Präsident Biden in Tel Aviv
Rede des Präsidenten
Am 18. Oktober 2023 sprach US-Präsident Biden in Tel Aviv zu den Menschen in Israel über die Terrorangriffe vom 7. Oktober und die Resilienz des Landes und seiner Bevölkerung.
Guten Tag. Bitte nehmen Sie Platz. Ich komme nach Israel, um eine klare Botschaft zu überbringen: Sie sind nicht allein. Sie sind nicht allein.
Solange die Vereinigten Staaten existieren – und das werden wir immer – werden wir Sie niemals allein lassen.
Ich weiß, dass der terroristische Angriff auf die Menschen in diesem Land eine sehr tiefe Wunde verursacht hat.
Mehr als 1.300 unschuldige Israelis wurden von der Terrorgruppe Hamas getötet, darunter mindestens 31 amerikanische Staatsangehörige.
Hunderte junge Menschen mussten bei einem Musikfestival, einem Festival für den Frieden, um ihr Leben rennen und wurden erschossen.
Sehr viele unschuldige Menschen – von Kleinkindern bis hin zu Großeltern, Israelis und Amerikaner – wurden als Geiseln genommen.
Kinder wurden brutal getötet. Babys wurden brutal getötet. Ganze Familien wurden massakriert.
Vergewaltigungen, Enthauptungen, Verbrennungen bei lebendigem Leib.
Die Hamas hat das Böse in seiner reinsten Form auf die Menschheit losgelassen und Gräueltaten begangen, die Erinnerungen an die grausamsten Verwüstungen durch den IS wachrufen.
Dafür gibt es keine rationale Begründung oder Entschuldigung. Punkt.
Die Brutalität, deren Zeugen wir geworden sind, hätte überall auf der Welt tiefe Wunden geschlagen, aber hier in Israel sind die Wunden noch tiefer.
Der 7. Oktober, ein heiliger jüdischer Feiertag, ist für das jüdische Volk damit der tödlichste Tag seit dem Holocaust geworden. Das hat schmerzhafte Erinnerungen und Narben zutage befördert, die ein Jahrtausend des Antisemitismus und des Völkermords an Jüdinnen und Juden hinterlassen haben.
Die Welt hat damals zugesehen, wusste Bescheid, und blieb tatenlos. Wir werden nicht noch einmal tatenlos zusehen. Nicht heute, nicht morgen, niemals.
Denjenigen, die jetzt im Ungewissen sind und verzweifelt darauf warten, etwas über den Verbleib ihrer Angehörigen zu erfahren, besonders den Familien der Geiseln, sage ich: Sie sind nicht allein.
Wir arbeiten mit Partnern in der gesamten Region zusammen und nutzen alle Kanäle, um diejenigen nach Hause zu holen, die von der Hamas gefangen gehalten werden.
Ich kann öffentlich nicht über alle Details sprechen, aber ich versichere Ihnen: Als Präsident der Vereinigten Staaten hat für mich nichts höhere Priorität als die Befreiung und sichere Rückkehr aller Geiseln.
Denjenigen, die um ein Kind, einen Elternteil, einen Partner oder eine Partnerin, einen Bruder, eine Schwester oder um einen Freund oder eine Freundin trauern, möchte ich sagen, dass ich weiß, dass es sich für Sie wie ein großes schwarzes Loch in Ihrer Brust anfühlt. Sie fühlen sich, als würden Sie dort hineingezogen werden.
Die Schuldgefühle der Überlebenden, die Wut, die Fragen des Glaubens in Ihrer Seele.
Den leeren Stuhl anzustarren, während Sie Schiwa sitzen. Der erste Sabbat ohne sie.
Die alltäglichen Dinge – die kleinen Dinge, die man am meisten vermisst.
Der Geruch beim Öffnen der Schranktür. Der Kaffee, den man morgens zusammen getrunken hat.
Sein schiefes Lächeln, ihr wunderbares Lachen, das Glucksen Ihres kleinen Sohnes, des Babys.
Allen, die Angehörige verloren haben, sage ich, dass ich dies weiß: Sie sind niemals wirklich weg. Es gibt etwas, das niemals ganz verloren geht: Ihre Liebe zu Ihnen und deren Liebe für Sie.
Und ich verspreche Ihnen, es wird Tage geben, da werden Sie sich fragen: „Was hätte sie oder er sich von mir gewünscht?“ Sie werden lächeln, wenn Sie an einem Ort vorbeikommen, der Sie an diese Menschen erinnert. Dann weiß man – wenn man ein Lächeln im Gesicht hat, bevor Tränen in die Augen steigen –, dass man es schaffen wird.
