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Länderberichte über Menschenrechtspraktiken – 2020
80 MINUTE READ
Juli 2, 2021

Das Büro für Demokratie, Menschenrechte und Arbeitsfragen des US-Außenministeriums gibt jedes Jahr den Bericht über Menschenrechtspraktiken heraus. Der Bericht für das Jahr 2020 wurde am 11. März 2021 veröffentlicht. Wir haben den Deutschlandteil übersetzt.

Zusätzlich wird das US-Außenministerium Mitte des Jahres einen Anhang zu diesem Bericht veröffentlichen, mit dem der Unterabschnitt über Frauen in Abschnitt 6 um einen umfassenderen Teil über reproduktive Rechte erweitert wird.

Deutschland ist eine Verfassungsdemokratie. Die Staatsbürger wählen ihre politischen Vertreter regelmäßig in freien und fairen Mehrparteienwahlen. Der Bundestag, die erste gesetzgebende Kammer, wählt den Regierungschef, den Bundeskanzler. Die zweite gesetzgebende Körperschaft ist der Bundesrat, der die 16 Bundesländer auf Bundesebene vertritt und aus Regierungsvertretern der Bundesländer zusammengesetzt ist. Die 16 Bundesländer verfügen über beträchtliche Unabhängigkeit, auch in Angelegenheiten wie Strafverfolgung und Bildung. Beobachtern zufolge verliefen die Bundestagswahlen im September 2017, ebenso wie die Landtagswahlen in den Jahren 2018, 2019 und 2020, frei und fair.

Die Zuständigkeit für die innere Sicherheit und den Grenzschutz liegt bei der Polizei der 16 Bundesländer, dem Bundeskriminalamt sowie der Bundespolizei. Die Landespolizei ist dem Innenministerium des jeweiligen Bundeslandes, die Bundespolizei dem Bundesministerium des Innern unterstellt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die jeweiligen Landesämter für Verfassungsschutz sind neben anderen Sicherheitsaufgaben für die inlandsnachrichtendienstliche Aufklärung über Gefahren für die öffentliche Ordnung zuständig. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist eine nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums des Innern und die Landesämter für Verfassungsschutz sind den jeweiligen Landesinnenministerien unterstellt. Zivile Behörden hatten weiterhin die effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Die Angehörigen der Sicherheitskräfte begingen wenige Verstöße.

Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen waren unter anderem antisemitisch motivierte Straftaten sowie durch islamfeindlich motivierte Gewalt gegen Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten oder andere Formen von Rechtsextremismus.

Der Staat hat Maßnahmen zur Ermittlung gegen und zur strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung von Beamten und Angestellten der Sicherheitsdienste und anderer Bereiche des öffentlichen Dienstes ergriffen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben.

Abschnitt 1. Achtung der Integrität des Menschen, einschließlich Schutz vor:

A. WILLKÜRLICHER UND ANDERER UNRECHTMÄSSIGER ODER POLITISCH MOTIVIERTER TÖTUNG

Es gab keine Berichte über willkürliche oder rechtswidrige Tötungen durch die Regierung oder ihre Vertreter. Im Fall einer Tötung durch Sicherheitskräfte nimmt die Polizei interne, von der Staatsanwaltschaft geleitete Ermittlungen auf.

Der Prozess gegen zwei Rechtsextremisten, die verdächtigt werden, im Juni 2019 den hessischen Kommunalpolitiker Walter Lübcke getötet zu haben, begann am 16. Juni. Die Straftat wurde weithin als politisch motivierte Tötung eines Staatsvertreters eingestuft, der sich bekanntermaßen für Geflüchtete einsetzte. Der Hauptangeklagte, Stephan Ernst, wurde zudem wegen versuchten Mordes an einem irakischen Asylbewerber im Jahr 2016 angeklagt und die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass er beide Taten aus ethno-nationalistischen und rassistischen Motiven beging. Am 5. August gestand Ernst vor Gericht, Lübcke erschossen zu haben, beschuldigte jedoch den Mitangeklagten Markus Hartmann, ihn aufgehetzt zu haben. Der hessische Landtag berief einen Untersuchungsausschuss ein, um zu ermitteln, warum die hessischen Sicherheitsdienste Stephan Ernst nicht als Gefahr für die Gesellschaft erkannt hatten. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Internethetze gegen 72 Personen, die Lübcke nach seinen flüchtlingsfreundlichen Bemerkungen 2015 bedroht hatten. Die Verfahren gegen drei der Angeklagten – wegen Verleumdung und Billigung von Mord, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Anstiftung zu Körperverletzung – endeten im August, es wurden nur geringe Geldstrafen verhängt.

B. VERSCHWINDENLASSEN

Es lagen keine Berichte über das Verschwindenlassen von Personen im Auftrag des Staates oder durch staatliche Behörden vor.

C. FOLTER UND ANDERER GRAUSAMER, UNMENSCHLICHER ODER ENTWÜRDIGENDER BEHANDLUNG ODER BESTRAFUNG

Die Verfassung verbietet solche Praktiken, es gab allerdings einige wenige Berichte, wonach Staatsbedienstete sie einsetzten. Einigen Menschenrechtsorganisationen zufolge gingen die Behörden Vorwürfen von Misshandlungen durch die Polizei nicht effektiv nach und wendeten kein unabhängiges Verfahren an, um solche Anschuldigungen zu überprüfen. Einem Zwischenbericht zu einer laufenden Studie von Forschern der Universität Bochum aus dem Jahr 2019 zufolge hatte die Polizei in 12.000 Fällen exzessive Gewalt angewandt. Die Behörden ermittelten in etwa 2.000 dieser Fälle. Die Ermittlungen wurden in 90 Prozent der Fälle abgebrochen, in etwa zwei Prozent der Fälle wurden die Beamten offiziell angeklagt. In weniger als einem Prozent der Fälle wurden die beschuldigten Beamten verurteilt.

Im Juli wurden zwei Polizeibeamte aus Thüringen wegen sexuellen Missbrauchs einer Frau im September 2019, während sie im Dienst waren, zu zwei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nachdem sie die Ausweispapiere eines polnischen Paares überprüft und festgestellt hatten, dass diese gefälscht waren, fuhren die Beamten die Frau zu ihrer Wohnung, wo sie sie sexuell missbrauchten. Wegen Mangels an Beweisen reduzierte das Gericht die Anklage von Vergewaltigung auf sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, da der Aufenthaltsort der Frau nicht ermittelt werden und sie deshalb nicht vor Gericht aussagen konnte. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung gingen in Revision. Die Staatsanwaltschaft hoffte, die Frau könne gefunden werden, um wieder Anklage wegen Vergewaltigung erheben zu können, während die Verteidigung argumentierte, ohne neue Beweise könnten keine neuen Anklagepunkte vorgebracht werden. Im Juli war das Revisionsverfahren noch anhängig.

Im Juli 2019 schoss die Polizei in Köln auf den unbewaffneten 19-jährigen Alexander Dellis, als dieser zu fliehen versuchte. Dellis erstatte wegen der Unverhältnismäßigkeit der Reaktion Anzeige gegen die Polizei, die Staatsanwaltschaft ermittelte.

Ungeahndete Straftaten bei den Sicherheitskräften stellen kein wesentliches Problem dar.

BEDINGUNGEN IN GEFÄNGNISSEN UND HAFTANSTALTEN

Es gab keine maßgeblichen Berichte über Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten, die Bedenken im Hinblick auf die Menschenrechte ausgelöst hätten.

Materielle Haftbedingungen: Es gab keine maßgeblichen Bedenken bezüglich der Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten oder über die Misshandlung von Insassen.

Verwaltung: Glaubwürdige Vorwürfe der Misshandlung wurden von den Behörden angemessen untersucht.

Unabhängige Überwachung: Die Regierung ließ Kontrollbesuche unabhängiger Beobachter von Nichtregierungsorganisationen zu.

D. WILLKÜRLICHER FESTNAHME ODER INHAFTIERUNG

Das Grundgesetz verbietet willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sieht das Recht vor, die Rechtmäßigkeit einer Festnahme vor Gericht anzufechten. Die Regierung hielt sich im Allgemeinen an diese Anforderungen.

Zwischen 2017 und 2019 erweiterten einige Landesparlamente die Befugnisse der Polizei. Die neuen Landesgesetze erlauben der Polizei, Präventivmaßnahmen gegen „drohende Gefahren“ zu ergreifen. Kritiker argumentierten, diese Bestimmungen räumten der Polizei Überwachungsbefugnisse ein, die eigentlich nur den Nachrichtendiensten zustünden. Im September waren Klagen gegen die neuen Gesetze in Bayern und Baden-Württemberg noch beim Bundesverfassungsgericht und eine separate Klage gegen das entsprechende Gesetz in Sachsen-Anhalt beim Verfassungsgericht des Landes anhängig.

In einigen Bundesländern gibt es zwar eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte, die Nichtregierungsorganisation Amnesty International Deutschland kritisierte jedoch das Fehlen einer bundesweiten Verpflichtung hierzu.

Im Februar wurde ein 29-Jähriger in Köln zum dritten Mal von den Vorwürfen des Widerstands gegen die Polizeigewalt, der Körperverletzung und der Beamtenbeleidigung freigesprochen. Beim zweiten Verfahren im April 2019 wies der Richter des Landgerichts Köln die Klage als unbegründet ab und entschuldigte sich bei dem Angeklagten. Dennoch ging die Staatsanwaltschaft ein zweites Mal in Berufung. Die Ermittlungen gegen die Polizeibeamten aus dem Jahr 2019 waren im November noch nicht abgeschlossen.

VORGEHEN BEI VERHAFTUNG UND BEHANDLUNG IN GEWAHRSAM

Für eine Festnahme muss ein Haftbefehl vorliegen, der von einer Justizbehörde ausgestellt wurde. Die Polizei kann auch Personen festnehmen, wenn sie diese beim Verüben einer Straftat aufgreift oder wenn schwerwiegende Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Person eine Straftat plant. Das Grundgesetz verlangt die Vorstellung von Verdächtigen bei einem Justizbeamten am Folgetag der Festnahme. Der Richter muss den Verdächtigen oder die Verdächtige über die Gründe für seine oder ihre Festnahme informieren und ihm oder ihr die Möglichkeit geben, zu widersprechen. Anschließend muss das Gericht entweder einen Haftbefehl ausstellen, aus dem die Gründe für die Fortsetzung der Inhaftierung hervorgehen, oder die Freilassung der Person anordnen. Die Behörden achteten diese Rechte im Allgemeinen.

Obwohl es die Möglichkeit der Kaution gibt, ließen die Richter Personen, die auf ihr Verfahren warteten, in der Regel ohne Kaution auf freiem Fuß. Eine Kaution wird nur fällig, wenn gerichtlich erklärt wurde, dass Fluchtgefahr besteht. In solchen Fällen können die Behörden die Freilassung auf Kaution verweigern und Inhaftierte für die Dauer der Ermittlungen und des anschließenden Prozesses inhaftieren, allerdings unterliegt dies der gerichtlichen Überprüfung.

Festgenommene haben das Recht, sich von einem Anwalt vertreten zu lassen. Bei finanzieller Bedürftigkeit stellt der Staat einen Rechtsbeistand. Laut Gesetz steht es festgenommen Personen jederzeit zu, einen Rechtsbeistand zu beauftragen, auch vor Befragung durch die Polizei. Die Behörden müssen die Tatverdächtigen vor der Befragung über ihr Recht informieren, einen Rechtsbeistand zu konsultieren.

Untersuchungshaft Die Nichtregierungsorganisation World Prison Brief berichtete im Juni, dass sich 20,6 Prozent aller Inhaftierten in Untersuchungshaft befänden. Das Justizministerium berichtete 2019, dass die Untersuchungshaft im Durchschnitt zwischen vier und sechs Monaten dauere. Die Untersuchungshaft wird von den Gerichten auf eine mögliche Haftstrafe angerechnet. Wenn ein Angeklagter von einem Gericht freigesprochen wird, muss der Staat für die während der Untersuchungshaft entstandenen finanziellen Einbußen und den immateriellen Schaden Entschädigung leisten.

E. DER VERWEIGERUNG EINES FAIREN ÖFFENTLICHEN PROZESSES

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, und der Staat respektierte die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz im Allgemeinen.

VERFAHRENSBESTIMMUNGEN

Die Verfassung schreibt das Recht auf ein faires, öffentliches Verfahren vor, und die unabhängige Justiz setzte dieses Recht im Allgemeinen durch.

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung. Sie haben das Recht, umgehend und detailliert über die gegen sie vorliegenden Anschuldigungen informiert zu werden. Das Verfahren soll fair, öffentlich und ohne unangemessene Verzögerung stattfinden. Laut Gesetz besteht für Angeklagte Anwesenheitspflicht bei ihren Verhandlungen. Angeklagte haben das Recht, sich von einem Anwalt ihrer Wahl vertreten zu lassen, und der Staat stellt, wie oben erwähnt, einen Rechtsbeistand auf Staatskosten, wenn die Angeklagten ihre finanzielle Bedürftigkeit nachweisen können. Angeklagte und ihre Anwälte haben das Recht auf einen angemessenen Zeitraum und angemessene Örtlichkeiten zur Vorbereitung ihrer Verteidigung. Der Staat stellt jedem Angeklagten, der kein Deutsch spricht oder versteht, kostenlos einen Dolmetscher, wenn der Angeklagte seine finanzielle Bedürftigkeit nachweisen kann oder freigesprochen wird. Angeklagte haben Zugang zu allen Beweisen, die dem Gericht vorliegen und für ihren Fall relevant sind. Angeklagte dürfen die Zeugen der Anklage befragen und zu ihrer Verteidigung eigene Zeugen und Beweise anführen. Angeklagte dürfen nicht zur Aussage oder zu einem Geständnis gezwungen werden. Angeklagte haben das Recht, Berufung einzulegen.

