Länderberichte zu Menschenhandel 2022 – Bundesrepublik Deutschland
Am 19. Juli 2022 erschienen die vom Büro zur Überwachung und Bekämpfung von Menschenhandel im US-Außenministerium jährlich herausgegebenen Länderberichte zu Menschenhandel. Den Deutschlandteil haben wir übersetzt.
DEUTSCHLAND (Kategorie 1)
Die Bundesregierung erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung von Menschenhandel vollständig. Angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihre Kapazitäten zur Bekämpfung von Menschenhandel hat die Regierung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wichtige Erfolge erzielt, weshalb Deutschland in die Kategorie 1 hochgestuft wurde. Zu diesen Erfolgen gehörten die strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung von mehr Menschenhändler:innen und die im Vergleich zum Vorjahr verstärkten Anstrengungen der Strafverfolgungsbehörden zur Bekämpfung von Menschenhandel. Seit der Eröffnung eines weiteren Beratungszentrums im Jahr 2021 arbeiten in allen 16 Bundesländern auf Menschenhandel spezialisierte NGOs. 2021 richtete ein Bundesland bei der Staatsanwaltschaft eine neue Spezialabteilung zur Bekämpfung von Menschenhandel ein; ein weiteres Bundesland eröffnete zwei neue Unterkünfte, die männlichen Opfern Zuflucht bieten sollen, allerdings war das Angebot an Unterkünften insgesamt nach wie vor unzureichend. Die Regierung stockte die Mittel für die Betreuung von Opfern auf und erstellte gemeinsam mit NGOs, die Opferbetreuung anbieten, einen ministerienübergreifenden Rahmen für Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft. Außerdem führte die Regierung ein freiwilliges Zertifizierungsprogramm für private Arbeitsvermittlungsagenturen im Gesundheitswesen ein, das die Einhaltung des Arbeitsrechts vorschreibt. Zwar halten die Behörden die Mindeststandards ein, jedoch wurden weiterhin milde Strafen verhängt, sodass die Strafen von 66 Prozent der wegen Menschenhandels Verurteilten vollständig zur Bewährung ausgesetzt wurden, sie zu einer Geldstrafe oder zu einer Freiheitsstrafe von unter einem Jahr verurteilt wurden, was gegenläufig zu den Bemühungen war, Menschenhändler:innen zur Verantwortung zu ziehen, die Abschreckung schwächte, potenziell Sicherheitsprobleme für die Opfer schuf und der Schwere der Straftat nicht gerecht wurde. Die Regierung hatte weiterhin keine bundesweite Richtlinie zur Identifizierung und Weiterverweisung von Opfern aller Arten von Menschenhandel, was die Identifizierung von Opfern, insbesondere unter Geflüchteten und Asylbewerberinnen und -bewerbern, möglicherweise behindert hat. Im Berichtszeitraum gab es von staatlicher Seite keine Berichte über Entschädigungszahlungen an Opfer, und es wurden wie zuvor selten Entschädigungen gewährt. Die Finanzierung von Unterkünften und NGOs zur Betreuung und Unterstützung von Opfern waren weiterhin unzureichend und es gab keine Angaben seitens der Behörden, ob für Menschenhandel zuständige Richterinnen und Richter ausreichend geschult wurden.
VORRANGIGE EMPFEHLUNGEN: Rigorose Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgung in Fällen von mutmaßlichem Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung und zur sexuellen Ausbeutung sowie Verurteilung von Menschenhändler:innen zu angemessenen Strafen, einschließlich maßgeblicher Freiheitsstrafen. Gewährleistung der Gleichbehandlung von Opfern durch die Schaffung einer nationalen Ermittlungs- und Verweisrichtlinie für Opfer aller Formen von Menschenhandel in allen Bundesländern. Schärfung des Bewusstseins und Vergrößerung des Schulungsangebots zum Thema Menschenhandel für mit Menschenhandel befasste Richterinnen und Richter, um diese für die Schwere von Menschenhandelsdelikten zu sensibilisieren. Gewährleistung systematischer und kontinuierlicher Schulungen für die zuständigen Beamtinnen und Beamten bei den Einwanderungsbehörden, um leichter mögliche Opfer unter Migrantinnen und Migranten und Asylsuchenden ausmachen zu können. Gewährleistung eines strukturierten Verfahrens zur Betreuung von Opfern im Kindesalter sowie Ausbau fachgerechter Betreuung, Dienstleistungen und ausreichender Unterbringungsmöglichkeiten für männliche Opfer. Verbesserte Aufklärung über und besserer Zugang der Überlebenden von Menschenhandel zu Schadenersatz und Entschädigungen sowie verstärkte Bemühungen von Staatsanwaltschaften, im Rahmen von Strafverfahren systematisch Entschädigungen für Opfer zu fordern. Verabschiedung eines nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel (NAP) für alle Formen von Menschenhandel. Ausweitung der Kapazitäten von Ermittelnden, Staatsanwaltschaften und Gerichten mit besonderer Expertise im Bereich Menschenhandel, um Verfahrensverzögerungen so gering wie möglich zu halten und Erwägung der Einrichtung zusätzlicher Spezialeinheiten für Menschenhandel. Verstärkte Priorisierung von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung, einschließlich der Identifizierung von Opfern sowie von Ermittlungen gegen und strafrechtlicher Verfolgung von Täterinnen und Tätern im Bereich Arbeitsausbeutung. Verbesserung des Arbeitnehmendenschutzes durch die Abschaffung von Anwerbe- oder Vermittlungsgebühren, die deutsche Arbeitsvermittlungen Arbeitnehmenden in Rechnung stellen, und durch die Gewährleistung, dass Arbeitgebende sämtliche Anwerbegebühren zahlen. Umsetzung effektiver und konsequent umgesetzter Maßnahmen und Überwachung von Anwerbefirmen und Branchen, in denen hauptsächlich ausländische Arbeitnehmende tätig sind, einschließlich der strafrechtlichen Verfolgung betrügerischer Anwerbungen zur Ausbeutung der Arbeitskraft und von Menschenhandel zu diesem Zweck. Ernennung eines nationalen Berichterstatters, der die staatlichen Anstrengungen im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und zur Ausbeutung der Arbeitskraft unabhängig überprüft. Einrichtung eines einheitlichen und umfassenden Datenerhebungssystems, einschließlich öffentlich zugänglicher, nach Verurteilungsgrund aufgeschlüsselter Daten, falls die Angeklagten wegen Straftaten im Bereich des Menschenhandels und zugleich wegen einer oder mehrerer weiterer schwerer Straftaten verurteilt wurden. Schaffung eines nationalen Koordinierungsgremiums, das für Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ebenso wie für Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft zuständig ist, um die Angleichung des institutionellen Rahmens und der Koordinierungsstrukturen auf Bundes- und Länderebene voranzutreiben. Stärkere Einbindung von Überlebenden, unter anderem durch die Einrichtung niedrigschwelliger Mechanismen für die Vergütung von Beiträgen der Überlebenden bei der Ausarbeitung von Maßnahmen, Programmen und Schulungen.
Ausweitung der Bestrebungen, Ermittlungen im Bereich der Wirtschaftskriminalität in Verbindung mit Fällen von Menschenhandel durchzuführen.
