Länderberichte zu Menschenhandel 2023 – Bundesrepublik Deutschland
Am 15. Juni 2023 erschienen die vom Büro zur Überwachung und Bekämpfung von Menschenhandel im US-Außenministerium jährlich herausgegebenen Länderberichte zu Menschenhandel. Den Deutschlandteil haben wir übersetzt.
DEUTSCHLAND Kategorie 1
Die Bundesregierung erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung von Menschenhandel vollständig. Auch in Anbetracht der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihre Kapazitäten setzte die Bundesregierung ihre ernsthaften und nachhaltigen Anstrengungen im Kampf gegen den Menschenhandel fort, weshalb Deutschland auch weiterhin der Kategorie 1 angehört. Zu diesen Anstrengungen gehörten die Finanzierung und Einrichtung einer unabhängigen nationalen Berichterstattungsstelle und die Steigerung der Zahl der ermittelten Opfer. Mehrere Landesregierungen und staatlich finanzierte NGOs leisteten Aufklärungsarbeit, unter anderem, um Menschenhandel im Zusammenhang mit Flüchtlingen aus der Ukraine zu verhindern. Die Bundesregierung unterzeichnete außerdem ein Kooperationsabkommen auf Bundesebene mit einem staatlich finanzierten NGO-Netzwerk und verstärkte die Strafverfolgungsbemühungen zur Bekämpfung von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft. Die Behörden hielten zwar die Mindeststandards ein, dennoch wurden weniger Menschenhändler und Menschenhändlerinnen strafrechtlich verfolgt und verurteilt. Es wurden weiterhin milde Strafen verhängt, sodass die Strafen von 74 Prozent der wegen Menschenhandels Verurteilten vollständig zur Bewährung ausgesetzt oder sie zu einer Geldstrafe oder zu einer Freiheitsstrafe von unter einem Jahr verurteilt wurden. Dies stand im Widerspruch zu den Bemühungen, Täterinnen und Täter zur Verantwortung zu ziehen, schwächte die Abschreckung, verursachte möglicherweise Sicherheitsprobleme für die Opfer und wurde der Schwere der Straftat nicht gerecht. Richterinnen und Richter erhielten weder Schulungen zur Schwere von Menschenhandelsdelikten noch über die Wichtigkeit des Verhängens der strengen Strafen, die das Strafgesetzbuch vorsieht. Eine bundesweite Richtlinie zur Identifizierung und Weiterverweisung von Opfern aller Arten von Menschenhandel gab es weiterhin nicht, was die Identifizierung von Opfern, insbesondere unter Flüchtlingen und Asylsuchenden, möglicherweise behindert hat. Opfer erhielten weiterhin selten eine Entschädigung oder Wiedergutmachung, und die Mittel für Unterkünfte und NGOs, die Opfer betreuen und unterstützen, sind nach wie vor unzureichend.
VORRANGIGE EMPFEHLUNGEN: * entschiedene Ermittlungen und Strafverfolgung in Fällen von Menschenhandel sowie angemessene Bestrafung von verurteilten Täterinnen und Tätern, einschließlich schwerer Freiheitsstrafen * Verbesserung der Urteilspraxis durch Schulungen zur Schwere von Menschenhandelsdelikten und darüber, wie wichtig die Verhängung der strengen Strafen ist, die das bestehende Menschenhandelsgesetz ermöglicht * Gewährleistung der Gleichbehandlung von Opfern durch die Schaffung einer nationalen Richtlinie zur Identifizierung und Weiterverweisung von Opfern aller Formen von Menschenhandel in allen Bundesländern * Gewährleistung systematischer und kontinuierlicher Schulungen zu Menschenhandel für Einwanderungsbeamtinnen und -beamte, um aktiv mögliche Opfer unter schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen ausfindig zu machen, darunter Migrantinnen und Migranten sowie Asylsuchende * Gewährleistung eines strukturierten Verfahrens zur Betreuung von Opfern im Kindesalter sowie Ausbau fachgerechter Betreuung, Dienstleistungen und ausreichender Unterbringungsmöglichkeiten für männliche Opfer * Verbesserte Aufklärung über und besserer Zugang der Opfer von Menschenhandel zu Schadenersatz und Entschädigungen sowie verstärkte Bemühungen von Staatsanwaltschaften, im Rahmen von Strafverfahren systematisch Entschädigungen für Opfer zu fordern * Mehr Mittel für NGOs, die Opfer betreuen und unterstützen * Verabschiedung eines Nationalen Aktionsplans (NAP) gegen alle Formen von Menschenhandel * Ausbau der Kapazitäten von Ermittelnden, Staatsanwaltschaften und Gerichten mit besonderer Expertise im Bereich Menschenhandel, um Verzögerungen des Verfahrensbeginns so gering wie möglich zu halten, und Erwägung der Einrichtung zusätzlicher Fachabteilungen für Menschenhandel * Verstärkte Priorisierung von Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung, einschließlich der Identifizierung von Opfern, Ermittlungen und Strafverfolgung der Tatverdächtigen * Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes durch die Abschaffung von Anwerbe- oder Vermittlungsgebühren, die deutsche Arbeitsvermittler Arbeitnehmenden in Rechnung stellen, und durch die Gewährleistung der Übernahmen sämtlicher Anwerbegebühren durch Arbeitgebende * Umsetzung effektiver Maßnahmen und Überwachung von Anwerbeagenturen und Branchen, in denen hauptsächlich ausländische Arbeitnehmende tätig sind, die konsequent durchgesetzt werden, einschließlich der Verfolgung betrügerischer Anwerbungen und des Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft * Gewährleistung, dass die Opfer nicht aufgrund ungesetzlicher Handlungen, die als unmittelbare Folge ihres Status’ als Opfer von Menschenhandel begangen wurden, bestraft werden * Einrichtung eines einheitlichen und umfassenden Datenerhebungssystems, einschließlich öffentlich zugänglicher, nach Verurteilungsgrund aufgeschlüsselter Daten, falls die Angeklagten neben Straftaten im Bereich Menschenhandel zugleich wegen anderer schwerer Straftaten verurteilt wurden * Schaffung eines nationalen Koordinierungsgremiums, das für Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ebenso wie für Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft zuständig ist, um die Angleichung des institutionellen Rahmens und der Koordinierungsstrukturen auf Bundes- und Länderebene voranzutreiben * stärkere Einbindung von Opfern, unter anderem durch die Einrichtung niedrigschwelliger Mechanismen für die Vergütung von Beiträgen Überlebender bei der Ausarbeitung von Maßnahmen, Programmen und Schulungen * Verstärkung der Anstrengungen zur Verfolgung von Finanzkriminalität in Verbindung mit Menschenhandel
STRAFVERFOLGUNG
Die Behörden reduzierten ihre Anstrengungen bei der Strafverfolgung geringfügig. Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und zum Zweck der Arbeitsausbeutung ist gemäß §§ 232, 232a, 232b, 233 und 233a StGB strafbar. Das Strafmaß reicht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, was ausreichend streng ist und hinsichtlich des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung dem Strafmaß für andere schwere Straftaten wie Vergewaltigung entspricht. Für eine Strafverfolgung mutmaßlicher Täter, die Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betreiben, muss laut Gesetz keine Gewaltanwendung oder Ausnutzung einer Zwangslage nachgewiesen werden, wenn das Opfer unter 21 Jahre alt ist. Die Strafverfolgungsbehörden der Länder ermittelten 2021, im letzten Jahr, für das umfassende Statistiken vorlagen, in 335 Fällen von Menschenhandel gegen 470 Verdächtige. Die Zahlen ähneln denen aus dem Jahr 2020, als in 325 Fällen gegen 421 Verdächtige ermittelt wurde, und denen aus dem Jahr 2019, als in 313 Fällen gegen 472 Verdächtige ermittelt wurde, lagen aber niedriger als die 386 Ermittlungen gegen 602 Verdächtige im Jahr 2018. Unter den Ermittlungen im Jahr 2021 waren 44 wegen Menschenhandels zur Arbeitsausbeutung (gegenüber 34 im Jahr 2020), sechs davon wegen Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei und zehn wegen Ausbeutung von Minderjährigen bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen. 291 Ermittlungen betrafen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, darunter 55 wegen sexueller Ausbeutung von Minderjährigen (2020 waren es ebenfalls 291 Ermittlungen wegen Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung). Die Behörden führen den jüngsten Anstieg der Zahl der Ermittlungen wegen Menschenhandels zur Arbeitsausbeutung auf das im Jahr 2019 auf diesen Bereich erweiterte Mandat der der Zollbehörde untergeordneten Arbeitseinheit Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) zurück. Im Jahr 2021 leiteten die Strafverfolgungsbehörden Ermittlungen gegen 16 Gruppierungen der organisierten Kriminalität ein (zehn wegen Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung und sechs wegen Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft). 2021 führten deutsche Strafverfolgungsbehörden und internationale Partner, darunter EUROPOL und die Slowakei, mindestens sechs gezielte Operationen gegen kriminelle vietnamesische Organisationen durch, die in Menschenhandel und Schmuggel verwickelt waren. Dies führte zur Festnahme von mindestens sechs Verdächtigen und zur Identifizierung von mindestens 13 Opfern. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen setzte die Ermittlungen und die Strafverfolgung im Wermelskirchener Missbrauchskomplex fort und ermittelte gegen 73 Verdächtige in 14 Bundesländern, wodurch bislang 33 Opfer identifiziert werden konnten.