Laut Gesetz dürfen Gerichte niemanden zweimal für dieselbe Straftat verurteilen. Gerichte können jedoch bei wegen Vergewaltigung, Mord oder Totschlags Verurteilten nach Verbüßen der Strafe zusätzlich eine „anschließende Sicherungsverwahrung“ anordnen. Das Gericht kann nur dann Sicherungsverwahrung anordnen, wenn es zu dem Schluss kommt, dass der Täter an einer psychischen Störung leidet oder eine dauerhafte, ernsthafte Bedrohung für die Öffentlichkeit darstellt. Die Sicherungsverwahrung kann laut Gesetz unbefristet angeordnet werden, unterliegt aber der regelmäßigen Überprüfung.

Da die Sicherungsverwahrung rechtlich nicht als Strafe gilt, müssen die Behörden Sicherungsverwahrte in separaten Gebäuden oder in abgetrennten Teilen der Justizvollzugsanstalten mit besseren Bedingungen unterbringen. Die Behörden müssen den Inhaftierten außerdem sozial- und psychotherapeutische Angebote machen. Nach Informationen des Statistischen Bundesamtes befanden sich Ende März 551 Personen in Sicherungsverwahrung.

POLITISCHE GEFANGENE UND INHAFTIERTE

Es gab keine Berichte über politische Gefangene oder Inhaftierte.

ZIVILVERFAHRENSRECHT UND RECHTSBEHELFE

Bei Verletzung ihrer Grundrechte können die Bürgerinnen und Bürger bei Petitionsausschüssen und Bürgerbeauftragten Beschwerde einreichen. Diese Kontaktstellen werden meist als Ombudsstellen bezeichnet. In zivilrechtlichen Angelegenheiten bietet eine unabhängige und unparteiische Justiz zudem Zugang zu Gerichten, um in Fällen von Menschenrechtsverletzungen auf Schadenersatz oder Unterlassung zu klagen. Wenn die nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft sind, besteht die Möglichkeit, bei mutmaßlichen Verstößen des Staates gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu klagen.

RÜCKERSTATTUNG VON EIGENTUM

Der Staat verfügt über Gesetze und Mechanismen zur Wiedergutmachung, und Nichtregierungsorganisationen sowie Interessengruppen berichteten, dass bei der Bearbeitung von Ansprüchen aus der Zeit des Holocaust, auch von nichtdeutschen Staatsbürgern, maßgebliche Fortschritte gemacht wurden. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende 2019 zahlte Deutschland Holocaust-Opfern dem Bundesfinanzministerium zufolge rund 77,8 Milliarden Euro an Rückerstattung und Entschädigung. Außerdem unterstützte das Land zahlreiche öffentliche und private internationale Initiativen für Reparationen und Sozialleistungen zugunsten Holocaust-Überlebender und ihrer Familien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedete der Bundestag Gesetze zur Regelung von Ansprüchen aufgrund von NS-Gräueltaten und Enteignungen aus der Zeit des Holocaust. 1952 bestimmte die Bundesregierung die Conference on Jewish Material Claims against Germany (auch Jewish Claims Conference oder JCC) zu ihrem Hauptpartner für die Regelung von Rückerstattungs- und Entschädigungsansprüchen von jüdischen Opfern der NS-Verfolgung.

Bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 wurden die Rückgabe von Eigentum und die Entschädigungszahlungen für Immobilien und Unternehmen, die während des Holocausts beschlagnahmt oder übertragen worden waren, von den westdeutschen Behörden im Einklang mit dem Bundesentschädigungsgesetz geregelt. Die JCC hat die Rechte an Eigentum, für das es keine Erben gibt, übernommen und dieses versteigert. Die Erlöse kamen der Finanzierung von Maßnahmen der Organisation zur Unterstützung von Holocaust-Überlebenden und zur Aufklärung über den Holocaust zugute. Weitere Entschädigungsansprüche für konfisziertes jüdisches Eigentum im ehemaligen Ostdeutschland machte die JCC nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen von 1990 geltend, das nach der Wiedervereinigung verabschiedet wurde. Seit 1990 haben die Behörden in 4.500 Fällen Restitutionsansprüche anerkannt und bewilligt und in etwa 12.000 Fällen Entschädigungen gezahlt. Beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen waren etwa 5.000 Fälle noch ungeklärt, bei denen es um Sachanlagen ging, darunter Grundstücke, Immobilien und Unternehmensanteile.

Durch regelmäßige Verhandlungen zwischen der Claims Conference und der Bundesregierung wurden bestehende Programme erweitert und zusätzliche Programme eingeführt. Bei den Verhandlungen im September sagte die Bundesregierung zu, die Gesamtfinanzierung für 2021 für häusliche Pflegedienste für gebrechliche und alternde Holocaust-Überlebende um 30,5 Millionen Euro zu erhöhen. Damit wurden insgesamt 554,5 Millionen Euro bewilligt. Darüber hinaus ist für NS-Opfer, die bereits eine Einmalzahlung aus dem Härtefallfonds erhalten haben, 2020 und 2021 je eine weitere Zahlung von 1,400 US-Dollar vorgesehen.

2015 gründete die Bundesregierung zur Erforschung der Provenienz von Kunst- und Kulturgütern die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK). Das DZK unterhält im Internet die sogenannte Lost-Art-Datenbank. Darin werden Kulturgüter erfasst, die vermutlich oder nachweislich von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. Im Januar richtete die DZK eine weitere Datenbank zur Provenienzrecherche ein, in die Daten aus von der Stiftung geförderten Forschungsprojekten einflossen und die mit anderen Datenbanken verknüpft ist, sodass die Provenienzforschung durch die Dokumentierung historischer Informationen unterstützt wird. Darüber hinaus hat die DZK eine Kontakt- und Informationsstelle für die Opfer und ihre Nachfahren eingerichtet, um ihnen die Suche nach den zuständigen Institutionen und Kontakten zu erleichtern.

Im Januar überreichte Kulturstaatsministerin Monika Grütters drei als NS-Raubkunst identifizierte Kunstwerke an die rechtmäßigen Erben aus Frankreich. Zwei der Gemälde stammten aus der Sammlung Gurlitt, die in etwa 1.500 gestohlene Kunstwerke umfasst.

Den Bericht des US-Außenministeriums an den US-Kongress über die Entschädigung von Opfern des NS-Regimes (Just Act Report –Justice for Uncompensated Survivors Today), der am 29. Juli veröffentlicht wurde, finden Sie auf der Website des Ministeriums: https://www.state.gov/reports/just-act-report-to-congress/. [Deutsche Fassung: https://de.usembassy.gov/de/justact-brd/?_ga=2.123071629.786013758.1614155840-811271973.1593499921]

F. WILLKÜRLICHEN EINGRIFFEN IN DIE PRIVATSPHÄRE, FAMILIE, WOHNUNG ODER DEN SCHRIFTVERKEHR

Das Grundgesetz verbietet derartige Maßnahmen, aber es gab Behauptungen, der Staat habe diese Verbote in einigen Fällen missachtet.

Das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz setzten ihre Beobachtung potenziell verfassungsfeindlicher politischer Vereinigungen fort, darunter linksextreme Gruppierungen innerhalb der Partei Die Linke und rechtsextreme Gruppierungen innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD). Beide Parteien sind im Bundestag vertreten, ebenso wie die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Die Überwachung bedarf der Genehmigung der Landesinnenministerien oder des Bundesministeriums des Innern und unterliegt der regelmäßigen Überprüfung durch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages oder der vergleichbaren Organe der Bundesländer.

Am 12. März kündigte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) an, den „Flügel“, ein loses Netzwerk rechtsextremer AfD-Parteimitglieder, offiziell überwachen zu wollen. Das BfV ergriff diese Maßnahme, weil Der Flügel „die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung“ von Minderheiten anstrebe und gegen die „Garantie der Menschenwürde sowie die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit“ verstoße. Als Reaktion auf diese Ankündigung lösten die Vorstandsmitglieder des Flügels ihr Netzwerk Ende April auf.

Am 12. März kündigte der Landesverfassungsschutz Thüringen an, die AfD in Thüringen aufgrund der „allgemeinen Verachtung“ der Partei für Migranten, ihrem Bestreben, die Religionsfreiheit durch „Entislamisierung“ einzuschränken und aufgrund ihrer „persönlichen Kontakte zu extremistischen Gruppierungen“, zu beobachten.

Am 15. Juni folgte der Verfassungsschutz in Brandenburg diesem Beispiel und kündigte die Beobachtung des AfD-Landesverbandes an. Landesinnenminister Stübgen erklärte, die AfD habe sich in Brandenburg seit ihrer Gründung zunehmend radikalisiert und „richtet sich eindeutig gegen unsere freie demokratische Grundordnung“.

Im Juli kündigte der Verfassungsschutz in Sachsen an, er werde alle Daten löschen, die er über AfD-Abgeordnete in Landesparlamenten, im Bundestag und im Europaparlament erfasst habe, da die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Datenerhebung nicht erfüllt gewesen seien. Der Verfassungsschutz dürfe Informationen über Abgeordnete nur dann sammeln, wenn Beweise vorlägen, dass die entsprechenden Abgeordneten verfassungswidrige Ziele verfolgten. Eine Woche später zog der sächsische Verfassungsschutz die Ankündigung mit der Begründung zurück, er prüfe, ob die rechtlichen Kriterien nicht doch erfüllt worden seien. Im August war diese Überprüfung noch nicht abgeschlossen.

Alle Aktivitäten der Landesämter für Verfassungsschutz können vor Gericht angefochten werden, auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2014 teilte die Regierung mit, es finde keine Beobachtung von Mitgliedern des Bundestags durch das BfV mehr statt.

2018 berichteten etwa 30 Personen aus Politik, Journalismus und Medien (meist Frauen oder Minderheiten), dass sie Drohbriefe erhalten hatten, die häufig mit „NSU 2.0“ unterschrieben waren. In mindestens zwei Fällen enthielten die Briefe nicht öffentlich zugängliche Informationen, die aus einem Computer der hessischen Polizei abgerufen worden waren. Unter den Empfängern war auch eine Rechtsanwältin, die in den Verfahren im Zusammenhang mit der rechtsgerichteten Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund von 2013 bis 2018 Familien der Opfer vertreten hatte. Ermittler fanden heraus, dass ein Polizeibeamter in Frankfurt eine nicht genehmigte Adressabfrage durchgeführt hatte. Der Beamte nahm außerdem an einem Gruppenchat mit vier weiteren Frankfurter Polizisten teil, die rechtsextreme Bilder und Nachrichten austauschten. Das Landeskriminalamt Hessen ermittelte schließlich 70 Verdächtige in der hessischen Polizei. Sechs wurden entlassen, andere inzwischen entlastet. 30 einzelne Ermittlungsverfahren waren bis September noch nicht abgeschlossen, aber die Verantwortlichen für die Briefe konnten nicht ermittelt werden.

2018 wies der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar die Hamburger Polizei an, die automatische Gesichtserkennung über Kameras im öffentlichen Raum einzustellen. Caspar erklärte, die Datenbank der Polizei mit diesen Vorlagen sei illegal, weil sie dauerhaft Bilder von unschuldigen Bürgern sammele. Im Mai bestätigte Caspar, dass die Polizei die Datenbank gelöscht habe. Im Berichtsjahr leitete Caspar auch rechtliche Schritte gegen die New Yorker Firma Clearview ein, nachdem sich ein Hamburger darüber beschwert hatte, das Unternehmen habe durch die Beschaffung seines Fotos über Data-Crawling seine Privatsphäre verletzt.

Im Mai entschied das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht, dass die Dortmunder Polizei keine Videokameras einsetzen dürfe, um eine von mutmaßlichen Neonazis bewohnte Straße zu überwachen. Vier Anwohner, die der Dortmunder Neonazi-Szene angehören, klagten auf Einstellung der Aufnahmen.

Abschnitt 2. Achtung bürgerlicher Freiheiten, einschließlich:

A. MEINUNGS- UND PRESSEFREIHEIT

Die Verfassung sieht Meinungsfreiheit vor, die auch für die Presse gilt. Im Allgemeinen respektierte der Staat diese Rechte, schränkte sie aber für Gruppen ein, die des Extremismus verdächtigt wurden. Mehrere Personen wurden wegen Volksverhetzung, Befürwortung des Nationalsozialismus oder Leugnung des Holocaust verhaftet, vor Gericht gestellt und zu Freiheitsstrafen verurteilt (siehe auch Abschnitt 6, Antisemitismus). Das Zusammenspiel aus unabhängiger Presse, effektiver Justiz und einem funktionierenden demokratischen politischen System förderte die Meinungsfreiheit.

Recht auf freie Meinungsäußerung: Im Juli verbot die Stadt Wiesbaden das Tragen von Symbolen mit der Aufschrift „ungeimpft“, die dem Judenstern ähnelten. Einige Demonstranten und Impfgegner hatten diese Symbole bei Demonstrationen gegen Coronavirus-Regelungen getragen. Der Wiesbadener Bürgermeister Oliver Franz nannte die Zeichen einen „inakzeptablen Vergleich“, der den Holocaust verharmlose.

Im Februar kündigten die Landesregierungen in Baden-Württemberg, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein an, Schulkindern die Vollverschleierung zu untersagen. Baden-Württemberg setzte das Verbot im Juli um.

Im August wies das Bundesarbeitsgericht eine Revision Berlins gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2018 ab, wonach ein generelles Verbot für Lehrkräfte, in Schulen religiöse Symbole zu tragen, diskriminierend sei. Das Bundesgericht befand, das Berliner Verbot verstoße gegen das Recht von Lehrkräften auf Religionsfreiheit.

Freiheit der Presse und Medien, einschließlich Online-Medien: Die unabhängigen Medien waren aktiv und brachten ohne Einschränkungen vielfältige Ansichten zum Ausdruck. Nationalsozialistische Propaganda, das Leugnen des Holocaust und Volksverhetzung sind gesetzlich verboten.

Gewalt und Schikane: Am 1. Mai wurde ein siebenköpfiges Kamerateam in Berlin während Dreharbeiten am Rande einer Demonstration gegen Einschränkungen zum Schutz vor der Corona-Pandemie von 20 bis 25 Männern angegriffen. Sechs Mitglieder des Kamerateams mussten im Krankenhaus behandelt werden. Wie die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik bekanntgab, übernahm zunächst der Staatsschutz die Ermittlungen. Am 2. Mai jedoch wurden sechs Verdächtige wieder auf freien Fuß gesetzt. Es wurden keine Haftbefehle erlassen.

