftuch die „religiöse Neutralität der Mitarbeiter gegenüber den Patienten“ verletze.
Die Nichtregierungsorganisationen Deutsche AIDS-Stiftung und Deutsche Aidshilfe gaben an, dass die gesellschaftliche Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids von der Isolierung und negativen Äußerungen durch Bekannte, Familienmitglieder und Freunde bis hin zu Mobbing am Arbeitsplatz reichte.
Abschnitt 7. Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
a. Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen
Das Grundgesetz, Bundesgesetze und Verordnungen gewährleisten das Recht von Beschäftigten, unabhängige Gewerkschaften zu gründen und diesen beizutreten, Tarifverhandlungen zu führen und rechtmäßige Streiks durchzuführen. Wilde Streiks sind nicht erlaubt. Die Diskriminierung von Gewerkschaftsmitgliedern ist gesetzlich verboten, und es gibt Rechtsbehelfe, um Schadenersatz geltend zu machen, unter anderem die Wiedereinstellung unrechtmäßig entlassener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Einige Gesetze und Verordnungen schränken diese Arbeitnehmerrechte ein. Beamtinnen und Beamten steht es frei, Gewerkschaften zu gründen oder sich ihnen anzuschließen. Ihre Gehälter und Arbeitsbedingungen werden jedoch per Gesetz und nicht durch Tarifverhandlungen geregelt. Beamtinnen und Beamte (unter anderem auch einige Lehrkräfte und Beschäftigte bei Post, Bahn und Polizei) sowie Angehörige der Streitkräfte sind vom Streikrecht ausgenommen.
Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern steht es im Allgemeinen frei zu entscheiden, ob sie einen Tarifvertrag abschließen wollen. Auch wenn sie sich dagegen entscheiden, sind Unternehmen zur Anwendung von Tarifvertragsbestimmungen verpflichtet, wenn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Tarifvertrag für den gesamten Sektor für allgemein verbindlich erklärt. Auch rechtlich nicht an einen Branchentarifvertrag gebundene Arbeitgeber orientierten sich bei der Festlegung aller oder eines Teils der Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten häufig an Tarifverträgen. Arbeitgeber können die Verhältnismäßigkeit eines Streiks oder das Recht einer Gewerkschaft auf Streik vor Gericht anfechten. Es gibt für Streiks keine klaren gesetzlichen Regelungen; die Gerichte berufen sich hier häufig auf die Rechtsprechung und Präzedenzfälle.
Der Staat setzte die bestehenden Gesetze wirksam durch. Handlungen und Maßnahmen von Arbeitgebern, die die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen einschränken oder verletzen, gelten als rechtswidrig und werden mit Geldstrafen geahndet. Die Strafen und Maßnahmen zur Abhilfe entsprachen denen aus vergleichbaren Gesetzen, in denen es um die Verweigerung von Grundrechten geht. Gegen Zuwiderhandelnde wurden regelmäßig Strafen verhängt.
Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsräten (der gewählten Arbeitnehmendenvertretung der Betriebe) ist gesetzlich geregelt. Darunter fällt auch das Recht der Beschäftigten, in betriebliche Maßnahmen des Unternehmens, die sie betreffen könnten, eingebunden zu werden. Die Betriebsräte sind von den Gewerkschaften unabhängig, haben aber häufig enge Verbindungen zur Arbeitsbewegung der jeweiligen Branche. Arbeitgebern, die wegen Einmischung in Betriebsratswahlen und -tätigkeiten verurteilt werden, droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Arbeitnehmendenvertreter und -vertreterinnen beklagten, dass eine erhebliche Anzahl von Arbeitgebern Einfluss auf die Wahl von Betriebsratsmitgliedern genommen oder versucht habe, Beschäftigte von der Gründung eines Betriebsrates abzuhalten. Diese Praxis wird von den Gewerkschaften seit Langem kritisiert; sie fordern eine strengere Gesetzgebung zum Schutz von Beschäftigten, die ihre gesetzlichen Rechte wahrnehmen wollen.