Das gibt Ihnen die Kraft, Licht in den dunkelsten Stunden zu sehen, als die Terroristen glaubten, sie könnten Sie vernichten, Ihren Willen beugen, Ihre Entschlossenheit brechen. Das haben sie aber nie geschafft, und das werden sie auch nie schaffen.
Stattdessen erlebten wir unglaubliche Geschichten von Heldenmut und Tapferkeit von Israelis, die für einander da waren.
Nachbarn haben Gruppen gebildet, um ihren Kibbuz zu bewachen, haben ihre Häuser geöffnet, um Überlebenden Schutz zu bieten.
Im Ruhestand befindliche Angehörige der Streitkräfte haben sich erneut in Gefahr begeben.
Zivile Sanitäterinnen und Sanitäter flogen Rettungsmissionen. Und Mediziner auf dem Musikfestival, die nicht im Dienst waren, kümmerten sich um Verwundete, bevor sie selbst Opfer wurden.
Freiwillige haben Getötete geborgen, damit ihre Familien sie nach jüdischer Tradition bestatten konnten.
Reservisten ließen ihre Familien zurück, brachen ihre Hochzeitsreise oder ihr Auslandsstudium ab, ohne zu zögern.
Und noch viel mehr.
Der Staat Israel wurde geschaffen als sicherer Ort für die Jüdinnen und Juden der Welt. Zu diesem Zweck wurde er gegründet. Ich sage schon lange: Wenn Israel nicht existierte, müssten wir es erfinden.
Auch wenn es sich heute nicht so anfühlen mag: Israel muss wieder ein sicherer Ort für das jüdische Volk werden. Ich verspreche Ihnen: Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, dass es das wird.
Vor 75 Jahren und nur elf Minuten nach seiner Gründung waren Präsident Harry S. Truman und die Vereinigten Staaten von Amerika das erste Land, das Israel anerkannte. Wir stehen seither an Ihrer Seite und werden auch jetzt an Ihrer Seite stehen.
Meine Regierung steht seit den ersten Augenblicken dieses Angriffs in engem Kontakt mit ihrer politischen Führung, und wir werden dafür sorgen, dass Sie haben, was sie benötigen, um ihre Bevölkerung zu schützen, ihre Nation zu verteidigen.
Seit Jahrzehnten stellen wir sicher, dass Israel militärisch gut aufgestellt ist. Ende dieser Woche werde ich den US-Kongress um ein Unterstützungspaket in nie dagewesener Höhe für Israels Verteidigung bitten.
Wir werden den Nachschub für Iron Dome sicherstellen, damit das System den Himmel über Israel weiterhin bewachen und israelische Leben retten kann.
Wir haben militärische Mittel der Vereinigten Staaten in die Region verlagert und die USS-Ford-Flugzeugträgerkampfgruppe im östlichen Mittelmeer positioniert, wohin die USS Eisenhower auch auf dem Weg ist, um weitere Angriffe gegen Israel abzuwenden und die Ausweitung dieses Konflikts zu verhindern.
Die Welt wird wissen, dass Israel stärker ist denn je.
Und meine Botschaft an alle Staaten oder feindlichen Akteure, die darüber nachdenken, Israel anzugreifen, bleibt die gleiche wie noch vor einer Woche: Tun Sie es nicht. Tun Sie es nicht. Tun Sie es nicht.
Dieser Terrorangriff wurde inzwischen mehrfach als Israels 11. September bezeichnet. Aber für eine Nation der Größe Israels war das mehr wie 15 11. September. Die Größenordnung mag eine andere sein, aber ich bin sicher, diese Schrecken haben in Israel eine Art Urangst ausgelöst, ebenso wie in den Vereinigten Staaten der 11. September.
Schock, Schmerz, Wut – eine überwältigende Wut. Ich verstehe Sie, viele Amerikanerinnen und Amerikaner verstehen Sie.
Sie können nicht einfach mit ansehen, was Ihren Müttern, Vätern, Großeltern, Söhnen, Töchtern, Kindern – sogar Babys – passiert ist, ohne nach Gerechtigkeit zu rufen. Es muss Gerechtigkeit geben.
Aber ich warne vor Folgendem: Lassen Sie sich nicht von dieser Wut verzehren.
Nach dem 11. September waren wir in den Vereinigten Staaten aufgebracht. In unserem Streben nach Gerechtigkeit haben wir aber auch Fehler gemacht.
Ich bin der erste US-Präsident, der Israel in Kriegszeiten besucht.