Wenn Angeklagte wegen mehrerer Straftaten gerichtlich verurteilt werden, werden die Fälle nur unter der Straftat mit der höchsten verhängten Strafe erfasst. Daher erschienen Fälle, in denen Angeklagte zwar wegen Menschenhandels verurteilt wurden, aber zugleich eine Strafe für eine andere Straftat mit höherem gesetzlichem Strafmaß erhielten, nicht in der offiziellen Statistik. Die derzeitigen Standards für die Zuordnung von Daten und die Verfahren bei der Datenerhebung sowie das strenge Datenschutzrecht hatten weiterhin eine unvollständige Erfassung von Daten und eine zu geringe Meldung von Daten zur Folge. Dadurch verringerte sich vermutlich sowohl die erfasste Zahl der Verurteilungen wegen Menschenhandels als auch die durchschnittliche Länge der Haftstrafen. Um ein vollständigeres Bild ihrer Bemühungen in diesem Bereich zu zeichnen, stellten die Behörden Statistiken über die Strafverfolgung und Verurteilung in Fällen von Menschenhandel zur Verfügung, in denen dies der Haupt- oder Nebenanklagepunkt war. Die Gesamtzahl der strafrechtlich verfolgten Fälle lag mit mindestens 223 im Jahr 2021 signifikant unter den mindestens 262 Fällen im Jahr 2020, vergleichbar mit den insgesamt 215 strafrechtlich verfolgten Fällen im Jahr 2019. 2021 ermittelten die Staatsanwaltschaften im Hauptanklagepunkt Menschenhandel gegen 97 Angeklagte und im Nebenanklagepunkt Menschenhandel gegen mindestens 126 Tatverdächtige. Insgesamt wurden im Jahr 2021 196 Personen verurteilt, weniger als 2020, als es 224 Personen waren, aber vergleichbar mit den 195 im Jahr 2019 Verurteilten. Die Gerichte sprachen im Jahr 2021 70 Personen im Hauptanklagepunkt Menschenhandel schuldig und 126 Personen im Nebenanklagepunkt Menschenhandel. Die Behörden meldeten keine Ermittlungen oder Anklagen gegen oder Verurteilungen von Beamtinnen und Beamten wegen der Beteiligung an Menschenhandelsdelikten.
Statistiken zu Strafmaßen wurden lediglich zu Verurteilungen im Hauptanklagepunkt Menschenhandel veröffentlicht. Von den 70 im Jahr 2021 im Hauptanklagepunkt Menschenhandel Verurteilten erhielten 74 Prozent (52 Personen) entweder eine vollständig zur Bewährung ausgesetzte Strafe (34 Personen), eine Geldstrafe oder wurden zur Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme (15 Personen) oder zu einer Gefängnisstrafe von weniger als einem Jahr (drei Personen) verurteilt. Zum Vergleich: 2020 erhielten 66 Prozent der im Hauptanklagepunkt Menschenhandel Verurteilten solche milden Strafen, 2019 waren es 72 Prozent. Nur 26 Prozent (18) der wegen Menschenhandels Verurteilten erhielten hohe Gefängnisstrafen von mehr als einem Jahr (2020: 34 Prozent, 2019: 28 Prozent). Zum Vergleich: Von den 475 verurteilten Vergewaltigern im Jahr 2021 wurden 55,2 Prozent (262) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr verurteilt. Strafen von unter zwei Jahren wurden für die meisten Straftaten, auch für Menschenhandel, meist zur Bewährung ausgesetzt, insbesondere bei Ersttätern. Diese Praxis minderte den Abschreckungseffekt, untergrub möglicherweise die Bemühungen der Polizei und Staatsanwaltschaft und führte insbesondere zu einer potenziellen Gefährdung der Opfer, die sich bei Ermittlungen und in Verfahren kooperativ zeigten.
Zwar nahmen die behördlichen Anstrengungen zur Bekämpfung von Menschenhandel im Jahr 2021 zu, waren angesichts des mutmaßlichen Ausmaßes des Problems aber (verhältnismäßig) gering. Den verfügbaren Daten für das Jahr 2021 zufolge wurde in 44 Fällen der Zwangsarbeit nach § 232b StGB ermittelt, in 18 Fällen kam es zur Anklage und in 11 Fällen wurden die Angeklagten wegen Zwangsarbeit verurteilt. Zum Vergleich: 2020 wurde in nur 34 Fällen von Zwangsarbeit ermittelt, es gab 14 Anklagen und fünf Verurteilungen. Dennoch blieben die Strafen für Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung mild – sämtliche Täterinnen und Täter wurden lediglich zu Geldstrafen verurteilt oder ihre Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Das Bundesministerium der Justiz finanzierte und veröffentlichte im September 2021 eine Studie zu den Änderungen der Paragrafen 232 bis 233a StGB aus dem Jahr 2016. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass eine effektive Bekämpfung von Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei und Ausbeutung von Minderjährigen bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen fachgerechte Schulungen der Strafverfolgungsbehörden und eine speziell mit diesem Bereich beauftragte Dienststelle erfordern würde. Darüber hinaus ergab der Bericht, dass es insgesamt zu wenige auf Menschenhandel spezialisierte Fachleute gebe. Ein erwähnenswerter Fall aus dem Berichtszeitraum war die Verurteilung einer Anhängerin des IS im Juli 2022 zu einer hohen Strafe wegen der Versklavung einer Jesidin. Das in Deutschland geführte Verfahren und die Verurteilung gelten weltweit als erste im Zusammenhang mit internationalen Verbrechen gegen die Bevölkerungsgruppe der Jesiden.