Im August übten die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union zusammen mit dem Deutschen Journalistenverband Kritik an den Berliner Polizeibehörden, denen es nicht gelungen sei, Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Berichterstattung zu Corona-Protesten zu schützen. Den Verbänden zufolge war die Polizei nicht eingeschritten, obwohl Fotografen und Kamerateams wiederholt von Demonstrationsteilnehmern beleidigt, bedroht und angegriffen worden waren. Einige der Journalisten sahen sich deshalb gezwungen, ihre Berichterstattung über die Demonstrationen vom 1. August einzustellen.

FREIHEIT IM INTERNET

Weder beschränkte oder störte die Regierung den Zugang zum Internet, noch zensierte sie Online-Inhalte – mit einer Ausnahme –, und es gab keine glaubwürdigen Berichte darüber, dass Regierungsbehörden private Online-Kommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnis überwachten. Die Ausnahme bezieht sich auf das Befugnis der Regierung, Internetseiten zu sperren, die von verbotenen Organisationen betrieben werden, zur Volksverhetzung aufrufen, den Nationalsozialismus verherrlichen oder den Holocaust leugnen. Die Behörden arbeiteten bei der Überwachung und Löschung derartiger Inhalte unmittelbar mit den Internetanbietern zusammen. Die Behörden beobachteten Internetseiten, Social-Media-Konten, Messenger-Dienste und Streaming-Plattformen, die mit Rechtsextremisten in Verbindung gebracht wurden. Der Initiative „Verfolgen statt nur Löschen“ des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) wurden 771 Verstöße gemeldet, hauptsächlich wegen Volksverhetzung.

FREIHEIT DER WISSENSCHAFT UND KULTURELLE VERANSTALTUNGEN

Es gab staatliche Beschränkungen der Freiheit der Wissenschaft und kultureller Ereignisse, die rechtsextremes, nationalsozialistisches Gedankengut unterstützten.

B. RECHT AUF FRIEDLICHE VERSAMMLUNG UND VEREINIGUNG

Die Verfassung sieht zwar Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit vor, schränkte diese Freiheiten allerdings in einigen Fällen ein.

VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Kundgebungen im Freien und Demonstrationen müssen genehmigt werden. Bundes- und Landesbehörden können die Genehmigung verweigern, wenn es Bedenken wegen der öffentlichen Sicherheit gibt oder es sich bei den Antragstellern um Mitglieder verbotener – insbesondere rechtsextremer – Organisationen handelt. Die Behörden genehmigten öffentliche Kundgebungen oder Demonstrationen einiger nicht verbotener rechtsextremer Gruppen oder Neonazi-Organisationen, sofern sie nicht gegen Gesetze verstießen.

Im März wurden politische Demonstrationen vorübergehend untersagt, um den Ausbruch des Corona-Virus und dessen Verbreitung einzudämmen. Dennoch fanden einige Demonstrationen statt, unter anderem auch gegen staatliche Corona-Maßnahmen. Ende April wurden die Einschränkungen des Versammlungsrechts schrittweise für Demonstrationen gelockert, bei denen die Abstandsregeln zur Eindämmung von COVID-19 eingehalten wurden. Hielten sich Demonstranten nach Einschätzung der Polizei nicht an die Maßnahmen, löste sie die Demonstrationen auf.

Das Behindern offiziell angemeldeter Demonstrationen ist illegal. Viele Nazigegner weigerten sich, derartige Auflagen zu akzeptieren und versuchten, Demonstrationen von Neonazis zu behindern oder Gegendemonstrationen abzuhalten, sodass es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Nazigegnern kam.

Die Polizei nahm bekannte oder mutmaßliche Aktivisten fest, wenn sie der Auffassung war, dass diese Personen die Absicht hatten, an illegalen oder nicht genehmigten Demonstrationen teilzunehmen. Die Dauer der Inhaftierung war von Bundesland zu Bundesland verschieden.

VEREINIGUNGSFREIHEIT

Die Regierung schränkte die Vereinigungsfreiheit in einigen Fällen ein. Laut Gesetz können Organisationen, deren Aktivitäten das Verfassungsgericht oder die Bundes- oder Landesregierungen als illegal oder gegen die verfassungsmäßige demokratische Ordnung verstoßend einstufen, verboten werden. Zwar können politische Parteien aus diesen Gründen nur vom Bundesverfassungsgericht verboten werden, aber sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierungen können andere Organisationen verbieten oder ihre Aktivitäten einschränken, auch Gruppierungen, die von den Behörden als extremistisch oder kriminell eingestuft werden. Die Organisationen haben das Recht, gegen ein solches Verbot oder die Einschränkung ihrer Aktivitäten Einspruch zu erheben.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesverfassungsschutzämter überwachten mehrere hundert Organisationen. Die Überwachung umfasste die Erhebung von Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen, Schriftdokumenten sowie Berichten aus erster Hand, aber auch invasive Methoden, die einer Rechtsgrundlage bedürfen, wie der Einsatz verdeckter Ermittler. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz veröffentlichten Listen der überwachten Organisationen, zu denen auch links- und rechtsgerichtete politische Parteien gehörten. Obwohl die Überwachung rechtmäßige Aktivitäten der Organisationen laut Gesetz nicht beeinträchtigen dürfen, beschwerten sich Vertreterinnen und Vertreter einiger betroffener Organisationen, beispielsweise von Scientology, dass die Veröffentlichung der Namen ihrer Organisationen Vorurteilen gegen sie Vorschub leiste.

C. RELIGIONSFREIHEIT

Den Bericht über internationale Religionsfreiheit des US-Außenministeriums finden Sie hier: https://www.state.gov/religiousfreedomreport/. [Deutschlandteil: Länderberichte über Religionsfreiheit 2019 – Bundesrepublik Deutschland]

D. FREIZÜGIGKEIT

Die Verfassung sieht Freizügigkeit im Inland, bei Auslandsreisen, Auswanderung und Rückführung vor, und der Staat respektierte diese Rechte im Allgemeinen.

Freizügigkeit im Inland: Die Behörden stellten für Staatenlose drei Arten von Reisedokumenten aus: Ausweise für anerkannte Flüchtlinge und Asylbewerber und für Ausländer ohne Reisedokumente. Staatenlose erhielten einen „Reiseausweis für Staatenlose“. Anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende erhielten einen „Reiseausweis für Flüchtlinge“. Ausländer aus Nicht-EU-Ländern erhielten einen „Reiseausweis für Ausländer“, wenn sie keinen Pass oder Ausweisdokument besaßen und von ihrem Herkunftsland auch keinen Reisepass erhielten.

Einem Bundesgesetz aus dem Jahr 2016 zufolge müssen Flüchtlinge mit anerkanntem Asylstatus, die Sozialleistungen erhielten, drei Jahre lang in dem Bundesland wohnhaft bleiben, das ihren Asylantrag bearbeitet hat. Mehrere Bundesländer setzten diese Residenzpflicht um. Darüber hinaus können einzelne Bundesländer zusätzliche Aufenthaltsbeschränkungen verfügen und einzelnen Personen beispielweise die Residenzpflicht in einer bestimmten Stadt auferlegen. Die Kommunalbehörden, die die Regelung unterstützten, gaben an, sie erleichtere die Integration und die Planung der erforderlichen Infrastruktur, wie beispielsweise Schulen.

In Reaktion auf die Corona-Pandemie haben zahlreiche Kommunen und Landesregierungen verschiedene strenge temporäre Regelungen zur Einschränkung der Freizügigkeit beschlossen, um die Verbreitung des Virus zu verhindern, darunter die landesweite Aufforderung, zu Hause zu bleiben, sowie ein Einreiseverbot nach Mecklenburg-Vorpommern. Viele dieser Maßnahmen wurden mit unterschiedlichem Erfolg vor Gericht angefochten. Während beispielsweise der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes am 28. April das Verbot kippte, die Wohnung ohne „triftigen Grund“ zu verlassen, entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag, dass die Beschränkung eben deshalb aufrecht zu erhalten seien, weil es viele triftige Gründe gebe, die Wohnung zu verlassen. Die meisten Einschränkungen wurden zwar im Sommer aufgehoben, allerdings verfügte die Regierung im November ein landesweites Übernachtungsverbot, um Reisen innerhalb Deutschlands einzuschränken.

E. STATUS UND BEHANDLUNG VON BINNENVERTRIEBENEN

Nicht zutreffend.

F. SCHUTZ VON FLÜCHTLINGEN

Die Regierung arbeitete mit dem Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylbewerbern, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Unterstützung zukommen zu lassen.

Misshandlung von Migranten, Flüchtlingen und Staatenlosen: Es kam weiterhin zu Angriffen auf Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten ebenso wie auf staatlich bereitgestellte Unterkünfte. Nachdem im April 2019 ein Video im Internet aufgetaucht war, das zeigte, wie Wachleute einen Asylbewerber schlugen, erhob die Staatsanwaltschaft am 1. August Anklage wegen Körperverletzung gegen drei Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes der Aufnahmestelle für Asylbewerber in Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Das Verfahren war im November noch nicht abgeschlossen.

Am 16. Mai griffen 15 – 20 Jugendliche in Guben (Brandenburg) vier Asylbewerber an. Zwei konnten fliehen, aber die anderen beiden wurden geschlagen, getreten und rassistisch beleidigt. Ein 16-Jähriger aus Guinea und ein 19 Jahre alter Marokkaner wurden verletzt und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Die Ermittlungen dauerten im September noch an.

Am 22. April gab das Verwaltungsgericht Leipzig dem Antrag eines Asylbewerbers statt, die Aufnahmeeinrichtung, in der er untergebracht war, verlassen zu dürfen, weil es dort zu voll war, um die COVID-19-Abstandsregeln einzuhalten. Der Mann war mit einer weiteren Person in einem vier Quadratmeter großen Raum untergebracht und teilte sich Toiletten, Duschen und Küche mit 49 weiteren Bewohnern. Das Land Sachsen erklärte, gegen den Beschluss Beschwerde einlegen zu wollen, und das Verfahren war im September noch anhängig.

Im Mai beschuldigten die Grünen-Bundestagsabgeordneten Filiz Polat und Luise Amtsberg die Bundesregierung des Systemversagens im Umgang mit Flüchtlingen in der Corona-Pandemie. Sie kritisierten die beengte Unterbringung in großen Flüchtlingsunterkünften, in denen sich das Coronavirus leicht ausbreiten könne. Außerdem warfen sie der Bundesregierung vor, wegen COVID-19 viele legale Formen der Einwanderung auszusetzen, während tausende Saisonarbeiter trotz Infektionsschutzmaßnahmen einreisen durften.

Refoulement: 2018 hob die Regierung den Abschiebestopp nach Afghanistan auf, sodass in den ersten drei Monaten des Jahres 107 Flüchtlinge in das Land abgeschoben wurden. Im Rahmen der Bundespolitik war zuvor lediglich die Abschiebung von verurteilten Straftätern und Personen zugelassen, die als Sicherheitsrisiko eingestuft wurden. Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International kritisierten diese Politik als Verstoß gegen das Refoulement-Verbot. Am 30. März kündigte das Innenministerium wegen der COVID-19-Pandemie einen vorübergehenden Abschiebestopp nach Afghanistan an.

Zugang zu Asylverfahren: Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl oder die Anerkennung als Flüchtling vor, und der Staat hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet. Deutschland stand vor der Aufgabe, rund 1,3 Millionen Asylbewerber, Flüchtlinge und Migranten zu integrieren, die zwischen 2015 und 2017 ins Land gekommen waren. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) meldete 2019 165.938 Asylanträge und in den ersten acht Monaten des Berichtsjahres 74.429 Anträge (siehe auch Abschnitt 6: Vertriebene Kinder).

Das BAMF berichtete, das 962 Personen aus China Asyl in Deutschland beantragt hatten, mehr als doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Von den insgesamt 962 Personen waren 193 Uiguren, fast dreimal so viel wie 2018, und 96 Prozent der von Uiguren gestellten Asylanträge wurden gewährt.

Die Nichtregierungsorganisation Pro Asyl kritisierte das „Flughafenverfahren“ für Asylbewerber, die an einem Flughafen des Landes ankommen. Die Behörden gaben an, das Flughafenverfahren werde lediglich in weniger problematischen Fällen genutzt und schwierigere Asylfälle würden zur regulären Bearbeitung an das BAMF verwiesen. Die Behörden erklärten, dieses beschleunigte Verfahren werde lediglich bei Personen angewendet, die aus von der Regierung als „sicher“ (s.u.) eingestuften Herkunftsländern stammen oder nicht im Besitz gültiger Ausweispapiere sind. Das beschleunigte Verfahren ermöglichte es dem BAMF, innerhalb von zwei Tagen über Asylanträge zu entscheiden, während die Antragsteller am Flughafen festgehalten wurden. Wurde der Antrag abgelehnt, hatten die Antragsteller das Recht, Widerspruch einzulegen. Widersprüche wurden innerhalb von zwei Wochen bearbeitet, während die Antragsteller am Flughafen festgehalten wurden. Bei Ablehnung des Widerspruchs wurden die Antragsteller von den Behörden abgeschoben. Die NGO Flüchtlingsrat Berlin kritisierte ein ähnliches beschleunigtes Verfahren oder Direktverfahren, das bei einigen Asylbewerbern in Berlin angewandt wurde. Die Organisation behauptete, Asylbewerber erhielten nicht ausreichend Zeit und Zugang zu Rechtsberatung.

