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Meinungsbeitrag von Ken Toko zu Russland/Ukraine
2022-01-12
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Januar 18, 2022

Meinungsbeitrag von Ken Toko zu Russland/Ukraine, 2022-01-12

Generalkonsul Kenichiro (Ken) Toko
Generalkonsul Kenichiro (Ken) Toko

Nach anderthalb Jahren in Mitteldeutschland ist mir diese Region richtig ans Herz gewachsen. Sie ist eine zweite Heimat geworden, und ich wünschte, mehr Amerikanerinnen und Amerikaner wüssten, wie viel sie zu bieten hat: Kultur und Geschichte, wirtschaftliches Potenzial – und vor allem ganz wunderbare Menschen. Bei meiner Arbeit geht es genauso sehr darum, den Amerikanerinnen und Amerikanern Mitteldeutschland zu erklären, wie es darum geht, den Menschen hier Amerika zu erklären. Deshalb schmerzt es mich, aus der Region so viel einseitige Kritik an den Vereinigten Staaten zu hören, in jüngster Zeit auch im Hinblick auf Russland – insbesondere, wenn diese nicht auf Fakten, sondern auf Desinformation, Spekulation oder Schlimmerem beruht. Lassen Sie mich deshalb hier einige Sachverhalte klarstellen.

Zunächst einmal sind die Vereinigten Staaten ein vielschichtiges Land mit einer vielfältigen Bevölkerung. Wir sind uns bewusst, dass wir viele Herausforderungen zu bewältigen haben und gehen offen damit um, auch mit der Spaltung unserer Gesellschaft, die letztes Jahr im Angriff auf das Kapitol gipfelte. Doch unabhängig von unseren politischen oder ideologischen Differenzen eint uns Amerikanerinnen und Amerikaner unser Glaube an das grundlegende Prinzip der Freiheit – und auf dieser Überzeugung beruht auch unsere Unterstützung der Ukraine.

Als ich von 2014 bis 2017, kurz nach den Maidan-Protesten, in der Ukraine gelebt habe, war ich erstaunt über die Begeisterung, Hoffnung und freudige Stimmung, die überall auf den Straßen von Kiew spürbar waren, als Ukrainerinnen und Ukrainer aller Generationen, besonders aber die jüngeren, in eine strahlende, neue Zukunft für ihr Land aufbrachen. Diese Zukunft mag noch nicht ganz eingetreten sein, aber es ist die Entscheidung der Ukrainerinnen und Ukrainer, wie sie aussehen soll. Das ist nicht Sache der Vereinigten Staaten, Russlands, Deutschlands oder irgendeines anderen Landes. Aber eine bessere Zukunft ist schwer zu erreichen, wenn 100.000 ausländische Soldatinnen und Soldaten mit unklaren Absichten an der eigenen Grenze stehen.

Russland behauptet, mit seinen Streitkräften lediglich „Übungen“ auf seinem eigenen Hoheitsgebiet durchzuführen und nicht die Absicht zu haben, erneut in die Ukraine einzumarschieren. Aber außer Präsident Putin selbst weiß niemand, welche Ziele Russland wirklich verfolgt. Sicher wissen wir nur, dass sich derzeit rund 100.000 russische Soldatinnen und Soldaten an der ukrainischen Grenze aufhalten, ohne dass es dafür eine einleuchtende Erklärung gibt. Wir wissen auch, dass Russland mit der Krim weiterhin Hoheitsgebiet der Ukraine besetzt hält und den Konflikt in der Ostukraine, der inzwischen 14.000 Menschenleben gekostet hat, weiter anheizt. Stellen Sie sich jetzt einmal folgende Frage: Wenn Sie in einem Land lebten, das sich eine bessere Zukunft wünscht, in dem man ums Überleben kämpfen muss, und ein sehr viel größeres Nachbarland hätte gerade mit seinen Stellvertretern einen großen Teil Ihres Landes vereinnahmt – was würden Sie dann denken, wenn Ihr Nachbar plötzlich ein riesiges Truppenaufgebot an Ihren Grenzen stationieren würde? Das sind die Fakten vor Ort.

In Mitteldeutschland höre ich in Gesprächen oft das Argument, dass Russlands Vorgehen deshalb gerechtfertigt sei, weil die NATO Russland bedrohe und versprochen habe, nicht weiter nach Osten zu expandieren. Fakt ist: Die NATO ist ein defensives Bündnis, und es hat nie eine Vereinbarung gegeben, mit der die Erweiterung dieses Bündnisses eingeschränkt wurde. Jeder Staat hat das hoheitliche Recht, seine Partnerschaften und Bündnisse selbst zu wählen, und die Beziehungen der NATO zur Ukraine sind Angelegenheit der Ukraine und der 30 NATO-Bündnispartner. Ich betone noch einmal: Entscheidungen über die Zukunft der Ukraine sollten von den Ukrainerinnen und Ukrainern getroffen werden.

Unabhängig davon erkennen die Vereinigten Staaten an, dass Russland Bedenken geäußert hat, weshalb wir in der vergangenen Woche gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten und Partnern, darunter auch Deutschland, auf hoher Ebene eine Reihe von Gesprächen mit Russland geführt haben. Wir haben unsere eigenen gravierenden Bedenken zum Ausdruck gebracht und einige erste Überlegungen angestellt, wie wir gemeinsam eine friedliche Lösung finden können. Es liegt nun an Russland, zu zeigen, welchen Pfad es einschlagen möchte – ob es sich für Deeskalation durch Diplomatie oder vielmehr zur weiteren Destabilisierung der Region entschließt.

Es ist beunruhigend, dass Russlands Vorgehen in dieser Region häufig verteidigt wird, als sei Russland das unschuldige Opfer. Viele von Ihnen haben die russische Besatzung selbst miterlebt. Ihre Stimmen tragen das Gewicht der Geschichte. Jetzt ist es an der Zeit, das hoheitliche Recht der Ukrainerinnen und Ukrainer auf Selbstbestimmung einzufordern. Jetzt ist es an der Zeit, dass die russischen Truppen in ihre Kasernen zurückkehren, um zu beweisen, dass Russland nicht die Absicht hat, in die Ukraine einzumarschieren. Jetzt ist es an der Zeit, Russlands mangelnde Bereitschaft anzuprangern, sich – im Normandie-Format oder anderen Foren – konstruktiv an einer friedlichen Lösung des anhaltenden Konflikts in der Ukraine zu beteiligen. Ich würde es begrüßen, wenn mehr Menschen die Fahne der Demokratie und Freiheit hochhielten – ganz besonders in einer Region, die stolz darauf sein kann, für sich selbst die Demokratie friedlich eingefordert zu haben.