Viel Fluktuation, eine unzureichende Personaldecke und begrenzte Ressourcen speziell für Fälle von Menschenhandel behinderten die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und führten bisweilen zu langwierigen Gerichtsverfahren, die schließlich wegen Verjährung oder der mangelnden Bereitschaft der Opfer, sich an längeren Verfahren zu beteiligen, eingestellt wurden. Das Bundeskriminalamt (BKA) beschäftigt Ermittlerinnen und Ermittler, die speziell für den Bereich Menschenhandel zuständig sind. Die meisten, wenn auch nicht alle Bundesländer verfügen über spezielle Ermittlungseinheiten zur Bekämpfung von Menschenhandel, und in einigen Bundesländern gibt es auch darauf spezialisierte Staatsanwälte. Während Verfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung häufig von Staatsanwälten geleitet wurden, die Erfahrung damit hatten, Opfer im Verlauf des Prozesses zu unterstützen, wurden Verfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der Arbeitsausbeutung häufiger den Abteilungen für Finanz- und Wirtschaftskriminalität oder für organisiertes Verbrechen zugewiesen, denen es an entsprechender Erfahrung mangelte.
Aufgrund des föderalen Systems lag die Zuständigkeit für Strafverfahren in Deutschland bei den Gerichten der Bundesländer, folglich unterschieden sich Verfahren, Personaldecke und Finanzierung von Bundesland zu Bundesland. Berichten zufolge führten die komplexe Formulierung und der Geltungsbereich der Rechtsnormen zum Menschenhandel im Strafgesetzbuch (§§ 232 bis 233a StGB) dazu, dass Tatverdächtige manchmal wegen Delikten angeklagt wurden, die einfacher nachzuweisen waren als Zwangsausübung bei Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und zur Arbeitsausbeutung. Darüber hinaus ergab die 2021 vom BMJ finanzierte Studie zu den 2016 geänderten Paragrafen 232 bis 233a, dass die Änderungen keine maßgebliche Erhöhung der Zahl der strafrechtlichen Ermittlungen oder Verurteilungen zur Folge hatte. Weiterhin seien die Vorschriften verwirrend und stützten sich fast ausschließlich auf Aussagen der Opfer und der Gesetzgeber habe keine ausreichenden strukturellen Veränderungen für eine effektive Umsetzung der erweiterten Bestimmungen vorgenommen, was dazu führte, dass Verdächtige wegen anderer Straftaten angeklagt und verurteilt wurden.
Von Bund und Ländern finanzierte NGOs organisierten und veranstalteten weiterhin Schulungen für Strafverfolgungsbeamtinnen und -beamte, während zivilgesellschaftliche Akteure mehr Schulungen zum Thema Menschenhandel und insbesondere zur Identifizierung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten als Opfer von Menschenhandel empfahlen. Das BKA führte nach eigenen Angaben im Berichtszeitraum eine Vielzahl von Schulungen zu verschiedenen Formen des Menschenhandels für Polizei, Staatsanwaltschaft, FKS und Fachberatungsstellen durch. Die von einer NGO betriebene Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel gab an, mehrere Schulungen zur Bekämpfung von Menschenhandel durchgeführt zu haben, während staatlich finanzierte NGOs regelmäßig Schulungen für die Polizei, Mitarbeitende von Asylunterkünften, Staatsanwältinnen und -anwälte und andere Beamtinnen und Beamte durchführten, unter anderem zu den Themen Menschenhandel, Dienstleistungen für Flüchtlinge und Methoden der Nötigung. Die Behörden veröffentlichten keine Informationen über spezielle Schulungen zum Thema Menschenhandel für Richterinnen und Richter, während die Staatsanwaltschaften anmerkten, dass zusätzliche Schulungen für Richterinnen und Richter hilfreich wären. Das BKA unterhielt ein Informationsportal für die Bundes- und Landespolizeien, das über aktuelle Entwicklungen, Richtlinien und Ermittlungsinstrumente zur Bekämpfung von Menschenhandel informierte. Die Servicestelle unterhielt eine Online-Plattform mit Informationen über Richtlinien, Abkommen und Beratungszentren für Opfer. Die Polizeien des Bundes und der Länder setzten ihre umfangreichen Bemühungen fort, bei internationalen Einsätzen mit EUROPOL zusammenzuarbeiten. Dies geschah im Rahmen gemeinsamer Aktionstage, EU-finanzierter Programme und in Zusammenarbeit mit Dutzenden Ländern und führte dazu, dass Deutschland an mindestens 14 operativen Maßnahmen, der Festnahme von mindestens 319 Verdächtigen und der Identifizierung von 1.572 Opfern in allen beteiligten Ländern mitwirkte. Die Behörden setzten auch die bilaterale Zusammenarbeit mit Ungarn fort, wodurch drei Verdächtige verhaftet und 25 Opfer identifiziert werden konnten.
OPFERSCHUTZ
Der Staat setzte sich weiter uneinheitlich für den Schutz von Opfern ein: Während mehr Opfer identifiziert wurden, wurden die staatlichen Zuschüsse für die Opferhilfe reduziert. 2021, im letzten Jahr, für das umfassende Statistiken vorlagen, erfassten die für den Opferschutz zuständigen Landesbehörden 581 Opfer von Menschenhandel. Das waren wesentlich mehr als 2020 und 2019 (jeweils 494) und 2018 (503). Unter den von den Behörden ermittelten Opfern waren 417 Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (2020: 406) und 164 Opfer von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft (2020: 88), darunter sechs Personen, die zum Betteln (2020: 4) und 11 Personen, die zu Straftaten (2020: 11) gezwungen wurden. Fast alle Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (93 Prozent) waren Frauen, und 33 Prozent derer, deren Alter bekannt war, waren unter 21. Ähnlich wie im Vorjahr stammte die Mehrheit der erfassten Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aus Deutschland (95), Bulgarien (70) und Rumänien (67). Im Jahr 2021 stammten die meisten Opfer von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft aus Bosnien-Herzegowina (68) und Rumänien (24) und wurden in der Krankenpflege und im Gesundheitswesen erfasst. Alle Opfer der Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei waren weiblich, die meisten waren Rumäninnen im Alter von 13 bis 43 Jahren.
Die Mehrheit der Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung wurde weiterhin proaktiv von der Polizei ausfindig gemacht. Die Zahl der proaktiv von der Polizei ausfindig gemachten Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ging 2021 jedoch zurück und die Behörden betonten die große Bedeutung dieser konsequenten, proaktiven Arbeit mittels Durchsuchungen und Kontrollen vor Ort und online. Im Jahr 2021 machten 59 Prozent der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung eine Aussage bei der Polizei, weniger als 2020, als es 68 Prozent waren. Die Berliner Strafverfolgungsbehörden konzentrieren ihre Anstrengungen zunehmend auf die Identifizierung von Jungen als minderjährige Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung. Dabei stellten sie fest, dass die meisten Jungen Roma waren und von Familienangehörigen ausgebeutet wurden. Sie sahen sich daher nicht als Opfer, was dazu führte, dass sie insgesamt kaum bereit waren, mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren. Die Regierung bemühte sich weiterhin vorrangig um die Identifizierung und Unterstützung vietnamesischer Opfer, unter anderem durch Schulungen zur Opferidentifizierung der unmittelbar mit dieser Bevölkerungsgruppe in Kontakt kommenden Beamtinnen und Beamten sowie durch Unterstützung einer NGO, die Kulturvermittelnde einsetzt und einen Taschenleitfaden mit Beispielfragen für Ersthelfer herausgibt. Die Behörden berichteten von zunehmenden Schwierigkeiten bei der Identifizierung der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, da viele Täterinnen und Täter – verstärkt noch durch die Pandemie – auf Online-Plattformen auswichen.