STRAFVERFOLGUNG
Die Regierung verstärkte die Strafverfolgungsmaßnahmen, aber die Gerichte fällten bei der Verurteilung von Menschenhändler:innen weiterhin milde Urteile. Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und zum Zweck der Arbeitsausbeutung ist gemäß §§ 232, 232a, 232b, 233 und 233a StGB strafbar. Das Strafmaß reicht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, was ausreichend streng ist und hinsichtlich des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung dem Strafmaß für andere schwere Straftaten, wie beispielsweise Vergewaltigung, entspricht. Für eine Strafverfolgung mutmaßlicher Täter, die Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betreiben, muss laut Gesetz keine Gewaltanwendung oder Ausnutzung einer Zwangslage nachgewiesen werden, wenn das Opfer unter 21 Jahre alt ist. Die Strafverfolgungsbehörden der Länder führten 2020, im letzten Jahr, für das umfassende Statistiken vorlagen, in 325 Fällen von Menschenhandel Vorermittlungen gegen 421 Verdächtige durch. Die Zahlen gleichen denen des Vorjahres, als in 313 Fällen gegen 472 Verdächtige ermittelt wurde, waren aber niedriger als 2018, als 386 Vorermittlungen gegen 602 Verdächtige durchgeführt wurden. Unter den Ermittlungen im Jahr 2020 waren 291 Fälle von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und 34 zur Ausbeutung der Arbeitskraft, darunter vier Fälle von Nötigung zum Betteln und acht Fälle von Nötigung zu Straftaten. 2021 führten deutsche Strafverfolgungsbehörden und internationale Partner, darunter Europol und die Slowakei, mindestens sechs gezielte Operationen gegen kriminelle vietnamesische Organisationen durch, die in Menschenhandel und Schmuggel verwickelt waren. Dies führte zur Festnahme von mindestens sechs Verdächtigen und zur Identifizierung von mindestens 13 Opfern.
Wenn ein Angeklagter wegen mehrerer Straftaten gerichtlich verurteilt wurde, wurde dieser Fall statistisch nur unter der Straftat erfasst, für die das Gericht die höchste Strafe verhängte. Daher erschienen Fälle, in denen Angeklagte zwar wegen Menschenhandels verurteilt wurden, aber eine Gesamtstrafe erhielten, weil sie eine weitere Straftat begangen hatten, die ein höheres gesetzliches Strafmaß nach sich zog, nicht in der offiziellen Statistik. Die derzeitigen Standards für die Zuordnung von Daten und die Verfahren bei der Datenerhebung sowie die strengen Datenschutzgesetze hatten weiterhin eine unvollständige Erfassung von Daten und eine zu geringe Meldung von Daten zur Folge. Dadurch verringerte sich vermutlich sowohl die erfasste Zahl der Verurteilungen wegen Menschenhandels als auch die erfasste durchschnittliche Länge der Haftstrafen. Um ein vollständigeres Bild ihrer Bemühungen in diesem Bereich zu zeichnen, stellten die Behörden Statistiken über die Strafverfolgung und Verurteilung in Fällen von Menschenhandel zur Verfügung, in denen dies der Haupt- oder Nebenanklagepunkt war. Die Gesamtzahl der strafrechtlich verfolgten Fälle lag mit 262 im Jahr 2020 höher als die mindestens 215 im Jahr 2019. 2020 ermittelten die Staatsanwaltschaften gegen 128 Angeklagte im Hauptanklagepunkt Menschenhandel und gegen mindestens 139 Verdächtige im Nebenanklagepunkt Menschenhandel. Insgesamt wurden im Jahr 2020 224 Personen verurteilt, mehr als 2019, als es 195 waren. Die Gerichte sprachen im Jahr 2020 85 Personen im Hauptanklagepunkt Menschenhandel schuldig und 139 Personen im Nebenanklagepunkt Menschenhandel.
Statistiken gab es lediglich zu Strafen im Hauptanklagepunkt Menschenhandel. Von den 85 im Jahr 2020 im Hauptanklagepunkt Menschenhandel Verurteilten, erhielten in 66 Prozent (56 Personen) entweder eine vollständig zur Bewährung ausgesetzte Strafe (33 Personen), eine Geldstrafe (15 Personen) oder eine Gefängnisstrafe von weniger als einem Jahr (acht Personen). Zum Vergleich: 2019 erhielten 72 Prozent der im Hauptanklagepunkt Menschenhandel Verurteilten solche milden Strafen. Nur 34 Prozent der wegen Menschenhandels Verurteilten (29) erhielten maßgebliche Gefängnisstrafen von mehr als einem Jahr (2019: 28 Prozent). Richterinnen und Richter setzten Strafen von unter zwei Jahren für die meisten Verbrechen, auch für Menschenhandel, meist zur Bewährung aus, insbesondere bei Ersttätern. Diese Praxis minderte jedoch den Abschreckungseffekt, untergrub möglicherweise die Bemühungen der Polizei und Staatsanwaltschaft und könnte insbesondere die Opfer in Gefahr bringen, die sich bei den Ermittlungen und Verfahren kooperativ zeigten.
Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung wurde im Berichtszeitraum nach wie vor unzureichend priorisiert und die Bemühungen in der Strafverfolgung waren angesichts des mutmaßlichen Ausmaßes der Verbrechen gering. Den verfügbaren Daten für das Jahr 2020 zufolge wurde in 34 Fällen der Zwangsarbeit nach § 232b StGB ermittelt, in 14 Fällen kam es zur Anklage und in fünf Fällen wurden die Angeklagten wegen Zwangsarbeit verurteilt. Im Vergleich: 2019 wurde in nur 26 Fällen ermittelt, und es gab keine Anklagen oder Verurteilungen. Dennoch blieben die Strafen für Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung mild – Verurteilte erhielten lediglich Geldstrafen oder ihre Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) gab einen Forschungsbericht zur Evaluierung der Neufassungen der §§ 232 bis 233a StGB von 2016 in Auftrag, der im September 2021 veröffentlicht wurde. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass eine effektive Bekämpfung von Nötigung zum Betteln und Nötigung zu Straftaten zusätzliche, fachgerechte Schulungen der Strafverfolgungsbehörden erfordern würde und eine Dienststelle speziell mit diesem Bereich beauftragt werden müsse. Darüber hinaus ergab der Bericht, dass es insgesamt zu wenige auf Menschenhandel spezialisierte Fachleute gebe. Besonders bemerkenswert war im Berichtszeitraum unter anderem die Verurteilung von fünf Anhängern des IS zu hohen Strafen wegen der Versklavung jesidischer Frauen und Kinder. Die in Deutschland geführten Verfahren und ausgesprochenen Urteile gelten weltweit als die ersten im Zusammenhang mit internationalen Verbrechen gegen die Bevölkerungsgruppe der Jesiden. Im Januar 2022 begann zudem ein Verfahren gegen einen weiteren Verdächtigen, und im März 2022 wurde ein Anhänger des IS festgenommen, dem neben anderen Straftaten auch Menschenhandel vorgeworfen wurde. Die Behörden meldeten keine Ermittlungen gegen, Anklagen oder Verurteilungen von Beamtinnen und Beamten, die an Menschenhandelsdelikten beteiligt waren.
Die komplexe Formulierung und der Geltungsbereich der Menschenhandelsparagraphen im Strafgesetzbuch (§§ 232 bis 233a StGB) führten Berichten zufolge dazu, dass mutmaßliche Menschenhändler:innen manchmal wegen Delikten angeklagt wurden, die einfacher nachzuweisen waren als Zwangsausübung bei Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und zur Arbeitsausbeutung. Darüber hinaus ergab der vom BMJ in Auftrag gegebene Forschungsbericht, dass die Neufassungen der §§ 232 bis 233a bislang nicht die gewünschte Wirkung für die Strafverfolgung im Bereich Menschenhandel erreicht hätten. Der Bericht kam konkret zu folgenden Ergebnissen: Die Zahl der strafrechtlichen Ermittlungen oder Verurteilungen wegen Menschenhandels war im Vergleich zur Zeit vor der Neufassung der Straftatbestände nicht signifikant höher, die Vorschriften seien verwirrend und stützten sich fast ausschließlich auf die Aussagen der Opfer, der Gesetzgeber habe keine ausreichenden strukturellen Veränderungen vorgenommen, die für eine effektive Verfolgung notwendig wären, was dazu führte, dass Staatsanwaltschaften Menschenhändler:innen wegen anderer Verbrechen anklagten. Aufgrund des föderalen Systems lag die Zuständigkeit für Strafverfahren in Deutschland bei den Gerichten der Bundesländer, folglich unterschieden sich Verfahren, Personaldecke und Finanzierung von Bundesland zu Bundesland. Einige Ermittlungen und Gerichtstermine wurden 2020 nach Angaben der Behörden wegen pandemiebedingter Einschränkungen, Personalmangels und aufgrund von Kapazitätsproblemen verschoben. Einige Fälle verzögerten sich den Strafverfolgungsbehörden zufolge auch, weil die Opfer nicht bereit waren, während der Pandemie persönlich zur Aussage zu erscheinen.