2018 beurlaubte das BAMF die Leiterin der Bremer Außenstelle, Ulrike Bremermann, aufgrund von Anschuldigungen, sie habe bis zu 1.200 positive Asylbescheide zu Unrecht erlassen. Im April 2019 zeigten Untersuchungsergebnisse des BAMF allerdings, dass lediglich 145 der 18.000 seit 2006 positiv beschiedenen Bremer Asylanträge (0,81 Prozent), die von einer Sonderkommission untersucht wurden, rechtlich geprüft werden müssten – ein Anteil, der unter dem landesweiten Durchschnitt von 1,2 Prozent liegt. Im September 2019 erhob die Bremer Staatsanwaltschaft Anklage gegen Bremermann und zwei Anwälte. Ihnen werden 121 Straftaten zur Last gelegt, vor allem Verstöße gegen das Asylrecht, aber auch Urkundenfälschung und die Verletzung von Dienstgeheimnissen. Im November wies das Landgericht Bremen 100 der strafrechtlichen Vorwürfe ab, darunter alle Vorwürfe im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Asyl- und Aufenthaltsgesetz, mit der Begründung, es sei „keine Straftat begangen worden“. Der Prozess wegen der verbleibenden 21 geringfügigeren Anklagepunkte hatte im November noch nicht begonnen.

Sicheres Herkunfts-/Transitland: In Deutschland gilt die Dublin-III-Verordnung der EU, die es Behörden erlaubt, Personen, die über „sichere Transitländer“, also ein EU-Mitgliedsland, die Schweiz, Norwegen, Island oder Liechtenstein, nach Deutschland eingereist sind, abzuweisen oder dorthin abzuschieben. Zu den „sicheren Herkunftsländern“ gehören darüber hinaus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Senegal und Serbien. Die Behörden schickten keine Asylbewerber nach Syrien zurück. Asylbewerber, die nach der Dublin-III-Verordnung in den Zuständigkeitsbereich eines anderen EU-Landes fielen, aber nicht dorthin zurückgeschickt werden konnten, befanden sich Pro Asyl zufolge häufig in einer rechtlichen Grauzone. Sie durften weder einer Erwerbstätigkeit nachgehen noch an Integrationsmaßnahmen wie Deutschunterricht teilnehmen.

Freizügigkeit: Einem Gesetz zu Abschiebungen aus dem Jahr 2019 zufolge sind Asylsuchende verpflichtet, bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens – bis zu 18 Monate lang – in ihrer jeweiligen Erstaufnahmeeinrichtung wohnen zu bleiben. Für abgelehnte Asylsuchende, die bei der Beschaffung ihrer Reisedokumente nicht ausreichend mitwirken, kann die Residenzpflicht in der Erstaufnahmeeinrichtung auch über 18 Monate hinaus verlängert werden. Personen, die das Land verlassen müssen, können ohne Gerichtsbeschluss festgenommen werden. Gegen ausreisepflichtige Personen, die einen Termin bei der Botschaft zur Feststellung ihrer Identität nicht wahrnehmen, kann 14 Tage Mitwirkungshaft verhängt werden. Das Gesetz sieht die Inhaftierung von Personen in Abschiebehaft – auch von Familien und Kindern, in regulären Haftanstalten vor. Bei Fluchtgefahr können Flüchtlinge in Sicherungsverwahrung genommen werden. Beamte, die Informationen über eine geplante Abschiebung weitergeben, machen sich strafbar. Rechtswissenschaftler betonen, die Regelungen seien rechtlich problematisch, da sowohl das Grundgesetz als auch die EU-Rückführungsrichtlinie hohe Hürden für Abschiebehaft aufstellten. Personen, die in einem anderen EU-Staat als Asylsuchende anerkannt wurden, können laut Gesetz zwei Wochen nach dieser Anerkennung sämtliche Sozialleistungen entzogen werden. Bis Januar hatte kein Bundesland von dieser Bestimmung Gebrauch gemacht.

Im Jahr 2019 erließen die Behörden mit 11.081 deutlich mehr Ausweisungsverfügungen als im Jahr 2018 (7.408). Menschen aus der Ukraine (1.252 Fälle), Albanien (1.220) und Serbien (828) waren am häufigsten von Ausweisungen, also von der Anordnung, das Land zu verlassen, betroffen, oft aufgrund strafbarer Handlungen. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) forderte die Abschaffung dieser Praxis mit der Begründung, dass einige der Ausgewiesenen seit Jahrzehnten in Deutschland lebten.

Beschäftigung: Asylberechtigte hatten uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Asylbewerber, über deren Antrag noch nicht entschieden worden war, durften in den ersten drei Monaten nach Antragstellung in der Regel keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge waren im August rund 270.000 Flüchtlinge arbeitslos. Migrationsexperten schätzten, dass 40 bis 45 Prozent der Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kamen, bis Ende 2019 Arbeit gefunden hatten. Bei der Arbeitssuche waren Flüchtlinge und Asylbewerber mit zahlreichen Hürden wie langen Überprüfungszeiten bestehender Qualifikationen, dem Fehlen offizieller Nachweise und begrenzten Deutschkenntnissen konfrontiert.

Bestimmte Gruppen von Asylbewerbern werden qua Gesetz von einzelnen Integrationsmaßnahmen wie Sprachkursen und Beschäftigungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Dazu gehören Asylbewerber aus „sicheren Herkunftsländern“ sowie Asylbewerber, deren Anträge abgelehnt wurden, die aber nicht in das Land im Gebiet der Dublin-III-Verordnung zurückgeschickt werden können, in das sie zuerst eingereist waren. Asylbewerber oder Personen mit vorübergehendem Schutzstatus, die selbst für Abschiebehindernisse verantwortlich waren, wurde die Arbeitsaufnahme verwehrt. Das Gleiche galt für Asylbewerber aus „sicheren Herkunftsländern“, die ihren Asylantrag nach August 2015 gestellt hatten.

Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen: Die Entscheidungsbefugnis darüber, wie Asylbewerber, Flüchtlinge und Migranten untergebracht werden und ob sie finanzielle oder andere Unterstützung erhalten, liegt bei den Ländern.

Mehrere Bundesländer gaben Gesundheitskarten an Asylbewerber aus. Mit diesen Versichertenkarten können Asylbewerber ohne vorherige behördliche Genehmigung einen Arzt ihrer Wahl aufsuchen. In anderen Bundesländern erhielten Asylbewerber erst nach 15 Monaten eine Gesundheitskarte und brauchten für Arztbesuche die Genehmigung der lokalen Behörden. Die Hilfsorganisation Diakonie kritisierte jedoch das Versichertenkarten-System, da es Asylbewerbern lediglich das Recht auf Notfallversorgung einräume. Es gab Gemeinden und private Gruppen, die eine zusätzliche medizinische Versorgung anboten.

Nachhaltige Lösungen: Die Regierung nahm insbesondere aus ihrem Heimatland geflohene Flüchtlinge, die gefährdeten Gruppen angehörten, zur Umsiedlung an und unterstützte ihre Integration (bis zur Einbürgerung). Zu diesen Flüchtlingen gehörten Frauen mit Kindern, Flüchtlinge mit Behinderungen, Opfer von Menschenhandel und Opfer von Folter oder Vergewaltigung. Die Behörden erteilten Langzeitmigranten, Asylbewerbern und Flüchtlingen und Migranten, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten, Aufenthaltsgenehmigungen.

Die Regierung half Asylbewerbern, Flüchtlingen und Migranten bei der sicheren, freiwilligen Rückkehr in ihre Heimatländer. In der ersten Jahreshälfte unterstützten die Behörden etwa 1.691 Personen mit jeweils 300 bis 500 Euro, um deren freiwillige Rückkehr in ihre Heimatländer zu ermöglichen. Unter den Empfängern waren Personen, deren Asylantrag abgelehnt worden war, und Ausländer ohne gültige Ausweispapiere. Personen aus dem Irak nutzten das Angebot am stärksten.

Vorübergehender Schutz: Der Staat bietet Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde, zwei Formen des vorübergehenden Schutzes – subsidiären und humanitären Schutz. In der ersten Jahreshälfte gewährten die Behörden 12.267 Personen subsidiären Schutz. Diesen Status erhalten in der Regel Personen, denen weder der Flüchtlingsstatus noch Asyl gewährt werden kann, denen aber in ihrem Heimatland aufgrund von Krieg oder Konflikten ernsthafte Gefahr droht. Im gleichen Zeitraum gewährten die Behörden 3.816 Personen humanitären Schutz. Humanitären Schutz erhält, wer die für einen anderen Schutzstatus notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt, aber aus anderen humanitären Gründen nicht in sein Heimatland zurückkehren kann (z. B. wegen einer Krankheit, für die es im Herkunftsland keine medizinische Behandlungsmöglichkeit gibt). Beide Arten des vorübergehenden Schutzes werden für ein Jahr gewährt und können verlängert werden. Wer unter subsidiärem oder humanitärem Schutz steht, kann nach fünf Jahren einen unbegrenzten Aufenthaltstitel erhalten, wenn er oder sie nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen ist und über gute Deutschkenntnisse verfügt.

G. STAATENLOSE

Statistiken des UNHCR zufolge lebten Ende 2019 14.947 Staatenlose in Deutschland. Einige haben ihre frühere Staatsangehörigkeit mit dem Zerfall der Sowjetunion oder Jugoslawiens verloren, teilweise handelt es sich auch um aus dem Libanon oder Syrien stammende Palästinenser.

Die bestehenden Gesetze und Maßnahmen ermöglichen Staatenlosen die Einbürgerung ohne Diskriminierung. Staatenlose können nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Jahren einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Die Vorlage ausreichender Nachweise für die Staatenlosigkeit kann sich jedoch schwierig gestalten, da die Beweislast beim Antragsteller liegt. Im Allgemeinen schützten die Behörden staatenlose Personen vor der Abschiebung in das Land ihrer Herkunft oder ihres gewöhnlichen Aufenthaltes, wenn ihnen dort politische Verfolgung drohte.

Abschnitt 3. Recht auf Teilhabe am politischen Prozess

Das Grundgesetz ermöglicht es deutschen Staatsangehörigen, ihre Regierung in freien, fairen und regelmäßig stattfindenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen zu wählen.

WAHLEN UND POLITISCHE TEILHABE

Letzte Wahlen: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und 45 Abgeordnete aus 25 Ländern beobachteten die Bundestagswahl im September 2017 und beurteilten sie als gut organisiert, frei und fair.

Politische Parteien und politische Teilhabe: Die politischen Parteien waren im Berichtszeitraum ohne Einschränkungen oder äußere Einmischung tätig, es sei denn, die Behörden stuften sie als verfassungsfeindlich ein. Wenn die Bundesbehörden eine solche Bedrohung wahrnehmen, können sie beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Parteiverbot beantragen.

Das Gesetz sieht vor, dass jede politische Partei öffentliche Mittel des Bundes entsprechend ihrer Ergebnisse bei Wahlen auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene erhält. Dem Grundgesetz nach haben extremistische und verfassungsfeindliche Parteien aber kein Anrecht auf staatliche Förderung. Im Juli reichten Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung einen Antrag auf Ausschluss der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) von der staatlichen Parteienfinanzierung zum Bundesverfassungsgericht ein, den sie mit den verfassungsfeindlichen Aktivitäten der NPD begründeten. Im September war der Fall noch anhängig.

Im Dezember 2019 erklärte der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen die Abschaffung der Stichwahl bei den Kommunalwahlen für verfassungswidrig. Eine Stichwahl wird in der Regel zwei Wochen nach der Wahl durchgeführt, wenn kein Bewerber für das Amt des Oberbürgermeisters, Bürgermeisters oder Landrats die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten hat. Die Opposition im Landtag hatte gegen die Abschaffung ein Normenkontrollverfahren eingeleitet und argumentierte, es würden sonst Personen in Ämter gewählt, die lediglich 25 Prozent der Stimmen erhalten hätten.

Teilhabe von Frauen und Angehörigen von Minderheiten: Die Teilhabe von Frauen und Mitgliedern von Minderheitengruppen am politischen Prozess wurde nicht durch Gesetze eingeschränkt, und sie nahmen daran teil. Regierungschefin ist eine Frau: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sechs der 16 Minister im Kabinett sind Frauen, darunter die Verteidigungsministerin und die Justizministerin. Etwa 30 Prozent der Abgeordneten im Bundestag sind Frauen.

Abschnitt 4. Korruption und mangelnde staatliche Transparenz

Das Gesetz sieht für Korruption durch Amtsträger Strafen vor, und der Staat setzte dieses Gesetz im Allgemeinen konsequent um. Im Berichtszeitraum gab es vereinzelte Berichte über staatliche Korruption.

Offenlegung von Finanzen: Landtags- und Bundestagsabgeordnete sind gesetzlich verpflichtet, ihre Nebeneinkünfte offenzulegen. Die Nichteinhaltung wird mit einem Bußgeld geahndet, dessen Höhe von einem Ordnungsgeld bis zur Hälfte des Jahresgehalts eines Abgeordneten reichen kann. Ernannte Amtsträger unterliegen den Offenlegungsregeln für Staatsbedienstete und müssen Nebenbeschäftigungen und Nebeneinkünfte offenlegen. Wenn die Vergütung eine bestimmte Grenze, die sich nach der Besoldungsgruppe richtet, übersteigt, muss der Bedienstete die darüber hinausgehenden Einkünfte an seine Dienstbehörde abführen. Die Sanktionierung von Staatsbediensteten bei Nichteinhaltung erfolgt nach dem Bundesdisziplinargesetz durch Geldbußen, Abmahnung oder Entlassung.

Im September 2018 betrieb der Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor von der Christlich Demokratischen Union (CDU) Lobbyarbeit für eine US-Firma und arrangierte Treffen zwischen Unternehmensvertretern und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), ohne dabei offenzulegen, dass er Aktienoptionen sowie einen Sitz im Aufsichtsrat erhalten hatte. Nach Bekanntwerden seines Vorgehens im Juni beendete Amthor seine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen und gab die Aktienoptionen zurück. Die Staatsanwaltschaft Berlin kündigte im Juli an, dass keine offiziellen Ermittlungen wegen Bestechlichkeit eingeleitet würden. Bundestagsabgeordnete der Freien Demokratischen Partei, der Grünen und der Linken beschuldigten die regierende Koalition aus CDU und SPD, die Einführung eines Lobbyregisters zu verzögern, das ihrer Auffassung nach durch mehr Transparenz in der Politik derartige Interessenkonflikte verhindern würde.

