US-Botschafterin Gutmann zur Eröffnung des deutsch-amerikanischen Zukunftsforums
Es gilt das gesprochene Wort.
Vom 2. bis 3. November 2022 findet in Münster das erste deutsch-amerikanische Zukunftsforum statt, das gemeinsam vom Auswärtigen Amt, von der Bertelsmann Stiftung, dem US-Außenministerium und dem American Institute for Contemporary German Studies an der Johns Hopkins University ausgerichtet wird. Eröffnet wurde es in diesem Jahr von US-Botschafterin Gutmann gemeinsam mit der deutschen Botschafterin in Washington, Emily Haber. Wir haben die Rede der US-Botschafterin übersetzt.
Die Idee zu einem Zukunftsforum entstand bei dem Abschiedstreffen von US-Präsident Biden mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juli 2021 im Weißen Haus.
Am Tag vor dem Treffen forderten verheerende Überschwemmungen Hunderte von Menschenleben und verursachten enorme Zerstörungen im Ahrtal und den angrenzenden Regionen. In diesem Jahr waren die Auswirkungen des globalen Klimawandels offensichtlich und sehr gegenwärtig. Extreme Regenfälle, Dürren und Waldbrände traten schneller auf, als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorhergesagt hatten.
Es war außergewöhnlich, dass Präsident Biden und die Bundeskanzlerin nach 16 Monaten globaler Pandemie zusammenkommen konnten, und zwar nicht nur wegen des Respekts, der Achtung, die die beiden Staats- und Regierungschefs füreinander hatten. Es war auch deshalb so außergewöhnlich, weil sie sich nach 16 Monaten globaler Pandemie nicht über Zoom unterhalten mussten, sondern sich persönlich treffen konnten. Und warum war das möglich? Weil Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Grenzen hinweg in Rekordzeit Impfstoffe entwickelt hatten, unter anderem durch eine bemerkenswerte deutsch-amerikanische Zusammenarbeit den Impfstoff von Pfizer BioNTech.
Nie zuvor waren das Versprechen und das Potenzial, der Bedarf an Zusammenarbeit und Innovationen, das Zukunftsforum, das bei diesem Treffen im Weißen Haus ins Leben gerufen wurde, so bedeutsam und so notwendig.
Nie war der Zusammenhang zwischen dem, was in einem Land geschieht, und dem, was auf der ganzen Welt passiert, so deutlich, ob es um das Klima, die globale Gesundheit, die Ernährungssicherheit, Energie, die Unterbrechung der Lieferketten, Piraterie im Cyberraum, Digitalpolitik oder die starke Reaktion der Verbündeten auf Putins brutalen Krieg gegen die Ukraine geht.
Gleichzeitig ist jedoch die Verbindung zwischen gleichgesinnten Partnern wie Deutschland und den Vereinigten Staaten, Partnern, die das gleiche fundamentale Interesse an einem System haben, in dem sich die Menschen an grundlegende Regeln halten, in dem Sicherheit und Souveränität geschützt sind und in dem die Menschenrechte geachtet werden, von entscheidender Bedeutung.
Wir befinden uns an einem Wendepunkt, einer Zeit intensiven Wettbewerbs um die Gestaltung der Zukunft. Innovationen und Technologie sind in der Lage, die geopolitische Landschaft des 21. Jahrhunderts zu bestimmen, indem sie bahnbrechende Neuerungen in den Bereichen Gesundheit und saubere Energie hervorbringen, neue, unseren Wohlstand fördernde Industrien schaffen und die Werte und das Gefüge unserer Gesellschaften prägen. Innovation ist jedoch mehr als nur Forschung und Patente. Es geht um die Schaffung eines Umfelds, das den Austausch von Ideen und Fachwissen über eine breite Palette neuen und bewährten Wissens fördert. In unserer polarisierten Welt ist es wichtig, dass wir uns bemühen, Schnittmengen und einen gemeinsam Weg nach vorn zu finden, indem wir die Instrumente des technologischen Fortschritts zur Stärkung der Demokratie nutzen, anstatt tatenlos zuzusehen, wie sie zur Aushöhlung unserer gemeinsamen Werte eingesetzt werden.