Viel Fluktuation, eine unzureichende Personaldecke und begrenzte Ressourcen speziell für Fälle von Menschenhandel behinderten die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und führten bisweilen zu langwierigen Gerichtsverfahren, die aufgrund von Verjährung oder der mangelnden Bereitschaft der Opfer, sich an längeren Verfahren zu beteiligen, schließlich eingestellt wurden. NGOs zufolge konnte die Polizei einige der ihr gemeldeten Fälle erst nach fünf bis acht Jahren bearbeiteten. Darüber hinaus wirkten sich schleppende Strafverfolgungsverfahren häufig negativ auf Zeugenaussagen aus. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat Ermittlerinnen und Ermittler, die speziell für den Bereich Menschenhandel zuständig sind. Die meisten, aber nicht alle Bundesländer, hatten spezielle Einheiten für Ermittlungen im Bereich Menschenhandel, und einige Bundesländer verfügten auch über spezialisierte Abteilungen der Staatsanwaltschaften. Im August 2021 richtete Bayern als weiteres Bundesland eine Spezialeinheit für Menschenhandel innerhalb der Staatsanwaltschaft München ein. Während Verfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung häufig von Staatsanwälten geleitet wurden, die Erfahrung damit hatten, Opfer im Verlauf des Prozesses zu unterstützen, wurden Verfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der Arbeitsausbeutung häufiger den Abteilungen für Finanz- und Wirtschaftskriminalität oder organisiertes Verbrechen zugewiesen, denen es an entsprechender Erfahrung mangelte. Im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich auf Finanzströme im Zusammenhang mit Menschenhandel konzentriert und ein Handbuch zu Menschenhandel entwickelt hat. Es wurden jedoch keine Ermittlungen oder konkreten Ergebnisse bekanntgegeben, die sich unmittelbar aus dieser Partnerschaft ergeben haben.
Von Bund und Ländern finanzierte NGOs organisierten und veranstalteten weiterhin Schulungen für Strafverfolgungsbeamte, obwohl aus der Zivilgesellschaft mehr Schulungen im Hinblick auf Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung gefordert wurden, insbesondere im Hinblick auf die Erkennung von ausländischen Arbeiterinnen und Arbeitern, die Opfer von Menschenhandel sind. Die von NGOs betriebene Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel gab an, 16 Schulungen für 300 Teilnehmende durchgeführt zu haben. Das BKA und diverse staatlich geförderte NGOs berichteten von der Durchführung ausführlicher Präsenz- und Online-Schulungen für unterschiedliche behördliche Zielgruppen, z. B. Mitarbeitende in Asylzentren, Strafverfolgungs- und Einwanderungsbeamtinnen und Beamte, Beamtinnen und Beamte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Zollverwaltung, Mitarbeitende von Unterkünften und die Staatsanwaltschaft. Die Deutsche Richterakademie, eine bundesweite Weiterbildungseinrichtung für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gab an, 2021 einen fortgeschrittenen Kurs zu Menschenhandel angeboten zu haben, berichtete aber nicht, wie viele Personen daran teilnahmen. Das BKA unterhielt ein Informationsportal für die Bundes- und Landespolizeien, das über aktuelle Entwicklungen, Richtlinien und Ermittlungsinstrumente zur Bekämpfung von Menschenhandel informierte. Die Servicestelle unterhielt weiterhin eine Online-Plattform mit Informationen über Richtlinien, Abkommen und Beratungszentren für Opfer. Die Bundespolizei und die Landespolizeien setzten ihre Zusammenarbeit mit EUROPOL zu gemeinsamen Aktionstagen und im Rahmen EU-geförderter Programme ebenso fort wie die bilaterale Zusammenarbeit mit Ungarn, dem Kosovo, Polen, Rumänien, der Slowakei, Spanien und der Türkei bei grenzüberschreitenden Ermittlungen zu Menschenhandel, was zur Festnahme von 400 Verdächtigen und zur Feststellung von 187 möglichen Opfern von Menschenhandel in Deutschland und den beteiligten Ländern in ganz Europa geführt hat. Die Regierung berichtete von der Ausrichtung eines Seminars zur Opferhilfe, von Ermittlungen und der Strafverfolgung von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung in der Ostseeregion, an dem 40 Fachkräfte aus acht Ländern teilnahmen.
OPFERSCHUTZ
Der Staat verstärkte die Bemühungen zum Schutz von Opfern. 2020, im letzten Jahr, für das umfassende Statistiken vorlagen, erfassten die für den Opferschutz zuständigen Landesbehörden 494 Opfer von Menschenhandel. Im Vergleich: 2019 waren es genauso viele und 2018, lag die Zahl mit 503 knapp darüber. Staatlich geförderte NGOs ermittelten von Januar 2020 bis Juni 2021 820 Opfer von Menschenhandel (2019: 987). Möglicherweise wurden diese Opfer jedoch auch in den Statistiken der staatlichen Behörden mitgezählt, weshalb die Gesamtzahl der identifizierten Opfer unklar ist. Aus Zeitgründen war ein Vergleich mit dem Vorjahr nicht möglich. Unter den durch Behörden ermittelten Opfern waren 406 Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (2019: 427) und 88 Opfer von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft (2019: 67), darunter vier Person, die zum Betteln (2019: 1) und 11 Personen, die zu Straftaten (2019: 23) gezwungen wurden. Fast alle Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (94 Prozent) waren weiblich, und 42 Prozent derer, deren Alter bekannt war, waren unter 21. Die Mehrheit der erfassten Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung stammten aus Deutschland (131), Rumänien (68) und Bulgarien (56). 2020 war die Mehrheit der Opfer von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft aus Rumänien und Simbabwe; acht von ihnen waren unter 21, die meisten der Opfer waren in der Baubranche tätig. Die Mehrheit der Opfer von Menschenhandel wurde weiterhin proaktiv von der Polizei ausfindig gemacht. In ihrem Bericht von 2019 hob die Expertengruppe des Europarates für Menschenhandel (GRETA) hervor, dass die offiziellen Zahlen erfasster Menschenhandelsopfer das wahre Ausmaß des Menschenhandels in Deutschland nicht widerspiegelten, da es keine umfassende und kohärente Vorgehensweise gebe, um Opfer – auch unter Migrantinnen und Migranten und Asylsuchenden – ausfindig zu machen und zu identifizieren. Es habe außerdem Probleme bei der Datenerhebung gegeben und Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung sei keine ausreichende Priorität eingeräumt worden. Einige Nichtregierungsorganisationen berichteten, dass die Zahl der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung nach der Einführung des Prostituiertenschutzgesetz 2016 gestiegen sei, während andere NGOs sich weiter besorgt darüber äußerten, dass Menschenhandelsopfer sich entweder nicht registrieren oder sich zwar registrieren ließen, aber dabei Menschenhandelsdelikte nicht erwähnten; trotzdem stieg die Zahl der festgestellten Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung nicht entsprechend an.