Abschnitt 5. Haltung der Regierung zu Untersuchungen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen durch internationale Gremien oder Nichtregierungsorganisationen

Verschiedene nationale und internationale Menschenrechtsgruppen unterlagen im Allgemeinen weder bei ihren Nachforschungen noch bei der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu Menschenrechtsverletzungen staatlichen Einschränkungen. Regierungsvertreter waren kooperativ und ihren Standpunkten gegenüber aufgeschlossen.

Für Menschenrechte zuständige Regierungsinstitutionen: Eine Reihe von Regierungsbehörden setzte sich unabhängig und wirksam für den Schutz der Menschenrechte ein. Der Bundestag verfügt über einen Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie über einen Petitionsausschuss. Der Petitionsausschuss befasst sich mit Beschwerden aus der Bevölkerung, darunter auch Menschenrechtsfragen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist verantwortlich für die Überwachung der Einhaltung der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen des Landes, zu denen auch Verträge und Konventionen gehören. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist eine halbstaatliche Organisation, die sich mit Diskriminierung befasst und Opfer von Diskriminierung unterstützt. Die Verantwortung für den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen liegt insbesondere bei der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Die Beauftragte für Menschenrechtsfragen im Bundesministerium der Justiz überwacht die Umsetzung von Gerichtsentscheidungen zum Schutz der Menschenrechte.

Abschnitt 6. Diskriminierung, Übergriffe in der Gesellschaft, Menschenhandel

FRAUEN

Vergewaltigung und häusliche Gewalt: Vergewaltigung ist eine Straftat; darunter fällt auch die Vergewaltigung von Männern und Frauen in der Ehe. Das Gesetz sieht dafür ein Strafmaß von bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe vor. Behörden können Menschen, denen Missbrauch vorgeworfen wird, ohne Gerichtsbeschluss den Zugang zu ihrer Wohnung vorübergehend verwehren oder eine einstweilige Verfügung erwirken. In schweren Fällen von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt können diese Personen wegen Körperverletzung oder Vergewaltigung strafrechtlich verfolgt und zu Schadenersatzzahlungen verurteilt werden. Das Strafmaß hängt von der Schwere der Straftat ab. Der Staat setzte das Gesetz wirksam durch.

2018 vergewaltigte ein Polizist, der sich zu dem Zeitpunkt nicht im Dienst befand, in Berlin eine 24-Jährige. Die Berliner Staatsanwaltschaft betonte, dass sich der Beamte nicht im Dienst befand und sein Status keinen Einfluss auf die mutmaßliche Tat habe. Im Februar wurde der Beamte zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt.

Im Februar stellte eine Richterin in Köln ein Verfahren wegen sexueller Nötigung gegen einen Angeklagten ein, der im November 2019 einer Frau mutmaßlich unter den Rock gegriffen hatte. Die Richterin argumentierte, der mutmaßliche Angriff sei gering gewesen und hätte zu Beginn der Karnevalssaison stattgefunden. Eine örtliche Selbsthilfegruppe gegen sexualisierte Gewalt kritisierte die Entscheidung in einem offenen Brief und demonstrierte vor dem Gericht.

Im Juni richtete Rheinland-Pfalz als erstes Bundesland innerhalb der Landesregierung eine Anlaufstelle für Opfer sexualisierter Diskriminierung oder sexueller Belästigung ein. Träger der Anlaufstelle ist die Nichtregierungsorganisation Pro Familia.

Die Bundesregierung, die Bundesländer und Nichtregierungsorganisationen unterstützten zahlreiche Projekte, um geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern und darauf zu reagieren, einschließlich der Gewährung von umfangreicherem Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtshilfe. In ganz Deutschland gibt es rund 340 Frauenhäuser mit insgesamt 6.700 Betten. Die Nichtregierungsorganisation Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) berichtete insbesondere in größeren Städten über eingeschränkte Aufnahmemöglichkeiten, da sich Frauen, die Zuflucht in Frauenhäusern fanden, aufgrund des Mangels an bezahlbarem Wohnraum oft länger dort aufhielten. Der ZIF zufolge sind weibliche Flüchtlinge besonders gefährdet, da sie drei Jahre im gleichen Stadtteil wohnen müssen und viele in Stadtteilen leben, in denen es keine Frauenhäuser gibt. Mehrere Nichtregierungsorganisationen äußerten die Sorge, dass der Corona-Lockdown die Möglichkeiten von Frauen einschränke, häuslicher Gewalt zu entkommen. Die ZIF forderte zusätzliche staatliche Mittel, um Frauen und Kinder in Hotels unterzubringen, falls sie aufgrund von Quarantänebestimmungen nicht in Frauenhäusern aufgenommen werden können.

Weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung (FGM/C): Die Genitalverstümmelung und -beschneidung von Frauen und Mädchen ist ein Straftatbestand, der mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet wird, auch wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Personen die verdächtigt werden, ins Ausland zu reisen, um Mädchen oder Frauen einer Genitalverstümmelung oder -beschneidung zu unterziehen, kann der Pass entzogen werden. Seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2017 wurde von dieser Maßnahme jedoch kein Gebrauch gemacht. Weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung betraf Teile der zugewanderten Bevölkerung, insbesondere Frauen aus Eritrea, Irak, Somalia, Indonesien, Nigeria und Ägypten sowie deren in Deutschland geborene Kinder. Eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kooperierte im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung mit anderen Bundesbehörden und allen 16 Bundesländern. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom Juni stieg die Zahl der Mädchen und Frauen, die eine Genitalverstümmelung erleiden mussten, von etwa 50.000 im Jahr 2017 auf rund 68.000. Das Ministerium schätzt, dass zwischen 2.800 bis 14.900 Mädchen im Land von Genitalverstümmelung bedroht sind. Das Ministerium führt die steigende Fallzahl auf verstärkte Zuwanderung aus Herkunftsländern zurück, in denen Genitalverstümmelung praktiziert wird.

Andere schädigende traditionelle Praktiken: „Ehrenmord“ entspricht laut Gesetz dem Tatbestand des Mordes mit einem Strafmaß bis hin zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Der Staat setzte das Gesetz effektiv um und finanzierte Initiativen zur Verhinderung von „Ehrenmorden“.

Ein Verfahren wegen versuchten „Ehrenmords“ gegen 13 Angehörige einer syrischen Großfamilie in Essen endete im April für acht der Angeklagten mit Haftstrafen von bis zu achteinhalb Jahren sowie drei Bewährungsstrafen. Die Angeklagten hatten 2018 einen Mann geschlagen und auf ihn eingestochen, weil er eine Affäre mit einer verheirateten Familienangehörigen hatte.

Sexuelle Belästigung: Sexuelle Belästigung von Frauen wird als Problem erkannt und ist gesetzlich verboten. Das Strafmaß sieht Geldbußen und Haftstrafen von bis zu fünf Jahren vor. Es gibt unterschiedliche Disziplinarmaßnahmen bei Belästigung am Arbeitsplatz, die unter anderem auch die Entlassung des Täters vorsehen. Arbeitgeber sind per Gesetz verpflichtet, Arbeitnehmer vor sexueller Belästigung zu schützen. Das Versäumnis des Arbeitgebers, Maßnahmen zum Schutz seiner Angestellten vor sexueller Belästigung zu ergreifen, wird rechtlich als Vertragsverletzung eingestuft. Betroffene haben bis zur Beseitigung des Missstands durch den Arbeitgeber das Recht auf bezahlten Urlaub. Gewerkschaften, Kirchen, staatliche Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen boten eine Vielzahl von Unterstützungsprogrammen für betroffene Frauen an und finanzierten Seminare und Kurse, um sexueller Belästigung vorzubeugen.

Zwangsausübung bei der Geburtenkontrolle: Es gab keine Berichte über Zwangsabtreibungen oder unfreiwillige Sterilisierungen durch staatliche Stellen.

Diskriminierung: Frauen und Männer genießen laut Grundgesetz die gleichen Rechte, unter anderem im Rahmen des Familien-, Arbeits-, Religions-, Personenstands-, Eigentums-, Staatsangehörigkeits- und Erbrechtrechts. Der Staat setzte das Gesetz im Allgemeinen wirksam durch.

KINDER

Geburtsanzeigen: Die deutsche Staatsangehörigkeit wird in der Regel durch die Eltern übertragen. Die Staatsangehörigkeit kann laut Gesetz durch Geburt in Deutschland erworben werden, wenn ein Elternteil bereits seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt oder seit mindestens drei Jahren eine Daueraufenthaltsgenehmigung besitzt. Die Eltern oder der Vormund müssen die Geburt eines neugeborenen Kindes anzeigen. Die Behörden bearbeiten Geburtsanzeigen in der Regel zügig nach ihrem Eingang. Wenn Eltern die Geburt ihres Kindes nicht anzeigen, kann eine Geldbuße verhängt werden.

Kindesmisshandlung: Es gibt Gesetze gegen Kindesmisshandlung. Gewalt oder Grausamkeit gegen Minderjährige sowie die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht werden mit einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten bis zehn Jahren geahndet. Es wurden Fälle von Kindesmissbrauch gemeldet. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend förderte im Berichtszeitraum eine Reihe von Maßnahmen zur Prävention von Kindesmisshandlung. Ziel des Ministeriums war es, Eltern, Jugendeinrichtungen, Schulen, Kinderärzte und Gerichte zu vernetzen und bestehende Maßnahmen auf Ebene der Bundesländer und Kommunen zu fördern. Andere Angebote beinhalteten therapeutische Maßnahmen und Unterstützung für erwachsene und jugendliche Opfer sexuellen Missbrauchs.

Kinder-, Früh- und Zwangsehen: Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt 18 Jahre.

Einem 2017 verabschiedeten Gesetz zufolge sind bestehende, im Ausland geschlossene Ehen, bei denen einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung unter 16 Jahre alt war, auch dann unwirksam, wenn sie nach ausländischem Recht wirksam geschlossen wurden. 16- und 17-Jährige können die Anerkennung ihrer im Ausland geschlossenen Ehe im Einzelfall bei Gericht beantragen, wenn die Nichtanerkennung ihrer Ehe für sie eine schwere Härte bedeuten würde. Zu diesen Fällen gibt es keine zentrale Gesamtstatistik. Kinder- und Zwangsehen betreffen hauptsächlich Mädchen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit.

Sexuelle Ausbeutung von Kindern: Das Gesetz verbietet die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern, den Verkauf, das Angebot oder die Beschaffung von Kindern zur Prostitution sowie Praktiken im Zusammenhang mit Kinderpornografie, und die Behörden setzten das Gesetz durch. Das Mindestalter für Geschlechtsverkehr in beiderseitigem Einvernehmen beträgt 14 Jahre, es sei denn, der ältere Partner ist über 18 Jahre alt und die sexuellen Handlungen finden unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt statt und der jüngere Partner ist unter 16 Jahre alt. Außerdem macht sich strafbar, wer älter als 21 Jahre alt ist und Geschlechtsverkehr mit einem Kind unter 16 Jahren hat, wenn die ältere Person die „fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt“.

Der Kriminalstatistik zufolge wurden im Jahr 2019 jeden Tag durchschnittlich 43 Kinder Opfer sexualisierter Gewalt. Die Polizei ermittelte 2019 außerdem in 12.260 Fällen wegen kinderpornografischer Delikte. Dies entsprach einem Anstieg von 65 Prozent.

Im Juni deckte die Polizei in Münster (Nordrhein-Westfalen) einen Kindesmissbrauchs-Ring auf. Der 27-jährige Hauptverdächtige wird verdächtigt, den zehnjährigen Sohn seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht und kinderpornografisches Material vom Missbrauch hergestellt zu haben, das er im Internet verkaufte. Außerdem soll er seinen Stiefsohn anderen zum Missbrauch angeboten haben. Im September befanden sich elf Tatverdächtige in Untersuchungshaft.

Im Oktober 2019 wurde in Bergisch-Gladbach (Nordrhein-Westfalen) ein 43-Jähriger wegen schweren Kindesmissbrauchs festgenommen. Der Fall führte zu weitreichenden Ermittlungen, an denen 400 Kriminalbeamte beteiligt waren und die sich gegen ein Netzwerk von mindestens 30.000 Verdächtigten richteten. Bis August hatten die Behörden 87 Verdächtige identifiziert. Im ersten Fall, der vor Gericht verhandelt wurde, wurde ein 27-Jähriger für seine Handlungen in dem Netzwerk zu zehn Jahren Haft verurteilt. Am 11. September verurteilte ein Landgericht einen Mann aus Krefeld zu 13 Jahren und sechs Monaten Haft und einen Mann aus Viersen zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft. Die beiden 39 Jahre alten Männer wurden wegen schwerem sexuellem Kindesmissbrauch sowie dem Besitz und der Verbreitung kinderpornografischen Materials verurteilt. Die Ermittlungen dauerten weiter an.

Im Januar verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das es verdeckten Ermittlern erlaubt, am Computer hergestellte Videos von Kindesmissbrauch zu verwenden, um sich Zugang zu entsprechenden Internetforen zu verschaffen. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung betreibt das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch sowie das Online-Hilfeportal Sexueller Missbrauch, deren Angebote anonym und kostenlos sind.

Im April wurde in Nordrhein-Westfalen ein Referat für Ermittlungen in Kindesmissbrauchsfällen eingerichtet, das in der Polizeiabteilung des Innenministeriums des Landes angesiedelt ist. Im gesamten Bundesland wurde die Zahl die Polizeibeschäftigten in diesem Bereich auf nahezu 400 vervierfacht.

Im Juli 2019 nahm ein parlamentarischer Ausschuss die Untersuchung möglicher Versäumnisse und möglichen Fehlverhaltens der Landesregierung NRW in einem Fall mehrfacher sexueller Übergriffe auf Kinder auf einem Campingplatz in Lügde auf. Im November dauerten die Ermittlungen noch an und bis zum 18. Dezember waren Sitzungen anberaumt.