b. Verbot von Zwangs- oder Pflichtarbeit
Das Grundgesetz und das Bundesrecht verbieten alle Formen der Zwangs- und Pflichtarbeit. Das Strafmaß für Zwangsarbeit reicht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe und ist in der Regel mit den Strafen vergleichbar, die für andere schwere Delikte verhängt werden. Die Behörden setzten die Gesetze effektiv durch, wenn Verstöße festgestellt wurden, allerdings bezweifelten Nichtregierungsorganisationen, dass ausreichend Ressourcen für Ermittlungen und die strafrechtliche Verfolgung solcher Straftaten zur Verfügung standen. Einige Menschenhändler wurden zu geringfügigen oder zur Bewährung ausgesetzten Strafen verurteilt, was die abschreckende Wirkung und die Bemühungen untergrub, Menschenhändler zur Rechenschaft zu ziehen, aber das Strafmaß entsprach im Allgemeinen der in Deutschland üblichen Praxis.
Es gab Berichte über Zwangsarbeit von Erwachsenen, hauptsächlich im Baugewerbe und in der Gastronomie. Darüber hinaus wurden auch Fälle aus Privathaushalten und Industriebetrieben gemeldet. Im Jahr 2020 schloss die Polizei 34 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels ab, darunter vier wegen Nötigung zum Betteln und acht wegen Nötigung zu Straftaten. Außerdem wurden 88 Opfer von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft identifiziert, von denen 21 aus Rumänien stammten.
Den Bericht über Menschenhandel des US-Außenministeriums finden Sie unter https://www.state.gov/trafficking-in-persons-report/ [Deutschlandteil: https://de.usembassy.gov/de/laenderberichte-zu-menschenhandel-2022-bundesrepublik-deutschland/?_ga=2.61296367.210862359.1678865662-38388664.1678098586].
c. Verbot von Kinderarbeit und Mindestalter für Beschäftigung
Die schwerwiegendsten Formen von Kinderarbeit sind gesetzlich verboten. Das Gesetz sieht ein Mindestalter für Beschäftigung, Beschränkungen der Arbeitszeiten, Sicherheit am Arbeitsplatz und Gesundheitsauflagen für Kinder vor. Es verbietet die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren, mit einigen Ausnahmen: 13- und 14-Jährige dürfen bis zu drei Stunden täglich in landwirtschaftlichen Familienbetrieben arbeiten und bis zu zwei Stunden täglich Zeitschriften oder Prospekte austragen oder andere Dienstleistungen übernehmen, beispielsweise mit Erlaubnis des oder der Erziehungsberechtigten Kinder hüten oder Hunde ausführen. Kinder unter 15 Jahren dürfen während der Schulzeit, vor acht Uhr oder nach 18 Uhr sowie an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen nicht arbeiten. Die Arbeit darf kein Risiko für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Entwicklung des Kindes darstellen und darf das Kind nicht von der Schule oder der Ausbildung abhalten. Kinder dürfen nicht mit gefährlichen Materialien arbeiten, nichts tragen oder handhaben, das mehr als zehn Kilogramm wiegt, und keine Arbeiten verrichten, die eine ungeeignete Körperhaltung erfordern oder sie erhöhter Unfallgefahr aussetzen. Kinder zwischen drei und 14 Jahren dürfen bei Kulturveranstaltungen auftreten, allerdings unter strengen Auflagen bezüglich der Art der Aktivität, der Stundenzahl und der Tageszeit.