Die Regierung hat kein nationales System zur Identifikation und Verweisung von Opfern aller Formen von Menschenhandel, sodass weder Kinder noch Erwachsene systematisch Betreuung erhielten. Auf Bundesebene gab es Verfahren zur Identifizierung von Opfern und um sie an betreuende Stellen zu verweisen, aber die Opferbetreuung wurde größtenteils auf Landesebene geregelt. Nichtregierungsorganisationen äußerten die Annahme, dass die Einführung eines nationalen Verfahrens im Vergleich zu anderen Themen für die Regierung keine hohe Priorität habe. Es gab allerdings für Kinder eine nationale Strategie zur Erfassung von und Kooperation sowie Pläne für die Schaffung eines nationalen Verweisverfahrens für Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung, wobei von staatlicher Seite bis zum Ende des Berichtszeitraums dazu keine Ergebnisse veröffentlicht wurden. Die Regierung förderte weiterhin eine NGO, die mit der Umsetzung der Kooperationsstrategie für Kinder beauftragt war. Die NGO gab an, insgesamt acht Netzwerke in sechs Bundesländern geschaffen und Regierungsvertreterinnen und -vertreter und Fachleute für die Veranstaltung von Gesprächsrunden über die Bekämpfung von Menschenhandel und Ausbeutung geschult zu haben. Jedes Bundesland hatte ein eigenes System, um Opfer entweder an staatliche Unterstützungsstellen oder an NGOs zu verweisen, und in mehreren Bundesländern existierten schriftliche Richtlinien zur Identifikation von Opfern. Einige staatlich geförderte NGOs gaben weiterhin Broschüren heraus, die vermitteln, wie man Menschenhandel erkennen kann und welche Hinweise es gibt. Eine der Broschüren enthielt von auch die speziellen Indikatoren für Nötigung zum Betteln und Nötigung zu Straftaten. In 13 der 16 Bundesländer bestehen Kooperationsvereinbarungen zwischen Polizeibehörden und NGOs mit unterschiedlichen Zielsetzungen, aber nicht alle beziehen sich auch auf alle Formen des Menschenhandels wie Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft sowie, Nötigung zum Betteln und Nötigung zu Straftaten. Nach Angaben der Behörden haben pandemiebedingte Einschränkungen und Personalmangel die Identifizierung von Opfern von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung 2020 besonders erschwert, da viele Menschenhändler:innen sich an die Lage angepasst und über Internetplattformen gearbeitet haben. Die pandemiebedingte Schließung von Betrieben und die zusätzliche, physische Isolation aufgrund der Pandemie hätten auch die Ermittlung von Opfern von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft erschwert. Die Zahl der Hilfeersuchen und Fälle von Arbeitsausbeutung und Menschenhandel stieg besonders in der Landwirtschaft stark an; dennoch war es NGOs zufolge aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen nach wie vor schwierig, Kontakt mit in Fabriken und landwirtschaftlichen Betrieben arbeitenden Personen aufzunehmen.
Die Behörden gaben keine umfassenden Informationen oder die Zahl der Opfer bekannt, die insgesamt Betreuung in Anspruch nahmen, aber sie berichteten, dass von den 406 erfassten Opfern von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung mindestens 130 betreut wurden, nämlich 92 von Fachberatungsstellen und 38 von Jugendberatungsstellen, ähnlich wie im Jahr 2019, als 116 Opfer Hilfeleistungen in Anspruch nahmen. 2021 veröffentlichte der staatlich geförderte Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK) seinen ersten Bericht zur Evaluation des Zugangs von Opfern zu staatlich finanzierten Dienstleistungen und Beihilfen, der auf mithilfe einer staatlich finanzierten Datenbank zusammengetragenen Informationen von 16 seiner 39 Mitgliedsorganisationen basierte. Der KOK berichtete, dass Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung zwischen Januar 2020 und Juni 2021 folgende Dienstleistungen von staatlich geförderten Beratungszentren in Anspruch genommen hatten: psychosoziale Unterstützung (613), Unterrichtung über Opferrechte (588), Krisenintervention (424), Unterstützung während des Asylverfahrens (421), Hilfe bei der Dokumentation (360), Unterstützung bei Verfahren zur Aufenthaltserlaubnis (346); Hilfe für die Sicherung des Lebensunterhalts (323) und zum Erhalt einer Entschädigung oder der Nachzahlung von Löhnen (86), Vereinbarung von und Begleitung zu Arztterminen (253), Unterstützung in Strafverfahren (75) und Vermittlung an Schulungs- und Bildungseinrichtungen (104), von Sprachkursen und Kursen zum Erwerb der Lese- und Schreibfähigkeit (265) sowie Vermittlung von Erwerbstätigkeit (49). 2021 hatten einige Notunterkünfte und Beratungsstellen aufgrund der Pandemie geringere Kapazitäten und NGOs stellten fest, dass es schwierig war, freie Plätze für Opfer in Notunterkünften zu finden, vor allem, weil es während der Pandemie vermehrt zu häuslicher Gewalt kam. NGOs berichteten, dass sie einige Dienste der Opferhilfe in Anpassung an die Gegebenheiten der Pandemie auf eine Online-Plattform verlagert hätten. Diese Maßnahme könnte jedoch einigen Opfern ohne Internet oder deutsche Sprachkenntnisse den Zugang erschwert haben, insbesondere dann, wenn die Opfer auch ihre Unterlagen online einreichen mussten.
Staatliche Opferhilfe wurde hauptsächlich durch die staatlich geförderte und von NGOs betriebene Servicestelle und die ihr zugehörigen Beratungszentren angeboten, die auf Hilfe für Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung, ausländische Migrantinnen und Migranten und Geflüchtete spezialisiert sind. Der KOK gehören 42 Mitgliedsorganisationen an, darunter Fachberatungsstellen, Projekte für Migrantinnen und Migranten und Frauenhäuser. Der KOK fungierte dabei als Anlauf- und Koordinierungsstelle für NGOs, die gegen Menschenhandel kämpfen. Dieses Modell ermöglichte es Opfern, Hilfe zu erhalten, ohne mit den Strafverfolgungsbehörden in Kontakt treten zu müssen, wodurch es nach Ansicht der Behörden wahrscheinlicher sei, dass Opfer Hilfe in Anspruch nehmen. 2021 wurde die Arbeit des KOK von staatlicher Seite mit 506.000 Euro gefördert, ähnlich wie 2019 und 2020 (jeweils 500.000 Euro); mit weiteren 199.600 Euro wurden Projekte einer NGO zur Bekämpfung von Menschenhandel gefördert. Darüber hinaus stellte der Staat ebenso wie bereits im Jahr 2020 etwa 271.000 Euro für die NGO bereit, die die Servicestelle unterhielt. Die Landesregierungen unterstützten Opfer von Menschenhandel und bewilligten für NGOs, die Menschenhandel bekämpfen, 2021 einschließlich einiger zusätzlicher Mittel für pandemiebedingte Kosten mindestens 5,91 Millionen Euro; 2020 waren es 3,3 Millionen Euro gewesen. Dennoch berichteten zivilgesellschaftliche Akteure, dass es für den operativen Bedarf an Personal und Geld mangelte und die Situation durch pandemiebedingte Ausgaben noch verschlimmert wurde, sodass sie auf private Spenden angewiesen waren. Die Ausweitung menschenhandelsbezogener Aufgaben ohne Zuteilung zusätzlicher Ressourcen schuf Probleme bei der angemessenen Betreuung der Opfer. Zivilgesellschaftliche Akteure merkten an, dass es vielen ländlichen Gegenden nach wie vor an Ressourcen mangele, die konkret der Bekämpfung von Menschenhandel dienen. Staatlich finanzierte, von Nichtregierungsorganisationen geleitete Beratungsstellen wandten sich sowohl an Opfer von Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft als