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September 30, 2021

US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III. vor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats

Am 28. September hielt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin vor dem Streitkräfteausschuss im US-Senat eine Rede. Wir haben die vorbereitete Rede übersetzt. 

Lloyd J. Austin III
Lloyd J. Austin III

Vorsitzender Reed, Abgeordneter Inhofe, Mitglieder des Ausschusses, ich danke Ihnen für die Gelegenheit, heute mit Ihnen über unsere jüngsten Abzugs- und Evakuierungsmaßnahmen in Afghanistan zu sprechen.

Ich freue mich, dies mit General Milley und General McKenzie tun zu können, die Ihnen mehr dazu sagen können.

Ich bin unglaublich stolz auf die Soldatinnen und Soldaten der US-Streitkräfte, die während des Krieges, des Abzugs und der Evakuierung ihre enorme Kompetenz und Professionalität bewiesen haben.

Im Laufe des längsten Krieges unseres Landes haben 2.461 amerikanische Mitbürgerinnen und Mitbürger das größtmögliche Opfer gebracht, und mehr als 20.000 Soldatinnen und Soldaten tragen immer noch die Wunden des Krieges, auch wenn einige davon äußerlich nicht sichtbar sind.

Wir können über die Entscheidungen, die Strategie und die Entwicklungen seit April dieses Jahres diskutieren, als der Präsident seine Absicht bekundete, die amerikanische Beteiligung an diesem Krieg zu beenden. Wir können über die Entscheidungen der letzten 20 Jahre diskutieren, die uns an diesen Punkt geführt haben.

Was jedoch nicht zur Debatte steht, sind der Mut und das Mitgefühl unserer Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien, die gedient und Opfer gebracht haben um zu gewährleisten, dass unser Heimatland nie wieder einen Angriff wie den vom 11. September 2001 erleben wird.

 

Ich hatte bei meiner Reise in die Golfregion vor einigen Wochen die Gelegenheit, mit vielen von Ihnen zu sprechen, unter anderem auch mit den Marines, die am 26. August am Abbey Gate in Kabul 11 ihrer Kameradinnen und Kameraden verloren haben. Nie habe ich mehr Ehrfurcht empfunden, nie hat mich etwas stärker beeindruckt. Sie sind mit Recht stolz auf das, was sie erreicht haben und auf die Leben, die sie in so kurzer Zeit retten konnten.

Unsere Truppen konnten deshalb so schnell vor Ort sein, weil wir Pläne für einen solchen Fall gemacht hatten. Wir haben schon im Frühjahr angefangen, über die Möglichkeiten einer Evakuierung von Nichtkombattanten nachzudenken.

Ende April, zwei Wochen nach der Entscheidung des Präsidenten, hatten Militärstrategen eine Reihe von Evakuierungsszenarien ausgearbeitet. Mitte Mai wies ich das Central Command an, Vorbereitungen für einen möglichen Evakuierungseinsatz zu treffen. Zwei Wochen danach begann ich mit der Vorabverlegung von Truppen in die Region, darunter drei Infanteriebataillone. Am 10. August führten wir eine weitere Einsatzsimulation durch, bei der es um ein Szenario zur Evakuierung von Nichtkombattanten ging. Wir wollten bereit sein. Und das waren wir.

 

Zu dem Zeitpunkt, als das US-Außenministerium zur Evakuierung von Nichtkombattanten aufforderte, war bereits eine beträchtliche Anzahl zusätzlicher Kräfte in Afghanistan eingetroffen, darunter auch Führungselemente des Kampfverbandes 24th Marine Expeditionary Unit, die sich bereits in Kabul befanden. Noch vor Ende des Wochenendes waren etwa 3.000 weitere Bodentruppen eingetroffen, darunter auch Teile des 82. Luftlandeverbands.

 

Um es ganz deutlich zu sagen, diese ersten beiden Tage waren schwierig. Wir alle haben mit Sorge die Bilder von Afghaninnen und Afghanen verfolgt, die auf die Landebahn und unsere Flugzeuge zustürzten. Wir alle erinnern uns an die chaotischen Szenen vor dem Flughafen. Doch innerhalb von 48 Stunden stellten unsere Truppen die Ordnung wieder her, und das Verfahren begann zu greifen.

Unsere Soldatinnen und Soldaten, Luftwaffenangehörigen und Marines sicherten gemeinsam mit unseren Verbündeten, Partnern und den Kolleginnen und Kollegen aus dem US-Außenministerium die Gates, übernahmen die Kontrolle über den Flughafenbetrieb und richteten ein Abfertigungssystem für die Zehntausenden von Menschen ein, die sie an Bord der Flugzeuge bringen würden. Sie und unsere Kommandeure haben alle Erwartungen übertroffen.

Wir hatten geplant, zwischen 70.000 und 80.000 Menschen zu evakuieren. Letztendlich waren es mehr als 124.000.

 

Wir hatten geplant, zwischen 5.000 und 9.000 Menschen pro Tag zu befördern. Im Durchschnitt waren es dann etwas mehr als 7.000 pro Tag.