Vertriebene Kinder: Laut der Nichtregierungsorganisation Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF), beantragten 2019 2.689 unbegleitete Minderjährige im Land Asyl; etwa die Hälfte kam aus drei Ländern: Afghanistan, Guinea und Syrien. Das BAMF gewährte unbegleiteten Minderjährigen nur in 56,2 Prozent der Fälle eine Form von Asyl – ein massiver Rückgang von 94,5 Prozent im Jahr 2016. Der BumF führte an, einige dieser unbegleiteten Minderjährigen könnten Opfer von Menschenhandel geworden sein. Weitere Informationen hierzu finden Sie in den Länderberichten zu Menschenhandel des US-Außenministeriums unter https://www.state.gov/trafficking-in-persons-report/. [Deutschlandteil: Länderberichte zu Menschenhandel 2020 – Bundesrepublik Deutschland]

Die Nichtregierungsorganisation Off Road Kids schätzt die Zahl der Kinder im Alter von 12 bis 18 Jahren, die jedes Jahr zumindest vorübergehend obdachlos sind, auf 2.500. Off Road Kids berichtete, dass die meisten Ausreißer nicht auf der Straße landeten, sondern bei Bekannten unterkämen. Diese Jugendlichen hätten meist die Schule abgebrochen und erhielten keine Unterstützung vom Jugendamt oder ihren Eltern und nutzten stattdessen digitale soziale Netzwerke, um vorübergehend bei Freunden und Internetbekanntschaften unterzukommen.

Internationale Kindesentführungen: Deutschland ist Mitglied des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung. Den Jahresbericht über internationale Kindesentführung des US-Außenministeriums finden Sie hier: Annual Report on International Parental Child Abduction at https://travel.state.gov/content/travel/en/International-Parental-Child-Abduction/for-providers/legal-reports-and-data/reported-cases.html

ANTISEMITISMUS

Beobachter schätzten die jüdische Bevölkerung auf fast 200.000 Personen, wobei schätzungsweise 90 Prozent aus der ehemaligen Sowjetunion stammten. In jüdischen Gemeinden waren rund 107.000 Mitglieder registriert.

Bei öffentlichen Kundgebungen, Sportwettkämpfen und anderen gesellschaftlichen Veranstaltungen, in Schulen, auf der Straße, in einigen Medien und im Internet kam es zu antisemitischen Äußerungen und antisemitischem Verhalten, einschließlich körperlichen und verbalen Angriffen. Neben antisemitischen Äußerungen gehörte die Schändung von jüdischen Friedhöfen und Holocaust-Gedenkstätten zu den häufigsten antisemitischen Vorfällen. Die Bundesregierung schrieb die meisten antisemitischen Vorfälle Neonazi- oder anderen rechtsextremistischen Gruppen oder Personen zu; die Vorfälle häuften sich im Laufe des Jahres. Jüdische Organisationen berichteten auch von antisemitischen Standpunkten und entsprechenden Verhaltensweisen bei manchen muslimischen Jugendlichen und Linksextremisten. Nichtregierungsorganisationen waren sich einig, dass Rechtsextreme für die Mehrzahl der antisemitischen Vorfälle verantwortlich waren, gaben aber zu bedenken, dass nationale Statistiken viele von Muslimen begangene Taten fälschlicherweise als rechtsextrem einstuften.

2019 meldete das Bundesinnenministerium 2.032 antisemitische Straftaten, verglichen mit 1.799 antisemitischen Straftaten im Jahr 2018 ein Anstieg um 13 Prozent. Bei der Präsentation der Daten sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der Rechtsextremismus stelle die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland dar. Nichtregierungsorganisationen, die sich dem Kampf gegen den Antisemitismus widmen, wiesen darauf hin, dass die Zahl der offiziell registrierten antisemitischen Angriffe irreführend sein könnte, da eine beträchtliche Zahl von Fällen womöglich nicht gemeldet worden sei.

Dem jährlichen Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz zufolge stieg die Zahl antisemitischer Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund von 48 im Jahr 2017 auf 56 im Jahr 2019. Das Bundesamt für Verfassungsschutz registrierte darüber hinaus drei gewalttätige antisemitische Vorfälle, die religiös-ideologisch motiviert waren, fünf weitere wurden Personen mit ausländischer Ideologie zugeschrieben. Die Bundesanwälte erhoben Anklage gegen Verdächtige und behielten die dauerhaften Sicherheitsvorkehrungen im Umfeld zahlreicher Synagogen bei.

Am 21. Juli wurde in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) das Verfahren gegen den bewaffneten Täter eröffnet, der an Jom Kippur 2019 in Halle zwei deutsche Staatsangehörige getötet und die Synagoge, vor der sie standen, angegriffen hatte. Der Angeklagte Stephan Balliet gab vor Gericht an, aus einer fremdenfeindlichen und antisemitischen Gesinnung heraus gehandelt zu haben, äußerte antisemitische Verschwörungstheorien und bezeichnete muslimische Flüchtlinge im Land als „Eroberer“. Er soll zwar allein gehandelt haben, allerdings spielten rechtsextreme Onlineforen eine Rolle bei seiner Radikalisierung. Balliet hatte auch ein Manifest mit seinen Zielen online gestellt und übertrug das Attentat live auf der Streaming-Plattform Twitch. Im November war das Verfahren gegen Stephan Balliet noch anhängig.

Im Dezember 2019 verurteilte ein Gericht in Mecklenburg-Vorpommern den ehemaligen SEK-Beamten Marko G. wegen illegalen Waffenbesitzes und Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu 21 Monaten auf Bewährung. Während einer Razzia im April 2019 fand die Polizei in seinem Haus 55.000 Schuss Munition, die zum Großteil sieben unterschiedlichen Landespolizeien, der Bundespolizei und der Bundeswehr gehörten. G. war der Kopf der Gruppe Nordkreuz, die antisemitische Verschwörungstheorien verbreitete und Pläne schmiedete, um sich den ihrer Meinung nach bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes zunutze zu machen und Politiker zu töten, die sich für Flüchtlinge einsetzen oder anderweitig links orientiert sind.

Am 19. Januar fand ein Junge in der Nähe der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora einen selbstgebauten Sprengsatz. Aufgrund der Nähe zur Gedenkstätte wurde auch der thüringische Staatsschutz in die Ermittlungen eingeschaltet, die im September noch andauerten.

Im November 2019 wurde ein 19-jähriger jüdischer Mann in einem Freiburger Fitnessstudio von einem 23-Jährigen angegriffen, weil er eine Kippa trug. Der Angreifer beschimpfte ihn als „dreckigen Juden“, spuckte in seine Kippa und warf sie in den Müll. Nur einer von mehreren Umstehenden versuchte zu helfen. Der Angreifer konnte das Fitnessstudio verlassen, ohne von den Angestellten aufgehalten zu werden. Die Polizei identifizierte den Angreifer wenige Wochen nach dem Vorfall. Im Mai verurteilte das Amtsgericht Freiburg den Angreifer wegen Volksverhetzung und Beleidigung zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe.

Im Dezember 2019 warfen Unbekannte 40 Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Geilenkirchen (Nordrhein-Westfalen) um und besprühten einige davon mit Farbe. Im Januar demonstrierten mehr als 1.300 Personen gegen die Entweihung des Friedhofs. Im Juli wurde der Münchner Gemeinderabbiner, Rabbi Brodman, von vier Muslimen angegriffen, die abfällige Bemerkungen hinter ihm herriefen. Die Polizei löste eine Fahndung nach den Tätern aus, konnte sie aber nicht ausfindig machen.

Von Mitte März bis Mitte Juni registrierte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus bei 123 verschiedenen Demonstrationen gegen Beschränkungen zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 antisemitische Vorfälle. Zu den Vorfällen gehörten positive NS-Vergleiche, darunter auch die Äußerung von Demonstrationsorganisator Attila Hildmann, Adolf Hitler sei im Vergleich zu Angela Merkel „ein Segen“, und die Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien, einschließlich der Behauptung, Juden seien für die Freisetzung des Coronavirus verantwortlich.

Am 18. Juni verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das soziale Netzwerke verpflichtet, illegale Inhalte nicht nur zu überprüfen und gegebenenfalls zu beschränken, sondern Hasskriminalität im Internet, einschließlich aus antisemitischen Beweggründen begangener Volksverhetzung, auch dem Bundeskriminalamt zu melden. Bundespräsident Steinmeier kündigte im Oktober an, er werde den Gesetzesentwurf nicht unterzeichnen, bevor die Regierung nicht konkrete Nachbesserungen vornehme, um verfassungsrechtliche Bedenken auszuräumen.

Im Laufe des Jahres wurde Antisemitismus von zahlreichen prominenten Regierungsvertretern wiederholt verurteilt, unter anderem auch von Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier. 2018 schuf die Bundesregierung das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Seitdem wurden in 15 von 16 Bundesländern Länderbeauftragte für den Kampf gegen Antisemitismus eingesetzt. Die Aufgabenbereiche sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich, beinhalten aber Treffen mit der jüdischen Gemeinde, die Erstellung von Statistiken zu antisemitischen Vorfällen sowie die Erarbeitung von Aufklärungs- und Präventionsprogrammen. Im Sommer 2019 wurde eine Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und dem Schutz jüdischen Lebens geschaffen, der alle Beauftragten angehören und die sich zweimal im Jahr trifft, um Strategien zu koordinieren.

MENSCHENHANDEL

Mehr hierzu finden Sie im Menschenhandelsbericht des US-Außenministeriums: https://www.state.gov/trafficking-in-persons-report/. [Deutschlandteil: Länderberichte zu Menschenhandel 2020 – Bundesrepublik Deutschland]

MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN

Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist laut Gesetz verboten. Das Gesetz führt Personen mit sensorischen oder intellektuellen Beeinträchtigungen nicht gesondert auf, da ihre Rechte als den anderen Rubriken zugehörig angesehen werden. Unter Nichtregierungsorganisationen herrschte keine Einigkeit darüber, ob die Behörden diese Gesetze wirksam durchsetzten.

Für Menschen mit Behinderungen gestaltete sich die Wohnungssuche besonders schwer.

Den Bundesländern oblag die Entscheidung, ob Kinder mit Behinderungen am Regelunterricht teilnehmen oder eine Förderschule besuchen. Die Schulpflicht ist gesetzlich geregelt, sie gilt für Kinder mit Behinderungen ebenso wie für Kinder ohne Behinderungen. In einigen Fällen protestierten Eltern oder Lehrer gegen die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen an Regelschulen, überwiegend deshalb, weil diese Schulen ihrer Wahrnehmung nach nicht über ausreichende Ressourcen und Fähigkeiten verfügten, um den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden.

Im Juni kritisierten Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzen, staatliche Diskriminierung während der Corona-Pandemie. Der Staat kategorisierte Menschen mit Behinderungen als „Risikogruppe“, für die strengere Schutzmaßnahmen galt. Dazu gehörte beispielsweise auch ein Verbot von Gruppenreisen für Menschen mit Behinderungen und die Pflicht für Menschen in betreuten Wohneinrichtungen, sich bei Verlassen ihrer Einrichtungen für zwei Wochen in Quarantäne zu begeben. Nichtregierungsorganisationen kritisierten die Tatsache, dass der Staat strengere Regeln für Menschen mit Behinderungen einen höheren Stellenwert einräumte als ihrem Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung.

Nationale/ethnische Minderheiten

Der Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz 2019 verzeichnete 21.290 politisch motivierte Straftaten, die von Einzelpersonen mit rechtsextremem Hintergrund begangen wurden, davon 925 Gewalttaten – 15 Prozent weniger als im Vorjahr. 695 wurden als fremdenfeindlich eingestuft. Nach dem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes stieg die Zahl der Beschwerden wegen Rassismus 2019 um zehn Prozent. Im Juni wurde in Berlin ein Gesetz verabschiedet, das es Opfern von Diskriminierung leichter macht, Schadensersatzforderungen zu stellen. Wenn die Diskriminierung „überwiegend wahrscheinlich“ ist, müssen die Behörden beweisen, dass keine Ungleichbehandlung stattgefunden hat.

Im März zeigte eine in Deutschland lebende Nigerianerin bei einer Polizeiwache in Essen den Diebstahl ihres Portemonnaies an. Sie gab an, die Beamten hätten ihre Klage nicht ernst genommen, sie rassistisch beleidigt und seien schließlich gewalttätig geworden. Es kam zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen der Polizei und mehreren Familienangehörigen der Frau, die wegen ihrer Verletzungen ins Krankenhaus kamen. Die Ermittlungen der Polizei Bochum in dem Essener Fall waren im November noch nicht abgeschlossen.

Nach der Festnahme eines Mitarbeiters der Polizei aus Hamm wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung kündigte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Reul im März an, alle Polizeibehörden in NRW würden Extremismusbeauftragte ernennen, um Daten zu extremistischem Verhalten unter Polizeibeamten zu erheben.

Im Februar suspendierte die Polizeihochschule Villingen-Schwenningen in Baden-Württemberg sieben Polizeianwärter, weil sie in einer privaten WhatsApp-Chatgruppe rassistische, antisemitische und frauenfeindliche Inhalte ausgetauscht hatten. Die Staatsanwaltschaft Offenburg stellte die Ermittlungen im März mit der Begründung ein, die Gruppe habe sich nicht strafbar gemacht, aber die Polizeischule und das baden-württembergische Innenministerium gaben an, dass Disziplinarmaßnahmen verfolgt und die Polizeischüler endgültig aus dem Polizeidienst entlassen werden würden.

Im September suspendierte das Innenministerium NRW 29 Polizeibeamte, die in einer rechtsextremen Chatgruppe waren, in der sie extremistische Propaganda – unter anderem Fotos von Adolf Hitler und Hakenkreuze – austauschten. Das nordrhein-westfälische Innenministerium gab an, strafrechtliche Ermittlungen durchzuführen und eine neue Stelle zu schaffen, die mit der Beobachtung von Rechtsextremismus in der gesamten Polizei NRW betraut ist.