auch der sexuellen Ausbeutung, allerdings hatten viele Beratungsstellen nur den Auftrag, weibliche Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu betreuen. Mit der Eröffnung eines staatlich finanzierten Beratungszentrums in Thüringen arbeiteten von NGOs geleitete Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel in 45 Städten und allen 16 Bundesländern; sie boten Unterkünfte, medizinische und psychologische Versorgung, Rechtsberatung, Hilfe bei der Arbeitssuche und bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis. Seit 2021 haben die Opfer Anspruch auf 15 bis 18 Notfallhilfe-Sitzungen in Trauma-Ambulanzen. Eine zivilgesellschaftliche Organisation berichtete jedoch, dass viele von Menschenhandel Betroffene nicht gesetzlich krankenversichert seien und dass diejenigen, die versichert sind, in der Regel von medizinischem Personal behandelt werden, das nicht darin geschult ist, Opfer von Menschenhandel zu erkennen. Darüber hinaus stellten zivilgesellschaftliche Akteure fest, dass die Unterbringung aller Opfer von Menschenhandel unzulänglich war und es an einheitlichen bundesweiten Standards mangelte. Für Kinder, weibliche Transgender-Personen und männliche Opfer von Menschenhandel gab es in diesen Zentren nur begrenzte langfristige oder umfassende Unterstützung und Unterbringungsmöglichkeiten. Zivilgesellschaftliche Akteure stellten außerdem fest, dass es zwar mehr Angebote für weibliche Opfer gab, die Unterbringung von Männern jedoch nur ad hoc erfolgte und es für Kinder keine speziellen Unterkünfte gab, die auf die Bedürfnisse von Opfern von Menschenhandel abgestimmt waren. Die allgemeine Verfügbarkeit von Hilfsangeboten und Unterkünften war je nach Bundesland uneinheitlich oder unzureichend. Während Nordrhein-Westfalen im Jahr 2021 zwei neue Schutzhäuser für männliche Opfer eröffnete und mehrere Bundesländer die Mittel für zusätzliche Gewaltschutzeinrichtungen aufstockten, stellten NGOs weiterhin fest, dass einige männliche Opfer 2021 aufgrund von Kapazitätsengpässen nicht aufgenommen werden konnten. Eine KOK-Studie von 2021, im Rahmen derer Gerichtsurteile – auch zu Fällen von Menschenhandel – aus den Jahren 2017 bis 2021 ausgewertet wurden, kam zu dem Schluss, dass Betroffene, die Sozialleistungen und Hilfsangebote nutzten, sehr viel seltener erneut Opfer von Menschenhandel wurden, was durch die Pandemie noch deutlicher wurde.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wendete weiter seine Standardverfahren und Indikatorenlisten an, um im Rahmen des Asylschutzsystems potenzielle Opfer zu erkennen und Verweisungen an Beratungszentren vorzunehmen. Allerdings gab es von NGOs immer wieder Empfehlungen für erforderliche Verbesserungen bei der Opfererkennung. Jede BAMF-Außenstelle verfügte über wenigstens eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter zur Feststellung und Unterstützung möglicher Opfer von Menschenhandel. Ein NGO-Grundsatzpapier vom November 2020 kam zu dem Schluss, dass die BAMF-Mitarbeitenden zur Bewältigung des Arbeitsanfalls zusätzliche Schulungen und Ressourcen benötigen. Während die Behörden erklärten, dass bei Migrantinnen und Migranten und Asylsuchenden auf Anzeichen für Menschenhandel geachtet wird und identifizierte Opfer Anspruch auf Sozialleistungen und Abschiebeschutz hatten, waren unentdeckte Opfer weiterhin gefährdet und konnten in das EU-Land abgeschoben werden, in das sie zuerst eingereist waren, ohne zuvor Schutzleistungen zu erhalten. Gelegentlich wurden Opfer, die einen Asylanantrag in einem anderen Land gestellt haben und das Verfahren in Deutschland weiterbetreiben wollen, in ihr ursprüngliches EU-Einreiseland zurückgeschickt, wo sich manchmal auch die Menschenhändler:innen aufhalten. NGOs berichteten, dass potenzielle Opfer von Menschenhandel aufgrund fehlender Dokumente manchmal wie Kriminelle behandelt oder abgeschoben wurden, bevor sie überprüft wurden oder sie die Möglichkeit hatten, Ansprüche auf entgangenen Lohn geltend zu machen. Beratungsstellen berichteten, dass die auf Menschenhandel spezialisierten BAMF-Mitarbeitenden nicht immer an Abschiebungsanhörungen beteiligt oder einbezogen wurden. Zivilgesellschaftliche Akteure stellten fest, dass nicht in diesem Bereich geschulte Einwanderungs- und Polizeibeamtinnen und -beamte Opfer von Menschenhandel in der asylsuchenden und migrantischen Bevölkerung nur selten erkannten, selbst wenn die Opfer direkt auf ihre Erfahrungen mit Menschenhandel verwiesen, insbesondere wenn NGOs oder Beratungsstellen nicht beteiligt waren. NGOs berichteten, dass pandemiebedingte Verzögerungen bei der Anhörung von Asyl- und Flüchtlingsfällen im Jahr 2020 zu einem Rückstau im Jahr 2021 und zu Verzögerungen bei den Leistungen für Antragstellende geführt hatten. Auch führten die Einschränkungen durch die Pandemie dazu, dass einige Opfer nicht zu ihren Anhörungen begleitet werden konnten. Die Beratungsstellen konnten Opfer von Menschenhandel ermitteln und an die entsprechenden Stellen verweisen, berichteten aber weiterhin, dass BAMF-Mitarbeitende ihren Feststellungen häufig nicht zustimmten und die Opfer trotzdem abschoben. Ähnlich wie in den Vorjahren hoben die Bundesgerichte Abschiebungsentscheidungen des BAMF auf, darunter war mindestens ein Fall, in dem eine Person in ein unsicheres Herkunftsland abgeschoben wurde, und ein weiterer Fall, in dem Leistungen, auf die ein Anspruch bestand, nicht erbracht wurden. Eine staatlich finanzierte, aber von zivilgesellschaftlichen Akteuren geleitete Arbeitsgruppe bemühte sich um die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur frühzeitigen Identifizierung schutzbedürftiger Migrantinnen und Migranten und Geflüchteten und meldete, dass sie ihre Maßnahmen in zwei Aufnahmezentren und zwei psychologischen Zentren erprobt habe; Ergebnisse lagen bis zum Ende des Berichtszeitraums allerdings noch nicht vor. Die Staatsanwaltschaften boten gemeinsam mit anderen Behörden Opfern ohne Ausweispapiere eine dreimonatige Bedenkzeit an, um zu entscheiden, ob sie vor Gericht aussagen möchten. NGOs stellten jedoch fest, dass die Bedenkzeit nicht einheitlich oder angemessen angewandt wurde, und forderten die Ermittler auf, ihre Bemühungen bei der Aufklärung der Opfer über ihre Rechte zu verstärken. Opfer, die sich bereit erklärten, als Zeugen auszusagen, konnten eine zeitlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigung beantragen, die es ihnen erlaubte, für die Dauer des Verfahrens in Deutschland zu bleiben und zu arbeiten; die Regierung machte jedoch keine Angaben darüber, wie viele Opfer diese Erlaubnis erhielten. Das Gesetz bot rechtliche Alternativen zur Abschiebung in Länder, in denen die Opfer mit Vergeltung oder Härten rechnen mussten. Nach Abschluss des Hauptverfahrens gegen Menschenhändler:innen können die Behörden nach deutschem Recht in humanitären Härtefällen, bei öffentlichem Interesse oder falls für die Betroffenen in ihrem Herkunftsland Gefahr für Leib oder Leben droht oder ihre Freiheit in Gefahr ist, Aufenthaltsgenehmigungen für Deutschland erteilen; allerdings stellte GRETA bei der Anwendung des Gesetzes erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern fest. Familienangehörige der Opfer von Menschenhandel konnten unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis beantragen.