Die Behörden setzten die betreffenden Gesetze effektiv durch und die Strafen entsprachen denen für andere schwere Delikte. Gegen Zuwiderhandelnde wurden regelmäßig Strafen verhängt. Es gab vereinzelt Fälle von Kinderarbeit in kleinen Familienbetrieben wie Cafés, Restaurants, landwirtschaftlichen Familienbetrieben und Lebensmittelgeschäften. Kontrollen der regionalen Aufsichtsbehörden sowie die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Rechtsbehelfe waren angemessen, um die weitgehende Einhaltung des Gesetzes zu gewährleisten.
d. Diskriminierung in Bezug auf Beschäftigung und Beruf
Das Gesetz schützt vor Benachteiligung in allen Bereichen des Arbeitslebens, von der Einstellung über Selbstständigkeit und Beförderung bis hin zum beruflichen Aufstieg. Herkunft und Staatsangehörigkeit werden im Gesetz zwar nicht explizit als Diskriminierungsgründe aufgeführt, aber Opfer dieser Art von Benachteiligung haben andere Möglichkeiten, rechtliche Ansprüche geltend zu machen. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, Beschäftigte vor Diskriminierung am Arbeitsplatz zu schützen.
Die Behörden setzten diese Gesetze und Vorschriften das ganze Jahr über wirksam durch. Beschäftigte, die meinen, Opfer von Diskriminierung geworden zu sein, haben das Recht, offiziell Beschwerde einzulegen und angehört zu werden. Sollten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber es versäumen, Beschäftigte wirksam zu schützen, sind diese berechtigt, sich diskriminierenden Situationen und Orten zu entziehen, ohne ihren Arbeitsplatz oder ihr Arbeitsentgelt zu verlieren. Bei Verstößen gegen das Gleichbehandlungsgesetz können Opfer von Diskriminierung auf Unterlassung klagen und haben Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung sowie auf materiellen und immateriellen Schadenersatz, der per Gerichtsbeschluss festgelegt wird. Die Strafen entsprachen denen für andere Grundrechtsverletzungen. Gegen Zuwiderhandelnde wurden regelmäßig Strafen verhängt. Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolge betrafen mindestens 23 Prozent, ca. 1.468 der insgesamt 6.383 Fälle von Diskriminierung und anderer Hilfegesuche, die sie im Jahr 2020 erreichte, die Beschäftigung oder den Arbeitsplatz.
Die ADS erklärte, dass Bewerberinnen und Bewerber ausländischer Abstammung und mit ausländischem Namen selbst dann benachteiligt wurden, wenn sie über ähnliche oder sogar höhere Qualifikationen als andere Bewerberinnen und Bewerber verfügten. 2021 registrierte die ADS 2.080 Beschwerden von Personen, die aufgrund der ethnischen Herkunft am Arbeitsplatz oder bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen diskriminiert wurden. Die ADS gab an, dass insbesondere als asiatisch wahrgenommene Menschen sowie Sinti und Roma im Zusammenhang mit der Pandemie rassistisch diskriminiert wurden.
Das Gesetz sieht gleichen Lohn für gleiche Arbeit vor. Im März gab das Statistische Bundesamt bekannt, dass der Brutto-Stundenlohn von Frauen im Jahr 2021 durchschnittlich 18 Prozent unter dem der Männer lag. Das Amt führte die ungleiche Bezahlung in erster Linie auf die unterschiedlichen Branchen zurück, in denen Männer und Frauen beschäftigt waren, sowie auf ungleiche Anforderungen im Hinblick auf Führungserfahrung und andere Qualifikationen. Frauen waren in gut bezahlten Führungspositionen unter- und in einigen Niedriglohnbereichen überrepräsentiert. Die ADS berichtete, dass Frauen bei Beförderungen ebenfalls benachteiligt wurden, häufig aufgrund von Erwerbsunterbrechungen wegen Kindererziehung.
Das Gesetz sieht einen Frauenanteil von 30 Prozent in den Aufsichtsräten bestimmter börsennotierter Unternehmen vor. Zudem verpflichtet es etwa 3.500 Unternehmen, sich eigene Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen (Aufsichtsräte und obere Leitungsebene) zu setzen und über die Zielgrößen und deren Erreichen öffentlich zu berichten. Infolgedessen stieg der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der an dieses Gesetz gebundenen Unternehmen einer Studie zufolge von etwa 20 Prozent im Jahr 2015 auf 35 Prozent im Jahr 2021 an.