In ihrem Bericht von 2019 hob die Expertengruppe des Europarates gegen Menschenhandel (GRETA) hervor, dass die offiziellen Zahlen erfasster Menschenhandelsopfer das wahre Ausmaß des Menschenhandels in Deutschland nicht widerspiegelten, da es keine umfassende und kohärente Vorgehensweise gebe, um Opfer – auch unter Migrantinnen und Migranten und Asylsuchenden – ausfindig zu machen und zu identifizieren. Es habe außerdem Probleme bei der Datenerhebung gegeben und dem Thema Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung sei keine ausreichende Priorität eingeräumt worden. In seinem Bundeslagebild 2021 erklärte das Bundeskriminalamt, dass die meisten Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung bei Kontrollen identifiziert würden und dass von einem großen Dunkelfeld auszugehen sei, weil sich die Opfer vor allem aus Angst vor täterseitigen Repressalien oder behördlichen Konsequenzen nicht zu erkennen geben.
NGOs hielten es für bedenklich, dass es in Deutschland kein nationales System zur Identifizierung und Verweisung von Opfern aller Formen von Menschenhandel gibt, sodass weder für Kinder noch für Erwachsene eine systematische Betreuung gewährleistet war. Auf Bundesebene gab es Verfahren zur Identifizierung und Weiterverweisung von Opfern an betreuende Stellen, aber größtenteils wurde die Opferbetreuung auf Landesebene geregelt. Für die Opfer von Kinderhandel und Ausbeutung gibt es das Bundeskooperationskonzept, einen bundesweiten Verweisungsmechanismus. Der Staat unterstützte eine NGO mit jährlich 200.000 Euro bei der Umsetzung der Strategie. Diese NGO gab an, zuvor insgesamt acht Netzwerke in sechs Bundesländern eingerichtet und Schulungen für Beamtinnen und Beamte sowie in der Praxis Tätige angeboten zu haben. Jedes Bundesland hatte sein eigenes System, um Opfer entweder an staatliche Unterstützungsstellen oder an NGOs zu verweisen, und mehrere Bundesländer verfügen über schriftliche Richtlinien zur Identifizierung von Opfern. In 13 der 16 Bundesländer gab es Kooperationsvereinbarungen zwischen Polizeibehörden und NGOs für unterschiedliche Zwecke, aber nicht alle umfassten sämtliche Formen von Menschenhandel wie Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei und Ausbeutung von Minderjährigen bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen.
Zwar veröffentlichten die Behörden weder umfassende Informationen noch die Zahl der Opfer, die insgesamt Betreuung in Anspruch nahmen, aber sie gaben bekannt, dass von den 417 erfassten Opfern von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung mindestens 129 betreut wurden, darunter 113 von Fachberatungsstellen und 16 von Jugendberatungsstellen, ähnlich wie im Jahr 2020, als 130 Opfer Hilfeleistungen in Anspruch nahmen. Staatliche Opferhilfe wurde hauptsächlich durch staatlich finanzierte NGOs angeboten, unter anderem durch den Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK) und die Servicestelle sowie durch die ihr zugehörigen Beratungszentren, die auf Hilfe für Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung, Migrantinnen und Migranten und Flüchtlinge spezialisiert sind. Dem KOK gehören 43 Mitgliedsorganisationen an, darunter Fachberatungsstellen, Projekte für Migrantinnen und Migranten und Frauenhäuser. Der KOK fungierte dabei als Anlauf- und Koordinierungsstelle für NGOs, die gegen Menschenhandel kämpfen. Diese Struktur ermöglichte es Opfern, Hilfe zu erhalten, ohne mit den Strafverfolgungsbehörden in Kontakt treten zu müssen, was es nach Ansicht der Behörden wahrscheinlicher macht, dass Opfer Hilfe in Anspruch nehmen. Der KOK berichtete, dass 2021 mindestens 725 Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung von staatlich finanzierten Fachberatungsstellen betreut wurden. Nur 175 dieser 725 Personen waren neue Betreuungsfälle, während die übrigen Opfer schon seit mehreren Jahren betreut wurden. In den von der Regierung und vom KOK für die Opferhilfe gemeldeten Statistiken kann es zu Überschneidungen und Dopplungen kommen. 19 von 43 Beratungsstellen lieferten Daten für den KOK-Bericht, unter anderem zu folgenden Leistungen: psychosoziale Unterstützung (546), Informationsvermittlung (530), Vereinbaren von und Begleitung zu Arztterminen (402), Unterstützung im Asylverfahren (366), Krisenintervention (331), Unterstützung bei der Beschaffung von Unterlagen (320), Unterstützung in aufenthaltsrechtlichen Verfahren (296), Unterstützung bei der Sicherung des Lebensunterhalts (289), Alphabetisierungs- und Sprachkurse (213), Vermittlung von Rechtsberatung (146), Geltendmachung von Entschädigungen oder Lohnnachzahlungen (80), Unterstützung im Strafverfahren (72), Vermittlung von Aus- und Weiterbildung (71) und Beschäftigung (43). 2021 und teilweise auch 2022 hatten einige Notunterkünfte und Beratungsstellen aufgrund der Pandemie geringere Kapazitäten. NGOs stellten fest, dass es schwierig war, freie Plätze für Opfer in Notunterkünften zu finden, und die Sozialdienste waren nicht in der Lage, ausführliche Beratung anzubieten.