Nach deutschem Recht haben die Opfer außerdem bei allen Befragungen Anspruch auf Begleitung durch einen Dolmetscher und einen Vertreter einer Beratungsstelle. Unter bestimmten Voraussetzungen konnten sich die Opfer als Nebenkläger am Strafverfahren beteiligen und hatten Anspruch auf kostenlosen Rechtsbeistand, psychologische Betreuung, einen Dolmetscher/eine Dolmetscherin und die Einlegung zivilrechtlicher Rechtsmittel im Rahmen des Strafverfahrens. Im November 2021 veröffentlichte die Regierung einen Leitfaden für kinderfreundliche Strafverfahren und Interaktionen. Die audiovisuelle Aufzeichnung von Zeugenaussagen ist rechtlich zulässig.
NGOs berichteten jedoch, dass nicht alle Bundesländer über die erforderliche Ausrüstung für Videoaussagen verfügten. Die Behörden ergriffen Maßnahmen, um die Belastung der Opfer und die Wahrscheinlichkeit einer Retraumatisierung zu verringern, indem sie versuchten, die Anzahl ihrer Befragungen vor Gericht zu reduzieren und sie zum Teil gar nicht zur Aussage aufzufordern. Zivilgesellschaftliche Akteure stellten jedoch fest, dass dieser Opferschutz nicht einheitlich umgesetzt wurde und dass die Richter die Angeklagten manchmal nicht aus dem Gerichtssaal entließen, bevor die Opfer aussagten. Nichtregierungsorganisationen berichteten auch über Fälle, in denen Strafverfolgungsbehörden und Richter keinen opferzentrierten und traumainformierten Ansatz verfolgten und die Opfer wie Kriminelle verhörten oder sie verurteilten, weil sie Opfer von Menschenhandel geworden waren. Darüber hinaus kam die vom Justizministerium finanzierte Studie aus dem Jahr 2021 zu dem Schluss, dass die Änderungen des Strafgesetzbuchs von 2016, durch die unter anderem die Bedeutung von Opfer- und Zeugenaussagen verringert werden sollten, weitgehend wirkungslos waren. Staatsanwaltschaften zufolge seien für eine erfolgreiche Strafverfolgung in Fällen von Menschenhandel ein besseres Verständnis für Traumata, Schulungen für die Befragung von Opfern von Menschenhandel, Schutz vor Abschiebung und ein frühzeitiger Zugang zu psychologischer Betreuung und Rechtsbeistand erforderlich.
Das Gesetz sieht zwar eine Entschädigung durch die Behörden vor, diese kann jedoch nur Opfern gewährt werden, die direkte physische Gewalt erfahren haben, und die Behörden gaben an, im Berichtszeitraum keinem Opfer Entschädigung gezahlt zu haben. Zwar wurde das Opferentschädigungsgesetz im November 2019 geändert, um den Schutz bei physischer Gewalt auch auf Fälle von psychischer Gewalt zu erweitern, die Änderungen werden jedoch erst im Januar 2024 in Kraft treten. Die Behörden führten weiterhin keine umfassenden Statistiken über die Entschädigung und den Schadenersatz, der den Opfern zugesprochen wurde, und verlangten von den Staatsanwaltschaften nicht, in Strafverfahren systematisch Entschädigungen zu fordern. Dennoch gaben sie an, im Berichtszeitraum zwischen zwei und fünf Opfern von Menschenhandel Entschädigung zugesprochen zu haben (im Vergleich zu zwei Opfern, denen im vorangegangenen Berichtszeitraum Entschädigungen zugesprochen worden waren). NGOs und GRETA berichteten, dass die Opfer nicht systematisch über ihre Rechte aufgeklärt wurden. Obwohl sich die Strafverfolgungsmaßnahmen der Behörden im Berichtszeitrum häufig gegen vietnamesische kriminelle Organisationen richteten und sie sich auf die Ermittlung vietnamesischer Opfer von Menschenhandel konzentrierten, berichteten zivilgesellschaftliche Akteure, dass nur wenige vietnamesische Opfer von ihnen unterstützt wurden. Sie bezweifelten, dass die Opfer systematisch über ihre Rechte aufgeklärt wurden. Paragraf 154c der deutschen Strafprozessordnung sieht vor, dass Opfer bei geringfügigen Straftaten, zu denen sie von Menschenhändler:innen gezwungen wurden, von der Strafverfolgung ausgenommen sind. Die vom Justizministerium finanzierte Studie aus dem Jahr 2021 kam jedoch zu dem Schluss, dass Paragraf 154c nur selten angewandt wurde, weil die Staatsanwaltschaften es vorzogen, vertrautere Paragrafen des Strafgesetzbuches anzuwenden, in denen es jedoch keine konkret auf Menschenhandel zugeschnittene Formulierungen wie in Paragraf 154c gibt. Der Bericht empfahl die obligatorische Anwendung von Paragraf 154c im Umgang mit Opfern von Menschenhandel. NGOs berichteten, dass Opfer ohne gültige Papiere medizinische Versorgung oder die Geltendmachung von Ansprüchen auf entgangenen Lohn häufig scheuen, da Paragraf 87 des deutschen Aufenthaltsgesetzes öffentliche Einrichtungen verpflichtet, Personen ohne gültige Papiere zu melden. Die Behörden boten bei Bedarf Zeugenschutz an und die Zeugen wurden von der Polizei zu den Verfahren begleitet; im Jahr 2021 wurde insgesamt acht Opfern von Menschenhandel Zeugenschutz gewährt, im Jahr 2020 waren es 13.
PRÄVENTION
Die Behörden verstärkten ihre Bemühungen zur Verhinderung von Menschenhandel. Deutschland hatte nach wie vor keinen nationalen Aktionsplan (NAP) für sämtliche Formen von Menschenhandel. Es gab jedoch einen Strategieentwurf zur Bekämpfung von Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung, der weiter umgesetzt wurde. Außerdem gab es drei behördenübergreifende Bund-Länder-Arbeitsgruppen, die sich untereinander abstimmten und sich mit allen Formen von Menschenhandel befassten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) koordinierte die Maßnahmen gegen Menschenhandel auf internationaler Ebene und die nationalen Maßnahmen bei der Bekämpfung von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, während das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Maßnahmen gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung koordinierte. Die Arbeitsgruppen der Regierung trafen sich im Jahr 2021 sechsmal, um eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel zu erörtern, einschließlich gesetzlicher Prioritäten zur Bekämpfung von Menschenhandel, einer stärkeren Priorisierung von Menschenhandel auf oberster Ebene und Verbesserungen bei der Ermittlung von Opfern von Kinderhandel und spezieller Hilfe für diese. Im Juli 2021 berichtete die Regierung, dass eine Rahmenvereinbarung zwischen bestimmten Bundesministerien, Strafverfolgungsbehörden und Sozialpartnern geschlossen wurde. Im Mittelpunkt der Rahmenvereinbarung stehen die Prävention von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft, die Einrichtung eines Verweismechanismus und die Verbesserung des Zugangs zu Dienstleistungen für Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung. Im Rahmen der Vereinbarung führten NGOs Schulungen durch und stellten fest, dass die engere Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden zu einer besseren Abstimmung und einer verbesserten Ermittlung von Opfern von Menschenhandel führte. Die Regierung hat mit der Ausarbeitung eines Entwurfs für einen nationalen Berichterstatter eine zentrale Empfehlung der GRETA-Berichte von 2019 und 2015 übernommen, dies jedoch noch nicht umgesetzt. Zivilgesellschaftliche Akteure empfahlen eine stärkere Priorisierung aller Formen von Menschenhandel auf höchster Ebene.