Berichten zufolge wurden Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen sank 2021 um 0,3 Prozent auf 11,5 Prozent, womit sie noch immer erheblich über den Zahlen für die Gesamtbevölkerung lag (2021 durchschnittlich 5,7 Prozent). Unternehmen mit 20 oder mehr Angestellten müssen mindestens fünf Prozent ihrer Stellen an Menschen mit schweren Behinderungen vergeben, Unternehmen mit 20 bis 40 Angestellten müssen eine und Unternehmen mit 40 bis 60 Angestellten müssen zwei Stellen an Menschen mit Behinderung vergeben. Unternehmen müssen jedes Jahr ein Formular beim Arbeitsamt einreichen, anhand dessen überprüft wird, ob sie die Einstellungsquoten für Menschen mit Behinderungen erfüllen. Bei Nichterfüllung wird für jede Stelle, die nicht mit einer Person mit Behinderung besetzt wurde, eine monatliche Geldbuße fällig. 2020, im letzten Jahr, für das Zahlen verfügbar waren, haben fast 105.000 Arbeitgeber ihre Quoten nicht erfüllt und Bußgelder gezahlt.
Obwohl das Gesetz die Gleichbehandlung von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorsieht, waren diese einer gewissen Lohndiskriminierung ausgesetzt. So zahlten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, insbesondere im Baugewerbe, Saisonarbeitenden aus Osteuropa zum Teil niedrigere Löhne.
e. Zumutbare Arbeitsbedingungen
Gesetzliche Regelung von Gehalt und Arbeitsstunden: Der bundesweite Mindestlohn liegt unter der international festgelegten Niedriglohngrenze, die bei zwei Dritteln des nationalen Medianlohns angesetzt wird. Der Mindestlohn gilt nicht für Personen unter 18 Jahren, Langzeitarbeitslose, die seit weniger als sechs Monaten einer neuen Beschäftigung nachgehen, und Auszubildende in der Berufsausbildung, unabhängig davon, wie alt sie sind. Einige Branchen setzten in Tarifverhandlungen ihre eigenen, höheren Mindestlöhne fest.
Ein Bundesgesetz legt eine reguläre Arbeitszeit von acht bis maximal zehn Stunden pro Tag fest und begrenzt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf maximal 48 Stunden. Für die 54 Prozent der Beschäftigten, für die unmittelbar Tarifverträge gelten, betrug die durchschnittliche maximale Wochenarbeitszeit im Rahmen der gegenwärtigen Tarifverträge 37,7 Stunden. Nach maximal sechs Arbeitsstunden ist laut Gesetz eine Pause vorgeschrieben; es müssen regelmäßig Pausen mit einer Gesamtlänge von mindestens 30 Minuten gemacht werden. Des Weiteren sieht das Gesetz zusätzlich zu den gesetzlichen Feiertagen mindestens 24 Tage bezahlten Jahresurlaub vor. Regelungen für Überstunden, Urlaub und die Bezahlung von Wochenendarbeit variierten je nach geltendem Tarifvertrag. Tarif- oder Einzelverträge untersagten die Verpflichtung von Beschäftigten zu einer übermäßig hohen Zahl an Überstunden und schützten sie vor willkürlichen Forderungen des Arbeitgebers.
Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz: Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sind durch umfangreiche Gesetze und Verordnungen geregelt. Ein umfassendes Netz von Versicherungsträgern achtete auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz. Die Zahl der Arbeitsunfälle bei Vollzeitangestellten stieg 2021 um sieben Prozent, und auch die Zahl der tödlichen Unfälle am Arbeitsplatz stieg von 399 im Jahr 2020 auf 510. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, der Spitzenverband der Unfallversicherungsträger, wies darauf hin, dass die Unfallquote weiterhin deutlich unter dem Niveau aus den Jahren vor der Pandemie liegt. Zu den meisten Unfällen kam es auf Baustellen, im Transportsektor und in der Postlogistik.