2022 wurde die Arbeit des KOK von staatlicher Seite mit 546.578 Euro gefördert, eine geringfügige Erhöhung verglichen mit den 506.000 Euro im Vorjahr. Darüber hinaus stellte die öffentliche Hand rund 282.810 Euro für die NGO bereit, die die Servicestelle betreibt; zum Vergleich: 2021 und 2020 waren es 271.000 Euro gewesen. Auch die Landesregierungen unterstützten Opfer von Menschenhandel und stellten 2022 mindestens 2,61 Millionen Euro für NGOs zur Verfügung, ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu den 5,91 Millionen Euro im Jahr 2021, die zusätzliche Mittel für pandemiebezogene Kosten beinhalteten, und 3,3 Millionen Euro im Jahr 2020. Dennoch berichteten zivilgesellschaftliche Akteure weiterhin, dass es für den operativen Bedarf an Personal und Geld mangelte insbesondere durch erweiterte pandemiebedingte Aufgaben, so dass sie auf private Spenden angewiesen waren. Staatlich finanzierte, von Nichtregierungsorganisationen geleitete Beratungsstellen wandten sich sowohl an Opfer von Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft als auch der sexuellen Ausbeutung, allerdings hatten viele Beratungsstellen nur den Auftrag, weibliche Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu betreuen. Von NGOs geleitete Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel waren in 45 Städten und allen 16 Bundesländern tätig; sie boten Unterkünfte, medizinische und psychologische Versorgung, Rechtsberatung, Hilfe bei der Ausbildungsplatzsuche, bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis, Beratung und Unterstützung bei der Vorbereitung auf polizeiliche oder gerichtliche Befragungen und Gerichtsverhandlungen, bei Rückführungen und der Wiedereingliederung. Die Beratungsstellen waren auch für die Öffentlichkeitsarbeit und die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden oder Sozialdienstleistern zuständig. Zivilgesellschaftliche Akteure merkten an, dass es in vielen ländlichen Gegenden nach wie vor an Ressourcen mangele, die konkret der Bekämpfung von Menschenhandel dienen. Eine staatlich finanzierte NGO berichtete über die Einrichtung eines mobilen Teams zur Unterstützung von Flüchtlingen aus der Ukraine in ländlichen Gebieten. Behörden und NGOs stellten fest, dass der Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine die Ressourcen im Berichtszeitraum strapazierte. Im Juli 2022 unterzeichnete der KOK eine umfassende Vereinbarung mit der Bundespolizei zur Erweiterung und Stärkung der bestehenden Vereinbarung zur besseren Abstimmung auf kommunaler und Landesebene bei Verdacht auf Menschenhandel und bei Aufklärungskampagnen und Schulungsmaßnahmen. Die Opfer hatten Anspruch auf 15 bis 18 Notfallhilfe-Sitzungen in Trauma-Ambulanzen. Eine zivilgesellschaftliche Organisation berichtete jedoch, dass viele von Menschenhandel Betroffene nicht gesetzlich krankenversichert seien, und dass diejenigen, die versichert sind, in der Regel von medizinischem Personal behandelt werden, das nicht darin geschult ist, Opfer von Menschenhandel zu erkennen. Darüber hinaus stellten zivilgesellschaftliche Akteure fest, dass die Unterbringung aller Opfer von Menschenhandel unzulänglich war und es an einheitlichen bundesweiten Standards mangelte. Für Kinder, weibliche Transgender-Personen und erwachsene männliche Opfer von Menschenhandel gab es in Zentren nur begrenzte langfristige oder umfassende Unterstützung und Unterbringungsmöglichkeiten. Zivilgesellschaftliche Akteure stellten außerdem fest, dass es zwar mehr Angebote für Frauen gab, die Unterbringung von Männern jedoch nur ad hoc erfolgte und es für Kinder keine Unterkünfte gab, die speziell auf die Bedürfnisse von Opfern von Menschenhandel abgestimmt waren. Die allgemeine Verfügbarkeit von Hilfsangeboten und Unterkünften war je nach Bundesland uneinheitlich oder unzureichend. Im KOK-Bericht für das Jahr 2021 wurde festgestellt, dass in 386 Fällen, für die Daten vorlagen, für 94 Personen keine Unterkunft zur Verfügung stand. Eine andere KOK-Studie aus dem Jahr 2021, im Rahmen derer Gerichtsurteile – auch in Fällen von Menschenhandel – aus den Jahren 2017 bis 2021 ausgewertet wurden, kam zu dem Schluss, dass Betroffene, die Sozialleistungen und Hilfsangebote nutzten, sehr viel seltener erneut Opfer von Menschenhandel wurden. Im April 2022 verabschiedete die nordrhein-westfälische Landesregierung ein Kinderschutzgesetz, das auch Regelungen für Opfer Menschenhandel mit Minderjährigen enthielt und die Mindeststandards für alle 186 Jugendämter in NRW vorgab, darunter die Beurteilung der Kindeswohlgefährdung und die sofortige Aufnahme- und Bearbeitungspflicht.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wendete weiter seine Handlungsanweisungen und Indikatorenlisten an, um im Rahmen des Asylschutzsystems potenzielle Opfer zu erkennen und an Beratungszentren staatlich finanzierter NGOs zu verweisen. Allerdings gab es von NGOs immer wieder Empfehlungen für erforderliche Verbesserungen bei der Opferidentifizierung. In jeder Niederlassung/des BAMF gab es mindestens eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter, der bei der Identifizierung und Unterstützung potenzieller Opfer von Menschenhandel half. Während die Behörden erklärten, dass bei Migrantinnen und Migranten und Asylsuchenden auf Anzeichen für Menschenhandel geachtet wird und identifizierte Opfer Anspruch auf Sozialleistungen und Abschiebeschutz hatten, waren unentdeckte Opfer weiterhin gefährdet und konnten abgeschoben werden, ohne zuvor Schutzleistungen zu erhalten. NGOs berichteten, dass einige mögliche Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung eventuell unangemessenerweise abgeschoben wurden, bevor sie überprüft wurden oder sie die Gelegenheit hatten, Ansprüche auf entgangenen Lohn geltend zu machen. Beratungsstellen berichteten, dass die auf Menschenhandel spezialisierten BAMF-Mitarbeitenden nicht immer an Abschiebungsanhörungen beteiligt oder in diese einbezogen wurden. Zivilgesellschaftliche Akteure stellten fest, dass nicht in diesem Bereich geschulte Einwanderungs- und Polizeibeamtinnen und -beamte Opfer von Menschenhandel in der asylsuchenden und migrantischen Bevölkerung nur selten erkannten, selbst wenn die Opfer direkt auf ihre Erfahrungen mit Menschenhandel verwiesen, insbesondere, wenn keine NGOs oder Beratungsstellen beteiligt waren. Die Beratungsstellen konnten Opfer von Menschenhandel identifizieren und an die entsprechenden Stellen verweisen, berichteten aber weiterhin, dass BAMF-Mitarbeitende ihren Identifizierungen häufig nicht zustimmten und die Opfer trotzdem abschoben. Gelegentlich wurden die Abschiebungsentscheidungen des BAMF von Bundesgerichten aufgehoben. Im Jahr 2022 verzeichneten NGOs weitere Fälle, in denen Gerichte Asylanträge von Personen ablehnten, die angaben, im Menschenhandel ausgebeutet worden zu sein, und sie schließlich abgeschoben wurden.
Die Staatsanwaltschaften boten gemeinsam mit anderen Behörden Opfern ohne Ausweispapiere eine dreimonatige Bedenkzeit an, um zu entscheiden, ob sie vor Gericht aussagen möchten. NGOs und GRETA wiesen jedoch darauf hin, dass die Bedenkzeit nicht einheitlich oder angemessen angewandt wurde und die Opfer nicht systematisch über ihre Rechte aufgeklärt wurden; sie forderten die Ermittelnden nachdrücklich auf, ihre Bemühungen zur Aufklärung der Opfer über ihre Rechte zu verstärken. Im Jahr 2022 berichtete der KOK, dass von 198 Opfern 125 eine Bedenkzeit beantragten und 119 bewilligt wurden. Die NGO stellte fest, dass die Beantragung einer Bedenkzeit zunehmend schwieriger wurde und durch uneinheitliche Regeln, die je nach Bundesland variierten, erschwert wurde. NGOs wiesen auch darauf hin, dass die Einwanderungsbehörden von der Polizei häufig eine Bestätigung des Opferstatus verlangten, was eine Herausforderung darstellte, wenn das Opfer nicht mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten wollte. Opfer, die zur Aussage bereit waren, konnten eine zeitlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigung beantragen, mit der sie sich für die Dauer des Verfahrens weiter in Deutschland aufhalten und einer beruflichen Tätigkeit nachgehen konnten. Die Behörden machten jedoch keine Angaben darüber, wie viele Opfer im Berichtszeitraum eine solche Genehmigung erhalten haben. Fachberatungsstellen unterstützten ausländische Opfer in erheblichem Umfang bei der Klärung ihres Aufenthaltsstatus und begleiteten sie auch zu den Einwanderungsbehörden. Die Klärung des Aufenthaltsstatus war oft schwierig, obwohl eine Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Menschenhandel eine Voraussetzung für den Erhalt vieler Leistungen, wie Unterkunft und Beschäftigung, war. Die NGOs wiesen weiterhin auf die Notwendigkeit eines Abschiebungsstopps aus humanitären Gründen hin, der unabhängig von der Kooperation des Opfers im Strafverfahren ist. Es gab rechtliche Alternativen zur Abschiebung in Länder, in denen die Opfer mit Vergeltung oder Härten rechnen mussten. Nach Abschluss des Hauptverfahrens können die Behörden nach deutschem Recht in humanitären Härtefällen, bei öffentlichem Interesse oder falls für die Betroffenen in ihrem Herkunftsland Gefahr für Leib und Leben droht oder ihre Freiheit in Gefahr ist, Aufenthaltsgenehmigungen für Deutschland erteilen; allerdings stellte GRETA bei der Anwendung des Gesetzes erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern fest. Familienangehörige der Opfer von Menschenhandel konnten unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis beantragen.