Allein mit Militärflugzeugen flogen wir mehr als 387 Einsätze, im Durchschnitt fast 23 pro Tag. Auf dem Höhepunkt dieses Einsatzes startete alle 45 Minuten ein Flugzeug. Und kein einziger Start wurde wegen Wartungsarbeiten, Treibstoffmangels oder logistischer Probleme abgebrochen.

Es war die größte Luftbrücke in der Geschichte der Vereinigten Staaten, und sie wurde in nur 17 Tagen durchgeführt. Ob alles perfekt lief? Natürlich nicht. Wir haben so viele Menschen so schnell aus Kabul herausgebracht, dass wir in den Zwischenlagern außerhalb Afghanistans an die Grenzen der Kapazitäten stießen und Probleme bei der Überprüfung der Personen bekamen.

Wir arbeiten immer noch daran, die Amerikanerinnen und Amerikaner herauszuholen, die ausreisen möchten. Wir konnten nicht alle unsere afghanischen Verbündeten für das Programm für Sondereinwanderungsvisa registrieren. Das nehmen wir sehr ernst. Deshalb arbeiten wir behördenübergreifend weiter daran, ihre Ausreise zu erleichtern. Auch ohne militärische Präsenz vor Ort ist dieser Teil unseres Einsatzes noch nicht beendet.

Tragischerweise gab es auch Todesopfer: mehrere Afghaninnen und Afghanen, die auf ein Flugzeug geklettert waren, kamen am ersten Tag ums Leben, 13 tapfere US-Soldatinnen und Soldaten und Dutzende afghanische Zivilisten wurden am 26. bei einem Terroranschlag getötet, und am 29. haben wir bei einem Drohnenangriff zehn unschuldige Menschen getötet.

Die Evakuierung von Nichtkombattanten gehört selbst unter den besten Umständen zu den schwierigsten Militäreinsätzen. Und im August waren die Umstände alles andere als ideal. Extreme Hitze. Ein Binnenland ohne Regierung. Eine sich schnell verändernde Lage vor Ort. Und eine aktive, glaubwürdige und tödliche terroristische Bedrohung.

Innerhalb von nur zwei Tagen, vom 13. bis 15. August, sind wir von der Zusammenarbeit mit einer demokratisch gewählten, langfristigen Partnerregierung dazu übergegangen, uns vorsichtig mit einem langjährigen Gegner abzustimmen. Wir haben in einer äußerst gefährlichen Umgebung gearbeitet. Es hat sich als Lehre in Sachen Pragmatismus und Professionalität erwiesen.

Wir haben auch sonst viel gelernt, zum Beispiel, wie man aus einem Luftwaffenstützpunkt in Katar über Nacht einen internationalen Flughafen macht und wie man innerhalb sehr kurzer Zeit sehr viele Menschen überprüft, abfertigt und auf Fluglisten setzt. So etwas hat es noch nie gegeben und keine andere Militärmacht der Welt hätte das stemmen können. Ich glaube, das ist das Entscheidende.

Ich weiß, dass Mitglieder dieses Ausschusses Fragen zu vielen Themen haben werden, zum Beispiel, warum wir den Luftwaffenstützpunkt Bagram verlassen haben, wie ausgeprägt unsere Fähigkeiten zur Terrorismusbekämpfung aus der Ferne sind, warum wir mit der Evakuierung nicht früher begonnen haben und warum wir nicht länger geblieben sind, um noch mehr Menschen herauszuholen. Ich würde sie gerne einzeln beantworten.

In Bagram zu bleiben hätte bedeutet, 5.000 US-Soldatinnen und Soldaten in Gefahr zu bringen, nur um diesen Stützpunkt zu betreiben und zu verteidigen. Und es hätte wenig zu dem uns erteilten Auftrag beigetragen: unsere knapp 50 Kilometer entfernt gelegene Botschaft zu schützen und zu verteidigen. Aufgrund dieser Entfernung zu Kabul war Bagram auch für die Evakuierung von geringem Nutzen. In Bagram zu bleiben, und sei es nur zur Terrorismusbekämpfung, hätte bedeutet, den Krieg in Afghanistan fortzusetzen, und der Präsident hatte deutlich gemacht, dass er das nicht tun würde.

Zu unseren Einsätzen aus der Ferne (over-the-horizon operations): Wenn wir diesen Ausdruck benutzen, beziehen wir uns auf Mittel und Zielanalysen von außerhalb des Landes, in dem der Einsatz stattfindet. Es handelt sich dabei um wirksame und recht gängige Maßnahmen. Erst vor wenigen Tagen haben wir einen solchen Angriff in Syrien durchgeführt und ein hochrangiges Al-Kaida-Mitglied ausgeschaltet. Einsätze aus der Ferne sind schwierig, aber absolut machbar. Und die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse hierfür stammen aus unterschiedlichen Quellen, nicht nur von US-Streitkräften vor Ort.