Im Mai 2021 trat das Jugendschutzgesetz in Kraft, das den präventiven Schutz von Kindern vor Cyber-Grooming und potenziellem Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung verbessert. Die Regierung veröffentlichte weiterhin ihren Jahresbericht über Menschenhandel und finanzierte mehrere Studien, die im Berichtszeitraum von NGOs durchgeführt wurden. Die Studien umfassten Themen wie die Zwangsarbeit vietnamesischer Opfer, die Rechte der Opfer von Menschenhandel in Strafverfahren, die Umsetzung der Bedenkzeit und der Stabilisierungsphase, Gesetze zur Straffreiheit, die Auswirkungen der Pandemie auf den Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und andere. Im Jahr 2021 setzte die Bundesregierung Aufklärungskampagnen fort, von denen einige bereits in den Vorjahren eingeleitet worden waren: Eine Kampagne befasste sich mit Gewalt gegen Frauen, enthielt aber auch Informationen über Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, eine andere mit verschiedenen Formen der Ausbeutung von Kindern und eine weitere mit Menschenhandel im Asylsystem. Mindestens drei Bundesländer führten regionale Kampagnen durch: eine Kampagne zum Thema Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung aus dem Vorjahr wurde fortgesetzt. Im Rahmen der Kampagne wurden 1.700 Plakate aufgehängt sowie Werbung in öffentlichen Verkehrsmitteln und Schulen gemacht. Bei einer neuen Kampagne ging es um Frauen, die in der kommerziellen Sexindustrie tätig sind, es wurden aber auch Überlebende von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung mit einbezogen; und im Rahmen einer weiteren neuen Kampagne wurden Aufklärungsveranstaltungen in Flüchtlingsaufnahmezentren organisiert. Über NGOs beteiligte sich die Bundesregierung 2021 an der Finanzierung verschiedener Aufklärungsveranstaltungen, Vorträge, Webinare, Online-Podiumsdiskussionen und Seminare, Pressemitteilungen und Konferenzen zum Thema Menschenhandel. Die Servicestelle erarbeitete und verteilte Broschüren, um sowohl in diesen Bereichen tätige Personen als auch die Öffentlichkeit über Indikatoren von Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit in der Logistik- und Fleischindustrie aufzuklären. Anfang 2022 konzentrierte die Regierung ihre Aufklärungsarbeit auf vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine Geflüchtete. Zu diesem Zweck wurden eine Website eingerichtet und in öffentlichen Verkehrsmitteln Plakate in ukrainischer Sprache angebracht, die auf die Gefahren von Menschenhandel hinwiesen. NGOs und die Medien berichteten über mehrere Fälle, in denen potenzielle Menschenhändler:innen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ukrainische Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Deutschland ins Visier genommen haben könnten. Dank der Aufklärungsmaßnahmen in diesem Bereich wurden der Polizei mindestens drei verdächtige Vorfälle gemeldet. Die Bundesregierung betrieb keine gesonderte Hotline für Menschenhandel, finanzierte aber weiterhin eine Telefonhotline für von Gewalt betroffene Frauen, die rund um die Uhr in 19 Sprachen erreichbar war. Die Hotline wurde 2020 von 93 möglichen Opfern von Menschenhandel angerufen (2019 waren es 96), über die keine weiteren Informationen bekannt sind. Die Regierung betrieb zudem zusätzlich zu einem von ihr finanzierten und von einer NGO betriebenen nationalen Hilfetelefon für ausländische Arbeitskräfte weitere nationale und regionale Hotlines für Opfer sexueller Gewalt und für männliche Opfer von Gewalt, einschließlich von Menschenhandel, allerdings lagen zu den Opfern von Menschenhandel für diese Hotlines keine Zahlen vor. Im März 2022 kündigte die Regierung an, dass sie die Ausbildung der libyschen Küstenwache aufgrund von Bedenken über deren Behandlung von Migrantinnen und Migranten einstellen werde. NGOs haben die gemeinsamen Bemühungen Europas in Libyen kritisiert, da sie oft dazu führten, dass Passagiere von Booten, die in der libyschen Such- und Rettungszone gerettet wurden, an die libyschen Küsten zurückgeschickt worden sind. NGOs führten die schwierige Sicherheits- und Menschenrechtslage in Libyen und libyschen Haftzentren sowie ein erhöhtes Risiko von Menschenhandel für die mehr als 12.000 Migrantinnen und Migranten ohne Papiere an, die in den Haftzentren verbleiben müssen.
Laut Gesetz sind Gebühren für die Anwerbung von Zeitarbeitskräften verboten, von ausländischen Migranten, die keine Zeitarbeiter sind, können jedoch Gebühren von bis zu 2.000 € verlangt werden, während Au-pairs nur maximal 170 € in Rechnung gestellt werden dürfen. Weiterhin berichteten NGOs, dass landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland Ausweispapiere von ausländischen Arbeitskräften einbehielten und sich nicht an die Vorschriften zu Mindestlöhnen, Arbeitszeiten und Hygienebedingungen hielten – die Behörden gaben mehrere Fälle an die Staatsanwaltschaft weiter. NRO stellten fest, dass die Pandemie auch den arbeitsrechtlichen Beratungsbedarf erhöhte. Ausländische Arbeitnehmende benötigten für einen Arbeitsplatzwechsel eine vorherige behördliche Genehmigung in Form einer neuen Aufenthaltsgenehmigung, was sie möglicherweise anfälliger für Menschenhandel machte. Zivilgesellschaftliche Akteure äußerten sich weiterhin besorgt über die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte und vertraten die Auffassung, dass deren Arbeitsbedingungen, insbesondere in Privathaushalten, ausbeuterisch seien und in einigen Fällen möglicherweise auf Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft hinausliefen. Während die unzureichende Überwachung, die betrügerische Anwerbung von Arbeitskräften und die anhaltende Gefährdung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten und Saisonarbeitskräften weiterhin Anlass zur Sorge gaben, berichtete die Regierung von mehreren Maßnahmen zur Prävention von betrügerischer Anwerbung von Arbeitskräften, Ausbeutung und Menschenhandel. Arbeitnehmendenorganisationen und staatlich finanzierte NGOs koordinierten 44 Aufklärungskampagnen vor Ort, die im Jahr 2021 mehr als 2.500 Saisonarbeitskräfte erreichten, um sie über ihre Rechte zu informieren. 2021 führte die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) 13 Ermittlungen im Zusammenhang mit Menschenhandel oder Arbeitsausbeutung durch und gab an, in jedem dieser Fälle Opfer von Menschenhandel festgestellt zu haben. Im Januar 2021 trat ein neues Gesetz in Kraft, das kurzfristige Verträge für Arbeitsmigrantinnen und -migranten in der Fleischindustrie verbietet. Obwohl das Ziel darin bestand, den Schutz von Arbeitsmigranten zu verbessern, berichteten zivilgesellschaftliche Akteure, dass einige Ausbeutungsstrukturen bestehen blieben. Darüber hinaus unterzeichnete die Regierung im Juni 2021 ein bilaterales Arbeitsabkommen mit der Regierung der Republik Moldau, das auf den Schutz von Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft abzielt und den Arbeitgebenden untersagt, von den Arbeitnehmenden Gebühren für ihre Anwerbung zu verlangen, und das detaillierte Kontrollmaßnahmen vorsieht. Private Arbeitsvermittler benötigten für ihre Tätigkeit keine Lizenz. Im Juni 2021 führte die Regierung jedoch ein freiwilliges Zertifikat ein, das Personalvermittlungsunternehmen im Gesundheitswesen ausgestellt wird, wenn sie alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen erfüllen. Die Regierung berichtete, dass von den etwa 150 infrage kommenden privaten Personalvermittlern in Deutschland 130 an dem Zertifikatsverfahren teilnahmen und 27 bereits eine Lizenz erhalten hatten. Die lizensierten Unternehmen waren verpflichtet, die Bestimmungen des Qualitätszertifikats einzuhalten, was überwacht wurde, und bei Nichteinhaltung konnten Geldstrafen verhängt werden. Die Regierung schloss zwei weitere Abkommen mit den Regierungen von Georgien und der Republik Moldau, deren Schwerpunkt auf fairer Arbeitsvermittlung lag, machte diesbezüglich jedoch keine Angaben zu Erfolgen bei der Prävention von Menschenhandel.