Ich habe bereits Kriegsentscheidungen gefällt. Ich weiß, dass diese Entscheidungen für die politische Führung niemals eindeutig oder leicht sind. Es sind immer Kosten damit verbunden.
Sie müssen wohlüberlegt gefällt werden. Dafür müssen sehr schwierige Fragen gestellt werden. Dafür braucht es Klarheit über die Ziele und eine ehrliche Einschätzung, ob diese Ziele über den eingeschlagenen Weg erreicht werden können.
Die große Mehrheit der Palästinenserinnen und Palästinenser gehören nicht der Hamas an. Die Hamas repräsentiert nicht die Palästinenserinnen und Palästinenser.
Die Hamas setzt unschuldige Familien in Gaza als menschliche Schutzschilde ein und baut ihre Kommandozentren, ihre Waffen, ihre Kommunikationstunnel in Wohngebieten.
Die Palästinenserinnen und Palästinenser leiden ebenfalls sehr. Wir trauern auch um die verlorenen Leben der Palästinenserinnen und Palästinenser. Wie die ganze Welt war ich erzürnt und betrübt über die schweren Verluste gestern im Krankenhaus in Gaza.
Den Informationen zufolge, die wir bisher erhalten haben, scheint dies durch eine fehlgeleitete Rakete verursacht worden zu sein, die von einer Terrorgruppe in Gaza abgefeuert wurde.
Die Vereinigten Staaten stehen unmissverständlich für den Schutz zivilen Lebens während Konflikten und ich trauere sehr mit den Familien, die durch diese Tragödie verletzt oder getötet wurden.
Die Menschen in Gaza brauchen Nahrungsmittel, Wasser, Medikamente, Schutz.
Heute habe ich das israelische Kabinett, das ich heute früh getroffen habe, gebeten, der Lieferung lebensrettender humanitärer Hilfe an Zivilisten in Gaza zuzustimmen. Auf der Grundlage der Einigung, dass es Inspektionen geben wird und die Hilfe an Zivilisten gehen soll und nicht an die Hamas, hat Israel zugestimmt, dass ab jetzt humanitäre Hilfe von Ägypten nach Gaza geschickt werden darf.
Ich möchte eines deutlich sagen: Wenn die Hamas die Hilfsgüter umleitet oder stiehlt, demonstriert sie damit erneut, dass ihr das Wohlbefinden der Palästinenserinnen und Palästinenser egal ist, und die Lieferungen werden gestoppt werden. Das würde also die internationale Gemeinschaft in der Praxis daran hindern, diese Hilfe zu leisten.
Wir arbeiten eng mit der ägyptischen Regierung, den Vereinten Nationen und ihren Institutionen wie dem Welternährungsprogramm und anderen Partnern in der Region zusammen, damit so bald wie möglich Lastwagen die Grenze passieren können.
Daneben unterstütze ich Israels Forderung an die Weltgemeinschaft, den Zugang des Internationalen Roten Kreuzes zu den Geiseln zu unterstützen. Eine nachvollziehbare Forderung, die die Vereinigten Staaten in Gänze unterstützen.
Heute kündige ich auch eine neue Zahlung der Vereinigten Staaten für humanitäre Hilfsleistungen in Gaza und dem Westjordanland in Höhe von 100 Millionen US-Dollar an. Von diesem Geld werden mehr als eine Million vertriebene und vom Konflikt betroffene Palästinenserinnen und Palästinenser unterstützt und Notfallhilfe in Gaza geleistet werden.
Sie sind ein jüdischer Staat. Sie sind ein jüdischer Staat, aber Sie sind auch eine Demokratie. Und wie die Vereinigten Staaten leben Sie nicht nach den Regeln von Terroristen. Sie leben nach den Regeln der Rechtsstaatlichkeit. Und wenn Konflikte aufkommen, dann halten Sie sich an das Kriegsvölkerrecht.
Was uns von den Terroristen unterscheidet, ist, dass wir an die grundlegende Würde jeglichen menschlichen Lebens – ob israelisch, palästinensisch, arabisch, jüdisch, muslimisch oder christlich – glauben.
Sie können nicht aufgeben, was Sie ausmacht. Wenn Sie das aufgeben, dann haben die Terroristen gewonnen. Und wir dürfen sie niemals gewinnen lassen.
Israel ist ein Wunderwerk – ein Triumph des Glaubens, der Entschlossenheit und der Resilienz angesichts unvorstellbaren Leides und unvorstellbarer Verluste.
Denken Sie an den 7. Oktober – den jüdischen Feiertag, an dem Sie die Geschichte über den Tod Moses nachlesen. Eine tragische Geschichte eines schweren Verlustes für eine ganze Nation. Über einen Tod, der die Herzen einer ganzen Nation mit Hoffnungslosigkeit hätte erfüllen können.