Die Opfer haben außerdem bei allen Befragungen einen Rechtsanspruch auf Begleitung durch eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher sowie eine Vertreterin oder einen Vertreter einer Beratungsstelle. Unter bestimmten Voraussetzungen konnten sich die Opfer über die Nebenklage am Strafverfahren beteiligen und hatten Anspruch auf kostenlosen Rechtsbeistand, psychologische Betreuung, eine Dolmetscherin/einen Dolmetscher und das Einlegen zivilrechtlicher Rechtsmittel im Rahmen des Strafverfahrens. Die Behörden veröffentlichten einen Leitfaden für ein kindgerechtes Vorgehen in Strafverfahren und Interaktionen. Die audiovisuelle Aufzeichnung von Zeugenaussagen ist rechtlich zulässig. NGOs berichteten jedoch, dass nicht alle Bundesländer über die erforderliche Ausrüstung für Videoaussagen verfügten. Letztendlich wurde nur in etwa zehn Prozent aller Fälle eine Opferaussage per Videoaufzeichnung vorgenommen, da eine audiovisuelle Vernehmung nicht als gleichwertig mit einer persönlichen Anwesenheit angesehen wurde, es sei denn, das Opfer war ein Kind. Die Strafverfolgungsbehörden stellten fest, dass die Richterinnen und Richter die Opfer manchmal als Kriminelle ansahen, vor allem, wenn die Ausbeutung mit der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen einherging. Staatsanwaltschaften merkten an, dass zusätzliche Schulungen für Richterinnen und Richter zum Thema Menschenhandel zu mehr Zeugenaussagen per Video führen könnten. Die Behörden ergriffen Maßnahmen, um die Belastung der Opfer und die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Traumatisierung zu verringern, indem sie versuchten, die Anzahl ihrer Befragungen vor Gericht zu reduzieren und sie zum Teil gar nicht zur Aussage aufzufordern. Zivilgesellschaftliche Akteure stellten jedoch fest, dass dieser Opferschutz nicht einheitlich umgesetzt wurde und dass Richterinnen und Richter die Angeklagten manchmal nicht aus dem Gerichtssaal entließen, bevor die Opfer aussagten. NGOs berichteten auch über Fälle, in denen Strafverfolgungsbehörden sowie Richterinnen und Richter keinen opferzentrierten und traumainformierten Ansatz verfolgten und die Opfer wie Straftäter verhörten oder sie dafür verurteilten, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein. Darüber hinaus kam die vom Justizministerium finanzierte Studie aus dem Jahr 2021 zu dem Schluss, dass die Änderungen des Strafgesetzbuchs von 2016, durch die unter anderem die Bedeutung von Opfer- und Zeugenaussagen verringert werden sollten, weitgehend wirkungslos waren. Staatsanwaltschaften zufolge seien für eine erfolgreiche Strafverfolgung in Fällen von Menschenhandel ein besseres Verständnis für Traumata, Schulungen für die Befragung von Opfern von Menschenhandel, Schutz vor Abschiebung und ein frühzeitiger Zugang zu psychologischer Betreuung und Rechtsbeistand erforderlich.
Die Behörden führten weiterhin keine umfassenden Statistiken über die Entschädigung und den Schadenersatz, der den Opfern zugesprochen wurde, und verlangten von den Staatsanwaltschaften nicht, in Strafverfahren systematisch Entschädigungen zu fordern. Zwar kann der Staat laut Gesetz Entschädigung leisten, sie wird jedoch nur Opfern gewährt, die unmittelbar physische Gewalt erfahren haben, und es gab keine Angaben über Entschädigungszahlungen. Zwar wurde das Opferentschädigungsgesetz im November 2019 geändert, um den Schutz bei physischer Gewalt auch auf Fälle von psychischer Gewalt zu erweitern, die Änderungen werden jedoch erst im Januar 2024 in Kraft treten. In einem Fall im April 2022 sprach ein Düsseldorfer Gericht zwei Opfern von Menschenhandel eine Entschädigung zu. Menschenhändler und Menschenhändlerinnen behaupteten jedoch häufig, dass sie nicht in der Lage seien, die den Opfern geschuldete Entschädigung zu zahlen, was den Opfern kaum Möglichkeiten ließ, ihre Ansprüche geltend zu machen. Die Behörden machten keine Angaben, ob Zivilklagen von Opfern eingereicht wurden oder ob ihnen im Jahr 2022 Schadenersatz zugesprochen wurde.
Nach Paragraf 154c StPO kann von der Verfolgung eines Vergehens abgesehen werden, wenn das Vergehen durch den Menschenhandel bedingt war. Die vom Justizministerium finanzierte Studie aus dem Jahr 2021 kam jedoch zu dem Schluss, dass Paragraf 154c nur selten angewandt wurde, weil die Staatsanwaltschaften es vorzogen, vertrautere Paragrafen des Strafrechts anzuwenden, in denen es jedoch keine konkret auf Menschenhandel zugeschnittene Formulierungen wie in Paragraf 154c StPO gibt. Der Bericht empfahl die obligatorische Anwendung von Paragraf 154c StPO im Umgang mit Opfern von Menschenhandel. In seinem Bericht für 2022 stellte der KOK fest, dass die Opfer von Menschenhandel weiterhin Gefahr laufen, für Einwanderungs- und andere Ordnungswidrigkeiten bestraft zu werden, die als unmittelbare Folge von Menschenhandel begangen wurden; Menschenhändler und Menschenhändlerinnen nutzten die Androhung staatlicher Strafen häufig als Zwangstaktik, um die Kontrolle über die Opfer zu behalten. Die Beratungsstellen berichteten, dass sie umfangreiche Ressourcen aufwenden, um die Opfer über ihre Rechte aufzuklären, und unterstützten die Opfer im Jahr 2021 in 72 Fällen bei Strafverfahren. NGOs berichteten, dass Opfer ohne gültige Papiere sich häufig scheuten, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen oder Ansprüche auf entgangenen Lohn geltend zu machen, da Paragraf 87 des deutschen Aufenthaltsgesetzes öffentliche Stellen verpflichtet, Personen ohne gültige Papiere zu melden. Bei Bedarf wurde Betroffenen Opferhilfe angeboten, und die Polizei begleitete Zeugen zu Gerichtsverfahren.