Behörden und staatliche finanzierte NGOs führten in der Regel jährliche persönliche Befragungen von Botschaften in Berlin beschäftigten Hausangestellten durch, ohne dass die Arbeitgeber anwesend waren, um die Arbeitnehmer über ihre Rechte zu informieren, allerdings gab es keine Informationen, ob dies aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen auch 2021 erfolgt war. Das Mandat der FKS war bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf Menschenhandel ausgeweitet worden, wodurch mehr Mitarbeitende zur möglichen Identifizierung der Opfer von Zwangsarbeit zur Verfügung standen. Die FKS war jedoch nicht befugt, ohne die Zustimmung der Hauseigentümerinnen und -eigentümer Arbeitsinspektionen in Privathaushalten durchzuführen, was die Ermittlung von Zwangsarbeit im Haushalt erschwerte. Im Juni 2021 verabschiedete das Parlament das Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten, das allerdings erst 2023 in Kraft treten wird und Unternehmen dazu verpflichtet, mit der gebotenen Sorgfalt sicherzustellen, dass in ihren Lieferketten keine Zwangsarbeit eingesetzt wird. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wurde zur zuständigen Behörde ernannt und mit entsprechenden Instrumenten für die Durchsetzung ausgestattet, die Inspektionen, die Beschaffung von Dokumenten und Geldstrafen bei Nichteinhaltung umfassen. Im Juni 2021 berichteten die Medien, dass eine Menschenrechtsgruppe in Deutschland Strafanzeige gegen fünf große Einzelhandelsunternehmen erstattet hat, die Baumwolle aus der Volksrepublik China (VRC) bezogen haben, die mutmaßlich unter Einsatz von Zwangsarbeit geerntet wurde. Die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, da nach geltendem Strafrecht keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorlagen. Die Regierung stellte Mittel für mehrere Programme zur Bekämpfung von Menschenhandel im Ausland zur Verfügung, darunter in Burkina Faso, mehreren Ländern am Horn von Afrika, Mauretanien, Niger und den westlichen Balkanstaaten. Die Regierung unternahm nichts, um die Nachfrage nach kommerziellen sexuellen Handlungen zu verringern. Während des Berichtszeitraums unternahm die Regierung Anstrengungen, um die Nachfrage nach internationalem Sextourismus durch deutsche Staatsangehörige durch eine Aufklärungskampagne einzudämmen. Die Regierung berichtete, dass ihre gemeinsam mit der brasilianischen Regierung durchgeführten Ermittlungen in Bezug auf einen mutmaßlichen deutschen Sextouristen, die im Vorjahr eingeleitet worden waren, noch andauern.
OPFERPROFILE
Wie schon in den vergangenen fünf Jahren berichtet wurde, beuten Menschenhändler:innen in Deutschland sowohl deutsche als auch ausländische Opfer aus. Die Pandemie verschlimmerte die Lage der Opfer von Menschenhandel, auch aufgrund der zunehmenden Isolation von Arbeitsmigrantinnen und -migranten und Saisonarbeitskräften sowie von Opfern von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Menschenhändler:innen nutzen zunehmend Online-Plattformen für die Anwerbung und sexuelle Ausbeutung von Opfern sowie für die Anmietung von Wohnungen, sodass ihre illegalen Aktivitäten zum Teil aufgrund der Pandemie schwer zu verfolgen sind. Pandemiebedingte Schließungen und Einschränkungen führten zu einer zusätzlichen Gefährdung von Personen, die kommerziellen Sex anbieten. Die meisten ermittelten Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung in Deutschland sind EU-Bürger und -Bürgerinnen, hauptsächlich deutsche, bulgarische und rumänische Staatsangehörige (unter denen sich ein maßgeblicher Prozentsatz ethnischer Roma befindet). Die Opfer kommen auch aus den meisten anderen Regionen der Welt, insbesondere aus der VR China, Thailand, Nigeria und anderen Teilen Afrikas. Transsexuelle Frauen aus Thailand sind besonders stark durch Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung gefährdet und werden vor ihrer Abreise oft über ihre Arbeitsbedingungen und Löhne getäuscht. Auch Kinder von Roma-Familien – Jungen und Mädchen – werden mitunter zu kommerziellem Straßensex gezwungen. Menschenhändler:innen, die Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betreiben, nutzen Anwerbebetrug, Gewalt und Zwangsarbeit, um venezolanische Frauen und LGBTQI+-Personen auszubeuten, die vor dem kollabierenden und Wirtschafts- und Sozialsystem in ihrer Heimat fliehen. Die Behörden berichten weiter über die weit verbreiteten jungen männlichen Täter, auch „lover boys“ genannt, die Mädchen und Frauen oft über ein vorgespieltes Liebesverhältnis zu sexueller Ausbeutung nötigen; im Jahr 2020 waren rund 25 Prozent der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung auf diese Weise dazu genötigt worden. Darüber hinaus berichteten die Behörden im Jahr 2020, dass etwa 40 Prozent der Menschenhändler:innen ihr Opfer bereits kannten, bevor sie es für den Sexhandel ausnutzten.
Menschenhändler:innen nahmen weiterhin Migranten und Migrantinnen und Geflüchtete ab Ankunft ins Visier. 2022 sind in erster Linie ukrainische Flüchtlinge, insbesondere Frauen und Kinder, die vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine fliehen, von Menschenhandel bedroht. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen werben Menschenhändlerinnen, sogenannte nigerianische „Madams”, auch weiterhin nigerianische Mädchen und Frauen an und zwingen sie später mit Hilfe eines „Voodoo-Eides/Schwurs“, den sie ablegen müssen, in ausbeuterischen Situationen zu bleiben, während nigerianische „Bruderschaften“ ihre Opfer zunehmend mit Gewalt anwerben. Die nigerianische und die europäische Mafia arbeiten zunehmend zusammen, um Menschenhandel aus Afrika zu erleichtern. Mehrere ausländische Regierungen berichteten weiter über deutsche Sextouristen. Die Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung sind überwiegend männlich und stammen mehrheitlich aus europäischen Ländern wie Nordmazedonien, Lettland, der Ukraine, Bulgarien, Polen und Rumänien aber auch aus Afghanistan, Pakistan und Vietnam. Organisierte vietnamesische kriminelle Gruppen beuten vietnamesische Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung aus. Menschenhändler:innen beuten die Arbeitskraft der Opfer vor allem auf Baustellen aus, aber auch in Hotels, in saisonalen Branchen wie der Landwirtschaft, der Unterhaltungsindustrie, in Restaurants sowie in Privathaushalten, wobei die Zahl der gemeldeten minderjährigen Opfer zugenommen hat. Ausländische Arbeitskräfte sind für den Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft anfällig, insbesondere in fleischverarbeitenden Betrieben und besonders, wenn Unternehmen Arbeitnehmende über Subunternehmen anwerben, die bei der Anwerbung von Arbeitskräften unter Umständen betrügerische Praktiken eingesetzt haben. Menschenhändler:innen, die mit Arbeitsvermittlungsfirmen zusammenarbeiten, werben in betrügerischer Absicht Künstler und Musiker aus Simbabwe und Äthiopien an, indem sie ihnen gefälschte Jobs anbieten, sie stattdessen aber zwingen, auf der Straße aufzutreten und ihnen die Einnahmen abnehmen. Roma und unbegleitete ausländische Kinder wurden häufig Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, erzwungenen Bettelei und Zwangskriminalität.
Originaltext: TRAFFICKING IN PERSONS REPORT JULY 2022