Aber obwohl Mose starb, haben die Erinnerungen an ihn, seine Botschaft, seine Lehren Generationen lang mit dem jüdischen Volk und vielen anderen überdauert – ebenso wie die Erinnerungen an Ihre geliebten Angehörigen überdauern werden.
Nachdem sie die Geschichte vom Tod Moses gelesen haben, lesen diejenigen, die den Feiertag begehen, die Thora von Anfang an. Die Schöpfungsgeschichte ruft uns zwei Dinge in Erinnerung. Zuerst einmal, dass wir, wenn wir eine Niederlage erleiden, wieder aufstehen und noch mal von vorne anfangen. Und zweitens, dass wir uns im Angesicht von Tragik und Verlust auf den Anfang besinnen und uns erinnern müssen, wer wir sind.
Wir sind alle Menschen, die nach dem Bilde Gottes geschaffen wurden, mit Würde, Menschlichkeit und einer Bestimmung. Wir sind da, um in der Dunkelheit das Licht der Welt zu sein.
Sie geben so vielen Menschen auf der ganzen Welt Hoffnung und Licht. Das wollen die Terroristen zerstören. Das wollen sie zerstören, weil sie in der Dunkelheit leben – aber nicht Sie, nicht Israel.
Gewissenhafte Nationen wie die Vereinigten Staaten und Israel werden nicht nur daran gemessen, wie stark sie sind. Sie werden daran gemessen, ob sie mit gutem Beispiel vorangehen.
Deshalb müssen wir, so schwer das ist, weiter den Weg des Friedens verfolgen. Wir müssen weiter einen Weg verfolgen, der es Israel und den Palästinenserinnen und Palästinensern ermöglicht, in Sicherheit, Würde und Frieden zu leben.
Für mich bedeutet das eine Zweistaatenlösung.
Wir müssen weiter an der Eingliederung Israels in seine Region arbeiten. Diese Angriffe haben meine Hingabe und meine Entschlossenheit und meinen Willen, das zu schaffen, noch gestärkt.
Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass Terroristen nicht gewinnen werden. Die Freiheit wird gewinnen.
Ich komme daher zu dem zurück, was ich am Anfang sagte. Israel: Sie sind nicht allein. Die Vereinigten Staaten stehen an Ihrer Seite.
Ich habe diese Geschichte schon einmal erzählt, und ich erzähle sie hier noch einmal: Vor 50 Jahren traf ich als junger Senator zum ersten Mal das Regierungsoberhaupt Israels. Ich saß Golda Meir gegenüber, an ihrem Schreibtisch in ihrem Büro. Und ein junger Mann, der später Premierminister wurde, saß neben mir, kurz vor dem Jom-Kippur-Krieg 1973.
Sie drehte Landkarten hin und her und erklärte mir, wie schlimm und schrecklich alles sei. Dann sah sie mich plötzlich an und fragte: „Wollen wir ein Foto machen?“
Ich sah sie an, und sie stand auf und ging hinaus auf den Flur mit dem, so glaube ich, marmornen Fußboden.
Wir gingen beide hinaus, und da standen einige Fotografen vor uns. Wir standen Seite an Seite.
Ohne mich anzusehen und wohl wissend, dass ich sie hören würde, sagte sie zu mir: „Warum gucken Sie so besorgt, Senator Biden?“ Und ich fragte „besorgt?“ und meinte, „natürlich bin ich besorgt“. Da sagte sie zu mir, ohne mich anzusehen: „Machen Sie sich keine Sorgen, Senator, wir Israelis haben eine Geheimwaffe: Wir können nirgendwo anders hingehen.“
Heute sage ich also an ganz Israel gerichtet: Die Vereinigten Staaten werden auch nicht weggehen. Wir stehen ihnen bei. Wir werden in diesen dunklen Tagen an Ihrer Seite gehen und wenn die guten Tage kommen, werden wir auch an Ihrer Seite gehen. Und sie werden kommen.
Wie sie auf Hebräisch sagen, und ich werde mich nicht daran versuchen, weil ich absolut nicht sprachbegabt bin, darum sage ich es auf Englisch: „Das israelische Volk lebt.“ „Das israelische Volk lebt.“
Israel wird ein sicheres, jüdisches und demokratisches Land sein, heute, morgen und für immer.
Möge Gott all diejenigen schützen, die für den Frieden arbeiten. Möge Gott all diejenigen schützen, die noch in Gefahr sind.
Ich danke Ihnen vielmals.