PRÄVENTION
Es gab weiterhin staatliche Maßnahmen zur Verhinderung von Menschenhandel. Außerdem gab es drei behördenübergreifende Bund-Länder-Arbeitsgruppen, die sich untereinander abstimmten und sich mit allen Formen von Menschenhandel befassten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend koordinierte die Maßnahmen gegen Menschenhandel auf internationaler Ebene und die nationalen Maßnahmen bei der Bekämpfung von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, während das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Maßnahmen gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung koordinierte. Die Arbeitsgruppen der Regierung traten 2022 mindestens viermal zusammen, um verschiedene Themen zu erörtern, darunter Nationale Verweisverfahren, die Ausarbeitung des nationalen Aktionsplans, die Bedeutung gefährdeter Flüchtlinge, die vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine fliehen, und die Rahmenvereinbarung über den Menschenhandel. Die Regierung setzte die Zusammenarbeit innerhalb einer Rahmenvereinbarung fort, die auf eine Intensivierung der Zusammenarbeit und eine bessere Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der FKS, den Fachberatungsstellen und der Servicestelle für Menschenhandel abzielt. Im Mittelpunkt der Rahmenvereinbarung steht die Prävention von Menschenhandel, die Einrichtung eines Verweismechanismus und die Verbesserung des Zugangs zu Dienstleistungen für Opfer von Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft; die FKS und die Servicestelle berichteten. dass sie im Berichtszeitraum Schulungen und Workshops für Koordinatoren der Opferhilfe zum Thema Menschenhandel durchgeführt haben. Im November 2022 hat die Berichterstattungsstelle zu Menschenhandel ihre Arbeit aufgenommen. Die Stelle deckt alle Formen von Menschenhandel ab und Ihre Aufgabe ist es, durch das Sammeln und Auswerten von Daten die Umsetzung internationaler Vorgaben zu ermöglichen. Einen Aktionsplan gegen Menschenhandel legte die Regierung bis dato nicht vor.
Die Regierung veröffentlichte weiterhin ihren Jahresbericht über Menschenhandel und finanzierte mehrere Studien, darunter die zweite Branchenanalyse der Servicestelle für landwirtschaftliche Saisonarbeit und häusliche Pflege, die ein stärkeres Bewusstsein für Indikatoren, die auf Zwangsarbeit hinweisen, schaffen und die Identifizierung der Opfer verbessern soll. Anders als in den Vorjahren führte die Bundesregierung im Jahr 2022 keine nationalen Aufklärungskampagnen zur Bekämpfung von Menschenhandel durch, allerdings führten mehrere Landesregierungen Aufklärungskampagnen zu Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und zur Verhinderung von Menschenhandel im Zusammenhang mit Flüchtlingen aus der Ukraine durch. Eine erwähnenswerte Kampagne zur Bekämpfung von Menschenhandel mit minderjährigen Jungen zur sexuellen Ausbeutung wurde vom Berliner LKA in Zusammenarbeit mit mehreren NGOs initiiert. Dazu wurden Flyer verteilt, Schilder aufgestellt und eine Hotline eingerichtet. Staatlich finanzierte NGOs gaben an, mithilfe von Podcasts, Artikeln, Broschüren, Pressemitteilungen und anderen Methoden unter anderem über die Verhinderung von Menschenhandel mit Flüchtlingen aus der Ukraine, Betroffenenrechte in Strafverfahren und über Menschenhandel mit Minderjährigen aufzuklären. Auch der KOK berichtete, umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt zu haben. Die Servicestelle entwickelte eine Reihe von Materialien, die dazu beitragen sollen, Menschenhandel zu verhindern, darunter einen Informationsflyer, eine Handreichung zum Thema Menschenhandel für Strafverfolgungsbehörden, eine Vorlage für Polizei- und Zollbehörden zur Anwendung bei Ermittlungen und einen Informationsflyer für Flüchtlinge aus der Ukraine über die Vermeidung von Zwangsarbeit. Der Bund richtete keine spezielle Hotline für Menschenhandel ein, finanzierte aber weiterhin eine Telefonhotline in 19 Sprachen für von Gewalt betroffene Frauen, die rund um die Uhr erreichbar war. Die Hotline wurde 2021 von 81 möglichen Opfern von Menschenhandel angerufen, im Vorjahr waren es 93 Anrufe. Der Bund betrieb zudem zusätzlich zu einem von ihm finanzierten und von einer NGO betriebenen nationalen Hilfetelefon für Arbeitsmigrantinnen und -migranten weitere nationale und regionale Hotlines für Opfer sexueller Gewalt und für männliche Opfer von Gewalt, einschließlich von Menschenhandel, allerdings lagen keine Zahlen zu den Opfern von Menschenhandel vor, die diese Hotlines anriefen.
Laut Gesetz sind Gebühren für die Anwerbung von Zeitarbeitskräften verboten, von Arbeitskräften aus dem Ausland, die keine Zeitarbeitenden sind, können jedoch Gebühren von bis zu 2.000 Euro verlangt werden, während Au-pairs maximal 170 Euro in Rechnung gestellt werden dürfen. Ausländische Beschäftigte benötigten für einen Arbeitsplatzwechsel eine vorherige behördliche Genehmigung in Form einer neuen Aufenthaltsgenehmigung, was sie möglicherweise gefährdeter für Menschenhandel machte. Private Arbeitsvermittlungen benötigten zudem keine Betriebserlaubnis. Während die unzureichende Überwachung, die betrügerische Anwerbung von Arbeitskräften und die anhaltende Gefährdung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten und Saisonarbeitskräften im Berichtszeitraum weiterhin Anlass zur Sorge gaben, berichteten die Behörden von mehreren Maßnahmen zur Prävention von betrügerischer Anwerbung von Arbeitskräften, Ausbeutung und Menschenhandel. Es gibt ein Gesetz, das befristete Verträge für Arbeitsmigrantinnen und -migranten in der Fleischindustrie verbietet. Zivilgesellschaftliche Akteure äußerten sich weiterhin besorgt über die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte und vertraten die Auffassung, dass deren Arbeitsbedingungen, insbesondere in Privathaushalten, ausbeuterisch seien und in einigen Fällen möglicherweise als Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft einzuordnen seien. Die Regierung hatte zuvor ein freiwilliges Zertifikat eingeführt, das Personalvermittlungen im Gesundheitswesen ausgestellt werden kann, wenn sie alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen erfüllen. Staatlichen Angaben zufolge nahmen von den etwa 150 infrage kommenden privaten Personalvermittlungen in Deutschland alle großen an dem Zertifikatsverfahren teil, 56 hatten bereits eine Lizenz erhalten. Die zertifizierten Unternehmen waren zur Einhaltung der Bestimmungen des Qualitätszertifikats verpflichtet; die Einhaltung wurde kontrolliert, bei Nichteinhaltung konnten Geldstrafen verhängt werden. Das Mandat der FKS war bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf Menschenhandel ausgeweitet worden, wodurch mehr Mitarbeitende zur möglichen Identifizierung der Opfer von Zwangsarbeit zur Verfügung standen. Die FKS war jedoch nicht befugt, ohne Zustimmung von Hauseigentümerinnen und -eigentümern Arbeitsinspektionen in Privathaushalten durchzuführen, was die Identifizierung von Zwangsarbeit im Haushalt erschwerte.