Ein Sprecher des Bundesministeriums des Innern erklärte am 11. Juni, die Bundesregierung werde etwaige rassistische Tendenzen bei der Polizei untersuchen, und die Bundesministerien des Innern und der Justiz würden dafür eine Studie zum Thema Racial Profiling entwickeln. Viele Personen berichteten, dass sie wegen ihrer Hautfarbe ins Visier der Polizei gerieten, und die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz berichtet schon länger, dass Racial Profiling unter deutschen Polizeikräften weit verbreitet ist. Am 6. Juli teilte allerdings ein Sprecher des Ministeriums mit, Horst Seehofer halte die Durchführung einer solchen Studie nicht für sinnvoll und sie würde nicht in Auftrag gegeben. Im Juli und August unterzeichneten 75.000 Bürgerinnen und Bürger eine Petition, mit der der Bundestag aufgefordert wurde, die Studie dennoch durchzuführen, und sorgten somit dafür, dass das Thema öffentlich im Petitionsausschuss des Bundestags erörtert wird. Im Oktober kündigte das Innenministerium an, eine Studie zu Rassismus in der Gesellschaft sowie eine weitere Studie zu Problemen und Frustrationen im Polizeialltag durchzuführen, einschließlich der Gewalt und des Hasses, die sich mitunter gegen Polizeibeamte richten. Aus einer kriminologischen Studie der Universität Bochum ging im November hervor, dass ethnische Minderheiten mit struktureller Diskriminierung durch die Polizei konfrontiert sind.

Am 19. Februar erschoss der Rechtsextremist Tobias Rathjen in zwei verschiedenen Shisha-Bars im hessischen Hanau neun Menschen und verletzte zahlreiche weitere. Die Bars wurden von Migranten frequentiert und die meisten Opfer hatten einen Migrationshintergrund. In der Wohnung des Tatverdächtigen in Hanau fand die Polizei später die Leichen des Verdächtigen und dessen Mutter sowie ein Manifest, in dem der Tatverdächtige seine Ideologie erläuterte und das rassistische Rhetorik und Verschwörungstheorien enthielt. Nach dem Anschlag fanden überall im Land Gedenkveranstaltungen für die Opfer statt, an denen Politiker und die Zivilbevölkerung teilnahmen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der Oberbürgermeister von Hanau Claus Kaminsky (SPD) sprachen bei einer abendlichen Mahnwache in Hanau, zu der etwa 5.000 Menschen kamen. Die Ermittlungen in dem Fall dauerten an. Als Reaktion auf den Angriff, kündigte Bundeskanzlerin Merkel am 2. März die Gründung eines Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus an.

Im August 2019 schoss ein 51-jähriger Mann in einem Bürgerhaus in Ulm (Baden-Württemberg) zweimal auf einen Deutschen nigerianischer Herkunft und verletzte das Opfer an der Schulter. Im Mai verurteilte das Ulmer Amtsgericht den Täter zu 15 Monaten auf Bewährung und stellte fest, er habe aus rassistischen Motiven gehandelt. Dem Opfer zufolge hatte der Angreifer „El Paso, Texas“ geschrien und damit auf den Amoklauf Bezug genommen, der sich dort am gleichen Tag ereignet hatte.

Am 1. August griffen in Erfurt (Thüringen) zwölf Rechtsextreme drei Guineer zunächst verbal und dann physisch an. Zwei Männer wurden verletzt, einer von ihnen schwer. Die Polizei nahm zwölf Verdächtige fest, entließ sie aber am Folgetag mit der Begründung, es bestehe keine Fluchtgefahr. Der thüringische Innenminister Maier kritisierte dies und nannte es eine Katastrophe für die Opfer und die Einwohner Erfurts. Im September waren die Ermittlungen des Landeskriminalamts Thüringen und der Erfurter Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen.

Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) gab Anfang Mai an, in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie mehr als 130 Fälle rassistischer Angriffe auf Menschen mit asiatischem Hintergrund dokumentiert zu haben. Dem VBRG zufolge lag die tatsächliche Zahl der Angriffe, zu denen Beschimpfungen, Anspucken und das Besprühen mit Desinfektionsmittel gehörten, wahrscheinlich weitaus höher.

Menschen ausländischer Herkunft hatten manchmal Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtete von Vermietern, die sich weigerten, Wohnungen an Menschen nichtdeutscher Herkunft, insbesondere türkischer und arabischer Herkunft, zu vermieten.

Die Belästigung ethnischer Minderheiten wie Sinti und Roma stellte bundesweit nach wie vor ein Problem dar. Im Mai 2019 wurde in Erbach (Baden-Württemberg) eine brennende Fackel auf ein Fahrzeug geworfen, in dem eine Roma-Familie mit ihrem neun Monate alten Baby schlief. Im Juli 2019 nahm die Polizei im Zusammenhang mit dieser Straftat fünf Deutsche im Alter von 17 bis 20 Jahren fest, deren Gerichtsverfahren im September begann. Einer der Angeklagten gab zu, eine Fackel geworfen zu haben, bestritt aber, die Absicht gehabt zu haben, die Menschen im Wohnwagen zu töten. Die Angeklagten wurden im Mai aus der Untersuchungshaft entlassen, als die Anklage wegen Mordes fallengelassen wurde. Das Gericht ermittelte noch in der Frage, ob der Angriff aus rassistischen oder antiziganistischen Motiven begangen wurde.

Im Mai wurde ein 25-jähriger Deutscher türkischer Abstammung festgenommen, der Anschläge auf vier türkische Läden im bayerischen Waldkraiburg verübt und dabei mehrere Menschen verletzt hatte. Als Motiv nannte er „Hass auf Türken“ und behauptete, er bewundere den „Islamischen Staat“. Der Angeklagte gab an, Angriffe auf Moscheen und das türkische Konsulat in München geplant zu haben.

GEWALTTATEN, KRIMINALISIERUNG UND ANDERE ÜBERGRIFFE AUFGRUND DER SEXUELLEN ORIENTIERUNG UND GESCHLECHTSIDENTITÄT

Das Gesetz verbietet Benachteiligung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. LGBTI-Aktivisten kritisierten, dass Transgender als „psychisch krank“ diagnostiziert werden müssen, damit ihr Geschlecht rechtlich anerkannt wird.

Im Oktober verhaftete die Polizei einen 20-jährigen syrischen Flüchtling und bekannten Islamisten, weil dieser in Dresden ein homosexuelles Paar mit einem Messer angegriffen und einen der beiden Männer dabei tödlich verletzt hatte. Das Landesinnenministerium Sachsens und die sächsische Staatsanwaltschaft schlossen Homophobie als Tatmotiv aus und gingen stattdessen von einem radikal-islamistischen Hintergrund für die Straftat aus. LGBTI-Verbände verurteilten dies als „inakzeptabel“ und „verstörend“.

Im November griffen mehrere Personen in Frankfurt eine 20-jährige LGBTI-Person an, nachdem diese sich eine Woche zuvor in einem YouTube-Video über queere Themen und Feindseligkeit gegenüber der LGBTI-Community geäußert hatte. Die Polizei nahm mehrere Personen fest, aber im ursprünglichen Polizeibericht wurde Homophobie nicht als Tatmotiv genannt. Einige Tage später bestätigte die Polizei, dass sie dazu ermitteln werde, ob die sexuelle Orientierung des Opfers bei dem Angriff eine Rolle gespielt habe.

Am 7. Mai verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das für das Angebot, die Bewerbung oder Vermittlung einer sogenannten „Konversionstherapie“ zur Behandlung von homosexuellen Minderjährigen oder minderjährigen Transgender-Personen eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorsieht. Strafen sind darüber hinaus auch möglich, wenn sich volljährige Personen einer solchen „Behandlung“ aufgrund von Zwang unterziehen.

Im August sprach ein Kasseler Gericht Ulrich Kutschera, Professor für Biologie an der Universität Kassel, der Verleumdung für schuldig und verhängte eine Geldstrafe. In einem Interview aus dem Jahr 2017 unterstellte Kutschera, sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern sei durch gleichgeschlechtliche Eltern wahrscheinlicher und bezeichnete gleichgeschlechtliche Paare als „asexuelle Erotik-Duos ohne Reproduktionspotenzial“. Nach Veröffentlichung des Interviews erstatteten 17 Personen Anzeige gegen Kutschera. Die Staatsanwaltschaft hatte auch Anklage wegen Aufwiegelung erhoben, aber der Angeklagte wurde in diesem Punkt freigesprochen.

Im Juli verurteilte ein Gericht in Mecklenburg-Vorpommern einen 32-jährigen Rechtsextremisten für den Flaschenwurf auf den Vorsitzenden des LGBTI-Vereins „queerNB“ aus Neubrandenburg im Dezember 2019 zu fünf Monaten auf Bewährung.

Im September ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Universität Bielefeld, dass 30 Prozent der homosexuellen und 40 Prozent der Transgender-Personen Diskriminierung am Arbeitsplatz erleben. Auch sexuelle Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz waren verbreitet, sodass ein Drittel der homosexuellen Beschäftigten ihre sexuelle Orientierung vor Arbeitskolleginnen und -kollegen verbarg.

SOZIALE STIGMATA HIV UND AIDS

Die Nichtregierungsorganisation Deutsche AIDS-Stiftung berichtete von Fällen gesellschaftlicher Diskriminierung von Menschen mit HIV/AIDS, die von Ausgrenzung und negativen Äußerungen von Bekannten, Familie und Freunden bis hin zu Mobbing am Arbeitsplatz reichten. Eine deutsche AIDS-NGO wiederholte ihre Kritik an den bayerischen Behörden, die Asylbewerber weiter zu HIV-Tests verpflichteten.

ANDERE FÄLLE VON GEWALT ODER DISKRIMINIERUNG IN DER GESELLSCHAFT

Das Bundesministerium des Innern meldete am 1. September, es habe ein 12-köpfiges Fachleutegremium ernannt, um Strategien zu entwickeln und so Anfeindungen gegenüber Muslimen zu erkennen, zu bekämpfen und zu verhindern. Zu dem Gremium gehören Fachleute aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die den Auftrag haben, in zwei Jahren einen Abschlussbericht vorzulegen.

Im März erhielt die Fatih-Moschee in Bremen einen Briefumschlag, in dem sich eine pulvrige Substanz sowie ein Schreiben mit rechtsextremem Inhalt befand. Das Pulver erwies sich als harmlos. Die Bremer Polizei hatte bis September weder Tatverdächtige ermittelt noch Fortschritte bei der Aufklärung der Anschläge gemacht, die in den Jahren 2017 und 2018 auf die Moschee verübt worden waren.

Bei zwei Vorfällen im Juli hinterließen unbekannte Verdächtige abgetrennte Schweineköpfe vor dem Islamischen Kulturzentrum in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Die Polizei ermittelt seit September.

Ein 34-jähriger irakischer Jeside gestand im September 2019, 50 Ausgaben des Korans entweiht zu haben, indem er sie in Toiletten warf, sowie einen ähnlichen Vorfall an seinem Wohnort in Schleswig-Holstein.

Abschnitt 7. Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern

A. VEREINIGUNGSFREIHEIT UND DAS RECHT AUF TARIFVERHANDLUNGEN

Grundgesetz, Bundesgesetze und Verordnungen gewährleisten das Recht von Arbeitnehmern, unabhängige Gewerkschaften zu gründen und diesen beizutreten sowie Tarifverhandlungen und rechtmäßige Streiks durchzuführen. Wilde Streiks sind nicht erlaubt. Die Diskriminierung von Gewerkschaftsmitgliedern ist laut Gesetz verboten, und es gibt Rechtsbehelfe, um Schadensersatz geltend zu machen, unter anderem zur Wiedereinstellung unrechtmäßig entlassener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Einige Gesetze und Verordnungen schränken diese Arbeitnehmerrechte ein. Beamten steht es frei, Gewerkschaften zu gründen oder sich ihnen anzuschließen. Ihre Gehälter und Arbeitsbedingungen werden jedoch per Gesetz und nicht durch Tarifverhandlungen geregelt. Alle Beamten (unter anderem auch einige Lehrer und Mitarbeiter von Post, Bahn und Polizei) sowie Angehörige der Streitkräfte sind vom Streikrecht ausgenommen.

Arbeitgebern steht es im Allgemeinen frei zu entscheiden, ob sie einen Tarifvertrag abschließen wollen. Auch wenn sie sich dagegen entscheiden, sind Unternehmen zur Anwendung von Tarifvertragsbestimmungen verpflichtet, wenn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Tarifvertrag für den gesamten Sektor für allgemein verbindlich erklärt. Auch rechtlich nicht an einen Tarifvertrag gebundene Arbeitgeber orientierten sich bei der Festlegung aller oder eines Teils der Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten häufig an Tarifverträgen. Die Verhältnismäßigkeit eines Streiks sowie das Recht einer Gewerkschaft, Streikmaßnahmen zu ergreifen, kann vom Arbeitgeber vor Gericht angefochten werden. Es gibt für Streiks keine klaren gesetzlichen Regelungen; die Gerichte berufen sich hier häufig auf die Rechtsprechung und Präzedenzfälle.

Der Staat setzte die vorhandenen Gesetze wirksam durch. Maßnahmen von Arbeitgebern, die die Vereinigungsfreiheit oder das Recht auf Tarifverhandlungen einschränken oder dagegen verstoßen, werden als unrechtmäßig betrachtet und mit Geldstrafen geahndet. Die Strafen und Maßnahmen zur Abhilfe entsprachen denen aus vergleichbaren Gesetzen, in denen es um die Verweigerung von Grundrechten geht.

Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsräten (der gewählten Arbeitnehmervertretung der Betriebe) ist gesetzlich geregelt. Darunter fällt auch das Recht der Arbeitnehmer, in betriebliche Maßnahmen des Unternehmens, die sie betreffen könnten, eingebunden zu werden. Die Betriebsräte sind von den Gewerkschaften unabhängig, haben aber häufig enge Verbindungen zur Arbeiterbewegung der jeweiligen Branche. Eine Einmischung des Arbeitgebers in die Betriebsratswahlen oder die Tätigkeit des Betriebsrats wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet. Untersuchungen aus dem Jahr 2019 haben ergeben, dass eine beträchtliche Zahl von Arbeitgebern Einfluss auf die Wahl von Mitgliedern des Betriebsrates genommen oder versucht hat, Beschäftigte von der Bildung eines Betriebsrates abzuhalten. Die Gewerkschaften kritisieren dieses Vorgehen schon lange. Sie fordern strengere Gesetze zum Schutz der Beschäftigten, die ihre gesetzlich verankerten Rechte ausüben wollen.