Was den Beginn der Evakuierung angeht: Wir haben angeboten, das US-Außenministerium im Hinblick auf diese Entscheidung zu beraten, wobei wir uns der Sorge des Ministeriums bewusst waren, dass ein zu früher Abzug den Zusammenbruch der afghanischen Regierung bedeuten könnte, den wir alle vermeiden wollten, während ein zu später Abzug unsere Leute und unsere Operationen stärker gefährden würde. Wie ich bereits sagte, ist die Tatsache, dass unsere Truppen so schnell vor Ort waren, zu einem Großteil auf unsere Planung und die frühzeitige Stationierung von Kräften zurückzuführen.

Was das Ende der Mission angeht, gehe ich nach wie vor davon aus, dass eine Verlängerung über Ende August hinaus unsere Leute und unseren Auftrag massiv gefährdet hätte. Die Taliban haben deutlich gemacht, dass ihre Zusammenarbeit am 1. September enden würde, und wie Sie wissen, haben wir schwerwiegende und immer deutlichere Drohungen von der Terrorgruppe ISIS-K erhalten. Länger zu bleiben, als wir es taten, hätte unsere Soldatinnen und Soldaten noch stärker in Gefahr gebracht und die Zahl der Menschen, die wir evakuieren konnten, nicht wesentlich erhöht.

Wenn wir heute über diese taktischen Fragen nachdenken, müssen wir uns auch einige gleichermaßen schwierige Fragen bezüglich des Krieges insgesamt stellen und kurz innehalten, um die Lehren der vergangenen zwanzig Jahre Revue passieren zu lassen. Hatten wir die richtige Strategie? Hatten wir zu viele Strategien? Haben wir zu sehr auf unsere Fähigkeit vertraut, effektive afghanische Institutionen wie Heer, Luftwaffe, Polizei und Ministerien aufbauen zu können?

Wir haben geholfen, einen Staat aufzubauen, konnten aber nicht zur Entstehung einer Nation beitragen. Die Tatsache, dass die afghanische Armee, die wir und unsere Partner geschult haben, einfach zerfallen ist, zu einem Großteil sogar, ohne dass ein einziger Schuss abgegeben wurde, hat uns alle überrascht. Es wäre unehrlich, etwas anderes zu behaupten.

Wir müssen uns mit einigen unangenehmen Tatsachen befassen: dass wir das Ausmaß der Korruption und der Führungsschwäche ranghoher Regierungsmitglieder nicht wirklich begriffen haben, dass wir die negativen Auswirkungen der häufigen und nicht erklärten Wechsel der Kommandeure Präsident Ghanis nicht erkannt haben, dass wir den durch die im Nachgang des Doha-Abkommens von den Taliban-Kommandeuren mit örtlichen Entscheidungsträgern getroffenen Vereinbarungen verursachten Schneeballeffekt nicht vorhergesehen haben, dass das Doha-Abkommen selbst entmutigend auf die afghanischen Soldaten wirkte und dass wir nicht in der Lage waren, in Gänze zu erfassen, dass es nicht viel und nicht viele gab, für das und für die ein Großteil der afghanischen Streitkräfte kämpfen würde.

Wir haben das afghanische Militär mit Ausrüstung und Flugzeugen ausgestattet und ihm die notwendigen Fähigkeiten vermittelt, um diese zu nutzen. Über die Jahre haben sie oft mutig gekämpft. Zehntausende afghanische Soldaten und Polizisten sind gestorben. Aber letztendlich waren wir nicht in der Lage, ihnen zum Willen zum Sieg zu verhelfen. Jedenfalls nicht allen.

Als Veteran dieses Krieges macht all das auch mir persönlich zu schaffen. Aber ich hoffe, wie ich eingangs schon sagte, dass wir nicht zulassen, dass die Debatte darüber, wie dieser Krieg zu Ende ging, unseren Stolz darauf trübt, wie unsere Soldatinnen und Soldaten gekämpft haben. Sie haben einen weiteren 11. September verhindert, sie haben in den letzten Tagen des Krieges außerordentlichen Mut und Mitgefühl gezeigt, und sie haben in Afghanistan dauerhafte Fortschritte erzielt, die für die Taliban nur schwer wieder rückgängig zu machen sind und für deren Erhalt sich die internationale Gemeinschaft einsetzen sollte.

Jetzt steht unseren Streitkräften und Bürgerinnen und Bürgern eine neue Aufgabe bevor: den aus Afghanistan Evakuierten zu helfen, an einem neuen Ort ein neues Leben anzufangen. Auch das machen sie ganz hervorragend. Ich habe erst gestern auf der Joint Base Maguire-Dix-Lakehurst etwas Zeit mit einigen von ihnen verbracht. Ich weiß, dass Sie ebenso wie ich tiefe Dankbarkeit und Achtung vor ihrer Leistung, ihrem Mut und ihrer Professionalität empfinden.

Und ich weiß die kontinuierliche Unterstützung dieses Ausschusses für sie und ihre Familien zu schätzen. Vielen Dank.

Originaltext: Secretary of Defense Lloyd J. Austin III Remarks Before the Senate Armed Services Committee