Während der Corona-Pandemie wiesen verschiedene fleischverarbeitende Betriebe sehr hohe Infektionszahlen auf, als diese im Land insgesamt niedrig waren. Die örtlichen Behörden führten dies häufig auf die Arbeits- und Wohnbedingungen in den Betrieben zurück. 2020 wurde als Reaktion auf solche Corona-Ausbrüche ein Gesetz verabschiedet, das den Einsatz unabhängiger Unternehmen und Subunternehmen in der fleischverarbeitenden Industrie begrenzt und eine elektronische Arbeitszeiterfassung und die Verbesserung der Wohnbedingungen von Beschäftigten vorschreibt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) stellte im April in einem Bericht über die Auswirkungen des Gesetzes fest, dass „das Gesetz in den Bereichen Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, Lohnabrechnung und Arbeitszeit echte Fortschritte gebracht hat“, wies jedoch auf einige noch bestehende Lücken hin.
Durchsetzung von Löhnen, Arbeitszeiten, Gesundheits- und Sicherheitsstandards: Die Behörden setzten die Gesetze effektiv durch und überwachten die Einhaltung der gesetzlichen und branchenweiten Mindestlöhne und Arbeitszeiten mithilfe der der Zollbehörde untergeordneten Arbeitseinheit Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), die im Jahr 2021, dem letzten Jahr, für das Daten vorliegen, beinahe 48.064 Firmenkontrollen durchführte. Zu den Schwerpunktbereichen gehörten die Fleischindustrie, Reinigungsdienste, die Baubranche sowie Logistik- und Paketdienste, bei denen mutmaßliche Verstöße gegen Lohn- und Arbeitszeitvorschriften aufgrund der Praxis, vorwiegend ausländische Beschäftigte über Subunternehmerketten einzustellen, bereits in der Vergangenheit häufiger vorkamen. Beschäftigte können Unternehmen verklagen, die sich nicht an das Mindestlohngesetz halten. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die gegen die Vorschriften verstoßen, können zu beträchtlichen Geldbußen verurteilt werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die entsprechenden Landesministerien überwachten die Einhaltung der Standards für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und setzten diese mithilfe eines Netzwerkes staatlicher Stellen, einschließlich der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, effektiv durch. Auf kommunaler Ebene überwachten Berufs- und Wirtschaftsverbände – selbstverwaltete Körperschaften des öffentlichen Rechts, in denen Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften sitzen – sowie Betriebsräte die Sicherheit am Arbeitsplatz. Die Zahl der Inspekteure war ausreichend, um die Einhaltung der Standards zu gewährleisten. Die Inspekteure waren befugt, unangekündigte Inspektionen durchzuführen und Sanktionen einzuleiten.
Die Strafen für Verstöße gegen Bestimmungen zu Lohn, Arbeitszeit, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz entsprachen denjenigen für andere Straftaten und wurden regelmäßig gegen Verursacher verhängt.
Informelle Wirtschaft: Deutschland bezieht einige Daten aus der informellen Wirtschaft in die Berechnung des BIP ein, veröffentlicht aber keine detaillierte offizielle Statistik zu deren Umfang oder Zusammensetzung. Etwa zehn Prozent des BIP des Landes entfallen auf die informelle Wirtschaft. Dem 2019 in Kraft getretenen Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch zufolge ist es Teil des Mandats der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, nicht angemeldete und illegale Arbeit zu kontrollieren. Rund 8.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FKS sind mit der Aufgabe betraut, Arbeitgeber und Beschäftigte zu überprüfen, die bestimmten Sozialversicherungs-, Steuer-, Sozialleistungs- oder Beschäftigungsmeldepflichten nicht nachkommen. 2021 nahm die FKS unter anderem Kontrollen in fleischverarbeitenden Betrieben, bei Paketdienstleistern, in Nagelstudios, Restaurants und auf Baustellen vor. Eine nicht näher bezeichnete Anzahl nicht gemeldeter Arbeitsverhältnisse war auf Scheinselbstständigkeit zurückzuführen. Das Gesetz kennt die abhängige Selbstständigkeit, und im Jahr 2020, dem letzten Jahr, für das Zahlen vorliegen, waren etwa 8,4 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung des Landes selbstständig tätig.
Originaltext: GERMANY 2022 HUMAN RIGHTS REPORT