Üblicherweise führten die Behörden jährlich persönliche Gespräche mit etwa 170 von Botschaften beschäftigten, in Deutschland tätigen Hausangestellten, um sie über ihre Rechte zu informieren. Die Arbeitgebenden waren dabei nicht anwesend. Dennoch behauptete im Juli 2022 eine philippinische Staatsangehörige, in einem omanischen Diplomatenhaushalt mehr als drei Jahre lang in Zwangsarbeit als Hausangestellte gearbeitet zu haben. Zwar wurde sie von einer NGO unterstützt und kehrte schließlich nach Hause zurück, erhielt aber von dem mutmaßlichen Menschenhändler keine Entschädigung. Aufgrund seiner diplomatischen Immunität konnte der omanische Diplomat Deutschland verlassen und in den Oman zurückkehren, ohne strafrechtlich verfolgt oder zur Rechenschaft gezogen zu werden. Zivilgesellschaftliche Akteure forderten die Regierung auf, Bemühungen zur Aufklärung der Angestellten in Diplomatenhaushalten Priorität einzuräumen und die Anstrengungen zum Schutz dieser gefährdeten Bevölkerungsgruppe zu verstärken.
Im Januar 2023 trat das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten in Kraft. Es verpflichtet Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten (etwa 700 Unternehmen) dazu, mit der gebotenen Sorgfalt sicherzustellen, dass in ihren Lieferketten keine Zwangsarbeit eingesetzt wird, unter anderem durch Risikoanalyse, Risikomanagement und einen Beschwerdemechanismus. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wurde zur zuständigen Behörde ernannt und mit entsprechenden Durchsetzungsmechanismen ausgestattet, die Inspektionen, die Beschaffung von Dokumenten und Geldstrafen bei Nichteinhaltung umfassen. Wegen Menschenhandels Verurteilten war es verboten, sich um öffentliche Aufträge zu bewerben. Mehrere Programme gegen Menschenhandel im Ausland wurden staatlich gefördert, unter anderem in Afghanistan, Ägypten, Äthiopien, den westlichen Balkanländern und mehreren Ländern am Horn von Afrika. Die Regierung unternahm keine Anstrengungen, um die Nachfrage nach gewerblich angebotenen sexuellen Handlungen zu verringern. Die Regierung unternahm Anstrengungen, um die Nachfrage nach internationalem Sextourismus durch deutsche Staatsangehörige zu verringern, indem sie eine Aufklärungskampagne startete, eine Website zum Melden von mutmaßlichem Sextourismus mit Kindesmissbrauch im Ausland betrieb, im Mai 2022 ein Aktionsprotokollmodell für Reiseleiterinitiierte und im Dezember 2022 einen Kindersextouristen wegen in Kuba begangener Straftaten unter anderem zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilte.
OPFERPROFILE: Wie schon in den vergangenen fünf Jahren berichtet, beuten Menschenhändler und Menschenhändlerinnen in Deutschland sowohl deutsche als auch ausländische Opfer aus. Die Pandemie verschlimmerte die Gefährdung der Opfer von Menschenhandel, auch aufgrund der zunehmenden Isolation von Arbeitsmigrantinnen und -migranten und Saisonarbeitskräften sowie von Opfern von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Ausgelöst durch die Corona-Pandemie nutzen Täterinnen und Täter beim Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung zur Anwerbung und Ausbeutung ihrer Opfer weiterhin zunehmend Onlineplattformen und mieten Wohnungen an, um die Spuren ihrer illegalen Tätigkeiten zu verwischen. Mietwohnungen sind zum primären Schauplatz von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung geworden, im Gegensatz zu der eher traditionellen Prostitution in Bordellen, Bars oder auf der Straße. Die meisten identifizierten Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Deutschland sind EU-Bürgerinnen und -Bürger, hauptsächlich deutsche, bulgarische und rumänische Staatsangehörige, unter denen ein erheblicher Prozentsatz ethnischer Roma ist. Opfer kommen auch aus den meisten anderen Regionen der Welt, insbesondere aus einigen lateinamerikanischen Staaten, Nigeria, der Volksrepublik China, Thailand und aus Teilen Afrikas. Transgender Frauen aus Thailand sind besonders gefährdet, Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung zu werden, und werden vor ihrer Abreise oft über ihre Arbeitsbedingungen und Löhne getäuscht. Auch Kinder von Roma-Familien – Jungen und Mädchen – werden mitunter zur Prostitution auf der Straße gezwungen. Täterinnen und Täter, die Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betreiben, nutzen Anwerbebetrug, Gewalt und Zwangsarbeit, um venezolanische Frauen und LGBTQI+-Personen auszubeuten, die aufgrund der zusammenbrechenden Wirtschafts- und Sozialsysteme aus ihrer Heimat fliehen. Die Behörden berichten auch in diesem Berichtsjahr über die weit verbreiteten jungen männlichen Täter, „Loverboys“ genannt, die Mädchen und Frauen oft über ein vorgegaukeltes Liebesverhältnis zu sexueller Ausbeutung zwingen; im Jahr 2021 waren rund 20 Prozent der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung mit dieser Methode dazu genötigt worden. 2021 wurden 13 Prozent der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung über das Internet und 12 Prozent über Model- und Talentagenturen angeworben. Darüber hinaus gaben die Behörden an, dass im Jahr 2021 etwa 49 Prozent der Täterinnen und Täter ihre Opfer bereits kannten, bevor sie sie sexuell ausbeuteten.
Menschenhändler und Menschenhändlerinnen nehmen Migrantinnen und Migranten und Flüchtlinge wie gehabt schon bei ihrer Ankunft ins Visier. 2022 sind ukrainische Flüchtlinge, insbesondere vor Russlands Krieg gegen die Ukraine geflüchtete Frauen und Kinder, von Menschenhandel bedroht. Die Fachberatungsstellen haben 2022 weniger als zehn Verdachtsfälle ausgemacht, in denen Flüchtlinge aus der Ukraine Opfer von Menschenhandel wurden, obwohl einige NGOs festgestellt haben, dass im Internet mehr für Ukrainerinnen geworben wurde. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen werben Menschenhändlerinnen, sogenannte nigerianische „Madames”, auch weiterhin nigerianische Mädchen und Frauen an und zwingen sie später mit Hilfe eines Voodoo-Schwurs, den sie ablegen müssen, in ausbeuterischen Situationen zu bleiben, während nigerianische „Bruderschaften“ ihre Opfer zunehmend mit Gewalt anwerben. Die nigerianische und die europäische Mafia arbeiten zunehmend zusammen, um Menschenhandel aus Afrika zu erleichtern. Es gibt weiterhin Berichte ausländischer Regierungen über Sextourismus aus Deutschland. Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung sind überwiegend Männer aus europäischen Ländern wie Bulgarien, Lettland, Nordmazedonien, Polen, Rumänien und der Ukraine. Organisierte vietnamesische kriminelle Gruppen beuten die Arbeitskraft vietnamesischer Opfer von Menschenhandel aus. Die Täterinnen und Täter beuten die Opfer vor allem auf Baustellen aus, aber auch in Hotels, in saisonalen Branchen wie der Landwirtschaft, der Unterhaltungsindustrie, in Restaurants sowie in Privathaushalten, wobei die Zahl der gemeldeten minderjährigen Opfer zugenommen hat. Ausländische Arbeitskräfte sind gefährdet, Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung zu werden, insbesondere in Fleisch verarbeitenden Betrieben und besonders, wenn Unternehmen Beschäftigte über Subunternehmen anwerben, die bei der Anwerbung von Arbeitskräften unter Umständen betrügerische Praktiken angewendet haben. Roma und unbegleitete Minderjährige aus dem Ausland werden häufig Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei und Ausbeutung bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen.
Originaltext: 2023 Trafficking in Persons Report: Germany