B. VERBOT VON ZWANGS- ODER PFLICHTARBEIT

Das Grundgesetz und das Bundesrecht verbieten alle Formen der Zwangs- oder Pflichtarbeit. Das Strafmaß für Zwangsarbeit reicht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe und entspricht in der Regel den Strafen für andere schwere Delikte.

Die Behörden setzten die Gesetze effektiv durch, wenn Verstöße festgestellt wurden, allerdings bezweifelten Nichtregierungsorganisationen, dass ausreichend Ressourcen für Ermittlungen und die strafrechtliche Verfolgung der Straftaten zur Verfügung standen. Einige Menschenhändler wurden zu geringfügigen oder zur Bewährung ausgesetzten Strafen verurteilt, was die abschreckende Wirkung und die Bemühungen unterlief, Menschenhändler zur Rechenschaft zu ziehen, aber das Strafmaß entsprach im Allgemeinen der in Deutschland üblichen Praxis. Im März veröffentlichten Medien die Ergebnisse einer detaillierten Erhebung zu Arbeitsmigranten im Land, die unter falschem Vorwand angelockt und gezwungen wurden, unter erbärmlichen Bedingungen und fast ohne Bezahlung zu arbeiten. Ein Medienunternehmen berichtete, dass die Arbeiter „eine ausgeklügelte Methode beschrieben, mit der ihr Lebensunterhalt streng kontrolliert wurde. Sie wurden bei ihrer Ankunft von Männern abgeholt, die ihre Unterkünfte betrieben, Regeln für ihre Arbeitstage festlegten und … entschieden, wann und wie sie bezahlt würden.“ Des Weiteren beschrieben die Arbeiter „Abzüge für alles, von den anfänglichen ‚Bürokratiekosten‘ über die monatliche Miete bis hin zum Benzin für das Auto, mit dem sie zur Arbeit gefahren wurden, und sogar für die speziellen Sicherheitsstiefel, die sie tragen mussten.“

Es gab Berichte über Zwangsarbeit von Erwachsenen, hauptsächlich im Baugewerbe und in der Gastronomie. Darüber hinaus wurden auch Fälle aus Privathaushalten und Industriebetrieben gemeldet. 2019 schloss die Polizei 14 Ermittlungsverfahren in Fällen von Menschenhandel zum Zwecke der Zwangsarbeit ab. In diesem Zusammenhang wurden 43 Opfer erfasst, die zu beinahe einem Drittel (13) aus der Ukraine stammten.

Im August 2019 führten 800 Bundespolizisten in den Bundesländern Thüringen und Sachsen-Anhalt Razzien wegen des Verdachts auf Menschenhandel und Arbeitsausbeutung von Arbeitnehmern aus Osteuropa durch. Im September ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft Erfurt noch immer gegen zwei ukrainische Staatsbürger, einen deutschen Anwerber und den Mitarbeiter einer Kommunalbehörde.

Den jährlich erscheinenden Bericht über Menschenhandel des US-Außenministeriums finden Sie unter https://www.state.gov/trafficking-in-persons-report/. [Deutschlandteil: Länderberichte zu Menschenhandel 2020 – Bundesrepublik Deutschland]

C. VERBOT VON KINDERARBEIT UND MINDESTALTER FÜR ERWERBSTÄTIGKEIT

Die schwerwiegendsten Formen der Kinderarbeit sind verboten. Das Gesetz sieht ein Mindestalter für Beschäftigung, Beschränkungen der Arbeitszeiten, Voraussetzungen für die Sicherheit am Arbeitsplatz und Gesundheitsauflagen für Kinder vor. Das Gesetz verbietet die Erwerbstätigkeit von Kindern unter 15 Jahren, mit einigen Ausnahmen: 13- und 14-Jährige dürfen bis zu drei Stunden täglich in landwirtschaftlichen Familienbetrieben arbeiten und bis zu zwei Stunden täglich Zeitschriften oder Prospekte austragen oder andere Dienstleistungen übernehmen, beispielsweise mit Erlaubnis des Erziehungsberechtigten Kinder hüten oder Hunde ausführen. Kinder unter 15 Jahren dürfen nicht während der Schulzeit, vor acht Uhr oder nach 18 Uhr oder an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen arbeiten. Die Arbeit darf kein Risiko für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Entwicklung des Kindes darstellen und darf das Kind nicht von der Schule oder der Ausbildung abhalten. Kinder dürfen nicht mit gefährlichen Materialien arbeiten, nichts tragen oder handhaben, das mehr als zehn Kilogramm wiegt, und keine Arbeiten verrichten, die eine ungeeignete Körperhaltung erfordern oder sie erhöhter Unfallgefahr aussetzen. Kinder zwischen drei und 14 Jahren dürfen bei Kulturveranstaltungen auftreten, allerdings unter strengen Auflagen bezüglich der Art der Aktivität, der Stundenzahl und der Tageszeit.

Die Behörden setzten die betreffenden Gesetze effektiv durch und die Strafen entsprachen denen für andere schwere Delikte. Es gab einzelne Fälle von Kinderarbeit in kleinen Familienunternehmen wie Cafés, Restaurants, landwirtschaftliche Familienbetriebe und Lebensmittelgeschäfte. Kontrollen der regionalen Aufsichtsbehörden sowie die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Rechtsbehelfe waren angemessen, um die weitgehende Einhaltung des Gesetzes sicherzustellen.

D. DISKRIMINIERUNG AM ARBEITSPLATZ UND IN BEZUG AUF BESCHÄFTIGUNG

Das Gesetz schützt vor Ungleichbehandlung in allen Bereichen des Arbeitslebens, von der Einstellung über Selbstständigkeit und Beförderung bis hin zum beruflichen Aufstieg. Herkunft und Staatsangehörigkeit werden im Gesetz zwar nicht explizit als Diskriminierungsgründe aufgeführt, aber Opfer dieser Art von Benachteiligung haben andere Möglichkeiten, rechtliche Ansprüche geltend zu machen. Das Gesetz verpflichtet Arbeitgeber dazu, Arbeitnehmer vor Diskriminierung am Arbeitsplatz zu schützen.

Die Behörden setzten diese Gesetze und Vorschriften im Laufe des Jahres wirksam durch. Arbeitnehmer, die meinen, Opfer von Diskriminierung geworden zu sein, haben das Recht, offiziell Beschwerde einzulegen und angehört zu werden. Sollte ein Arbeitgeber es versäumen, seine Arbeitnehmer wirksam zu schützen, sind die Beschäftigten berechtigt, sich diskriminierenden Situationen und Orten zu entziehen, ohne ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder ihr Arbeitsentgelt einzubüßen. Bei Verstößen gegen das Gleichbehandlungsgesetz können Opfer von Diskriminierung auf Unterlassung klagen und haben Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung sowie auf materiellen und immateriellen Schadensersatz, der durch Gerichtsbeschluss festgelegt wird. Die Strafen entsprachen denen für andere Grundrechtsverletzungen.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) betonte, dass Bewerber ausländischer Abstammung und mit ausländischen Namen selbst dann benachteiligt wurden, wenn sie über ähnliche oder sogar höhere Qualifikationen als andere Bewerber verfügten. Bei der ADS gingen 1.176 Beschwerden wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der ethnischen Herkunft ein; die meisten Beschwerden betrafen den privaten Sektor, wo es auch weiterhin Hürden für Menschen mit Behinderungen gab.

Das Gesetz sieht gleichen Lohn für gleiche Arbeit vor. Im März gab das Statistische Bundesamt bekannt, dass der Brutto-Stundenlohn von Frauen im Jahr 2019 durchschnittlich 20 Prozent unter dem der Männer lag. Das Amt nannte unterschiedliche Gehälter in den Branchen sowie Berufen, in denen Frauen und Männer tätig sind, sowie ungleiche Anforderungen im Hinblick auf Führungserfahrung und andere Qualifikationen als wichtigste Gründe für die Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern. Frauen waren in gut bezahlten Führungspositionen unter- und in einigen Niedriglohnbereichen überrepräsentiert. Die ADS berichtete, dass Frauen bei Beförderungen ebenfalls benachteiligt würden, häufig aufgrund von Erwerbsunterbrechungen wegen Kindererziehung.

Das Gesetz sieht einen Frauenanteil von 30 Prozent in den Aufsichtsräten bestimmter börsennotierter Unternehmen vor. Zudem verpflichtet es etwa 3.500 Unternehmen, sich eigene Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen (Aufsichtsräte und obere Leitungsebene) zu setzen und über die Zielgrößen und deren Erreichen öffentlich zu berichten. Infolgedessen stieg der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der an dieses Gesetz gebundenen Unternehmen von etwa 20 Prozent im Jahr 2015 auf fast 35 Prozent im Jahr 2019. Der Anteil von Frauen in Managementpositionen der 200 wichtigsten Unternehmen lag bei 14 Prozent.

Es gab Berichte über die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen sank 2018 auf 11,2 Prozent, womit sie immer noch erheblich über den Zahlen für die Gesamtbevölkerung lag (2018 durchschnittlich 5,2 Prozent). Arbeitgeber mit 20 oder mehr Angestellten müssen mindestens fünf Prozent ihrer Stellen an Schwerbehinderte vergeben, Unternehmen mit 20 bis 40 Angestellten müssen eine Stelle an einen Menschen mit Behinderung vergeben und Unternehmen mit 40 bis 60 Angestellten müssen zwei Stellen an Menschen mit Behinderung vergeben. Unternehmen müssen jedes Jahr ein Formular beim Arbeitsamt einreichen, anhand dessen überprüft wird, ob sie die Einstellungsquoten für Menschen mit Behinderungen erfüllen. Bei Missachtung wird für jede Stelle, die nicht mit einer Person mit Behinderungen besetzt wurde, eine monatliche Geldbuße fällig. 2018 mussten fast 100.000 Arbeitgeber, die nicht genügend Menschen mit Behinderungen beschäftigten, Strafen zahlen.

Obwohl das Gesetz die Gleichbehandlung von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorsieht, gab es ein gewisses Maß an Lohndiskriminierung. So zahlten Arbeitgeber, insbesondere im Baugewerbe, Saisonarbeitern aus Osteuropa zum Teil niedrigere Löhne.

E. ZUMUTBARE ARBEITSBEDINGUNGEN

Der bundesweite Mindestlohn liegt unter der international festgelegten Niedriglohnschwelle, die bei zwei Dritteln des nationalen Medianlohns angesetzt wird. Der Mindestlohn gilt nicht für Personen unter 18 Jahren, Langzeitarbeitslose, die seit weniger als sechs Monaten einer neuen Beschäftigung nachgehen, oder Auszubildende in der Berufsausbildung, unabhängig von ihrem Alter. Einige Branchen legten durch Tarifverhandlungen ihre eigenen, höheren Mindestlöhne fest.

Die Behörden setzten die Gesetze effektiv durch und überwachten die Einhaltung der gesetzlichen und branchenweiten Mindestlöhne und Arbeitszeiten mithilfe der der Zollbehörde untergeordneten Arbeitseinheit Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die im Jahr 2019 beinahe 55.000 Firmenkontrollen durchführte. Angestellte können Unternehmen verklagen, wenn der Arbeitgeber sich nicht an das Mindestlohngesetz hält. Arbeitgeber, die gegen die Vorschriften verstoßen, können zu beträchtlichen Bußgeldern verurteilt werden. Die Strafen für Lohn- und Arbeitszeitverstöße entsprachen denen ähnlicher Straftaten.

Verordnungen auf Bundesebene legen eine reguläre Arbeitszeit von acht bis maximal zehn Stunden pro Tag fest und begrenzen die durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf maximal 48 Stunden. Für die 54 Prozent der Beschäftigten, für die die Tarifverträge unmittelbar gelten, betrug die durchschnittliche maximale Wochenarbeitszeit im Rahmen der gegenwärtigen Tarifverträge 37,7 Stunden. Nach maximal sechs Arbeitsstunden ist laut Gesetz eine Pause vorgeschrieben; es müssen regelmäßige Pausen mit einer Gesamtlänge von mindestens 30 Minuten eingehalten werden. Des Weiteren sieht das Gesetz zusätzlich zu den gesetzlichen Feiertagen mindestens 24 Tage bezahlten Jahresurlaub vor. Regelungen für Überstunden, Urlaub und die Bezahlung von Wochenendarbeit variierten je nach geltendem Tarifvertrag. Diese Tarif- oder Einzelverträge untersagten die Verpflichtung der Beschäftigten zu einer übermäßig hohen Zahl an Überstunden und schützten sie vor willkürlichen Forderungen des Arbeitgebers.

Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sind durch umfangreiche Gesetze und Verordnungen geregelt. Ein umfassendes Netz von Versicherungsträgern achtete auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz. Die Strafen für Verstöße gegen Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz entsprachen denen für andere ähnliche Straftaten.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die entsprechenden Bundesministerien überwachten die Einhaltung der Standards für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und setzten diese mithilfe eines Netzwerkes staatlicher Stellen, einschließlich der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, effektiv durch. Auf kommunaler Ebene überwachten Berufs- und Wirtschaftsverbände – selbstverwaltete Körperschaften des öffentlichen Rechts, in denen Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften sitzen – sowie Betriebsräte die Sicherheit am Arbeitsplatz. Die Zahl der Inspekteure war ausreichend, um die Einhaltung zu gewährleisten. Die Inspekteure hatten die Befugnis, unangekündigte Inspektionen durchzuführen und Sanktionen einzuleiten.

Die Zahl der Arbeitsunfälle bei Vollzeitangestellten sank weiter, aber die Zahl der tödlichen Unfälle am Arbeitsplatz stieg 2019 auf 497 (2018: 420). Zu den meisten Unfällen kam es auf Baustellen, im Transportsektor, in der Postlogistik sowie in der Holz- und Metallverarbeitung.

Originaltext: 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Germany