Deshalb könnte es kein besseres Thema für dieses erste deutsch-amerikanische Zukunftsforum geben als die Zukunft der Demokratie im digitalen Zeitalter. Die Demokratie zu fördern und zu verteidigen stand stets im Zentrum meiner akademischen Arbeit. Ein Prinzip, das ich immer wieder beobachtet habe, ist, dass alles, das wir tun, aber auch alles, das wir nicht tun, eine Wirkung hat.
An der University of Pennsylvania, die ich beinahe 20 Jahre lang geleitet habe, haben wir praktiziert, was ich integrative Innovation nenne. Unter meiner Leitung haben wir dort den President‘s Innovation Prize eingeführt, der Studierenden die Möglichkeit bietet, ihre unternehmerischen Ideen in die Tat umzusetzen. Ich war damals und bin auch heute noch davon überzeugt, dass wir alle über das Innovationsökosystem miteinander verbunden sind.
Unterschiedliches Wissen, Erkenntnisse und Erfahrungen zusammenzuführen hilft uns, die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen. Wer nur seine eigene Nachbarschaft, seine Familie oder seinen Volksstamm sieht, kann sich auch nur eine Zukunft vorstellen, die genauso aussieht, wie die Vergangenheit. Kreativität entsteht, wenn man sich für die Welt öffnet.
Wenn ich Studierenden früher empfohlen habe, global zu denken, habe ich mich damit auf etwas anderes bezogen als einfach nur verschiedene Zeitzonen oder Flugreisen, etwas Bedeutenderes als das Arbeiten über Sprach- oder Landesgrenzen hinweg. Global zu denken bedeutet auch, umfassend, alle akademischen Disziplinen einbeziehend und integrativ zu denken. Das ist globales Denken.
Und deshalb würde ich Ihnen allen das für die nächsten zwei Tage empfehlen, wenn sie über die Herausforderungen sprechen, denen wir uns gegenübersehen, insbesondere die Herausforderungen für die Demokratie. Erstens, denken Sie global. Zweitens, beginnen Sie mit einer offenen Frage und ziehen Sie verschiedene Standpunkte in Betracht. Und zu guter Letzt, entwickeln Sie umsetzbare Empfehlungen dafür, wie die gewagten neuen Ideen, die wir so dringend brauchen, in der heutigen Welt realisiert werden können. Einer Welt, die, wie Außenminister Blinken erst vor wenigen Wochen einräumte, gefährlich, kompliziert und voller – sich in Echtzeit vor unseren Augen abspielender – Herausforderungen ist. Aber dies ist auch ein Zeitpunkt unglaublicher Chancen.
In meinen beinahe 20 Jahren an der University of Pennsylvania habe ich immer wieder bei ihrem Gründer Benjamin Franklin Inspiration gefunden. Er war der Meinung, dass Universitäten theoretisches und praktisches Wissen vereinen sollten und dass Zusammenarbeit und geteilte Verantwortung für den Erfolg jeder Initiative vonnöten sind, so groß oder klein sie auch sein mag.
Und so möchte ich Ihnen zum Abschluss kurz erläutern, wie Benjamin Franklin Demokratie definierte. Bei der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung sagte er den berühmten Satz: „Wir müssen alle zusammenhängen, oder wir werden ganz gewiss alle einzeln hängen.“ Franklin hatte ganz sicher recht: dass wir zusammenhängen und kreativ zusammenarbeiten, ist der Schlüssel zu unserer gemeinsamen Verteidigung der Demokratie. In diesem kreativen und kollaborativen demokratischen Geiste wünsche ich Ihnen ein erfolgreiches deutsch-amerikanisches Zukunftsforum und freue mich darauf, morgen Ihre Empfehlungen zu hören.
Originaltext: Futures Forum – Opening Remarks